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Bewertungsbeispiel auf Ebene der Varietäten

4 Fallbeispiele aus Brandenburg 4.1 Datenrecherche und Vorarbeiten

4.3 Bewertungsbeispiel auf Ebene der Varietäten

Das Bewertungsbeispiel für den Saat-Weizen (siehe Anhang 6, Beispiel 7) zeigt, dass die Art Triticum aestivum nicht gefährdet ist (Kategorie „* “). Saat-Weizen ist sowohl in Brandenburg als auch in Deutschland weit verbreitet und zählt darüber hinaus zu den wichtigsten Nahrungsmittelpflanzen der Erde. Hinsichtlich des Spektrums der Formen- und Varietätenvielfalt ist aber erkennbar, dass von der Vielzahl der bekannten botanischen Varietäten des Saat-Weizens heute nur noch weniger als 10 im Weltanbau zu finden sind (Hammer 2000).

Um das Problem weiter zu verdeutlichen, wird im folgenden die historische Entwicklung der Varietä-tenvielfalt von Triticum aestivum in Deutschland für den Zeitraum der letzten 120 Jahre aufgezeigt.

Grundlage hierfür bilden die im Rahmen des Projektes der sozial-ökologischen Forschung „Agrobio-diversität entwickeln“ gewonnenen Ergebnisse (Barth et al. 2004).

Anschließend soll diskutiert werden, inwiefern eine Analyse auf innerartlicher Ebene Basis für die Gefährdungseinschätzung von Kulturpflanzen sein kann.

Zunächst zur Methodik der Untersuchungen:

Für die Darstellung der Entwicklung der Varietätenvielfalt vor 1953 wurden verschiedene historische Literaturquellen84 ausgewertet. Für den Zeitraum nach 195385 bildete ein Datenbankauszug des BSA (2002) die Informationsbasis86.

Dabei wurde zunächst untersucht, wie viele Sorten zu ausgewählten Zeitpunkten im Handel erhältlich bzw. zugelassen waren. Über die Zuordnung der Sorten zu einzelnen Varietäten konnten Aussagen über das jeweilig genutzte Varietätenspektrum abgeleitet werden. Die botanische Systematik wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit durchgängig an Mansfeld (1951; 1959) angelehnt.

Direkte Aussagen zum genutzten Varietäten- und Sortenspektrum fanden sich lediglich bei Körnicke (1885). Im Übrigen mussten die vorliegenden Sorteninformationen mit verschiedenen Datenbanken und Informationssystemen abgeglichen werden: (IPK 2003; BAZ 2003; BAZ 2003a;

http://www.genres.de/pgrdeu/).

Dabei konnte aus unterschiedlichen Gründen nicht allen Sorten eine Varietät zugeordnet werden. Bei den älteren Sorten lagen die Schwierigkeiten vor allem in der Verwendung unterschiedlicher Namens-bezeichnungen und Schreibweisen bzw. auch darin, dass ein Teil der älteren Sorten heute nicht mehr ex-situ verfügbar ist und entsprechende Informationen somit fehlen.

Bei den aktuellen, noch zugelassenen Sorten erwies sich die Zuordnung teilweise ebenso schwierig, da in den heutigen Sortenbeschreibungen keine Angaben mehr zur Varietät einer Weizensorte erfol-gen87. Sorten, die keiner Varietät zuzuordnen waren, wurden in den Darstellungen gesondert erfasst und mit dem Vermerk „ohne Zuordnung“ bzw. „keine Angabe“ versehen.

Die Ergebnisse im Einzelnen:

Die Gattung Triticum umfasst zahlreiche botanische Arten, wobei der Saat-Weizen (Triticum aestivum) die größte Formen- und Varietätenvielfalt aller Kulturweizen aufweist. Mansfeld (1959) unterscheidet innerhalb dieser Art vier Formen:

- unbegrannte (Kolbenweizen), - begrannte (Bartweizen),

- sehr dichte, kurzährige, unbegrannte und kleinkörnige (Binkelweizen) und - sehr dichte, kurzährige, begrannte (Igelweizen).

Dorofeev et al. (1979) führen für Triticum aestivum zwei Subspecies, sechs Convariationen, acht Subconvariationen sowie 290 Varietäten auf.

Nach Körnicke (1885) befanden sich Ende des 19. Jahrhunderts allein in Deutschland 23 Varietäten von Triticum aestivum im Anbau. Darunter waren alle Formen der unbegrannten Kolben- und Binkel-weizen sowie der begrannten Bart- und IgelBinkel-weizen vertreten (siehe Abb. 6). Diese Formen- und Varietätenvielfalt ergab sich einerseits aus der Breite der damalig genutzten Landsorten, andererseits aus den ersten Erfolgen einer zunehmend spezialisierten Pflanzenzucht (vgl. Kapitel 3.2).

Gleichzeitig setzte jedoch mit dem Beginn einer professionalisierten, stärker arbeitsteiligen Pflanzen-züchtung eine zunehmende Konzentration auf einige wenige, besonders leistungsfähige Formen bzw.

Varietäten ein.

