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Betrachtung der Gesundheitswirkungen am Praxisbeispiel Dortmund-Wichlinghofen. 190

Im Dokument 60/2019 (Seite 190-193)

6 Erprobung des entwickelten Modells für eine Gesamtlärmbewertung

6.4 Erprobung des Finanzierungsmodells an Praxisbeispielen

6.4.4 Betrachtung der Gesundheitswirkungen am Praxisbeispiel Dortmund-Wichlinghofen. 190

Neben der Betrachtung der Lärmbelästigung können auch gesundheitliche Aspekte bei der Ge-samtlärmbewertung Beachtung finden. Wie Abschnitt 2.6.5 dargestellt, ist die Forschungslage hierzu noch nicht ausreichend, um bereits jetzt einen verbindlichen Vorschlag bzw. eine Emp-fehlung für ein entsprechendes Verfahren festzulegen.

Aus diesem Grund soll an dieser Stelle das Verfahren aus Kapitel 2.3.3 unter gesundheitlichen Aspekten angewendet werden. Die Beeinträchtigungsfunktion für die Lärmbelästigung (Prozent

„stark Belästigte“ %HA) wird hierbei durch aktuelle gesundheitsbezogene Forschungsdaten aus-getauscht.

Diese wiederum beziehen sich auf das WHO-Review zu kardiovaskulären und metabolischen Er-krankungsrisiken durch Umgebungslärm von van Kempen et al. (2018). Dort wird eine Expositi-ons-Wirkungsfunktion vorgestellt, die sich auf das zusätzlich Erkrankungsrisiko für ischämische Herzerkrankungen infolge von Straßenverkehrslärm bezieht. Das relative Risiko (RR) pro 10 dB liegt hier bei 1,08 (1,01-1,15). Da sich diese Expositions-Funktion auf den Straßenverkehrslärm bezieht kann das Untersuchungsgebiet Phönixsee nicht für ein Anwendungsbeispiel herangezo-gen werden, da dort neben dem Schienenverkehrslärm auch der Gewerbelärm untersucht wurde. Für diese Geräuschquellenart liegen keine Daten vor.

Aus diesem Grund wird im Weiteren das Untersuchungsgebiet Wichlinghofen betrachtet, da dort nur die einzelnen Straßenbaulastträger Bundesautobahn, Bundesstraße, Landesstraße und Ge-meindestraße betrachtet wurden.

Die einzelnen Handlungsschritte sind analog zu Abschnitt 6.4.1 wobei statt den Funktionen für die Prozent „stark Belästigte“ %HA die vorangehend dargestellte Expositions-Funktion für die ischämischen Herzerkrankungen angewendet wird. Da im vorliegenden Fall nur der Straßenverkehr untersucht wurde, erübrigt sich zudem die Ermittlung von renormierten Er-satzpegeln. Sofern neuere Forschungsdaten vorliegen, die auch andere Geräuschquellenarten miteinbeziehen kann das Substitutionsverfahren der VDI 3722-2 angewendet werden.

Für die Betrachtung des Untersuchungsgebiets Wichlinghofen unter Berücksichtigung der ge-sundheitlichen Aspekte ergeben sich die nachfolgenden Ergebnisse:

Tabelle 32: Kostenverteilung für das Untersuchungsgebiet Wichlinghofen

Bundesautobahn Bundesstraße Landesstraße Gemeindestraße

Anteil 19,4 % 19,0 % 20,3 % 41,3 %

Kosten 345 TSD € 350 TSD 360 TSD € 735 TSD €

Die Ergebnisse sind unter Berücksichtigung der Gesundheitswirkungen ohne Unterscheidung der unterschiedlicher Geräuschquellenarten mit den Werten unter Berücksichtigung der Lästig-keitswirkung aus Tabelle 28 identisch.

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7 Empfehlungen für eine Gesamtlärmbewertung

Obwohl nach dem Gesetzeszweck und der Definition der schädlichen Umwelteinwirkung des BImSchG eine Gesamtlärmbewertung anzustellen ist, verlangt die Rechtsprechung eine Gesamt-lärmbewertung aus verfassungsrechtlichen Gründen erst dann, wenn eine Gesundheitsgefahr oder ein Eingriff in die Substanz des Eigentums droht. Unterhalb der verfassungsrechtlichen Zu-mutbarkeitsschwelle verbleibt es bei der getrennten Ermittlung und Bewertung der Immission aus verschiedenen Arten von Geräuschquellen.

„TA Gesamtlärm“ als Rahmen der Gesamtlärmbewertung

Es fehlt ein verbindliches Instrumentarium für die Durchführung einer Gesamtlärmbewertung.

Zur Schließung dieser Lücke wird im vorliegenden Vorhaben die Einführung einer „TA Gesamt-lärm“ auf Basis von § 48 BImSchG vorgeschlagen. Der Anwendungsbereich dieser allgemeinen Verwaltungsvorschrift sollte die Straßenverkehrswege, Schienenverkehrswege, Luftverkehr und Anlagen aus dem Anwendungsbereich der TA Lärm umfassen. Eine Einbeziehung von Sportanla-gen aus dem Anwendungsbereich der 18. BImSchV wäre denkbar, jedoch zunächst nicht vor-dringlich und aufgrund der geringen Datenlage bei der wirkungsbezogenen Gesamtlärmbewer-tung auch nicht sinnvoll. Zur Einbeziehung von Fluglärm in eine VerwalGesamtlärmbewer-tungsvorschrift TA Ge-samtlärm nach § 48 BImSchG müsste allerdings der Fluglärm in den Geltungsbereich des BIm-SchG überführt werden. Eine solche Änderung der Gesetzeslage steht nicht in Aussicht. Alterna-tiv könnte daher der materielle Regelungsgehalt der vorgeschlagenen TA Gesamtlärm z.B. als Leitfaden einer oberen Fachbehörde oder als Norm einer privaten Normungsorganisation mit geringerer Bindungswirkung eingeführt werden.

