Abbildung 1: Prof. Dr. med. Holm Häntzscbel, Leiter der Abteilung Rheumatologie des Medi
zinisch-Poliklinischen Instituts der Universität Leipzig plädiert für eine enge Kooperation aller an der Rheumatherapie Reteiligten
»Kooperation zwischen Spezialisten und Allgemeinmedizinern zum Nut
zen der Patienten«, mit diesem Ziel fanden sich 1990 Rheumatologen, Orthopäden, Traumatologen, Sport
mediziner und Allgemeinmediziner der alten und der neuen Bundes
länder mit Unterstützung der Fa.
Merckle zu einer Fortbildungsinitia
tive zusammen. Begonnen hatte al
les in der Zeit der Unsicherheit, als die Ärzte in den neuen Bundeslän
dern nicht nur mit den Problemen der Niederlassung und Kassenzulas
sung, der Auflösung alter (oft auch bewährter) Strukturen, wie den Po
likliniken und Dispensaires, sondern auch mit einer Vielzahl für sie relativ neuer medikamentöser Möglichkei
ten konfrontiert waren. Bei von der Fa. Merckle veranstalteten »Pharma
kologischen Übersichtsseminaren«
zu den Gebieten Rheumatologie, Or
thopädie, Traumatologie und Fett
stoffwechselstörungen, vor Ort orga
nisiert von der GAM - der Gesell
schaft für Allgemeinmedizin der DDR - zeigte sich rasch die Notwendigkeit einer darauf aufbauenden flächen
deckenden Fortbildung in bezug auf
die Möglichkeiten und Grenzen der Allgemeinmedizin in Diagnostik und Therapie. Unter organisatorischer Betreuung der Agentur Kybermed in Emsdetten setzten sich die Speziali
sten das Ziel, Materialien für eine Seminarreihe zu erarbeiten und die Deutsche Gesellschaft für Allgemein
medizin (DEGAM), mittlerweile in Fusionsgesprächen mit der GAM, übernahm es, sicherzustellen, daß die Inhalte dieser Seminare auch den Bedürfnissen der Praxis entsprachen
— ein Konsens zwischen der Spezial
und der Allgemeinmedizin mußte hergestellt werden: die Konsensus- Initiative war entstanden. Zwar fi
nanzierte die Fa. Merckle diese Ak
tion, (erfüllte) Bedingung war jedoch, daß die Firma bei formalen Dingen mitredete, die Autoren ihre Beiträ
ge jedoch ausschließlich in ihrer wissenschaftlichen Verantwortung schreiben konnten.
Die so entstandenen »Fortbildungs- module« bieten aus Sicht der Spezia
Konsensus-Initiative: sieht die DEGAM das Ziel erreicht?
ZFA: Ziel der Merckle-Konsensus- Initiative ist eine qualifizierte Fort
bildung für Allgemeinärzte, orien
tiert an den Bedürfnissen der Praxis.
Sie, Herr Dr. Dückert, organisieren im Auftrag der DEGAM die Veran
staltungen hier in Berlin. Sehen Sie das Ziel erreicht?
Dückert: Dieses Ziel sehe ich schon erreicht. In zwölf Abendseminaren gibt es eine recht komplette Darstel
lung der vier Fachgebiete, zum an
deren sieht man den Erfolg oder die Praxisnähe auch daran, daß das In
teresse der Kollegen im Verlauf der Reihe nie abgenommen hat, obwohl man sich hier ja auf ein relativ enges Spektrum an Diagnosen beschränkt.
Eine praktische Vertiefung in kleine
ren Gruppen wäre ein sinnvoller nächster Schritt, z. B. in Form von Patientenvorstellungen oder Hospi
tationen.
listen und der Allgemeinmediziner eine hervorragende Basis für die täg
liche Arbeit in der Praxis - wie taug
lich sie auch für die Allgemeinärzte in den alten Bundesländern sind, zeigen die beiden Schwerpunkt-Ar
beiten dieser ZFA-Ausgabe. Es han
delt sich dabei um die Module, mit denen die Fortbildungsseminare ge
staltet wurden, in einigen wenigen Elementen der Struktur der ZFA an
gepaßt. Sie werden hier mit freund
licher Genehmigung der Fa. Merckle abgedruckt.
