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3.3 Akzeptanz im Verhältnis von Vertrauen und Misstrauen

3.3.3 Grenzen des Vertrauens

3.3.3.1 Biometrie als Ausdruck von Misstrauen

Luhmann (2000: 92ff.) zufolge ist Misstrauen durch negative Erwartungen geleitet, oder wie es Patti Tamara Lenard (2008: 316) formuliert, „reflects suspicion or cynicism about the actions of others.“ Zieht eine solche Haltung eher abwehrendes denn gemeinschaftliches Handeln nach sich, dann zeigt sich zunächst, dass – im Übrigen auch allein aus theoretischen Überle-gungen heraus, das heißt, wenn Befragte das Verfahren eigentlich in anderen Zusammenhän-gen nutzten –, Akzeptanzvorbehalte daher rühren, weil die Aufforderung zur Fingerabdruck-abgabe als ein institutionalisiertes Misstrauen des Staates gegenüber seinen Bürgern gedeutet wird. Stellvertretend für andere Befragte bedauert etwa die 19-jährige Schülerin Simone Kut-zer (Schul1) die ausdrückliche Misstrauenserklärung des Staates an seine Bürger durch die Einführung der Fingerabdrücke in die Ausweisdokumente:

„Also da find ich das jetzt nich‘ so gut. ((lacht)) Mm, ja einfach weil ich find das Ver-trauen zu den B-, also, ja, dass der Staat nich‘ genug VerVer-trauen zu seinen Bürgern hat, find ich schon schade, also, ich weiß nich‘ ob der Staat denkt, dass alle kriminell sind oder Terroristen oder was weiß ich ((lacht)). Find ich schon extrem, dass diese Welle seit dem 11. September eben so übertrieben is‘. Ja, also ich find es nich‘ so schön.“

Diese Einschätzung korrespondiert mit Einschätzungen im öffentlichen Diskurses, wonach die seit 2001 eingeführten Sicherheitsmaßnahmen Gefahr laufen, das Vertrauensverhältnis des Staa-tes zu seinen Bürgern zu verspielen. Diese werden als Umkehr des Prinzips der „Institutionali-sierung von Misstrauen“ gedeutet, und dahingehend kritisiert, dass sie den Bürger so unter ei-nen Generalverdacht stellen (z.B. Prantl 2002, Gössner 2002). Als unangemesseei-nen Ausdruck von Misstrauen deuten dann auch Antragsteller von Ausweispapieren die Fingerabdrucktechno-logien. Wie in Kapitel 3.2.1.3 ausgeführt, werden sowohl von Befürwortern als auch explizi-ten Ablehnern der Fingerabdrucktechnologie im behördlichen Kontext die Mitarbeiter zwar für Misstrauensbekundungen immunisiert, weil an ihnen selbst nichts „auszusetzen“ ist (Louise Petersen, Einwo). Problematisiert wird in diesem Zusammenhang vielmehr eine feh-lende Transparenz und Partizipation bei der Entscheidungsfindung, wie Sicherheit herzustel-len ist – das Ehepaar Petersen (Einwo) als ausdrückliche Ablehner, ebenso das Ehepaar Op-permann (Einwo) als ambivalente Annehmer der Technologie gleichermaßen monieren den

Zwang zur Fingerabdruckgabe für die Ausstellung eines Reisepasses. Hier buchstabiert sich die Problematisierung entlang des von Sztompka (1998: 23ff.) entwickelten Modell vertrau-ensbegründender Bedingungen demokratischer Rechtsstaatlichkeit aus, in der der Vertrauens-bruch zunächst darin liegt, „dass die Bürger am Prozess der genauen Abstimmung von Si-cherheits- und Freiheitsbedürfnissen nicht wirklich beteiligt werden“ (Hartmann 2012: 622).

Darüber hinaus wird die Abfrage dieser neuen Informationen selbst für einige Befragte zum Symptom für ein fehlendes Vertrauen, mithin ausdrückliches Misstrauen des Staates gegen-über seinen Bürgern. Ausgehend von einer ausdrücklichen Kritik daran, nicht hinreichend auf die Verpflichtung zur Fingerabdruckabgabe hingewiesen worden zu sein, eruiert Frau Peter-sen, woran sich wohl die Indizien von Gefahr, auf die die Fingerabdruckgabe vermeintlich zielt, an ihrer Person ausmachen ließen:

Alfons Petersen: „Ne! Oder bei dir, stand auch nix, wenn man noch ‘ne andere Staats-angehörigkeit hat, dass man dann noch besondere Formulare ausfüllen muss.“

Louise Petersen: „Jaaaa, du, ich hab‘ Verständnis, weil“

Alfons Petersen ((fällt ins Wort)): „Man sollte da drauf vorbereitet sein. Vielleicht sagt man‘s mal so, ne?“

Louise Petersen: „Die Welt hat sich geändert. Also, was alles passiert und französisch sprechende Länder und was da alles passiert, ich kann es mir gut vorstellen, dass sie, dass sie jetzt so fragen, nich‘? Nur, ich gehör doch auch dazu ((hebt die Stimme)), das is‘ es, ne? (Herr Petersen brummt zustimmend, I: „Ja ja“). Ich, man muss sich identifi-zieren, nich‘? Mh? Ja, ich hab‘ eine andere Staatsangehörigkeit, ich komm aus einem anderen Land, ich könnte auch alles Mögliche machen, ja, sagen wir, ne? Deswegen.

