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E in fü h ru n g*

Die parlamentarische D em okratie weist in der dem westlichen D em o k ratiev e rstän d - nis zuzuordnenden Staatenwelt (zu der auch, wie z.B. Ja p an und Indien, au ß e rh alb d e r westlichen Hemisphäre angesiedelte Staaten gehören k ö n n e n ) verschiedene For- men auf. Von diesen sind das Präsidialsystem und das parlam entarische System in ihren jeweiligen Ausgestaltungen hervorzuheben. Beide E rscheinungsform en dem o- kratischer Staatsleitung hab en gem einsam , daß das Parlam ent aus allgemeinen Wah- len hervorgegangen ist. In beiden Fällen auf Z u sam m en arb eit mit dem Parlam ent an- gewiesen, hängt im parlam entarischen System die Existenz d e r R egierung vom Ver- trauen des Parlaments ab, wohingegen im reinen Präsidialsystem d e r Staatspräsident als C hef d e r Exekutive vom Parlam ent nicht gestürzt w erden kann (so z.B . in den U S A ) .1

Z w ar w erden Wahl und gegebenenfalls Abwahl des Regierungschefs d em Paria- m ent als solchem zugerechnet. Tatsächlich ist es a b e r in aller Regel n u r ein Teil der A b g e o rd n eten , nämlich eine M ehrheit von P arlam en tsa b g eo rd n eten , welche derar- tige Rechtshandlungen zustande bringen. Das ״ parlam entarische V e rtra u e n “ ist also in d e r sozialen Wirklichkeit das Vertrauen nur einer rechtlich den Ausschlag geben- den Anzahl von A bgeordneten, die in der Regel die M ehrheit d e r Mitglieder des Par- laments darstellen.

Im G rundgesetz für die B undesrepublik Deutschland ist das parlam entarische Sy- stem statuiert und inhaltlich konkretisiert. Die Bundesregierung ist vom B undestag existenziell abhängig, d.h. ihre Konstituierung und ihr F o rtb estan d hängen verfas- sungsrechtlich davon ab, daß der Bundeskanzler bei seiner Wahl und d an n w ährend seiner Amtszeit das Vertrauen des Bundestages besitzt.

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* Es handelt sich bei dem vorliegenden Bericht um die teilweise ergänzte, teilweise auch gekürzte sowie aktualisierte Fassung des am 10. Juli 1990 gehaltenen Vortrages.

-Die in den Fußnoten enthaltenen Literaturangaben sind nicht erschöpfend; sie beziehen sich im allgemei- nen auch nur auf Abhandlungen zu speziellen Fragen.

Die Bedeutung der in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen ״ Schindler“ ist:

Schindler II: Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1984, Baden-Baden 1986;

Schindler I I I : Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1980 bis 1987, Baden-Baden 1988;

beide herausgegeben von P Schindler.

1 Für viele (außerhalb der allgemeinen Lehrbücher) hierzu P. Badura, Parlamentarismus und partéién*

staatliche D em okratie, in Festschr. K. Michaelis, 1972, S. 9 ff.; ders.t in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Herausg. J. Isensee u. P. Kirchhof, Bd. 1, 1987, § 23 Rdn. 10 ff.; M. Schrö- der, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Herausg. J. Isensee und P. Kirch- hof. Bd. I I , 1987, §51.

I.

Die Bundesregierung u n d das parlam entarische Vertrauen 1. D ie K onstituierung der Bundesregierung

a) Wahl u n d E rnennung des B undeskanzlers sow ie E rnennung der B undesm inister Die Wahl des Bundeskanzlers erfolgt durch den B undestag, d .h . durch die in der Ver- fassung vorgeschriebene (meist qualifizierte) M ehrheit (A rt. 63 G G ) . D e r G ew ählte ist, vom Fall des A rt. 63 I V G G abgesehen, vom B undespräsidenten zu e r n e n n e n .2•3 D ieser d arf die E rn e n n u n g nicht aus politischen G rü n d e n verweigern. Wohl aber d arf und m uß e r p rü fen , o b die zur E rn e n n u n g vorgeschlagene Persönlichkeit auch ״ ge- w ählt“ ist, also die erforderliche M ehrheit d e r Stimmen auf sich vereinigt hat. Wer so nicht gewählt ist, d a rf auch nicht e rn a n n t werden.

