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Die britische Tierbefreiungsbewegung als Impulsgeber autonomer Politik und kollektiven Konsumverhaltens

Im Dokument 98 »All we ever wAnted ...« (Seite 179-198)

»Animal liberation … or else!« war einer der populären Schlachtrufe, die in den 1980er Jahren von der in Großbritannien rasant wachsenden Tierrechtsbewegung genutzt wurde. Er richtete sich sowohl an die britische Regierung wie auch an die tiernutzende Industrie. Dass es sich hierbei keineswegs um eine leere Drohung handelte, bewies die Bewegung immer wieder, indem sie Versuchslaboratorien stürmte, Briefbomben versendete und erheblichen Sachschaden bei Einrichtungen verursachte, die mit der tiernutzenden Industrie in Verbindung gebracht wurden:

den Laboratorien, Massentierhaltungsfabriken, Schlachthäusern und Pelzgeschäf-ten. Im folgenden Aufsatz soll dieses britische Phänomen »Tierrechtsbewegung«

unter mehreren Aspekten beleuchtet werden. Nachdem zunächst die Entwicklung der britischen Linken Anfang der 1980er Jahre aufgezeigt wird, soll Tierbefreiung als integraler Bestandteil linkspolitischer Diskurse Darstellung finden und gezeigt werden, wie die Tierbefreiungsbewegung zu verorten ist und welche politische Lücken sie füllte. Aufgrund des Fehlens gefestigter Strukturen einer autonomen Bewegung wurden zahlreiche Diskussionen, die sich um linke Lifestylepolitik, Identität, Anarchismus und Stadtguerillataktiken drehten, von der Tierbefreiungs-bewegung aufgegriffen. Schließlich soll beleuchtet werden, wie die Debatten um Tierbefreiungsthematiken, die von britischen Aktivist/innen vorgebracht wurden, als Teil der Lifestylepolitik in die kontinentaleuropäischen autonomen Bewegun-gen einflossen. Hier wird auf die theoretischen Konzepte der kulturellen Transfer-analyse zurückgegriffen, mit der der Prozess der Bedingtheit und des Austausches kulturelle Phänomene beleuchtet und der Frage nach Wirkmächtigkeit, Wechsel-spiel und spezifischen Wegen autonomer Bewegungen im Allgemeinen und der Tierrechtsbewegung im Besonderen nachgegangen werden soll.

Die 1980er Jahre – Transformation der Linken und Ende der Konsenspolitik Anfang der 1980er Jahre war Großbritannien von mindestens zwei deutlichen Äußerungen sozialen Unfriedens gekennzeichnet, die heute mit der wirtschafts-politischen Ausrichtung des Thatcher-Regimes zusammengedacht werden. Zum einen können hier die lang andauernden und massiven Streiks genannt werden, die besonders von den Minenarbeitern getragen wurden. Diese begannen bereits

in den frühen 1970er Jahren und brachten 1972 die erste Welle politischer Streiks, die 1978/1979 im sogenannten Winter of Discontent wieder aufflammten, ihren Höhepunkt jedoch 1984/1985 erreichten, als die Minenarbeiter ein ganzes Jahr lang die Arbeit niederlegten.1Zum anderen markierten insbesondere die Jahre 1980 und 1981 den Beginn militanter urbaner Auseinandersetzungen, die in ge-walttätigen Ausschreitungen beispielsweise in Stadteilen wie St. Pauls in Bristol mündeten. Diese Konflikte, die oft verkürzt bzw. bewusst stigmatisierend als

»Rassenunruhen« bezeichnet wurden,2initiierten eine ganze Reihe städtischer Krawalle, und so kam es zu handfesten Randalen in Brixton, Handsworth, Totten-ham, Toxteth und Moss Side.3Die Gründe hierfür waren vielschichtig: rassisti-sche Diskriminierung durch Polizeieinheiten, die besonders bei den notorirassisti-schen