Gut, is’ in Ordnung.“

Im Hinblick auf die Antragssituation erlebt vor allem Frau Petersen ein „Unvertrautwerden“

(vgl. Luhmann 2000: 22ff.) mit der Welt. Dass sich offenbar die Zurechenbarkeiten staatli-chen Handelns verändern, geht für sie mit starken emotionalen Erfahrungen einher (vgl. auch Kapitel 3.2.1.3). Die Offenlegung und Kontrolle von Fremdheit erscheint für Frau Petersen die zentrale Intention der Fingerabdruckgabe, sodass sie die Situation in der Einwohnermel-debehörde dann auch als Prozedur erlebt, weil daraus ein spezifisches Misstrauen ihr selbst gegenüber zum Ausdruck kommt, das zudem ein Exklusionsempfinden auslöst. Die Notwen-digkeit einen Fragebogen zur Staatsangehörigkeit auszufüllen und die Aufforderung zur Fin-gerabdruckabgabe erscheinen ihr als Degradierungspraktik, die sie, ungerechterweise, als Nicht-Teilhabeberechtige ausweisen. Während sie versucht, die Kontrollprozedur im Verhält-nis zu einer allgemeinen Bedrohungslage, die ein Misstrauen gegenüber allem Fremden er-klärt, sowie die grundsätzliche Verpflichtung zur Identifikation zu relativieren, bleibt gleich-wohl das Gefühl ungerecht behandelt worden zu sein, denn: „Ich gehör doch auch dazu“. Die

im Interview formulierten Akzeptanzvorbehalte lassen sich, ausgehend von der „relational perspective on authority“ (Tyler/Lind 1992) damit erklären, dass Compliance, zum einen, auch von der Wahrnehmung davon abhängt, wie die eigene Vertrauenswürdigkeit durch staat-liche Autoritäten vermittelt wird. Ein fehlender Respekt, der sich so Tom R. Tyler (1998:

281ff. mit Bezug auf Tyler/Degoey/Smith 1996) in solcherart Identitätsurteilen ausdrückt, beeinflusst auch die Beurteilung der Legitimität staatlichen Handelns. Denn wie vor allem Tyler (1998) zudem herausgestellt hat, folgen Bürger den Entscheidungen der Regierung und staatlicher Entscheidungen nicht aufgrund von Sanktionsdrohungen, sondern aufgrund des Glaubens, dass diese prinzipiell in ihrem Interesse bzw. zu ihrem Wohl handeln. Fragebogen und Fingerabdruckverfahren sind jedoch sich aus der Vertrautheit der Behördensituation her-vorhebende Unstimmigkeiten und für Herrn Petersen Anlass für ein ausdrückliches Misstrau-ensurteil gegenüber dem Staat. So stellt er die wohlwollende Intention des Staates selbst in Frage – „Was bringt das? Können Sie [die Interviewerin] mir eine Antwort geben?“ – und in Bezug auf die Technisierung von Kontrolle, wie sie sich im Fingerabdruckverfahren aus-drückt, in den Kontext einer Entwicklung zu einem autoritären Staatswesen, dass darauf ist

„noch mehr Einfluss“ auf seine Bürger zu nehmen:

Alfons Petersen: „Kennen Sie das Buch ‚1984‘?“

I: „Natürlich.“

Alfons Petersen: „Natürlich, ne? ((alle lachen leicht)) Seh‘n Sie, als ich noch zur Schule ging, haben wir über das Buch auch diskutiert und haben gesagt, das wird nie möglich sein. Dass man so was schafft wie dieses System, und das war ja noch einfach im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben. Ja? Das is‘ also ein Fortschritt in Tüdel-chen.“

Während für viele Befragte die Dystopie in der zukünftigen Möglichkeit real ist, qualifiziert die Verfügung über fortgeschrittene Kontrolltechnik für Herrn Petersen einen nicht mal im Literarischen hinreichend imaginierten „Fortschritt“ und für ihn per se eine explizite Ver-trauensschwelle, die seine von ihm selbst als „misstrauisch“ beschriebene Grundhaltung ver-stärkt. Soll die biometrische Technologie, auf der einen Seite, Sicherheit garantieren, mithin das Sicherheitsgefühl steigern, erzeugt eine sich darin ausdrückende staatliche Kontrollambi-tion, auf der anderen Seite, potentiell auch ein Gefühl der Verunsicherung, weil der Verdacht ubiquitär und nicht mehr nachvollziehbar wird (Hartmann 2013: 624). Während die spezifi-sche Sicherheit des Vertrauens mit Luhmann (2000: 9) darin liegt, dass ich mich darauf ver-lassen kann, dass die Konditionen, unter den ich heute handle, ebenso wie die Konsequenzen, die dieses Handeln mit sich bringt, auch morgen noch die gleichen sein werden wie gegen-wärtig, kann eine diffuse Allgegenwärtigkeit von Kontrolltechnologien das Vertrauen in die

