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Anwendung von Pegeln außerhalb des Wertebereiches:

Im Dokument 60/2019 (Seite 54-58)

2 Weiterentwicklung eines Konzeptes zur Gesamtlärmbewertung auf Grundlage der VDI 37- 50

2.3 Regelungslücken der VDI 3722-2

2.3.1 Anwendung von Pegeln außerhalb des Wertebereiches:

Die Ermittlung des %A-Anteils durch den Gesamtlärm kann für die in der VDI 3722-2 derzeit (Stand 2018) verwendeten Expositions-Wirkungsfunktionen bezogen auf den Beurteilungspegel für Tag-Nacht Lr,TN im Wertebereich 37 dB < Lr,TN < 75 dB für Straßen- und Schienenverkehrslärm und im Bereich 37 dB < Lr,TN < 65 dB für Fluglärm erfolgen. Für den %HA-Anteil beginnt der Wer-tebereich bei 42 dB. Der WerWer-tebereich im Nachtpegel zur Bestimmung des Anteils schlafgestörter (%SD) bzw. stark schlafgestörter Personen (%HSD) lautet für alle drei Verkehrslärmarten 40 dB <

Lr,N < 65 dB.

Offen ist, wie dabei mit Situationen umzugehen ist, in denen einzelne zum Gesamtlärm beitra-gende Quellenarten außerhalb dieses Wertebereichs liegen. Hier ist zu fragen, wie die Substitu-tion erfolgen soll, d.h., inwieweit die dabei anzuwendenden ExposiSubstitu-tions-WirkungsfunkSubstitu-tionen zu extrapolieren sind. Auch wenn sich neuere Expositions-Wirkungsfunktionen auf andere Wertebe-reiche beziehen, stellt sich die Frage des Umgangs mit Werten außerhalb des Wertebereichs grundsätzlich.

Regelungslücke in der Vorgehensweise oberhalb des Wertebereichs

Theoretisch plausibel ist eine asymptotische Annäherung der Expositions-Wirkungskurven für die Gesamtlärmbelästigung und Gesamtschlafstörung im unteren Bereich an den Wert %A/HA = 0

0 Prozentanteil durch Verkehrslärm belästigter Personen (% A)

Wertebereich Luft Prozentanteil durch Verkehrslärm hoch belästigter Personen (% HA)

Wertebereich Luft

Prozentanteil durch Verkehrslärm schlafgestörter Personen (% SD)

Luft: %SD = 13,714 – 0,807 Lr,N+ 0,01555Lr,N²

% highly sleep disturbed (% HSD)

Lr,TAN in dB Luft Straße Schiene

Prozentanteil durch Verkehrslärm schlafgestörter Personen (% HSD)

Wertebereich Flug, Straße, Schiene

Luft: %HSD = 18,147 – 1,05 Lr,N+ 0,01482Lr,N² Straße: %HSD = 20,8 – 1,05 Lr,N+ 0,01486Lr,N² Schiene: %HSD = 11,3 – 0,55 Lr,N+ 0,00759Lr,N²

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bzw. %SD/HSD = 0% und im oberen Bereich jeweils an den Wert 100%. Insgesamt ist also theore-tisch von einer sigmoiden Beziehung zwischen Geräuschpegeln und den Beeinträchtigungswir-kungen (%A/HA bzw. %HS/HSD) auszugehen, da eben nicht weniger als 0% oder nicht mehr als 100% von Personen belästigt oder schlafgestört sein können.

Betrachtet man allerdings die in der VDI-Richtlinie zugrundeliegenden Expositions-Wirkungskur-ven von Miedema und Kollegen (s. Abbildung 2), so ist ein exponentieller Verlauf erkennbar, der bei einfacher Extrapolation auf Basis der kubischen Expositions-Wirkungsfunktion zu Werten größer 100% im Anteil (stark) belästiger/schlafgestörter Personen führen würde. Um auf Basis dieser Funktionen im oberen Pegelbereich zu einer sigmoiden Kurve zu gelangen, müssten An-nahmen über den Wendepunkt (Punkt, ab dem die Kurve abflacht) bestehen.