Die B undesm inister hingegen w erden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bun- despräsidenten e r n a n n t, und zwar unabhängig davon, ob sie das ״V ertrauen des Bun- d estag es“ besitzen o d e r nicht.4 A uf das Vertrauen des B u n d esp räsid e n ten in die Eig- nung d e r vom B undeskanzler zur E rn e n n u n g vorgeschlagenen Persönlichkeiten k o m m t es ebenfalls nicht a n . 5 N ur das Erfülltsein d e r rechtlichen Voraussetzungen für die E rn e n n u n g zum B undesm inister hat der B undespräsident zu prüfen. Bei de- ren Nicht-Erfülltsein (wenn z.B. d e r Vorgeschlagene nicht die deutsche Staatsange- Hörigkeit besitzt) hat er die E rn e n n u n g zu verweigern.

b) Das parlam entarische Vertrauen

A rt. 63 G G stellt für die Wahl zum Bundeskanzler nicht das E rfo rd ern is auf, daß d e r Bewerber, um gewählt w erden zu d ü rfen , das Vertrauen des B undestages (d.h.

d e r B undestagsm ehrheit) besitzen müsse. Es ist auch nicht die A n n a h m e überzeu- gend, daß die Wahl zum B undeskanzler das Vertrauen impliziere. E r k e n n b a r e r Inhalt

70 Gerhard H offm ann

2 A r t. 63 G G [Wahl des Bundeskanzlers]

(1) D e r Bundeskanzler w ird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache ge- wählt.

(2) G ew ählt ist. wer die Stimmen der M ehrheit der M itglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.

(3) W ird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehnTagen nach dem Wahl- gange m it mehr als der H älfte seiner M itglieder einen Bundeskanzler wählen.

(4) Kom m t eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehr- heit der M itg lie d e r des Bundestages a uf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese M ehrheit nicht, so hat der ßundespräsident binnen sie- ben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

3 D ie M ehrheiten sind bei den Kanzlerwahlen teilweise äußerst knapp gewesen. So hatte 1987 Bundes- kanzler Kohl nur vier Stimmen mehr als erforderlich erhalten (nämlich 253 Stimmen von 497 Abgeordne- ten). Noch knapper kam die Wahl Adenauers zum ersten Bundeskanzler zustande; dieser erhielt 202 Stimmen von 402 Abgeordneten. V g l. D A S P A R L A M E N T N r. 13 vom 28.3.1987, S. 16.

4 In einigen Bundesländern werden auch die M inister (Senatoren) vom Landesparlament gewählt. S. die A ufstellung bei Pestalozza* Verfassungen der deutschen Bundesländer, 3. A u fl., 1988, S. 22 ff.

5 So auch W.-R. Schenke, B K , E rl. zu A n . 64 Rdn. 9 ff.; dort auch Darstellung der Diskussion zu dieser kontrovers erörterten Frage.

dieser Wahl ist allein das Einverständnis der B undestagsm ehrheit, daß d e r zum Bun- deskanzler G ew ählte dieses A m t übernimmt.

Z w a r ist in A rt. 67 und 68 G G der Entzug des parlam entarischen ״V ertrauens“ als ein G r u n d für den Amtsverlust statuiert. Doch zeigt sich, d aß das ״V ertrau en “ n u r als Einverständnis mit d e r weiteren A m tsführung des Bundeskanzlers zu verstehen ist6 - ein Einverständnis, das durch Wahl eines neuen B undeskanzlers widerrufen wird.

Wie echtes Vertrauen als eine innere Einstellung, als eine G esinnung, nicht förmlich beschlossen werden kann, kann es auch nicht durch M ehrheitsbeschluß widerrufen w erden. Allenfalls könnte aus der Wahl und aus d e r Nicht-Abwahl echtes V ertrauen als eine Vermutung abgeleitet werden. Diese V erm utung erweist sich jedoch als falsch; d en n es ist möglich, daß der C hef einer M inderheitsregierung von d e r Paria- m en tsm eh rh e it nur toleriert wird, ohne jedoch deren echtes V ertrauen zu genießen.