Diese ganze Aktion erforderte gro
ßes Engagement der beteiligten Wis
senschaftler, denn es mußten im Zeitraum von nur 14 Monaten in den
Abbildung 2: Dr. med. Manfred Dückert von der Deutschen Gesellschaft für AUgemeinmedizin (DEGAM) sieht das Ziel der Konsensus-Initia
tive erreicht
vier verschiedenen Arbeitskreisen (1:
Entzündliche und nichtentzündliche Gelenkerkrankungen, II: Erkrankun
gen des Muskel- und Bewegungsap
parates, III: Verletzungen des Mus
kel- und Bewegungsapparates und IV: Eettstoffwechselstörungen) ins
gesamt 326 Veranstaltungen in der gesamten ehemaligen DDR vorberei
tet und durchgeführt werden.
Z. Allg. Med. 1993; 69; 482-484. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1993
Abbildung 3: Prof. Dr. med. Martin Keysser, Chefarzt des Rheumazentrums des Klinikums Rostock-Südstadt möchte über die Verunsiche
rung zur Sicherheit der Therapie beitragen
Vor Ort in Berlin
Eine der Veranstaltungen des Ar
beitskreises I konnten wir am 3. Fe
bruar 1993 in Berlin besuchen, um mit Teilnehmern und Referenten über ihre Eindrücke zu sprechen - und da zu diesem Zeitpunkt bereits das Ende der Veranstaltungsreihe abzusehen war, stellte sich naturge
mäß auch die Frage - was folgt nach der flächendeckenden Fortbildung?
Lange schon vor Beginn der Veran
staltung kommen die ersten interes
sierten Besucher, später muß man noch mehr Stühle in den kleinen Veranstaltungsraum bringen, ehe der Allgemeinarzt Dr. Manfred Dückert im Namen der DEGAM die
Ich hoffe, daß es uns gelungen ist, etwas Unsicherheit zu erzeugen!
ZFA: Objektiv - wertfrei, so wollte die Konsensus-Initiative Fortbildung ver
mitteln. Nachdem Sie selbst über 20 Veranstaltungen »durchgestanden«
haben, wie sehen Sie den Anspruch erfüllt?
Keysser: Das kann man unter ver
schiedenen Aspekten sehen. Vom or
ganisatorischen her war es eine gewal
tige Leistung. Für uns Referenten war es immer bemerkenswert, daß es von der Firma, die ja letztlich alles bezahlt hat, keinerlei Einflußnahme auf die In
halte gegeben hat. Ob diese Fortbil
dung letztlich nützt, ist schwierig zu beantworten. Man kann bei diesem komplexen Gebiet in ein paar wenigen Stunden natürlich auch nicht annä
hernd umfassende Kenntnisse vermit
teln. Was man erreichen kann — und ich hoffe, daß wir dies erreicht haben — ist, das Problembewußtsein zu stär
ken.
ZFA: Denken Sie, daß es gelungen ist, aufzuzeigen, wann der Allgemeinarzt den Spezialisten hinzuziehen sollte?
Keysser: Ich hoffe, daß es uns gelun
gen ist, hei den Teilnehmern eine ge
wisse Unsicherheit zu erzeugen. Die Fehler entstehen ja oft aus einer scheinbaren Sicherheit heraus. Die Kollegen sollen schneller merken, wo ihre Grenzen sind und die Patienten dann dem Spezialisten anvertrauen.
Sie sollen diese Patienten ja nicht ab
geben, der Spezialist allein kann die Patienten gar nicht behandeln, er hat auch nicht die Kapazität und braucht den niedergelassenen Arzt als Go-The
rapeuten.
ZFA: Wie könnten die interessierten Allgemeinärzte weiter von der Konsen
sus-Initiative profitieren, wenn diese Serie von Veranstaltungen mit Basis
wissen abgeschlossen ist?
Keysser: Jetzt muß das praktische Ar
beiten im kleineren Kreis folgen, am Patienten. Zum Beispiel Wochenend
seminare mit acht bis zehn Allgemei
närzten in der Klinik, wo diese seihst Patienten untersuchen können, wo be
sonders typische Fälle vorgestellt wer
den, quasi ein »Training am Patien
ten«, ein »learning by doing«, durch
aus ergänzt durch einen kleinen theo
retischen Teil.
mehr als 60 Ärztinnen und Ärzte be
grüßen kann. Für viele ist es nicht die erste Veranstaltung der Konsen
sus-Reihe, sie kommen, weil er hier vernünftige praxisorientierte Kennt
nisse vermittelt werden, und auch deshalb, weil in diesem kleinen Kreis Gelegenheit ist, den Referenten ganz konkrete Fragen aus der Praxis zu stellen. Dieser Schwerpunkt zeigt
Abbildung 4: Konzentriertes Zubören, eifriges Mitschreiben, intensive Diskussionen sind kenn
zeichnend für den Verlauf der Veranstaltungen im Rahmen der Konsensus-Initiative
sich nach den Vorträgen von Prof.