Lösungsvorschläge für den Umgang mit Pegelwerten oberhalb des Wertebereichs

Solange hier mangels Daten keine begründete Festlegung möglich ist, wäre eine lineare Fortfüh-rung der Kurven als vereinfachende Lösung denkbar. Bei dieser Lösungsmöglichkeit erreicht die Kurve ab einem gewissen Pegel eine Belästigung von 100% (stark) belästigter bzw. schlafgestör-ter Personen oder darüber. Ein Lösungsansatz ist dann, als maximalen renormierten Ersatzpegel den Pegel anzusetzen, der zu einem %A/HA bzw. %SD/HSD-Anteil von 100% (bezogen auf Stra-ßenverkehrslärm) führt. Es kann allerdings angeregt werden, bei Pegelwerten, die über einen Prozentanteil Beeinträchtigter von 100% hinausführen, für die Bestimmung der Zahl (hoch) be-lästigter bzw. schlafgestörter Personen im Untersuchungsgebiet mit Werten > 100% weiterzu-rechnen. Der %A/%HA/%SD%HSD-Wert wird damit zu einem abstrakten Indexwert, der zur Prio-risierung von Maßnahmen eingesetzt werden kann.

Regelungslücke in der Vorgehensweise unterhalb des Wertebereichs

Für alle Verkehrslärmarten gilt mit Bezug auf die Belästigungskurven (%A, %HA), dass rechne-risch bei der Grenze von Lr,TN = 37 (42) dB 0% (hoch) belästigter Personen vorliegen. Bei den Schlafstörungen (%SD, %HSD) liegen bei Lr,N = 40 dB noch Prozentwerte > 0% vor.

Zu beachten ist, dass sich die Definition des Wertebereichs für die Lärmbelästigung auf den Beur-teilungspegel für Tag-Nacht Lr,NT bezieht, die Expositions-Wirkungskurven dazu (zu %A und %HA) selbst aber auf den Beurteilungspegel für Tag-Abend-Nacht Lr,TAN. Allerdings ergeben die von Mie-dema und Kollegen aufgestellten Expositions-Wirkungskurven bezogen auf den Tag-Nacht-Pegel (Miedema & Vos, 1998) als auch bezogen auf den Tag-Abend-Nacht-Pegel (Miedema & Oudsho-orn, 2001) für beide akustische Kenngrößen einen Anteil von 0% belästigter Personen bei 37 dB und einen Anteil von 0% hoch belästigter Personen bei 42 dB. Bei einer etwaigen Novellierung der VDI 3722-2 wird empfohlen, Wertebereich und Expositions-Wirkungsfunktion auf dieselbe akustische Kenngröße (Lr,TAN) zu beziehen.

Lösungsvorschläge für den Umgang mit Pegelwerten unterhalb des Wertebereichs

Die zu klärende Frage ist nun, wie unterhalb dieser Grenzen Beurteilungspegel substituiert und addiert werden, insbesondere wenn diese, wie bei der Lärmbelästigung, rechnerisch zu negativen Prozentanteilen im Anteil beeinträchtigter Personen führen.

Bezogen auf die Lärmbelästigung (%A, %HA) sind für Pegelwerte unterhalb des Wertebereichs folgende Lösungsvorschläge denkbar:

1. Werte unterhalb von Lr,TN = 37/42 dB werden nicht berücksichtigt, da sie zu einem Anteil von (hoch) belästigten Personen kleiner 0% führen, mithin also bei diesen Werten keine (hohe) Lärmbelästigung vorliegt.

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2. Es findet unterhalb des Wertebereichs keine Substitution statt, d.h. unterhalb des Wertebe-reichs liegende Beurteilungspegel werden ohne den Zwischenschritt der Bildung renormier-ter Ersatzpegel energetisch addiert.

3. Pegelwerte Lr,TAN < 37/42 dB werden linear nach unten verlängert.

4. Extrapolation, d.h. die Expositions-Wirkungsfunktion wird bei Pegelwerten Lr,TAN < 37/42 dB weiter unverändert angewandt.

5. Unterhalb von Lr,TAN < 37/42 dB wird „abgeschnitten“, d. h. der renormierte Pegel auf 37 bzw.

42 dB und damit %A bzw. %HA auf 0% gesetzt.