D a r ü b e r hinaus ermöglicht Art. 68 I S. 1 G G einem Bundeskanzler, dessen A ntrag, ihm das Vertrauen auszusprechen, vom Parlam ent abgelehnt w orden ist, sein A m t trotz Vertrauensentzuges weiterhin innezuhaben. Die vom B undestag beschlossene Verweigerung des Vertrauensausspruches b ed eu tet rechtlich also nicht ipso iure, dem B undeskanzler das Einverständnis zu dessen w eiterer In n eh a b u n g d e r Kanzlerschaft zu entziehen.

2. D er Sturz der Bundesregierung durch A b wähl des B undeskanzlers

D e r F ortbestand einer Bundesregierung hängt gem. A rt. 67 G G davon ab, d a ß d e r B u n d estag weiterhin d e r Kanzlerschaft des gegenwärtigen A m tsin h ab ers zustimmt.

Das so zu verstehende Vertrauen des Bundestages kann dem Kanzler grundsätzlich nur d adurch entzogen w erden, daß der Bundestag mit d e r M ehrheit seiner Mitglie- d e r einen Nachfolger wählt und den B undespräsidenten ersucht, den B undeskanzler zu entlassen. D e r Bundespräsident muß dem E rsuchen entsprechen und den Ge- w ählten e rn e n n e n (A rt. 67 I G G 7). Diese Regelung wird als ״ konstruktives Mißtrau- e n s v o tu m “ bezeichnet.8 - Von dieser Möglichkeit des Regierungswechsels während ein er W ahlperiode ist seit 1949 erfolgreich nur einmal G e b rau ch gem acht w orden,

Parlamentarisches Prinzip in Verfassungsrecht u n d -praxis!B R D 71

6 So z.B . auch H.•P. Schneider, Kommentar zum Grundgesetz fü r die Bundesrepublik Deutschland.

Bd. 2. 1989, E rl. vor A rt. 62 (1, 2).

7 A r i. 67. [M ißtrauensvotum ]

(1) D e r Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er m it der M ehrheit seiner M itglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundes- kanzler zu entlassen. D er Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten er- nennen.

(2) Zwischen dem Anträge und der Wahl müssen achtundvicrzig Stunden liegen.

8 Es ist von politischem und rechtshistorischem Interesse, daß die sehr bald m ittels (von der Volkskam m er beschlossener) einfacher Gesetze ihres demokratischen Charakters entkleidete DDR-Verfassung von 1949 das konstruktive Mißtrauensvotum zum Inhalt hatte ( A r t. 95). Von dieser M öglichkeit konnte nie- mals Gebrauch gemacht werden, weil die das DDR-Verfassungsrecht zunehmend durchdringende soziali- stische Staats- und Rechtskonzeption diese Regelung stillschweigend außer K ra ft setzte.

Gerhard H offm ann 72

nämlich 1982, als B undeskanzler H. Schmidt (SPD ) infolge eines Koalitionswechsels d e r F D P durch H. Kohl ( C D U ) abgelöst w urde.9• 10

3. E xkurs:

Wahl u n d A b w a h l des Regierungschefs bzw. der Regierung im R echt der deutschen Länder

Wahl und Abwahl des Regierungchefs bzw. d e r R egierungen (Senate) sind in den L andesrechtsordnungen verschiedenartig geregelt.

So wird z.B. in einigen S tad tstaaten (Berlin, B rem en , H am b u rg ) die gesamte Re- gierung vom P arlam ent gewählt. Teilweise wird (z.B. in Berlin) zunächst der Regie- rungschef (R e g ie re n d e r B ürgerm eister), alsdann das restliche Kabinett gewählt. In den an d e ren S tad tstaaten (B rem en und H am burg) wird sogleich die gesamte Regie- rung (d e r Senat) gewählt; diese wählt dann aus ihrer M itte den Regierungschef. In einigen L ä n d ern wird vom L andesparlam ent nur der Regierungschef gewählt; die von diesem e rn a n n te n Regierungsmitglieder bedürfen d a n n d e r Bestätigung durch den Landtag.

