• Keine Ergebnisse gefunden

An dem Vers lassen sich einige Charakteristika des Stils und der Erzähltechnik Lucans verdeutlichen. Das Partizip Futur weist voraus auf die in 117-214 berichteten

Im Dokument Lucan. 9, 1-604 (Seite 51-54)

Reaktionen Catos und seiner Begleiter, die in Wehklagen ausbrechen, als sie die Nachricht von Pompeius’ Ermordung erhalten. Es handelt sich um eine

„zukunftsgewisse eingeschobene Vorausdeutung“ (E.LÄMMERT), die den Text gliedert und die Rezeptionshaltung des Lesers steuert. Mithilfe des Vorverweises schließt Lucan den von Cato bestimmten Abschnitt 21-50 ab und bildet eine Klammer um den nachgetragenen Bericht der Ereignisse, die sich nach dem Mord an der ägyptischen Küsten abgespielt haben. Zugleich werden die Tränen Catos dem Leser als idealtypisches Verhalten vor Augen geführt und legen ihm eine bestimmte Reaktion nahe.

Modernes Empfinden nimmt allerdings daran Anstoß, daß Lucan entgegen der Ankündigung die Tränen Cato später nicht mehr erwähnt, sondern im Gegenteil seine besondere Gefaßtheit inmitten des unbeherrschten Verhaltens seiner Begleiter hervorhebt (165-166. 186-189). Derartige „blinde Motive“ resultieren jedoch nicht aus einer Nachlässigkeit Lucans, sondern sind bewußtes Gestaltungsprinzip. Lehrreich ist ein Vergleich mit 409-410: et sacrum parvo nomen clausura sepulchro / invasit Libye securi fata Catonis. Die Vorausdeutung erfüllt dieselben Funktionen wie 50. Sie überbrückt den Libyenexkurs (411-444), den Lucan zwischen den Entschluß Catos, die Wüste zu durchziehen, und der Ausführung des Vorsatzes gestellt hat. Im Unterschied zu 50 weisen die Verse allerdings auf ein Ereignis hin, das dem Leser bekannt ist und vermutlich auch noch im BC berichtet werden sollte. Die konkrete Formulierung ist jedoch auffällig, weil sie mit der Bestattung in einem kleinen Grabmal eher einen abseitigen Aspekt von Catos Tod in den Vordergrund rückt. Das Detail ist für den Kriegsverlauf unerheblich, verdeutlicht aber eindringlich die paradoxe Verkehrung der gerechten Verhältnissen durch den Bürgerkrieg. Die Parallele stellt klar, daß der Vorwurf der Inkohärenz Lucan nicht angemessen ist. Die untersuchten Vorausdeutungen sind bewußt verwendete Gliederungssignale, die auf kommende Handlungsphasen hinweisen; die konkrete und anschauliche Formulierung darf jedoch nicht als Ankündigung des jeweiligen Einzelereignisses mißverstanden werden, sondern hat den Zweck, die unmittelbare affektive Anteilnahme des Lesers zu wecken. Zu Lucans Erzähltechnik im allgemeinen vgl. SEITZ,1965; MARTI 1975.

lacrimas motura: Die Junktur seit Tib. 1,10,63.

50. vel duri ... Catonis: die zweite der beiden Szenen, die Cato im zweiten Buch dem Leser vorstellen, thematisiert dessen Selbstdisziplin und Affektkontrolle. Cato vermählt sich mit Marcia aufgrund der gefährdeten Lage des Staates ohne die üblichen Hochzeitsbräuche und verzichtet auf die eheliche Vereinigung (vgl. 2,372-380). Seine duritia ist jedoch von völliger Affektlosigkeit unterschieden. Lucan stellt ihn als Vertreter eines Stoizismus römischer Prägung dar, der Brutus’ Versuch, ihn zu einer neutralen Haltung im ausbrechenden Konflikt zwischen Caesar und Pompeius zu bewegen, entschieden zurückweist und bereit ist, sein Leben einzusetzen, um Unheil vom Staat abzuwenden; vgl. 2,666-668. 290-295. Liebe und Trauer sind die Affekte, die Cato an den Staat binden (2,380-391). Catos Härte ist also einerseits Härte gegen sich selbst, andererseits unnachgiebige Entschlossenheit, die unter den gegebenen Umständen besondere Opfer fordernde Pflicht gegenüber dem Staat zu erfüllen; vgl.