eigenen Erwartungen und die eigene Handlungssicherheit erschüttern. Wenn morgen schon alles zum Risiko werden kann, worauf könne man sich dann noch verlassen, woran das Han-deln ausrichten? Angesichts eines solchen „Unvertrautwerdens“ mit der Welt (vgl. Luhmann 2000: 22ff.) gerät dann auch das eigene Handeln zum Risiko. Der 25-jährige Stephan Löw (Einwo) lehnt dann auch ausdrücklich die Speicherung der Fingerabdrücke in den Personal-ausweis nicht nur deshalb ab, weil sich für ihn die Fingerabdruckgabe aufgrund der polizeili-chen Assoziation nur im Rahmen einer Verdachtsgewinnung legitimiert. Er weist zudem das Sicherheitsargument als „fadenscheinig“ aus und unterstellt der behördlichen Argumentation eine Täuschungsabsicht dahingehend, dass im Alltag etwa in Polizeikontrollen eine Überprü-fung der Fingerabdrücke zur Identitätsfeststellung unwahrscheinlich sei. Demgegenüber sei aufgrund der Eindeutigkeit des „Codes“ Fingerabdruck dieser jedoch geeignet, eine eindeuti-ge Kontrolle und uneindeuti-gerechtfertigte staatliche Überwachung zu ermöglichen:

Stephan Löw: „Und das, das is‘, womit man jemanden auch über ‘n relativ langen Zeitraum immer wieder identifizieren kann. Ich denke, damit hat es was zu tun, dass es alles so wirklich diese Überwachung des Bürgers gut möglich is‘.

I: „Sollte das auch so sein, oder würden Sie sagen, das sollte nich‘, sollte nich‘ so sein?“

Stephan Löw: „Nein. Das sollte nich‘ so sein.“

I: „Warum? Können Sie das näher beschreiben?“

Stephan Löw: „Weil ich der Meinung bin, dass es eigentlich Sache des Bürgers ist, selbst über seine Daten mit entscheiden zu können und dass der Staat sich in gewissen Dingen nicht einzumischen braucht.“

Die kritische Betroffenheit, die Herrn Löw zur Verweigerung der Fingerabdruckspeicherung motiviert, drückt sich also nicht nur darin aus, dass er sich unberechtigt verdächtigt fühlt, sondern auch in einem Unbehagen, in seiner eigenen Freiheit eingeschränkt zu werden und damit die Möglichkeit wahrnehmen zu können, diese fernab der Erwartungen Anderer entfal-ten zu können, das heißt nicht gegen den eigenen Willen gekannt zu werden. Denn dieser

„Kernbestand menschlicher Würde und Autonomie“ (Ammicht-Quinn/Rampp 2009: 146) in Freiheit handeln zu können, erscheint durch Überwachungsmöglichkeiten dann zumindest eingeschränkt, wenn sie die ständige Auseinandersetzung mit Normalitätsanforderungen (Endreß/Rampp 2013: 150) bzw. Aufforderungen zur Unschuldsversicherung (vgl. Hartmann 2013: 824) bedeuten. In dieser Passage drücken sich dann, wie bereits in Kapitel 3.2.2.1 skiz-ziert, Vorstellungen von Privatheitsbereichen, die durch das spezifische Verhältnis von Da-tenpreisgeber und -nehmer etabliert werden, aus. Ausdrücklich fordert Herr Löw dann auch ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein und dies, wie er dann weiter ausführt, vor allem vor dem Hintergrund der vermuteten riskanten Datenverwendung:

Stephan Löw: „So, ich sollte Herr meiner Daten sein. Und, wem ich die geben möchte, dem kann ich sie geben, und, und ich weiß halt nich‘, was so im Hintergrund von Un-ternehmen oder im Hintergrund von staatlichen Stellen oder so, was da mit der Amts-hilfe oder so läuft. Mit meiner Adresse jetzt. Oder wo, wenn ich irgendwohin fliege oder so, an welche Staaten dann übermittelt wird, in welchem Flug ich grade fliege, und denn quasi gleich der gesamte Datensatz mit rüber wandert. Und nich‘ nur der Name, sondern auch die Adresse, meine Körpergröße und gleich die biometrischen Daten gleich mit. So.“

Ebenso wie das Vertrauen, kann sich also das Misstrauen in den kontextuell etablierten Re-geln der Datenverwendung gründen, denen gegenüber sich Herr Löw vor dem Hintergrund der Freiwilligkeit der Datenpreisgabe sensibel zeigt. Die Ungewissheit über die Datenver-wendung lässt dann auch für Befragte das in staatliches Handeln gesetzte Vertrauen ambiva-lent werden.