»Stop and Search«-Gesetzen zum Vorschein kam,4eine hohe Arbeitslosenrate so-wie eine parlamentarische Debatte über Immigration, die in einer Sprache geführt wurde, die klar nationalistische Untertöne von Exklusion und der vermeintlichen Reinheit englischer Traditionen und Mentalität besaß. Diese Debatten können als ein Resultat des konservativen Backlashes gelesen werden, der durch Thatchers Politik angestoßen wurde. So wurden sowohl die Gemeinschaft der streikenden Minenarbeiter als auch militante schwarze Communities als »Enemy within«

wahrgenommen, allerdings einem, dem man – wenn nötig – mit Gewalt Herr wer-den würde. Thatchers »Law and Order«-Politik sah als Lösung für wer-den sozialen Unfrieden vor allem die Aufstockung des Haushaltenspostens für Innere Sicher-heit und eine Vergrößerung der Polizeikräfte vor.5Zwar zeigte sich, dass der Kampf über die Bestimmung über und den Besitz geographischer Räume ein Hauptanliegen der schwarzen Communities war, wohingegen dieser Kampf bei linken Gruppierungen mit anderen Zielen auf deren Agenda konkurrieren musste.

Dennoch wurden mit diesen Protesten die Bahnen dafür freigemacht, direkte Ak-tionen außerhalb gefestigter, z. B. gewerkschaftlicher Strukturen und unabhängig von politischen Leitfiguren zu etablieren und Prinzipien von »Self-Activity« zu institutionalisieren.

Auf der politischen Ebene war die Anti-Thatcher Opposition breit gefächert aufgestellt. Jene Gruppierungen, die links von der Labour Party anzusiedeln wa-ren, wie beispielsweise die Socialist Workers Party (SWP), die International Mar-xist Group, die Communist Party of Great Britain (CPGB) und Militant Tendency oder die Anti-Nazi-League verbanden ihre Forderungen nach (»faschistenfreien«)

1 Vgl. Geoffry Goodman: The Miner’s Strike, London 1985; Alex Callinicos/Mike Simon: The Great Strike:

The Miner’s Strike 1984-5 and its Lessons, London 1985.

2 John Solomon: »›The Enemy Within‹: Black Youth and Urban Disorder in 1980s Britain«, in: ders.: Black Youth, Racism and the State, Cambridge 1988, S. 217.

3 Christine F. Collette/Keith Laybourn: Modern Britain since 1979, London 2003, S. 245-248.

4 Colin Leys: Politics in Britain from Labourism to Thatcherism, London 1989, S. 356. Die »Stop and Search«

Gesetze wurden im Allgemeinen als eine neue Form polizeilicher Maßnahmen gewertet. Statt dem Commu-nity-Officer wurden nunmehr vor allem Zivilbeamte in so genannten Risikobezirken eingesetzt, die aufgrund von Informanten gezielt Durchsuchungsaktionen in Sozialzentren, Klubs und auf der Straße durchführten.

5 Leys, 1989, S. 356.

Räumen mit ihrem Kampf gegen den »neo-imperialistischen« Kapitalismus, den das Thatcher-Regime verkörperte. In dieser Hinsicht lieferte es ein Feindbild, das einen wachsenden und breiten sozialen Widerstand ermöglichte, wie ihn Großbri-tannien seit den 1920er Jahren nicht mehr erlebt hatte. Insbesondere am Wochen-ende vom 10. bis 12. Juli 1981 standen sich landesweit in 30 Städten Vertreter der Staatsmacht und Protestierende gegenüber.6Neben der »rassistischen Polizeipra-xis« waren hier also allgemeine politische Unzufriedenheiten und insbesondere soziale Deprivation in den alten Industriestädten Auslöser. Die Ausschreitungen von 1981 wurden aus diesem Grund von manchen als ein »Summer with a thousand July’s«7wahrgenommen, da sie Tür und Tor für eine weitläufige Konfrontation mit der Regierung lieferten.

Trotz der harschen Repression, die jene erfuhren, die als »Staatsfeinde« ge-brandmarkt wurden, kann die konservative Wende entsprechend auch anders gele-sen werden, denn sie eröffnete auch die Möglichkeit zu einer Opposition, die auch als solche benannt werden sollte und konnte. Damit stellte diese Wendung das definitive Ende des Nachkriegskonsenses dar, der die britische Politik so lange bestimmt hatte8und der quasi zu einem definierenden Moment britischer Politik erhoben worden war.9Sie öffnete den Weg für die Herausbildung einer »Counter Culture«, die vor allem die »viktorianischen Werte«, die von der Regierung vertre-ten wurden, zurückwies. Diese »victorian values« wurden von der Regierung als eine Rückkehr zur Stabilität propagiert, für ihre Gegner standen sie als Synonyme für Paternalismus, Konservatismus und »allgemeine Rückwärtsgewandtheit«.10Die Protestkultur der Anti-Vietnamkriegsproteste und die Studentenunruhen der 1960er Jahre hatte man zu diesem Zeitpunkt bereits hinter sich gelassen. Auch die Campaign for Nuclear Disarmament (CND), die einst eine solide Basis für die zi-vilgesellschaftliche Gegenkultur geboten hatte, büßte ab Mitte der 1960er Jahre bis zum Beginn der 1980er Jahre ihre Einflussmöglichkeiten ein. Nur noch unter-stützt von Kommunisten auf der einen und religiösen Gruppierungen auf der an-deren Seite, gelang es ihr erst ab Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Aufstellung von Pershing II Raketen in Westeuropa, wieder Aufwind zu bekommen.11An ihrer Stelle vertrat nun die hippyesque Kommunen- und Hausbesetzerszene den Uto-pismus der jungen Protestgeneration bzw. in Form des Punks die Dystopie einer

