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Besuch in Polen – Beobachtungen in einer Kita

Im Dokument OPUS 4 | Offen für Neues (Seite 89-92)

Erfahrungen in der Kinderbetreuung in einer Einrichtung in Poznan / Michael Götze-Ohlrich

Im Juni 2004 konnte ich an einer Studienfahrt nach Poznan teilnehmen. Unser Ziel war es, Vorschuleinrichtungen und Strukturen früh-kindlicher Bildung in Polen kennen zu lernen sowie uns über die Ausbildung des pädagogi-schen Personals zu informieren.

Poznan, eine wunderschöne Stadt, die sich auch aus touristischen Gründen zu besuchen lohnt, hat rund 560 000 Einwohner, ist also für brandenburgische Verhältnisse riesig und lei-det – genau so wie unsere Kommunen – unter einem erheblichen Geburtenrückgang in den letzten Jahren. Rund 1000 Plätze in Kindereinrichtungen sind unbesetzt. In der Vorschulerziehung werden zwei Formen unterschieden: die kostenfreie Vorschule mit 5 Stunden pro Tag und der Kindergarten mit längeren Betreuungszeiten und Kostenbeteili-gung der Eltern. Ab September 2004 ist der Kita-Besuch für Sechsjährige übrigens obli-gatorisch. Die rechtlichen Bedingungen der Kinderbetreuung werden von der Zentralre-gierung vorgegeben. Für die Fachaufsicht ist ein Kurator zuständig, dem mehrere Visitato-ren unterstehen. Neben den Kitas gehöVisitato-ren auch Schulen und Weiterbildungen in die fachliche Verantwortung des Kuratoriums. Die Kita-Gebäude werden durch die Kommunen gestellt und bewirtschaftet, die auch für die finanziellen Mittel Verantwortung tragen.

Unser fachlicher Austausch gestaltete sich etwas problematisch. Das lag nicht an sprachlichen Barrieren, wir hatten immer Dol-metscher an unserer Seite, es lag eher an der Inszenierung der Treffen. Die Besuche liefen nach dem Stil sozialistischer Betriebsbesichti-gungen ab: vorbereitete Statements, die da-rauf abzielten, einen guten Eindruck zu hin-terlassen, reichliches Essen, keine Fragen der Gastgeber, wie wir zu bestimmten fach-lichen Problemen oder Fragen stehen. Alles war perfekt organisiert. In den Häusern war es sehr still, als wir kamen. Immer, wenn wir einen Raum betraten, begann gerade ein Spiel oder eine Aufführung. Ich hatte das Gefühl, dass entsprechende Botschaften per Handy ausgetauscht wurden.

Auch wenn die Diskussion zu pädagogischen Themen erschwert war, haben mir drei Dinge besonders gut gefallen:

1. Die pädagogischen Kräfte begreifen sich als Lehrer. Kitas gehören zum Bereich Volksbildung (so wie es auch in der DDR organisiert war), sind also primär Bil-dungseinrichtungen. Die pädagogischen Fachkräfte haben eine zwei- bis fünfjähri-ge Lehrerausbildung abfünfjähri-geschlossen. Für 25 Kinder stehen 2 volle Lehrerstellen zur Verfügung.

2. Die Arbeitsorganisation in den Kitas ermöglicht systematische Vorbereitun-gen und BeobachtunVorbereitun-gen. Wie auch in der Schule sind für die Pädagogen nur 25 Stunden Kontaktstunden mit Kindern. Der

90 AUS DER PRAXIS – FÜR DIE PRAXIS Rest steht für Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Beobachtungen zur Verfügung. Jedes halbe Jahr soll ein Ent-wicklungsbericht gefertigt werden. (Aller-dings habe ich einen solchen nicht gese-hen.) In jedem Kindergarten gibt es zusätzlich 2 Stunden pro Woche einen Psychologen, in Integrationseinrichtungen für fünf Stunden. Der Personalschlüssel entspricht also in etwa dem im Land Bran-denburg.

3. Ganz selbstverständlich werden Kinder ab dem dritten Lebensjahr nicht nur mit dem Erlernen schulnaher Basiskompetenzen konfrontiert, sondern auch mit Buchsta-ben, Zahlen, Landkarten oder Mengen-begriffen. In vielen deutschen Einrichtun-gen erfahren die Kinder Symbolbedeutun-gen nicht auf so natürliche Weise, Zahlen

und Buchstaben scheinen aus manchen Räumen brandenburgischer Kitas regel-recht verbannt.

Natürlich gab es auch Beobachtungen, die mir nicht gefallen haben:

1. Das pädagogische Setting:Die Lehrer machen den Unterricht, das heißt, sie ver-mitteln in der ihnen sinnvoll erscheinen-den Didaktik Unterrichtsinhalte. Sie legen fest, welche Bedürfnisse der Kinder befriedigt werden müssen, ggf. per Diag-nose durch einen Arzt. Selbstbestim-mungsrechte der Kinder, autonomes Ler-nen, individuelle Entwicklungswege usw.

spielen im Denken der Lehrkräfte keine oder eine sehr untergeordnete Rolle.

Werkstätten oder Experimentierräume habe ich nicht gesehen.

2. Der Umgang mit Eltern:Als Eltern die Kinder abholen wollten, warteten sie im Flur. Eine „Pförtnerin“ rief per Lautspre-cher die Kinder aus, deren Eltern gekom-men waren. Nur wenn Eltern es ausdrück-lich wünschen, findet ein Gespräch mit den pädagogischen Fachkräften statt.

Eltern haben nicht oder nur sehr einge-grenzt die Möglichkeit, Bildung und Erzie-hung in einer Kita mitzugestalten.

3. Die Integration von Kindern mit beson-derem Bedarf:Integrationskinder werden nur punktuell integriert. In einem Raum befanden sich ausschließlich behinderte Kinder mit mehreren Betreuern. Der Raum war, als wir kamen, abgeschlossen.

Als wir in einen anderen Gruppenraum gingen, „entwischte“ ein geistig behinder-tes Kind in die andere Gruppe und wurde sofort „eingefangen“ Ein Kontakt mit „nor-malen“ Kindern, so wurde uns erklärt, fände beim Malen, bei Musik und Bewe-gung statt – Aktivitäten, die wieder nur zu

den von den Lehrkräften festgesetzten Zeiten durchgeführt werden.

Hoch zu loben ist das Engagement der Kita-Mitarbeiter, dabei werden sie eher schlecht bezahlt. Das monatliche Einkommen liegt zwischen 200 und 500 €, für Miete muss man monatlich 150 €einplanen.

Vor weiteren gegenseitigen Besuchen ist es sicher vorteilhaft, die Erwartungen der polni-schen und deutpolni-schen Kollegen transparent zu machen und aufeinander abzustimmen. Ich wünsche mir kontroverse fachliche Diskussio-nen mit den polnischen Kollegen, weil ich nur dadurch meinen Horizont erweitern kann.

Kontakt: Michael Götze-Ohlrich Pädagogisches Controlling Jugend- und Sozialwerk gGmbH Oranienburg

Mühlenfeld 12 16515 Oranienburg Tel.: 03301/ 834116

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