Dr. med. Holm Häntzschel und Dr.
med. habil. Martin Keysser : die Dis
kussion dauert länger als der Vor
trag und niemand denkt an den klei
nen Imbiß, der die geistige Kost er
gänzen soll. Individuelle Patienten
schicksale werden vorgestellt und die Referenten versuchen, zumindest die richtigen Weichen für weitere dia
gnostische oder therapeutische Maß
nahmen zu stellen. Oft genug bilden die diffizilen Fragen den Anlaß zu weiteren kleinen »Seminarbeiträ
gen«. Es ist aber ganz offensichtlich, daß auch den Spezialisten dieser Gedankenaustausch mit den Allge
meinärzten Spaß macht und ihnen vor allem nicht zuletzt vermittelt, daß der Praxisalltag doch etwas andere Anforderungen stellt als die Spezialabteilung in der Klinik. Als Dr. Dückert den offiziellen Teil der Veranstaltung beendet, wird die Diskussion im Kollegenkreis beim Imbiß dann auch noch intensiv weitergeführt.
yFISSA' Workshop
Ein Plädoyer für eine enge Zusammenarbeit zwischen Rheumazentren und niedergelassenen Ärzten
ZFA: Herr Prof. Häntzschel, was hat Sie dazu motiviert, sich an der Konsensus- Initiative so intensiv mit zu beteiligen?
Häntzschel; Für mich spielte, bezogen auf die neuen Bundesländer, eine wich
tige Rolle, daß durch Auflösung der Rheuma-Dispensaires der Facharzt für Allgemeinmedizin der zuständige Haus
arzt auch für die Rheumapatienten wer
den sollte. Der Gedanke, unter Schirm
herrschaft der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin dem Allgemeinarzt hierzu ein Rüstzeug zu vermitteln, hat mich bewogen, bei dieser Initiative mit
zuarbeiten.
ZFA: Nach einem Jahr Arbeit, sehen Sie das angestrebte Ziel erreicht?
Häntzschel: Die Textmodule, die doch in recht kurzer Zeit erstellt werden mußten, sind in der Lage, dem Allgemeinarzt ein Rüstzeug zu vermitteln, mit dem er sich rasch über die wichtigen Fragen der Dia
gnostik und Therapie informieren kann.
Es sind diese Texte aus meiner Sicht mit die praxisrelevantesten, die wir bisher erarbeitet haben.
ZFA: Wie sind denn Ihre persönlichen Erfahrungen mit den Veranstaltungen?
Häntzschel: Ich kann von den Veranstal
tungen meines Arbeitskreises nur fest
stellen, daß trotz eines langen Arbeitsta
ges die praktischen und Allgemeinärzte mit sehr großem Interesse teilgenommen haben. Eür mich haben diese Seminare gleichzeitig die Verbindung zur Praxis dargestellt und die Rückinformation durch die Anmerkungen und Fragen der niedergelassenen Kollegen war auch für uns Spezialisten sehr aufschlußreich.
ZFA: Wenn Sie an den Umbau des Ver
sorgungssystems in den neuen Bundes
ländern denken, was hätte man da bes
ser machen können, empfinden Sie bei Ihrem Fachgebiet Verluste?
Häntzschel: Es ist schwierig, dies in aller Kürze zu formulieren. Die Rheumabera
tungsstellen hatten natürlich Vorteile, weil sie eine Einheit darstellten zwischen Rheumatologen, rheumatologisch tätiger Eürsorgerin und rheumatologisch erfah
rener Krankenschwester. Kollegen, die in die Niederlassung gegangen sind, ha
ben diese umfassende Fürsorge nicht mitnehmen können. Inzwischen haben sich aber doch einige Fürsorgerinnen als Sozialarbeiterinnen qualifiziert und ich hoffe, daß wir die Lücke wieder schließen können. Ich kann nur hoffen, daß die Sozialtherapeuten künftig in die Betreu
ung der chronisch Kranken eng mit ein
geschlossen werden. Es ist darüber hin
aus notwendig, daß der Allgemeinarzt und der Spezialist eng Zusammenarbei
ten müssen. Keiner sollte Sorge haben, daß ihm der andere die Patienten weg
nimmt.