6 Leys, S. 355.

7 Wolfie Smith, Speed, Tucker and June: Like a Summer with a Thousand Julys …and Other Seasons…, An overview of the early 1980s strikes and riots in the UK, 1982,

http://libcom.org/library/summer-thousand-julys-other-seasons, zuletzt besucht am 8. Oktober 2010.

8 Vgl. Etwa David Marquand: »The Decline of Post-war Consensus«, in: Anthony Gorst/Lewis Johnman/

W. Scott Lucas: Post-war Britain, 1945–64, London u. a. 1989, S. 1.

9 Harriet Jones (Hg.): The Myth of Consensus: New Views on British History, 1945-64, Basingstoke u. a. 1996, xiii.

10 Raphael Samuel: Mrs. Thatcher’s Return to Victorian Values, in: Proceedings of the Britain Academy, Nr. 78, 1992, S. 9-29, hier S. 9; Stephen Evans: Thatcher and the Victorians: A Suitable Case for Comparison?, in:

History, Vol. 82, Nr. 268, Oktober 1997, S. 601-620, hier S. 602.

11 Paul Byrne: Social Movements in Britain, London 1997, S. 90 ff.

»Do-it-Yourself« (DIY) Mentalität und die Ablehnung gesellschaftlicher Konfor-mitäten.12Diejenigen, denen diese Bewegungen nicht radikal genug waren und die sich nach einer konfrontativeren Haltung sehnten, zog es zur kurzlebigen si-tuationistischen Angry Brigade oder diversen anarchistischen Gruppierungen wie dem Anarchist Black Cross.13Auch die Tierbefreiungsbewegung war ein attrak-tives Sammelbecken für all jene, welche eine nicht-konfrontative Politik ablehn-ten.14Diese radikale Aufkündigung des politischen Konsenses führte einerseits zur Isolation der Linken und einer Diversifizierung und Fragmentierung der lin-ken Strukturen, andererseits zur Herausbildung einer Gegenkultur, die ihrerseits auf Abgrenzung bedacht war.15

In den 1980er Jahren verloren auch die organisierten sozialistischen Gruppen an politischem Einfluss, da ihre Aktivitäten als statisch, dogmatisch und/oder zu gemäßigt wahrgenommen wurden, als nicht interessiert an feministischen oder umweltpolitischen Fragestellungen und Bewegungen, die zu diesem Zeitpunkt in einem nicht unerheblichen Maße linkspolitische Diskurse bestimmten.16Die CPGB driftete in die Bedeutungslosigkeit ab, als sie sich in viele zerstrittene Frak-tionen zerfaserte, die darum stritten, wie man in einem zunehmend nach Thatchers Regeln formierten Großbritannien den Kommunismus erreichen könne.17Auch über die Rolle, die die arbeitende Klasse dabei zu spielen hätte, war man sich un-eins.18Zudem wurden viele sozialistische Gruppen als Teil des Problems wahr-genommen, als Teil des institutionellen Rahmens des Systems.19Die von den trotz-kistischen Gruppierungen favorisierte Politik des »Entrismus«, die das Prinzip der

»Permanenten Revolution«, der sozialistischen Revolution als weltweitem, stän-digem Prozess vertrat, sah man aus anarchistischer Perspektive als ebenso kontra-produktiv an. Das institutionelle Gefüge an sich, nicht die von ihnen vertretene Politik, wurde als von Grund auf fehlerhaft angesehen. Auch teilte der autonome Flügel den Glauben an die Arbeiterschaft als »Motor der politischen Wende«

nicht. Deren »Personal Politics«, die auch in den Neuen Sozialen Bewegungen vertreten wurden, waren wiederum den Marxisten und Trotzkisten suspekt.20Die von den Neuen Sozialen Bewegungen propagierte und praktizierte

Graswurzel-12 Michael James Roberts/Ryan Moore: »Peace Punks and Punks Against Racism: Resource Mobilization and Frame Construction in the Punk Movement«, in: Music and Arts in Action, Vol. 2, Nr. 1, 2009, S. 21-36, hier S. 31.