9,385: durum iter ad leges patriaeque ruentis amorem. Mitgefühl mit dem Leiden anderer ist daher nicht ausgeschlossen; vgl. 9,747-748.

Ein Urteil Catos über Pompeius läßt sich dieser Stelle nicht entnehmen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der ambivalenten Gestalt des dreimaligen Triumphators enthält die von ihm gehaltene Leichenrede (9,190-214).

51-116: Vom Schiff aus unweit der Küste sieht Cornelia nach Einbruch der Dunkelheit Pompeius’ Scheiterhaufen am Strand brennen (51-54); zwar klagt sie zuerst, daß sie bereits zum zweiten Mal einen Ehemann durch Feindeshand verliert, ohne Gelegenheit zu haben, ihn mit den traditionellen Bestattungsriten beizusetzen, doch ermahnt sie sich, von Äußerlichkeiten abzusehen und ihrem Mann ein lebendiges Andenken zu bewahren (55-72). Als sie sieht, wie der Scheiterhaufen an der ägyptischen Küste erlischt (72-77), äußert sie den Wunsch, in Ägypten zu bleiben, um ihrem Mann die Treue zu bewahren (83[78]-82[83]). Darauf verkündet sie ihrem Stiefsohn Sextus Pompeius’ letzten Willen: gestützt auf den Ruhm seines Vaters soll er gemeinsam mit seinem Bruder den Kampf gegen Caesar fortführen; sofern Cato allerdings bereit sei, am Freiheitskampf teilzunehmen, sollen sie ihn als Anführer anerkennen (84-100). Enttäuscht, gegen ihren Willen Pompeius überleben zu müssen, beschließt Cornelia, den Rest ihres Lebens so zu verbringen, daß er ihr schon einen Vorgeschmack auf den Tod vermittelt (101-108). Sie begibt sich unter Deck und wünscht sich den Untergang ihres Schiffes im aufkommenden Sturm (109-116).

51-54: Die Verse setzen voraus, daß Pompeius` Begleiter die in 8,661-662 erwähnte Flucht noch in Sichtweite der Küste unterbrochen haben, um aus sicherer Entfernung die Ereignissen zu verfolgen; vgl. auch 8,741-742: extremo sed abest a munere busti / infelix coniunx nec adhuc a litore longe est. „Lyrische" Motive (Nacht, Abschied, Einsamkeit Cornelias, die sich allein noch zu ihrem Gatten hingezogen fühlt) liefern die wehmütige Hintergrundstimmung für die folgende Totenklage.

Die folgende wörtliche Rede Cornelias ist sorgfältig mit der hier einleitend skizzierten Situation verknüpft und in den übergreifenden Erzählzusammenhang eingebettet.

Hinweise auf Brennen und Verlöschen des Scheiterhaufens markieren Wendepunkte innerhalb ihrer Klage (62-64; 73-77), die rahmenden Angaben zum Verlauf der Fahrt führen die Handlung wieder zu dem Punkt, an dem sich Cato und Cornelia begegnen und unterstreichen durch Verstärkung oder Kontrast die Bedeutsamkeit des affektgeladenen Geschehens (109-116. 117-121). Für eine Interpretation der Rede Cornelias auf dem Hintergrund epischer Totenklagen vgl. OFFERMANN 1968,119-121;

zur Topik der Totenklagen im allgemeinen vgl. ALEXIOU 1974,131-184; HOPKINS

1983,217-235.

51-53: „Vergeblich hatte Cornelia die Schiffer und ihren Stiefsohn bestürmt, die Flucht zu verzögern. Sie fürchtete, die verstümmelte Leiche würde von der Küste Ägyptens weg und aufs Meer hinaus getrieben“ (LUCK).

Die erste Hälfte des postquam-Satzes und der davon abhängige negierte Finalsatz enthalten zwei Schwierigkeiten, für die verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen worden sind. Frustra precibus [...] fugam tenuit bedeutet nach HOUSMAN, der sich auf die Comment. beruft, daß Cornelia die Flucht der Seeleute verhindert habe, allerdings umsonst (frustra), denn der Leichnam wurde nicht zurück ins Meer gespült; LUCK dagegen versteht den Ausdruck als dichterische Periphrase für frustra precata est, ne fugerent.