Auswertungen von Sortenbeschreibungen bzw. -verzeichnissen aus der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts (Ramm 1926; Voss und Breuninger 1942) belegen, dass die Hochzuchten dieser Zeit im Vergleich zu den Beschreibungen von Körnicke nur noch ein eingeschränktes Varietätenspektrum repräsentierten.

In den 1920er Jahren befanden sich nachweislich acht verschiedene Varietäten von Triticum aesti-vum in Nutzung (siehe Abb. 7), wobei die Varietät lutescens mit einem Anteil von fast 29 % den größ-ten Anteil einnahm. Auch die Varietägröß-ten lutescenscompactoides bzw. milturum waren mit einem Anteil von jeweils 17 % relativ stark vertreten. Mit einem Anteil von insgesamt knapp 9 % waren zu diesem

84 Körnicke 1885; Ramm 1926; Voss und Breuninger 1942

85 Betrachtet wurden hier die Jahre 1959, 1979, 1990 und 2000.

86 Für das Gebiet der Neuen Bundesländer erfolgte eine Ergänzung nach Gäde 1993.

87 Informationen hierzu müssten ggf. in weiteren Untersuchungen über die einzelnen Züchter recherchiert werden.

Zeitpunkt begrannte Weichweizensorten schon relativ selten. Hierbei handelte es sich um Vertreter der Varietäten aestivum, erythrospermumcompactoides und ferrugineum.

Ähnlich stellte sich das Bild 1940 dar (siehe Abb. 8). Zu dieser Zeit wurden neun Varietäten von Triti-cum aestivum beschrieben, darunter auch wieder eine Sorte der Varietät villosum. Weiterhin ist fest-zustellen, dass die Varietät lutescens mit einem Anteil von fast 38 % sowie die Varietät milturum mit rund 24 % weiter an Bedeutung gewannen, wogegen lutescenscompactoides nur noch mit rd. 6 % vertreten war. Der Anteil begrannter Weichweizensorten stieg mit rund 13 % im Vergleich zu den 1920er Jahren leicht an und wurde nach wie vor durch die drei Varietäten aestivum, erythrospermum-compactoides und ferrugineum repräsentiert.

Kolbenweizen 1 pyrothrix

1 alborub-rum 3 villosum

1 cyanothrix 1

leuco-spermum

13 albidum (syn.

aureum)

16 milturum

22 lutescens

Binkelweizen

1 wittmacki-anum

1 creticum 1 humboldtii 1 clavatum

(syn. atrum)

Bartweizen 1

coeru- leoveluti-num (syn.

renovatum)

1 fuligino-sum

1 velutinum (syn.

villosum) 1 caesium

2

barbaros-sa 4

erythro-spermum

8 ferrugi-neum

Igelweizen

1 echinodes

(syn.

echinop-sis) 1 albiceps

1 sericeum 1 ohne

Zuordnung

1 splendens

Abb. 6: Varietäten und Anzahl der Sorten von Triticum aestivum um 1885 in Deutschland

keine Angabe

1 ferrugineum 2

erythro-spermum-compactoides 3 aestivum 4

albidumcom-pactoides

5 aureum (syn.

graecum)

12 milturum

12 lutescenscom-pactoides 20 lutescens

Abb. 7: Varietäten und Anzahl der Sorten von Triticum aestivum um 1926 in Deutschland

Es ist davon auszugehen, dass um 1920 neben der in den Sortenbeschreibungen dokumentierten Varietätenvielfalt gleichzeitig noch ein größerer Anteil verschiedener Landsorten im Anbau war, der heute kaum noch erfassbar sein dürfte. Die einsetzenden Autarkiebestrebungen im Dritten Reich führten später dazu, dass eine breite Verwendung immer ertragreicherer Hochzuchten propagiert und durch den Erlass der ersten Verordnung über Saatgut von 1934 zunehmend auch durchgesetzt wurde. In einschlägigen Quellen wird dazu häufig die „Notwendigkeit von Sortenbereinigungen“ vor-getragen88. Ab 1953 wurden durch das neugegründete Bundessortenamt (BSA) die in den 1930er Jahren beim Reichssortenregister begonnen Arbeiten zur Wertprüfung und Sortenzulassung fort-geführt. Gestützt wurden die Aktivitäten durch das 1953 erlassene Gesetz über Sortenschutz und Saatgut (Saatgutgesetz). Beim BSA wurde anfangs nicht nur für Neuzüchtungen die Zulassung bean-tragt, auch ältere Züchtungen mussten erneut auf ihre Eintragungsvoraussetzungen geprüft werden (BSA o.J.).

Hinsichtlich der Vielfalt der Weichweizen-Varietäten lassen sich ab ungefähr 1960 weitere deutliche Verlusttendenzen verzeichnen (siehe Abb. 9). Es befanden sich noch sechs verschiedene Varietäten im Anbau, wobei lutescens nunmehr einen Anteil von rund 62 % einnahm. Mit ca. 20 % erlangte lediglich noch die Varietät milturum eine größere Bedeutung. Mit Ausnahme einer Sorte der Varietät aestivum waren zu diesem Zeitpunkt begrannte Weichweizensorten aus dem Anbau verschwunden.