13 Zum Anarchist Black Cross siehe Albert Meltzer: I Couldn’t Paint Golden Angels: Sixty Years of Common-place Life and Anarchist Agitation, Edinburgh 1996, S. 200 ff.

14 Freeman Wicklund: Keep Fighting, Three Interviews with Britain’s Animal Liberation Front Press Officers, ohne Datumsangabe.

15 Clive Bloom: Violent London, London 2003, S. 469.

16 Robert Leach: British Political Ideologies, London 1996, S. 178.

17 Collette/Laybourn, S. 183ff.

18 Geoff Andrews: Endgames and New Times: The Final Years of British Communism 1964–1991, London 2004, S. 201 ff.

19 Benjamin Frank: Rebel Alliances: The Means and Ends of Contemporary British Anarchism, Edinburgh 2006, S. 59.

20 John Callaghan: The Far Left in British Politics, Oxford 1987, S. 140-141.

organisationsform wurde bereits als Herausforderung an die orthodoxen Struktu-ren mancher sozialistischer Gruppen gelesen. Die Anti-Nazi-League (ANL), die noch in den 1970er Jahren beträchtliches Protestpotential auf nationaler Ebene zu mobilisieren vermocht hatte, zeigte sich ebenfalls nicht in der Lage, effektiv auf lokaler Ebene zu agitieren und organisieren.21So verloren sie das Vertrauen der-jenigen, die primär von den Übergriffen der Neo-Faschisten betroffen waren. Die extreme Rechte machte sich nämlich trotz der Zersplitterung der National Front (NF) 1982 weiterhin bemerkbar. Die ANL hatte sich auf die Bekämpfung der NF konzentriert, diesen Widerstand jedoch mit einer Idealversion britischen Patriotis-mus unterfüttert, der das liberale Erbe beschwor und sich mit den alltäglichen Rassismen genausowenig wie mit der »rassistischen Polizeipraxis« auseinander-setzte.22Als die innerstädtischen Unruhen von 1981 begannen, hatte sich die Anti-Nazi-League indes bereits selber abgewickelt.23Die Konservativen hatten zahlrei-che Themenkomplexe der NF übernommen und mit der Wahl Thatzahlrei-chers 1979 wurde deutlich, dass nationalistisches Gedankengut eben nicht bloß von den Par-teien am rechten Rand getragen wurde: Darauf hatte sich indes die ANL konzen-triert.24

Die Autonomen: Die Animal Liberation Front und Class War

Auch wenn hier von Autonomen die Rede ist, muss zunächst konstatiert werden, dass es niemals eine signifikant große autonome Bewegung in Großbritannien gab, zumindest wenn man sie mit den kontinentaleuropäischen vergleicht. Ein Grund dafür könnte in der Tatsache liegen, dass der Staat in der politischen Kultur Großbritanniens nur von den wenigsten Gruppierungen als essentiell unter-drückend und repressiv wahrgenommen wird.25Allerdings gab es auch in Groß-britannien eine Strömung, die eben nicht im Einklang mit den politischen Ideen der diversen sozialistischen Gruppierungen war, sondern mit solchen wie sie von den kontinentalen Autonomen vertreten und propagiert wurden, wie beispiels-weise die Ablehnung einer »revolutionären Avantgarde«, der Glaube an die Selbst-bestimmung und die Akzeptanz von Selbstverantwortung in der Gestaltung des persönlichen Lebensweges.26Zwar gab es eine relativ unbekannte Gruppierung,

21 Brian D. Jacobs: Racism in Britain, London 1988, S. 136-137.

22 Paul Gilroy: There ain’t no Black in the Union Jack: The Cultural Politics of Race and Nation, London 1987, S. 131-135.

23 Dave Renton: When We Touched the Sky: The Anti-Nazi League 1977–1981, Cheltenham 2006, S. 169-174.;

John Solomon: Race and Racism in Britain, zweite Ausgabe, London 1993, S. 212.