Option 4 widerspricht der Setzung eines Wertebereichs und führt ggf. zu kaum interpretierbaren Ergebnissen. Beispielweise etwa wenn sich auch nach Addition der normierten Ersatzpegel ein Substitutionspegel für den Gesamtlärm ergibt, bei dem negative Prozentwerte in der Belästigung auftreten. Option 1 ist abzulehnen, da auch nach Addition sehr niedriger Pegelwerte für die Ein-zelquellenbelastung eine Gesamtbelastung entstehen kann, die mit einem (hohen) Anteil lärmbe-lästigter Personen > 0% verbunden ist. Option 2 wird ebenfalls nicht empfohlen, da ohne eine Substitution das Konzept der wirkungsbezogenen Bewertung des Gesamtlärms verletzt wird. Bei einer linearen Verlängerung entsprechend Option 3 würden für %A/%HA Minuswerte auftreten, was nicht realistisch ist. Deshalb wird für %A/%HA Option 5 bevorzugt; diese Option wird im fol-genden Absatz näher erläutert.

Bei den Kurven für %SD/%HSD zeigt sich, dass diese innerhalb des Wertebereichs den Wert 0%

nicht erreichen. Deshalb bietet sich hier unterhalb des Wertebereichs eine lineare Verlängerung zwischen 0 und 40 dB an; auch hierauf wird im nach nachfolgenden Abschnitt näher eingegangen.

Zusätzliche Festlegungen zum Wertebereich bei Testaufgabenentwicklung

Mit der Problematik des Wertebereichs haben sich auch Probst & Gillé (2014) (vgl. auch Probst &

Probst, 2014) im Rahmen der Entwicklung einer Testaufgabe zur VDI 3722-2 beschäftigt. Sie be-richten über zusätzliche Festlegungen, die mit dem für die VDI 3722-2 zuständigen DIN Normen-ausschuss NA 001-01-02 AA abgestimmt wurden und die den Randbereich des Wertebereichs be-treffen.

Die hierbei abgestimmte Lösung lautet (Probst & Gillé, 2014, S. 9ff.):

Bei quellenartbezogenen Beurteilungspegeln oberhalb des Wertebereichs werden die Exposi-tions-Wirkungsfunktion für %A, %HA, %SD und %HSD unverändert angesetzt; es wird also nicht linear, sondern entsprechend der Funktion extrapoliert. Die Autoren bilden für jede Ex-positions-Wirkungsfunktion diese Extrapolation bis zu einem Prozentanteil von 100% bzw.

bis zu 100 dB ab. Was bei Pegelwerten erfolgen soll, die rechnerisch zu höheren Prozentantei-len führen, wird nicht ausgeführt.

Für die Berechnung von der Anzahl (hoch) belästigter Personen wird bei Pegelwerten unter-halb des Wertebereichs (Lr,TN < 37 dB bzw. 42 dB) der %A- und %HA-Wert auf 0% gesetzt. Der quellenartbezogene Beurteilungspegel trägt dann nicht zu Prozentanteilen Beeinträchtigter bei und wird auf „-88“ (Missingwert) gesetzt. Entsprechend trägt dieser Beurteilungspegel auch nicht zum effektbezogenen Substitutionspegel LAES bei, dieser bestimmt sich dann aus verbleibenden quellenartbezogenen Beurteilungspegeln innerhalb des Wertebereichs bzw.

deren renormierten Ersatzpegeln.

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Bei der unteren Grenze des Wertebereichs der %SD/HSD-Funktionen (Lr,N = 40 dB) liegen

%SD/HSD-Werte > 0% vor. Hier lautet die zusätzliche Festsetzung, dass die Expositions-Wir-kungsfunktionen für %SD und %HSD zwischen 0 dB ≤ Lr,N ≤ 40 dB linear verlängert wird, wo-bei wo-bei Lr,N = 0 dB ein %SD- und %HSD-Wert = 0% festgelegt wird und bei Lr,N = 40 dB der Wert, der sich jeweils aus der Expositions-Wirkungsfunktion für %SD bzw. %HSD ergibt.

Es ist darauf hinzuweisen, dass quellenartbezogene Beurteilungspegel unterhalb des Wertebe-reichs bei Aufaddierung zum effektbezogenen Substitutionspegel LAES nicht vernachlässigt werden sollten. Dies wäre bei der hier vorgestellten Festsetzung der Fall, wenn Beurteilungspegel unter-halb des Wertebereichs, denen eine Beeinträchtigungswirkung von 0% HA/A zugewiesen wird, als Missingwert (-88) definiert werden. Eine Lösung wäre, bei Berechnung der Zahl der (hoch) Beläs-tigten die Beurteilungspegel unterhalb des Wertebereichs auf den renormierten Ersatzpegelwert zu setzen, der 0% A bzw. HA entspricht, also auf 37 dB für die %A-Berechnung und auf 42 dB für die %HA-Berechnung. In dieser Pegelhöhe (37 dB bzw. 42 dB) würden diese renormierten Ersatz-pegel dann in den LAES einfließen.

