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Beschreibung und Auswertung der Leseforschung

Im Dokument II. Empirische Forschung (Seite 120-124)

I. Theoretischer Teil

5 Leseforschung Nr. 2: Erstlesebücher im DaF-Unterricht (in Tschechien)

5.4 Detaillierte Beschreibung des Experiments

5.4.3 Beschreibung und Auswertung der Leseforschung

An der Forschung nahmen insgesamt 22 Probanden teil. 12 Probanden (10 Jungen und 2 Mädchen) aus der achten Klasse und 10 Probanden (4 Jungen und 6 Mädchen) und aus der neunten Klasse der Grundschule.

Die Ergebnisse der Forschung werden hinsichtlich der Aspekte, bei denen es eine interessante Korrelation oder einen interessanten Unterschied zu den Ergebnissen der Leseforschung bei lesenlernenden Kindern gibt, vergleichend kommentiert.

Die Haltung der Probanden zum Lesen ist geteilt: die eine Hälfte der Probanden liest gern, die andere Hälfte liest nicht gern. Diejenigen, die gern lesen, geben oft an, dass ihnen das konkrete Buch Spaß machen muss;nur einige Schüler führten eine konkrete Gattung oder Spezifizierung (Scifi, historische Lektüre, Comics, Bücher der ersten Hälfte des 20.

Jahrhunderts wie die Bücher von Čapek oder Remargue) an.

Unter denjenigen, die angeben, dass sie nicht gern lesen, gibt es nur einen Probanden, bei dem seinen Angaben nach niemand in der Familie liest. Bei der Mehrheit von Nicht-Lesern gibt es im engen Familienkreis253 immer jemanden, der gern liest (Eltern, Mutter, Geschwister). Zwei Probanden nannten als Leser in ihrer Familie die Großeltern.

Fast die Hälfte derjenigen Probanden, die gern lesen, gaben vom Text neben der Beschreibung von Selmas Aussehen und vom Kinderzimmer auch Informationen über Selmas Charakter (dass sie kein nettes Mädchen ist) wider. Daraus lässt sich der folgende Schluss ziehen: Obwohl alle Probanden mehr oder weniger gleiche Deutschkenntnisse hatten, ermöglichten die allgemeine Lesekompetenz, die größere Leseerfahrung und das Leseinteresse dem entsprechenden Leser ein tieferes Textverständnis. Ein Mädchen, das das Lesen liebt, entlarvte sogar auf Grund ihrer Leseerfahrungen, dass der Text über Selma humorvoll wirken soll.

Die Nacherzählungen der Nicht-Leser sind im Vergleich mit den anderen Nacherzählungen fragmentarischer und kürzer, was mit ihrer Haltung zum Lesen und dem Text zusammenhängt. Man kann behaupten, dass es wahrscheinlich ist, dass Nicht-Leser an der Dekodierung eines Texts (den sie sich nicht selbst ausgesucht haben) sehr wenig Interesse haben.

Die Mehrheit aller Kinder gab die vereinfachte Version als die einfachere zum Lesen an; nur in der achten Klasse gab es drei Probanden, die als einfachere Version die

253 Unter dem engen Familienkreis verstehen wir die Verbindung von zwei Generationen (Eltern, Kinder).

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Originalversion ansahen (dabei entsprach die Originalversion dem zweitgelesenen Text). In der neunten Klasse gab es niemanden, der die Originalversion als einfacher zu lesen ansah.

Zusammengefasst gaben 89,66 % aller Probanden die vereinfachte Version als die einfachere zu lesen an. Dieses Ergebnis ähnelt der Forschung bei den österreichischen Kindern aus der zweiten Klasse. Aus diesem Grund lässt sich behaupten, dass Deutschlernende beim Lesen auf die formale Seite der Sprache (und daher auch auf die Lesbarkeitskriterien) ähnlich wie lesenlernende Kinder reagieren.

Abb. 9: Ergebnisse der Textvarianten zum Buch über Selma bei den Acht-/Neuntklässlern

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Originalversion nur von Probanden aus der achten Klasse als die einfachere zum Lesen angesehen wurde. Es ließe sich vermuten, dass sich eher diejenigen für die Originalvariante entscheiden, die Deutsch schon länger lernen. (Von der Deutschlehrerin der Probanden bekam ich die Information, dass keiner von diesen drei Probanden vor der sechsten Klasse Deutsch gelernt hatte.) Zwischen den Achtklässlern und Neuntklässlern bestanden demnach keine erheblichen Unterschiede, was die Lesefertigkeit in deutscher Sprache betraf.

Während die Ergebnisse der Bewertung der Lesbarkeit mit den Ergebnissen der Forschung bei deutschsprachigen Kindern aus der zweiten Klasse vergleichbar sind, unterscheiden sich die Ergebnisse dieser zwei Forschungen in der Untersuchung der Nacherzählungen, und zwar in zwei Punkten, welche mit der kognitiven Reife der Probanden, mit ihrer allgemeiner Lesefertigkeit sowie mit dem Kontext (Text in der Fremdsprache vs.

Text in der Muttersprache) zusammenhängt.