Auch die Abwahl ist in den L ä n d ern verschiedenartig geregelt. In einigen Landes- Verfassungen findet sich das konstruktive M ißtrauensvotum (z.B. in Baden-Württem- berg: A rt. 54 d e r Landesverfassung; Nordrhein-Westfalen: A rt. 61). Eine dem konstruktiven M ißtrauensvotum des Bundesverfassungsrechts (A rt. 67 G G ) entspre- chende R egelung enthält z.B . die hessische Verfassung: Wird dem M inisterpräsiden־

ten das Vertrauen entzogen o d e r versagt, so hat der Regierungschef zurückzutreten.

Spricht d e r L andtag nicht b in n en zwölf l a g e n einer neu en Regierung das Vertrauen aus, so ist er aufgelöst (A rt. 114 hess. Landesverfassung).11 In beiden Fällen (Bun- desverfassungsrecht und hess. Landesverfassungsrecht) kom m t es d ara u f an, im In- teresse einer vollen Handlungsfähigkeit des Staates eine regierungslose Zeit zu ver- m eiden.

Die im Bundesverfassungsrecht getroffene Regelung - parlam entarische Abhän- gigkeit d e r Regierung und Möglichkeit des Regierungssturzes mittels des konstrukti- ven M ißtrauensvotum s - ist d en Ländern nicht mit d em im G G norm ierten Inhalt durch A rt. 28 I S. 1 G G vorgeschrieben. So führt das BVerfG aus, d e r demokrati- sehe R echtsstaat im Sinne des G rundgesetzes setze zwar notwendig eine funktions- fähige und verantw ortliche Regierung voraus; doch könne die Abgrenzung der Regierungsbefugnisse und die Ausgestaltung d e r Verantwortlichkeit im einzelnen ver- schieden se in .12

9 C hronik des M ißtrauensvotums von 1982 bei Schindler I I I . S. 351 f f . - E i n im A p r il 1972 gegen den dama•

ligen Bundeskanzler Brandt nach A r t. 67 G G gerichteter A ntrag scheiterte, indem er keine M ehrheit fand (s. Schindler I I I . a .a .O .).

10 Z u r M iniste rve ra n tw o rtlich ke it u.a. P. Badura י ZParl 1980. S. 573 ff.; ü . Wengst, ZP arl 1984, S. 539 ff.

11 Näheres bei C. Pestatozza, a.a.O . (Fn. 4).

12 B V erfG E 9. 268 ff.. 281.

Parlamentarisches Prinzip in Verfassungsrecht u n d -praxis!B R D II.

Die K ontrolle der Bundesregierung durch Bundestagsabgeordnete u n d deren G ruppie- rungen

1. Das Inform ationsbedürfnis und dessen Befriedigung

Parlam entarische Kontrolle bedeutet, daß im B undestag regierungsamtliche A ktio- nen und A ktivitäten analysiert und bew ertet w erden; dabei k ö n n en einzelne Maß- nahm en selbst, a b e r auch das mit diesen verfolgte Ziel G e g en sta n d d e r meist kritischen Beurteilung sein. Maßstab dieser Kontrolle k ö n n en rechtliche, a b e r auch politische G esichtspunkte sein. Die Politikbezogenheit zulässiger B ew ertungsm aß- stäbe bringt es mit sich, d aß das Ergebnis einer B ew ertung eb e n so subjektiv ist wie der M aß stab selbst. Je nach den politischen S tan d o rten d e r B e w e rten d e n , also d e r kontrollierenden Personen und Personengruppen, ist das Urteil ü b er regierungsamt- liehe M a ß n a h m e n und Ziele der Bundesregierung positiv o d er negativ.

D as Bedürfnis möglichst umfassender Inform ationen ist d e n e n , die durch derar- tige B ew ertung parlamentarische Kontrolle ausüben, gem einsam . D e n A ngehörigen der die Bundesregierung stellenden Fraktionen fällt es in aller Regel nicht schwer, die für sie w ünschenswerten Informationen zu erlangen. Die B undesregierung wird sie ihnen zugänglich m achen - wenn auch nur fraktionsintern. Die im B undestag die O pposition bildenden Fraktionen hingegen sind weniger günstig gestellt. D och kön- nen sie mit Hilfe G r o ß e r und Kleiner Anfragen sich von der B undesregierung die ihnen wünschenswert erscheinenden Inform ationen erteilen lassen. Selbstverständ- lieh steht diese Möglichkeit auch den Koalitionsfraktionen offen; nur haben diese es in aller Regel nicht nötig, hiervon G ebrauch zu machen.