Bei der wohnortnahen Versorgung im Rahmen des Rheumazentrums der Uni
versität Leipzig haben wir Partner gefun
den, Allgemeinärzte, Internisten, Ortho
päden, die auch im Vorstand des Rheu
mazentrums mitarbeiten - und das ist die positive Seite der neuen Struktur, die auch von den Patienten so geäußert wird - daß diese endlich ihren Hausarzt ha
ben, der die häusliche und berufliche Si
tuation kennt. Dieser Gewinn wird von den Patienten im Vergleich der Systeme positiv gesehen.
ZFA: Basisinformationen und was wei
ter? Wie könnte die Fortsetzung der Kon
sensus-Initiative aussehen?
Häntzschel: Für mich war bei Beginn der Initiative entscheidend, daß zusam
men mit der DEGAM eine flächen
deckende gleiche Strategie möglich war.
Ich habe damals darauf hingeweisen, daß es z. B. in Großbritannien fünf Jahre ge
dauert hat, bis sich die Allgemeinmedizi
ner voll mit der Betreuung der Rheuma
patienten identifiziert haben, z. B. auch mit der Kontrolle von Basismedikationen wie der Goldtherapie usw. Wir können also nicht erwarten, daß durch Textmo
dul plus flächendeckende Eortbildung bei all dem, was auf die Hausärzte derzeit einstürmt, wir diese damit schon in die Lage versetzt haben, daß er mit diesen Patienten problemlos zurechtkommt. Es kommt mir auf zwei Dinge an: Die chro
nisch Rheumakranken mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen sollten in jedem Eall einmal einem Spezialisten vorgestellt worden sein. Dies könnte Auf
gabe der ein bis zwei Rheumazentren jedes neuen Bundeslandes sein. Die Pa
tienten sollen damit dem niedergelasse
nen Kollegen nicht weggenommen wer
den. Sie sollen dort nur erfaßt werden und es soll dort der Umfang der gesam
ten Betreuung koordiniert werden, diese reicht ja von der Ergotherapie bis zur Rheumachirurgie.
Ich würde mir wünschen, daß man in einem zweiten Schritt die Eortbildung re
gional ganz patientennah betreibt. Eür das Rheumazentrum Leipzig wollen wir die Möglichkeit von Gruppenhospitatio
nen und Patientenvorstellungen schaffen.
Am Patienten selbst könnte man aus dem, was jetzt an theoretischen Grundlagen geschaffen ist, noch zu einer besseren gemeinsamen Sprache kommen.
Merckle Konsensus-Initiative:
Was bringt die Zukunft?
Die Resonanz auf die Merckle Kon- senus-Seminare bestätigt uns in un
serem Vorhaben, den Allgemeinärz
ten in den neuen Bundesländern eine qualifizierte Fortbildung für den Be
reich Bewegungsapparat und Fett
stoffwechsel anzubieten.
Ungeachtet des anhaltend starken Interesses an dieser Form der Fort
bildung arbeiten wir an der Weiter
entwicklung dieses Konzeptes. Es ist unsere Intention, von dem bisheri
gen theoretischen Themenschwer
punkt wegzukommen und dem Arzt
»Therapie zum Anfassen« zu bieten.
Dieses Modell der Kasuistiken und Klinikvisiten testen wir derzeit in Leipzig und bei den Bucher Rheuma
tagen.
Neben dem wissenschaftlichen Auf
trag eines pharmazeutischen Her
stellers ist die wirtschaftliche Trag
fähigkeit solcher Projekte bei einer Bewertung zu berücksichtigen. Dies ist gerade in der momentanen Situa
tion zwingende Realität geworden, vor der sich auch das Haus Merckle nicht verschließen kann. Dies stellt in der Konsequenz nicht die Idee der Merckle Konsensus-Initative in Frage, zwingt jedoch zu einer län
gerfristig ausgelegten Planung.
Dokumentation Günther Buck Obere Grabenstraße 42 7315 Weilheim/Teck