Die TA Gesamtlärm müsste vergleichbar der TA Lärm die Regelungen zu Schwellenwerten und im Anhang das zugehörige Ermittlungsverfahren der Werte, die mit dem Schwellenwert zu ver-gleichen sind, enthalten. Bei den Schwellenwerten wird eine zweistufige Struktur mit Grenzwer-ten für die verfassungsrechtliche Unzumutbarkeit und RichtwerGrenzwer-ten für die einfachrechtliche Er-heblichkeit, die in Abhängigkeit von den Gebietskategorien der BauNVO gestuft werden, vorge-schlagen.

Die verfassungsrechtliche Unzumutbarkeit wird derzeit gerichtlich zumeist bei 70 dB tags und 60 dB nachts angenommen. In Anbetracht der Lärmsanierungsgrenzwerte, die zwischenzeitlich auf 67/57 dB tags/nachts reduziert wurden, könnten die Unzumutbarkeit auch bereits bei die-sen Pegelwerten angenommen werden. Ebenso wäre ein ergänzendes Maximalpegelkriterium im Hinblick auf die Störung des Nachtschlafs zumindest für den Schienenverkehr denkbar.

Vorgeschlagen werden ferner Regelungen für Bestimmung des Adressaten einer Lärmschutzan-ordnung, wenn der Gesamtlärmkonflikt von den Anlagen einer Mehrheit von Betreibern verur-sacht wird (sog. Störerauswahl). Sollen auch die Betreiber von planfestgestellten Verkehrsanla-gen mögliche Adressatenvon Lärmschutzanordnungen zur Lösung von Gesamtlärmkonflikten sein, sind wesentliche Änderungen des Fachplanungsrechts erforderlich, die ebenfalls skizziert werden.

VDI 3722-2 als Basis für das Bewertungsverfahren bei Einwirken mehrerer Quellen

In einem Anhang einer TA Gesamtlärm würde das Ermittlungsverfahren der Pegel der einzelnen Geräuschquellenarten beschrieben werden. Dabei kann so wie in der DIN 18005 auf die ver-schiedenen bestehenden Verfahren zur Berechnung der Beurteilungspegel der einzelnen Ge-räuschquellenarten verwiesen werden (z.B. RLS-90, Schall 03, TA Lärm). Erforderlichenfalls müssten Einschränkungen bei der Beurteilung der Einzelquellen getroffen werden, da z.B. die Ruhezeitenzuschläge der TA Lärm keine Eigenschaft des Geräusches beschreiben und bei ande-ren Quellen nicht vorgesehen sind.

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Ergänzend sollte in diesem Anhang bei Einwirken mehrerer Geräuschquellenarten die Bildung eines Summenpegels nach dem Substitutionsverfahren der VDI 3722-2 beschrieben werden. Als Ergebnis resultiert der effektbezogene Substitutionspegel, der mit den Richt- oder Grenzwerten zu vergleichen ist. Für die Ermittlung der renormierten Ersatzpegel wurden in Abschnitt 2.4 Vorschläge für aktuelle Expositions-Wirkungsbeziehungen unterbreitet, die als Grundlage ver-wendet werden sollten. Für die vorgeschlagenen Grenzwerte der Zumutbarkeit spielen Gesund-heitswirkungen eine herausragende Rolle. Hierfür liegen zwar Vorschläge für Expositions-Wir-kungsbeziehungen vor, jedoch sollte das Zusammenwirken mehrerer Geräuschquellen weiter untersucht werden, um den Ansatz der epidemiologischen Risikomultiplikation zu validieren.

Informativer Anhang zur Bewertung von Planungsalternativen und Kostenverteilung

Die Verknüpfung der effektbezogenen Substitutionspegel mit den Expositions-Wirkungsbezie-hungen und den Bewohnerzahlen dient der Bewertung von Planungsalternativen und sollte im Rahmen einer TA Gesamtlärm als informativer Anhang beigefügt werden. Damit würden in vor-bereitenden Planungen bereits dieselben Bewertungsmethoden angewendet, wie sie im späte-ren Genehmigungsverfahspäte-ren obligatorisch wäspäte-ren.

Ebenso sollte das Finanzierungsmodell zur Kostenverteilung im Falle von neuen Lärmschutz-maßnahmen als informativer Anhang in die TA Gesamtlärm aufgenommen und eine gesetzliche Regelung zur Verteilung der Kosten einer Lärmschutzmaßnahme unter mehreren Verursachern eines Gesamtlärmkonflikts geschaffen werden. Mit dem Modell auf Basis der energetischen Be-lastungsminderung (WEBI-Index) liegt ein nachvollziehbares und diskriminierungsfreies Ver-fahren auf Basis der VDI 3722-2 vor. Dieses VerVer-fahren sollte als einheitliches VerVer-fahren im An-hang beschrieben werden. Sobald gesicherte Erkenntnisse zum Einfluss gleichzeitig einwirken-der Geräuschquellen auf die Gesundheit vorliegen, sollte die vorgeschlagene Erweiterung des Finanzierungsmodells auf der Grundlage eines summarischen Indikators (Abschnitt 3.6) einge-führt werden.

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