Die rechtliche Möglichkeit des Bundestages (und seiner Ausschüsse), die Anwe- senheit jed es Mitgliedes d e r Bundesregierung zu verlangen (A rt. 43 I G G ) , dient ebenfalls der Informationserteilung, ist a b e r zugleich auch ein Kontrollmittel des Parlam ents. A uf A ntrag einer Fraktion o d er von anw esenden fünf vom H u n d e rt der Mitglieder des Bundestages ist die H erbeirufung eines Mitgliedes d e r Bundesregie- rung zu beschließen (Zitierrecht; § 42 G O /ВТ). In d e r Zeit von 1949 bis zum E n d e des J a h re s 1987 sind in 39 Fällen Mitglieder der Bundesregierung zu Plenarsitzungen des B undestages zitiert worden. Die Fälle der Z itierung zu Ausschuß-Sitzungen sind bei E n d e des Jahres 1987 noch nicht zusammengestellt w o rd e n .13

2. Die A n fo rd eru n g von Berichten der Bundesregierung

Eine Möglichkeit der Informationsbeschaffung und d e r Kontrolle besteht für den B undestag auch darin, d a ß dieser von d e r B undesregierung einen Bericht zu be- stim m ten Vorgängen anfordert. So verlangte die SPD -Fraktion in einem Entschlie- ßungsantrag (12/60 neu) vom 1. Februar 1991, die B undesregierung solle dem Bun- destag bis zum 28. F eb ru ar schriftlich mitteilen, welche deutschen U n te rn e h m e n o d e r Staatsangehörigen seit Beginn des irakisch-iranischen Krieges an d e r Entwick- lung und am Aufbau der militärischen Rüstung des Irak beteiligt waren. Die B u n d e s­

13 Schindler I I I . S. 363.

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regierung soll außerdem u.a. sagen, welche Stellen und Mitglieder d e r Bundesre- gierung durch Inform ationen b e fre u n d e te r N achrichtendienste wann von einer möglichen Beteiligung D eutscher gew ußt hab en und was u n te rn o m m e n worden ist, um die weitere Beteiligung D e u tsch er vor allem an d e r Entwicklung und Produktion von Giftgas und R aketen zu u n terb in d en . - Bereits im J a h r 1989 ist von der Bundes- regierung schon einmal ein Bericht - und zwar ü b e r die Beteiligung deutscher Unter- nehm en und Staatsangehöriger an d e r G iftanlage im libyschen R a b ta - erstattet wor- d e n .14

3. G roße u nd Kleine Anfragen als M ittel der Inform ationsbeschaffung u nd der Kon-trolle

a) Die Anfragen, allgemein

Die Rechtsinstitute d e r G roßen u nd Kleinen A nfrage sind zwar im G G nicht ge- nannt; sie haben ihre rechtliche R egelung in d e r G eschäftsordnung des Bundestages (§§ 100 ff.) erfahren. Von den K ontrollm itteln des B undestages sind sie am häufig- sten angewandt.

G ro ß e Anfragen an die Bundesregierung müssen kurz und bestimmt gefaßt sein.

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U b e r die A ntw ort der B undesregierung ist eine B eratu n g zulässig, wenn sie von ei- ner Fraktion o d er von fünf vom H u n d e rt d e r M itglieder des Bundestages verlangt wird. - Es waren 175 G ro ß e A n fragen, die z.B. w äh ren d d e r 10. Wahlperiode (1983-

1987) an die Bundesregierung gerichtet w orden sind.

In Kleinen Anfragen (§ 104 G O /ВТ) kann von d e r Bundesregierung Auskunft über bestimmt bezeichnete Bereiche verlangt w erden. Diese Anfragen werden von der Bundesregierung schriftlich b ea n tw o rte t. Beide A r te n von Anfragen können von Ab- geordneten in Fraktionsmindeststärke vorgetragen w erden (§§ 75, 76 I, 100 bzw. 104 G O /B T ).