24 Vgl. Dave Renton: The Anti-Nazi League as social movement,

http://www.dkrenton.co.uk/anl/anl_movement.html, zuletzt besucht am 03.06.2011 25 Leach, S. 186.

26 Georgy Katsiaficas: The Subversion of Politics: European Autonomous Social Movement and the Decolo-nization of Everyday Life, Edinburgh 2006, S. 8.

die sich selbst den Namen »London Autonomists« gegeben hatte, ihr gelang es je-doch weder den Begriff der Autonomie samt ihrer politischen Konnotationen in den allgemeinen Sprachgebrauch noch in die daraus resultierende politische Praxis effektiv einfließen zu lassen, geschweige denn ihn zu verfestigen. Auch die vom Situationismus inspirierte Angry Brigade versuchte sich in den 1980er Jahren neu zu gruppieren, jedoch war ihr Einfluss bereits deutlich gesunken und konnte nicht revitalisiert werden.27Statt Autonomie fand man Begrifflichkeiten, die mit dem – mehr oder minder inhaltlich gefüllten – Begriff Anarchismus oder Libertarianis-mus verbunden waren. Anfang der 1980er Jahre konnte man also ein Anwachsen des anarchistischen Flügels wahrnehmen.28Und es gab zu diesem Zeitpunkt ins-besondere zwei Gruppen, die dabei hervorstachen, sowohl die sprachlichen Dis-kurse über den Anarchismus und Autonomie zu initiieren, wie auch inhaltlich zu füllen. Die eine war die Gruppe Class War, die andere die Animal Liberation Front.

Die Animal Liberation Front (ALF) wurde 1976 von einer ca. dreißigköpfigen Gruppe in London gegründet. Sie versuchte, Elemente der zuvor schon von linken Stadtguerilla-Gruppen angewendeten militanten direkten Aktion, eine Zellen-struktur unabhängig voneinander operierender Gruppen sowie eine gemeinsame kulturelle Identität von Lebensstil und Essgewohnheiten miteinander zu verknüp-fen. Damit stand sie für einen deutlichen Paradigmenwechsel von jenen konsens-orientierten Tierschutzgruppen wie der altehrwürdigen Royal Society for the Pre-vention of Cruelty to Animals (RSPCA). Dieser Wandel hatte sich bereits in den frühen 1960er Jahren abgezeichnet und sich in den 1970er Jahren mit der Etablie-rung der Hunt Saboteurs Association und der ALF Vorgängerorganisation, der Band of Mercy, noch verstärkt.29Allerdings markierten die 1980er Jahre eine neue Eskalationsstufe: Die Fragen nach den Zielen und deren Umsetzung wurden so kontextualisiert, dass zumindest sprachlich der »permanente Krieg mit der spezie-sistischen Gesellschaft« heraufbeschworen wurde.30Kompromissbereitschaft wurde demnach als eine Schwäche deklariert. Die ALF bevorzugte einen prefigu-rativen Zugang zur Politik, einen bei dem die Mittel eine Verkörperung des Zwecks darstellten. Insbesondere die klandestine Zellenstruktur und die Heraus-hebung des »individuellen Kampfes«, Elemente die die ALF von der Angry Bri-gade übernommen hatte,31sollten zum Markenzeichen der Ausübung und Praxis

27 Tom Vague: Anarchy in the UK: The Angry Brigade, Edinburgh 1997, S. 139-140.; Stuart Christie: Granny Made me an Anarchist: General Franco, The Angry Brigade and Me, 2004.

28 Nick Heath: The UK anarchist movement – Looking back and forward, in: Black Flag, 2006.

29 Dazu ausführlich Mieke Roscher: Ein Königreich für Tiere: Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewe-gung, Marburg 2009, S. 419-478.

30 Der Begriff des Speziesismus selbst ist im Kontext dieser Auseinandersetzungen zu verorten. Er wurde 1975 erstmals von dem britischen Tierschützer Richard D. Ryder verwendet. Nach Ryder ist Speziesismus: »The assumption that man is superior to all other species of animals and that he is therefore justified in exploiting them for his advantage.« Vgl. Ryder: Victims of Science: The Use of Animals in Research, London 1975, S. 16.