Einerseits fangen Achtklässler und Neuntklässler ihre Nacherzählung fast immer mit Selmas Aussehen an (und folgen somit den inhaltlichen Aufbau des Texts); in diesem Punkt ähneln sie den Drittklässlern (deren Leseprozess bereits automatisiert ist); unter den Zweitklässlern gibt es auch Kinder, die ihre Nacherzählung vom Ende des Texts her

Originalversion 10%

Vereinfachte Variante

90%

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anfangen. Desweiteren verwenden Achtklässler und Neuntklässler für die Nacherzählung oft auch die Metasprache: sie bestimmen die thematischen Bausteine des Texts (zum Beispiel:

„am Anfang war die Beschreibung von Selma“ oder „am Anfang wird beschrieben, dass sie blonde Haare hat“) und kommentieren auch das Nacherzählen an sich (zum Beispiel drücken sie aus, welche Wörter sie nicht verstanden haben und versuchen die Bedeutung zu erraten).

Bei der Wahl eines Erstlesebuchs für den Deutschunterricht entschieden sich die meisten Probanden für das Buch Romeo und Juliane (sieben Probanden) und für das Buch Kleiner Bruder Watomi (sechs Probanden). Unter diesen Probanden war der Anteil der Mädchen und Jungen ausgeglichen. Für das Buch Opageschichten vom Franz entschieden sich fünf Jungen und für das Buch Das Sams und die Wunschmaschine zwei Probanden (ein Mädchen und ein Junge). Ein Junge konnte sich nicht entscheiden und wählte zwei Bücher: das Buch über das Sams und das Buch über Watomi.

Als Gründe für die Wahl des Buchs Romeo und Juliane gaben die meisten Probanden an, dass der Text leicht und verständlich sei, zwei Probanden schätzten die schönen Illustrationen.

Die Gründe für die Wahl des Buchs Kleiner Bruder Watomi waren unterschiedlicher:

entsprechend die leichte Sprache, die schönen Illustrationen, das Thema (Indianer), das ausgeglichene Verhältnis zwischen Text und Illustrationen. Die Wahl des Buchs Opageschichten vom Franz begründeten die Probanden mit dem großen Textumfang, mit der leichten Sprache und dem Schreibstil der Autorin. Als Grund für die Wahl des Buchs Das Sams und die Wunschmaschine gaben beide Probanden an, dass der Text leicht sei.

Abb. 10: Ergebnisse bei der ersten Wahl eines Buchs für den Deutschunterricht

Romeo und Juliane

33%

Kleiner Bruder Watomi

31%

Opageschichten vom Franz

24%

Das Sams und die Wunschmaschine

12%

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Im zweiten Durchlauf, als zusätzlich zu den Erstlesebüchern auch die Erstlesehefte zur Auswahl standen, änderte eine Hälfte der Probanden ihre erste Wahl; genauer gesagt änderten zehn Probanden die erste Wahl komplett (statt eines Buchs entschieden sie sich für ein Erstleseheft); zwei Probanden änderten ihre Wahl teilweise (sie konnten sich nicht zwischen einem Erstleseheft und einem Erstlesebuch entscheiden). Unter diesen zwölf Probanden waren genau eine Hälfte Nicht-Leser und eine Hälfte Schüler, die gerne lesen.

Am häufigsten erwähnte Grund für die Wahl eines Erstlesehefts war die einfache Sprache.

Weitere Gründe waren, dass man es schnell zu Ende lesen und dann darüber sprechen kann;

dass man ins Erstleseheft schreiben kann; dass das Thema oder die Pointe gut sind. Die Begründung für die Wahl des Erstlesebuchs auch bei der zweiten Wahl war, dass die Geschichte länger ist; dass das Medium Buch besser ist und dass man sich hineinlesen kann.

Der Zugang zur Wahl des Erstlesebuchs oder des Erstlesehefts lässt sich in zwei Typen aufteilen: Den ersten Zugang bezeichnen wir als literarischen Zugang, den anderen Zugang als pragmatischen Zugang. Der literarische Zugang bevorzugt bei der Wahl das potentielle literarische Erlebnis; der pragmatische Zugang zieht die potentielle Arbeit mit dem Medium im Unterricht vor.

Der Zugang der einzelnen Probanden hängt nicht unbedingt mit ihrer Haltung zum Lesen zusammen. Unter den Probanden, die sich auch bei der zweiten Wahl für ein Buch entschieden, gab es auch Nichtleser und umgekehrt waren unter denjenigen, die sich für ein Erstleseheft entschieden, die Hälfte Leser.

Die meisten der Probanden, die sich für ein Erstleseheft entschieden, entschieden sich entweder für die Geschichte Macht, was ihr gerne macht (fünf Probanden), oder für die Geschichte Ich will eine Schlange (fünf Probanden). Die Gründe für die Auswahl hingen vor allem mit dem Thema der Geschichte zusammen. Zwei Probanden entschieden sich für die Geschichte Saft für Wespen.

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Abb. 11: Ergebnisse bei der Wahl eines konkreten Erstlesehefts bei der zweiten Wahl eines Mediums für den Deutschunterricht

Überprüfung der zwei aufgestellten Hypothesen

Die erste Hypothese, dass die in der Leseforschung an der österreichischen Volksschule überprüften Lesbarkeitskriterien auch im DaF-Kontext gelten, d. h. dass Deutschlernende aus den zwei Textversionen diejenige als einfacher zum Lesen ansehen, welche anhand der ausgewählten Lesbarkeitskriterien vereinfacht wurde, wurde bestätigt.

Die zweite Hypothese besagte, dass Deutschlernende, die auch in der Muttersprache gerne lesen, den Text in der Fremdsprache besser verstehen als diejenigen, die im Allgemeinen nicht gerne lesen. Auch diese Hypothese wurde bestätigt.

Im Dokument II. Empirische Forschung (Seite 120-124)