Kurze Einzelfragen können von je d e m Mitglied des Bundestages zur mündlichen o d er schriftlichen B eantw ortung an die B undesregierung gerichtet werden (§ 105 G O /ВТ). Zulässig sind Fragen aus B ereich en , für die die Bundesregierung unmittel- bar o d e r mittelbar verantwortlich ist (A nlage 4 zur G O /B T ).

Schließlich sind noch die m ündlichen Fragen zu e rw äh n en , die im R ahm en der 1952 eingeführten Aktuellen Stunde vorgetragen w erden können (§ 106 GO/BT, An- läge 5 zur G O /B T ).

b) Die G roßen Anfragen

T hem en G ro ß e r Anfragen k ö n n en sich a u f die verschiedensten Sachgebiete bezie- hen. So hatten sich die w ährend d e r 10. W ahlperiode eingebrachten 175 G roßen An- fragen z.B. auf die NA TO -N achrüstung, die Lagerung von Giftgas, das Kriegsvölker­

14 W ib 2/91-IX/7 v. 6.2.1991. - Die F A Z vom 2.2.1991. Nr. 28, S. 1 weiß davon zu berichten, daß der Bun- desverband der Deutschen Industrie ( B D I) in bezug auf den Irak von der Bundesregierung einen Bericht gefordert habe, wie ihn diese im Falle Rabta erstattet hat. - Doch kann es sich hier nicht um den Versuch einer außerparlamentarischen K ontrolle der Bundesregierung handeln, sondern eher um den öffe n tli- chen Nachweis der eigenen Schuldlosigkeit.

recht, den Schutz des B odens, die Frauenarbeitslosigkeit, die gesellschaftlichen Kosten des A utoverkehrs, die Reform des Auswärtigen Dienstes, die Hochschulför- d erung in d e r D ritten Welt sowie das Leseverhalten und die Lesekultur in der Bun- desrepublik b ezo g en .15

Nach E ingang der von d e r Bundesregierung gegebenen A ntw ort wird die G roße Anfrage auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt; eine Beratung m uß erfol- gen, wenn sie von einer Fraktion o d e r von fünf vom H u n d e rt d e r Mitglieder des Bun- destages gefordert wird (§ 101 G O /ВТ). In diesem R ah m en hat die Opposition die ihr willkommene G eleg en h eit, Kritik an d e r Bundesregierung zu üben und Alternati- ven zu entwickeln, dam it sich selbst sowie ihre Wert- und Zielvorstellungen dem

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lament und ein er interessierten Öffentlichkeit darstellend und für sich selbst Propa- ganda treibend.

Damit ist das Rechtsinstitut d e r G ro ß e n Anfrage für die Opposition nicht nur ein Kontrollinstrum ent, sondern zugleich auch ein Mittel im Kam pf um die Ü b e rn ah m e der Regierung o d er zum indest um Teilhabe an ihr.

4. O pposition u nd Regierung als die wirklichen Gegenspieler in den Kontrollvorgän- gen

a) Fragesteller

Ein Blick in die Statistik ü b e r die G ro ß e n Anfragen zeigt, daß es praktisch nur die O ppositionsfraktionen sind, die von dem Recht der G ro ß e n Anfrage G ebrauch ma- chen. Die Fraktionen d e r Koalitionsparteien halten sich dem gegenüber stärkstens zurück.

So ist in d e r 10. W ahlperiode (1983-1987) von den einzelnen Fraktionen der Koali- tionsparteien (C D U /C S U und F D P ) keine einzige G ro ß e Anfrage vorgelegt worden.