31 Zur Organisationsform der Angry Brigade siehe Gordon Carr: The Angry Brigade: The Cause and the Case, London 1975, S. 73.

direkter Aktionen in Großbritannien während der 1980er Jahren werden.32Der ALF und anderen radikalen Tierbefreiungsgruppierungen dieser Zeit gelang es je-doch auch mit ihrem eigenen Wirken, Spuren in der politischen Landschaft zu hinterlassen.33Die Akzeptanz von Vegetarismus und Veganismus als politische Elemente, die autonome Politik bestimmen sollten, verdankte sich der radikalen Repräsentation, die den Gruppierungen anhaftete. Tierschutz verlor somit ein Image, das jahrzehntelang an ihm gehaftet hatte, nämlich als von »alten Frauen«

und »sentimentalistischen Tierliebhaber/innen« dominiert. Stattdessen vermochte der militante Habitus der »Kämpfer/innen« verbunden mit dem geradezu modi-schen Chic der rebellimodi-schen Aktivist/innen dafür zu sorgen, dass die Reihen zu anderen radikalen Gruppen geschlossen werden konnten. Dass die politische Po-sitionierung dabei bisweilen auf der Strecke blieb, wurde bewusst in Kauf genom-men. Es galt darum Anschluss zu finden. Dennoch folgten den Bezügen über das Erscheinungsbild auch tatsächliche Inkludierungen. Man machte durch die Klei-dung deutlich, wo man sich politisch verortet sah. Wie ein zeitgenössischer Beob-achter konstatierte: »The style of dress worn during raids, the hoods and the camouflage smocks or coveralls, and the use of pickhandles and other hazardous items clearly visible in photographs points to an emulation of ›urban guerril-las‹.«34

Die »Propaganda der Tat« konnte nirgendwo so effektiv in Szene gesetzt wer-den wie mit wer-den medienwirksamen Befreiungsaktionen, die die ALF-Aktivist/in-nen ausübten. In den 1980ern brannten die ALF und andere radikale Gruppen mehrere Kaufhäuser nieder,35die in den Pelzhandel involviert waren, verübten ei-nen Bombenanschlag auf ein Laboratorium in Bristol und befreiten mehrere zehn-tausend Versuchs- und Schlachttiere aus ihren Käfigen. Über Tierbefreiungsthe-matiken wurde an herausragender Stelle in den zahlreichen Untergrund- und Alternativmedien in Großbritannien berichtet.36Auch die Massenmedien griffen das Thema immer wieder auf.

Die Erschaffung einer kulturellen Identität

Die Attraktivität war also auch eng an die Aura des unmittelbaren Erfolges ge-knüpft, die die ALF umgab. Das Gefühl zu einer »Vorhut des revolutionären

Mo-32 Frank, S. 230.

33 George McKay: Senseless Acts of Beauty: Cultures of Resistance since the Sixties, London 1996, S. 129.

34 G. Davidson Smith: »Political Violence in Animal Liberation«, in: Contemporary Review, Nr. 247, 1985, S. 28.

35 Das Niederbrennen der Gebäude war jedoch niemals Ziel der Aktionen gewesen. Eigentlich sollte durch die Brandbomben lediglich das Sprinklersystem ausgelöst werden, um die Pelzwaren unverkäuflich zu machen.

Doch in mindestens zwei Fällen versagten die Sprinklersysteme und die Gebäude brannten vollständig aus.

Vgl. Arkangel, Nr. 1, Winter 1989.

36 Chris Atton: »Green Anarchist: A Case Study of Collective Action in the Radical Media”, in: Anarchist Stu-dies, Nr. 7, 1999, S. 25-49, hier S. 27.

ments« zu gehören, »dabei« zu sein, war wahrscheinlich nirgendwo so sichtbar und ließ sich nirgendwo besser transzendieren als mit der »Inbesitznahme« leben-der Tiere.37Auf struktureller Ebene favorisierte die ALF ein Modell, bei dem den einzelnen Aktivist/innen die größtmögliche Eigenverantwortung übertragen wurde, und sie propagierte absolute Dezentralisierung.38Mit dieser radikalen

ments« zu gehören, »dabei« zu sein, war wahrscheinlich nirgendwo so sichtbar und ließ sich nirgendwo besser transzendieren als mit der »Inbesitznahme« leben-der Tiere.37Auf struktureller Ebene favorisierte die ALF ein Modell, bei dem den einzelnen Aktivist/innen die größtmögliche Eigenverantwortung übertragen wurde, und sie propagierte absolute Dezentralisierung.38Mit dieser radikalen

Im Dokument 98 »All we ever wAnted ...« (Seite 179-198)