Die zweite Verständnisschwierigkeit bietet der ne forte-Satz; es ist unsinnig zu sagen, Cornelia bleibe an der Küste, um zu verhindern, daß der Leichnam abtreibt, wenn sie ihn eigentlich bergen möchte. BENTLEY konjizierte daher si forte;

BOURGERY/PONCHONT/JAL verstehen ne forte in diesem Sinn als indirekten Fragesatz („pour voir si“; dagegen aber ThLL 6,1,Sp.1135,Z.58-66 (HEY); LHS 452. Am überzeugendsten schließt FRANCKEN, gefolgt von LUCK, den ne forte-Satz an, indem er ihn von einem gedanklich zu ergänzenden timens abhängen läßt. Es bietet sich daher an, frustra mit Luck auf die Erfolgslosigkeit des Bittens zu beziehen; denn HOUSMANs

Erklärung für frustra („quoniam non evenit ut corpus ad eos aestu referretur“;

Comment.) verbaut die Möglichkeit, den Finalsatz sinnvoll anzuschließen; an den Schwierigkeiten, die HOUSMANs Vorschlag hervorruft, scheitert EHLERS´ Übersetzung:

„Denn umsonst hatte Cornelia gehofft, daß vielleicht der Rumpf [...] ins Meer zurückgelangte, hatte daher mit ihren Bitten die Flucht der Besatzung und ihres Stiefsohnes hinausgezögert“.

51. Cornelia: verdeutlicht Lucan an Cato und Marcia die strikte Unterordnung der persönlichen unter die staatlichen Belange (vgl. 2,326-391; HARICH 1990), vermischen sich in der Ehe zwischen Pompeius und Cornelia die beiden Bereiche in unheilvoller Weise. Während Pompeius sich von den Kriegsvorbereitungen gegen Caesar durch die Sorge um seine Frau ablenken läßt (vgl. z.B. 5,722-731), ist Cornelias Verhalten von dem selbstsüchtigen -und vergeblichen- Bemühen bestimmt, trotz des Bürgerkriegs an der Seite ihres Ehemannes zu bleiben (vgl. z. B. 83[72]-82[83]; 98-116). Zu Cornelia vgl. BRUÈRE 1951; VIANSINO 1974,120-124; AHL 1976,173-183; THOMPSON 1983.

Pompeius’ Ehefrau war Tochter des Q. Caec. Metellus Pius Scipio (Konsul 52 v.

Chr.), der bei Pharsalos gegen Caesar kämpfte, darauf den Oberbefehl über die Pompejaner in Africa innehatte und nach Thapsus Selbstmord beging. Vor ihrer Ehe mit Pompeius war Cornelia mit dem bei Carrhae als Unterführer seines Vaters gefallenen P.

Crassus verheiratet. Der bedeutend ältere Pompeius ehelichte sie im Jahr 52 v. Chr., wodurch er sich allerdings, wie Plutarch Pomp. 55,1-5 berichtet, die Kritik der Öffentlichkeit zuzog, da die Braut als zu jung galt, und er ihr angeblich mehr Zeit widmete, als den Staatsgeschäften guttat. Möglicherweise ist Lucans Darstellung ein Nachklang dieser Kritik; vgl. FR.MÜNZER 1900,1596-1597; GELZER 1983,151.

52. privignique: sc. Sextus Pompeius. Vgl. zu 84.

53. remearet: das klassisch sehr seltene Verb (nur Cic. nat.deor.2,118) gebraucht Lucan gern (11 Belege).

54. ostenditque: die Flexionsformen von ostendere finden sich bei Lucan stets am Versanfang (vgl. z.B. 9,75. 496. 1005). Zu Lucans Gewohnheit, bestimmte Wörter stets an der gleichen Stelle im Vers zu verwenden, vgl. OLLFORS 1965,61-71.

non iusti: poetischer Ersatz für iniustus, der seit Ov. met.8,874 gelegentlich verwendet wird. Vgl. auch Verg. Aen.10,94-95: querelis / haud iustis.

sepulchri: anstelle von funus schon Ter. Andr.128; vgl. Lucan. 3,11; 6,526. 765.

Im Dokument Lucan. 9, 1-604 (Seite 51-54)