G em einsam haben diese F raktionen von insgesamt 175 G roßen Anfragen nur 27 sol- che A nfragen (15,4% aller G ro ß e n A nfragen) eingebracht. D em gegenüber stammen in derselben Wahlperiode von d e r SPD 61 (34,9% ) und von den G R Ü N E N 87 Anfra- gen ( 4 9 ,7 % ) .15 Als die C D U /C S U in d e r Opposition war (z.B. in der 8. Wahlperiode, 1976-1980), kamen 70,2% aller G ro ß e n Anfragen von dieser Fraktion, wohingegen die damaligen Koalitionsfraktionen (SPD und FD P) keine einzige G roße Anfrage und gem einsam nur 29,8% aller G ro ß e n Anfragen eingebracht h a tte n .16

Ähnlich liegen die Verhältnisse in bezug auf die Kleinen Anfragen während der 10. Wahlperiode: U n te r 1006 Anfragen stam m t keine einzige von einer der Koali- tionsfraktionen C D U /C S U und FDP, von diesen gemeinsam sind 4,0% d e r Kleinen

« «

Anfragen eingebracht w orden. Von der SPD stammen 14,4% und von den G R U - NEN 8 1 ,5 % ”

Die geringe Beteiligung d e r Koalitionsfraktionen m uß teilweise darauf zurückführt w erd en , d a ß die B undesregierung ״ ihre" Fraktionen fraktionsintern mit den

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wünschten Inform ationen ausstattet. Ü berdies werden diese Fraktionen G ro ß e An- fragen dann nicht einbringen, wenn deren Beantwortung durch die Bundesregierung

Parlamentarisches Prinzip in Verfassungsrecht und -praxis!B R D 75

15 Schindler I I I , S. 646.

16 Schindler I I . S. 708.

יל Schindler I I I , S. 646.

zu deren Lasten negative Kritik seitens der O pposition auslösen würde. Kritik an d e r B undesregierung k ö n n en die Koalitionsfraktionen innerhalb dieser parlam entari- sehen G r u p p e ü ben, so d aß die Bundesregierung nach au ß en geschont bleibt.

b) Regierungsm itglieder als stille Teilhaber der sie kontrollieren sollenden Fraktio- nen

Die auffallende Z u rü c k h altu n g der Koalitionsfraktionen in bezug a u f das Einbrin- gen G r o ß e r und Kleiner Anfragen ist - zumindest teilweise - auch organisatorisch be- dingt; d .h . sie ergibt sich aus der Verquickung der B undesregierung mit Teilen des B undestages. So sind in allen Wahlperioden fast alle R egierungsm itglieder auch Mit- glieder des B undestages gewesen; das ist auch heute noch d e r Fall. So waren im Ka- binett Kohl d e r 10. W ahlperiode (1983-1987) von insgesamt 19 K abinettsmitgliedern n u r drei M inister nicht Mitglieder des Bundestages. Im K abinett Kohl d e r 11. Wahl- periode (1987-1991) gab es nur einen mandatslosen Minister u n ter 19 Kabinettsmit- g lied ern .18

Einige d e r dem B undestag angehörenden Mitglieder d e r Bundesregierung sind überdies S pitzenfunktionäre ihrer Partei, wie z.B. B undeskanzler Kohl Vorsitzender

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seiner Partei ist. Gleichzeitige Innehabung von hohen Ä m te rn in Regierung, Partei und Fraktion sind für führende Politiker keineswegs seltene A u s n a h m e n . Faßt man ins A uge, d aß die Regierungsmitglieder in ihrer B undestagsfraktion einen erhebli- chen Einfluß auszuüben vermögen und so - z.B. auch im Bereich d e r parlam entari- sehen Kontrolle - die Fraktion zu steuern in d e r Lage sind, so zeigt sich die stille Teil- haberschaft d e r Regierungsmitglieder an G rem ien , die auch d e r R egierungkontrolle zu dienen bestimmt s in d .19 Das macht die parlam entarische O pposition mit ihren Kontrollmöglichkeiten um so wichtiger. O h n e die O pposition wäre die partielle Mit- Wirkungsmöglichkeit d e r Bundesregierung an ihrer eigenen K ontrolle - auch u n te r dem G esichtspunkt d e r Gewaltenteilung - nur schwer erträglich.

Da also nicht das Parlam ent als solches, sondern die parlam entarische O pposition im R a h m e n d e r parlam entarischen Kontrolle der wirkliche G eg en sp ie ler der Bun-

Da also nicht das Parlam ent als solches, sondern die parlam entarische O pposition im R a h m e n d e r parlam entarischen Kontrolle der wirkliche G eg en sp ie ler der Bun-