Empfehlungen zu Pegelwerten außerhalb des Wertebereichs der Expositions-Wirkungsfunktionen Folgende Empfehlungen innerhalb der Verfahrensweise der VDI 3722-2 werden für das Vorgehen außerhalb des Wertebereichs gegeben:

Für Pegel oberhalb des Wertebereichs:

Sowohl bei den von Probst & Gillé (2014) dargestellten Festsetzungen als auch im Experten-Workshop wurde für Beurteilungspegel oberhalb des Wertebereichs eine Extrapolation vor-geschlagen. Probst & Gillé (2014) schlagen die unveränderte Anwendung der Originalfunktio-nen vor, unklar ist bei ihOriginalfunktio-nen aber das Vorgehen bei Pegelwerten, die rechnerisch Beeinträchti-gungs-Prozentanteile > 100% erbringen. In dem Fall wird eine lineare Verlängerung angeregt, dann auch rechnerisch für Prozentanteile > 100% Beeinträchtigung hinaus. Anstelle der An-wendung einer Umkehrfunktion (vgl. VDI-Norm 3722-2, Gleichungen A7, A8, A15 und A16) schlagen Probst & Probst (2014) die softwaretechnische Invertierung der eigentlichen %HA-,

%A-, %SD-, %HSD-Funktionen vor.. Das heißt, für die softwaretechnische Bearbeitung sind die Umkehrfunktionen nicht erforderlich und führen stattdessen aufgrund des eingeschränkten Pegel-Wertebereichs zu Inkonsistenzen (Probst & Gille, 2014, S. 11ff).

Für Pegelwerte oberhalb des Wertebereiches

Es wird eine lineare Verlängerung der Expositions-Wirkungsfunktionen für %A/HA und %SD/HSD auch über einen rechnerischen 100%-Beeinträchtigungsanteil hinaus vorgeschlagen, da Informatio-nen über den weiteren Kurvenverlauf bzw. über den Wendepunkt von den expoInformatio-nentiellen Funktio-nen hin zu sigmoiden Kurven nicht vorliegen und die lineare Fortführung in dieser Situation die ein-fachste Annahme mit der geringsten Unsicherheit darstellt.

Für Pegel unterhalb des Wertebereichs bei berichteten Schlafstörungen

Für die Expositions-Wirkungsfunktionen zu berichteten Schlafstörungen wird der in Probst & Gillé (2014) beschriebene Ansatz der linearen Verlängerung des Lr,N-Pegelbereichs zwischen 0 dB und 40 dB empfohlen. Die Empfehlung gilt auch für die neuen im Abschnitt 2.3.6 vorgeschlagenen Expositi-ons-Wirkungsfunktionen zu berichteten Schlafstörungen (%HSD).

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Für Pegel unterhalb des Wertebereichs bei der Lärmbelästigung

Für die Expositions-Wirkungsfunktionen zum Anteil (hoch) Belästigter wird eine Modifikation der in Probst & Gillé (2014) beschriebenen Festsetzung empfohlen. Danach wird für quellenartbezogene Beurteilungspegel Lr,TAN < 37 dB (für %A) und Lr,TAN < 42 dB (für %HA) der renormierte Ersatzpegel auf 37 dB (für %A) bzw. 42 dB (für %HA) und der entsprechende %A/HA-Anteil auf 0% gesetzt. Die so festgesetzten Ersatzpegel fließen entsprechend in die Berechnung des effektbezogenen Substituti-onspegels LAES ein. Die neuen im Abschnitt 2.3.6 vorgestellten Expositions-Wirkungsfunktionen zur Lärmbelästigung (nur noch zu %HA) liegen innerhalb des Wertebereichs oberhalb von 0% HA. Hier wird das gleiche Vorgehen wie bei %HSD vorgeschlagen, nämlich im Pegelbereich zwischen 0 dB und dem untersten dB-Wert des Wertebereichs die Kurve linear zu verlängern.

Im Dokument 60/2019 (Seite 54-58)