Ende der 1970er Jahre befanden sich schließlich noch zwei Varietäten von Triticum aestivum im Anbau. Neben der alles dominierenden Varietät lutescens wurde nunmehr auch die Varietät milturum nur noch durch eine Sorte vertreten.

In der DDR verlief eine ganz ähnliche Entwicklung. Ende der 1950er Jahre dominierte hier bereits mit über 80 % die Varietät lutescens, die Varietäten lutescenscompactoides bzw. erythrospermumcom-pactoides waren mit jeweils nur einer Sorte vertreten. Mit der Löschung der Sorte „Heine IV“ im Jahre 1969 war die Varietät lutescenscompactoides auch in der DDR nicht mehr verfügbar. 1979 wurde nochmals eine begrannte Sorte89 der Varietät aestivum zugelassen, die sich bis 1988 im Anbau halten konnte.

Ende der 1970er Jahre befanden sich unter den acht im Handel verfügbaren Sorten sechs Sorten der Varietät lutescens. Im Jahr 1990 war als einzigste Besonderheit lediglich noch der bereits 1957 zuge-lassene „Salzmünder Bartweizen“ mit der Varietät erythrospermumcompactoides verblieben.

88 Dazu äußerte sich bereits Baumann (1928) in „Deutsche Pflanzenzuchten“. Auch spätere Autoren berichten erfreut über die zahlenmäßige Verringerung des Sortenangebots (z.B. Reichsverbands der Pflanzenzucht im

„Ratgeber für Saatgutbeschaffung und Sortenwahl“ von 1940).

89 Hierbei handelte es sich um die in der CSSR gezüchtete Sommerweizensorte „Rena“.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Herbst 1990 mussten sich die in der DDR zugelasse-nen Sorten einer erneuten Wertprüfung nach bundesdeutschen Maßstäben unterziehen. Dabei wurde für den “Salzmünder Bartweizen“ eine Neuzulassung nicht mehr beantragt, wodurch auch die Varietät erythrospermumcompactoides aus dem Anbau verschwand.

Es kann davon ausgegangen werden, dass heute mehr als 90 % der Weichweizensorten phänoty-pisch weitgehend ähnlich und der Varietät lutescens zuzuordnen sind. Ausdruck hierfür ist bereits die Tatsache, dass in aktuellen Sortenbeschreibungen keine Angabe der Varietät mehr erfolgt. Anderer-seits ist jedoch auch festzustellen, dass in jüngerer Zeit – vor allem im Bereich des ökologischen Landbaues – zunehmend auch wieder begrannte Weizensorten in den Anbau kommen (so z.B. die EU-Sorte “Capo“).

Mit den Fördermöglichkeiten des brandenburgischen KULAP wurden inzwischen wieder mehrere Weizenvarietäten bei Landwirten etabliert. Deren weiterer Anbau wird vermutlich weniger von fortgesetzter Anbauförderung als von der Erschließung besonderer Absatz- und Vermarktungswege abhängen.

Eine Untersuchung mit vermutlich sehr ähnlichen Ergebnissen ließe sich auch für den Saathafer (Ave-na sativum L.) durchführen. Dort sind insbesondere Fahnenhaferformen und die früher streng unter-schiedenen farbkörnigen oder -spelzigen Varietäten (Weiß-, Gelb-, Braun-, Schwarzhafer) zugunsten von relativ universal kulturfähigen Kurzstrohsorten aufgegeben worden.

2 aureum 1 villosum 1

erythro- spermumcom-pactoides

1

albidumcompac-toides

3 ferrugineum 4 aestivum (syn.

graecum)

5 lutescens-compactoides

keine Angabe

20 milturum

31 lutescens

Abb. 8: Varietäten und Anzahl der Sorten von Triticum aestivum um 1942 in Deutschland

43 lutescens 1 aureum

keine Angabe 1 villosum

1 aestivum (syn.

graecum)

4 lutescens-compactoides

14 milturum

Abb. 9: Varietäten und Anzahl der Sorten von Triticum aestivum 1959 (BRD)

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei Weichweizen innerhalb eines längeren Zeitraums der größte Teil ehemals genutzter Varietäten verloren ging. Allerdings sind diese aktuell in den Samm-lungen von Genbanken ex-situ sowie bei Nichtregierungsorganisationen ansatzweise on-farm weiter vorhanden. Sie sind damit, sofern eine grundlegende Anbaufähigkeit mit modernen Produktionsme-thoden vorliegt, innerhalb kürzerer Zeit reaktivierbar. Das Beispiel aus Brandenburg zeigt eben dieses.

Eine nachhaltige Sicherung setzt aber Nutzungsmöglichkeiten und besondere Nischen voraus. Aus Sicht anderer „Biodiversitätsnutzer“, wie z.B. dem Naturschutz, können einzelne Formen in der Agrar-ökologie durch Mikroklimaeffekte, Strukturvielfalt oder besondere Habitatqualitäten bedeutsam sein.