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Analyse der Geschichte Das Sams und die Wunschmaschine in Bezug auf ihre

Im Dokument II. Empirische Forschung (Seite 99-104)

I. Theoretischer Teil

3 Komplexe Textanalyse von sechs ausgewählten Erstlesebüchern mit Rücksicht auf den GER

3.2 Erstlesetextanalysen in Bezug auf die Strukturkomponenten und literarische Merkmale 69

3.2.6 Paul Maar – Das Sams und die Wunschmaschine

3.2.6.1 Analyse der Geschichte Das Sams und die Wunschmaschine in Bezug auf ihre

Diese Sams-Geschichte erzählt von einem der Besuche Sams bei Herrn Taschenbier. Das märchenhafte und zugleich komische Wesen Sams hat eine bestimmte Anzahl von blauen Wunschpunkten im Gesicht, die Herr Taschenbier zur Erfüllung seiner Wünsche nutzen kann.

Jedoch ist Herr Taschenbier unfähig, seine Wünsche genau zu formulieren; außerdem denkt er kurzsichtig und ist faul, wodurch jede Menge Schwierigkeiten ausgelöst werden, bis er endlich zu seiner Wunschmaschine kommt und sie ausprobieren kann. Selbst dann dauert es noch eine Weile, bis er seinen Wunsch nach viel Geld präzise ausdrückt.

Die Thematik dieser Geschichte ist die Unreife des erwachsenen Herrn Taschenbier.

Die Unreife offenbart sich durch seine Wünsche und langsamen Reflektionen über Situationen und wird noch deutlicher bei Anwesenheit des Sams, das zwar wie ein Kind aussieht, aber im Unterschied zu Herrn Taschenbier geistig reif ist. Zu den Themen gehören auch das Formulieren von Wünschen und die Geldsucht. Das Thema menschliche Geldsucht wird jedoch nur angedeutet. Die Themenentfaltung bleibt durchlaufend narrativ-erzählerisch; die Thematik entfaltet sich ausgewogen im Rahmen der Dimension des Erzählers sowie der Dimension der Figurenrede. (Vor der Entfaltung der eigentlichen Geschichte steht noch eine Art Prolog, der bei allen Sams-Geschichten präsent ist; in diesem vorangestellten Textabschnitt wird erzählt, unter welchen Umständen das Sams zu Herrn Taschenbier gekommen ist.)

Die Motivik setzt sich vor allem aus mangelhaften Wünschen (angezogen sein vs. einen Anzug anhaben, auf dem Speicher stehen vs. auf unserem Speicher stehen, viel Geld /Euro/

vs. viel Geld /verschiedene Währungen/) oder unnötigen Wünschen („Jetzt wünsche ich, dass ich den linken Strumpf anhabe! Und den rechten Strumpf! Und nun die Schuhe!241) zusammen. Das Zaubergerät, die Wunschmaschine, ist ebenfalls als ein wichtiges Motiv anzusehen. Bedeutend ist auch das Motiv der Warnung, von dem das Falschwünschen begleitet wird. Die größten, durch das fehlerhafte Formulieren von Wünschen entstandenen Schwierigkeiten werden durchdas Auftreten von Polizei und durch den Druck von der schrumpfenden Zahl von Sams‟ Wunschpunkten signalisiert. Das aus der Literatur bekannte

241 MAAR, Paul. Das Sams und die Wunschmaschine. S. 11.

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Motiv der Tür als Trennung wird in dieser Geschichte eingesetzt, um die Spannung zu steigern.

Für zeit-räumliche Situierung ist prägend, dass sich die ganze Geschichte innerhalb von vier Wänden abspielt und trotzdem aufgrund der Möglichkeit, beliebige Wünsche auszusprechen, eine ziemlich turbulente Entwicklung nimmt. Die Isolation (zusammen mit der Unberechenbarkeit von Taschenbiers Wünschen) steigert die Spannung. Die Geschichte hat zwei Hauptschauplätze: Taschenbiers Haus (seine Wohnung und den Dachboden) und Herr Lürchers Haus (den Dachboden und den Raum vor der Dachgeschosstür); anders ausgedrückt handelt es sich um die im Kontrast zueinander stehenden Schauplätze Zuhause (das ist die sichere) und Fremde (hier gibt es Gefahr). Die Aufteilung des Schauplatzes bei Herrn Lürcher durch das Motiv Tür auf den Raum vor der Tür im Speicher und den Raum hinter der Tür auf der Treppe ist wichtig. Der Raum, in dem sich die Geschichte abspielt, wird also durch wenige, aber dafür physikalisch prägende Konturen gezeichnet, wodurch der eigentlichen Handlung dem Verhalten der Figuren, Aktion und den Dialogen viel Relevanz zugemessen wird. Die ganze Geschichte findet an einem Vormittag statt, also innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne. Das Motiv „jetzt und hier“ ist dabei bestimmend (Zeitpunkte wie heute, jetzt, nun, schon, gleich kommen in der Geschichte häufig vor.). Auch dies dient der Spannung.

Die Handlung beginnt sich am Morgen. Der Leser wird mit den Prämissen der Geschichte vertraut gemacht, indem erzählt wird, dass Herr Taschenbier nicht lange weiß, dass ihm das Sams alle Wünsche erfüllen kann, und deshalb vom Wünschen begeistert ist.

Danach folgt eine Szene, in der sich Taschenbier mittels Wünschen Stück für Stück anzieht, dem das Sams traurig zuschaut und darauf hinweist, dass Herr Taschenbier (den es „Papa“

nennt) nicht nur genau, sondern auch überlegt wünschen soll. Herr Taschenbier stimmt dem Sams zu und will zu seiner Wunschmaschine (zu der er in einer anderen Sams-Geschichte gekommen ist). Allerdings ist er zu faul, die Treppe hochzulaufen, und nicht imstande, seinen Wunsch genau zu formulieren, also geraten das Sams und er versehentlich auf einen unbekannten Dachboden. Hier werden sie vom Besitzer des Dachbodens, Herrn Lürcher, erwischt und weil Herrn Taschenbier nicht klar ist, dass er nicht auf seinem eigenen Dachboden steht, kommt es zu einem Streit zwischen den zwei Männern. Dieser endet damit, dass Herr Lürcher die Polizei anruft. Die Polizisten kommen zwar schnell, aber Herr Taschenbier schafft es, sich aus dem Speicher wegzuwünschen. In der Zwischenzeit gelangt Herr Taschenbier mit dem Sams in den richtigen Speicher und transportiert die kaputte Wunschmaschine mit einem Wunsch in sein Zimmer. Letztendlich gelingt es ihm, die

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Maschine in Gang zu setzen und seinen Wunsch nach viel Geld richtig zu formulieren. Die Geschichte endet damit, dass er sich die Jackentaschen mit Geldscheinen vollstopft und aus dem Haus geht. Als Verflechtung kann man also die Reihe mangelhafter und folgenschwerer Wünsche, die sich als Hürde zum Erreichen der Wunschmaschine ergeben, bezeichnen.

Die Hauptfiguren dieser Geschichte sind das Sams und Herr Taschenbier, die zusammen ein Protagonisten-Duo bilden. Sie werden von allem durch ihr Handeln und ihre Sprache charakterisiert, wobei die Figur Sams auch durch ihr Aussehen definiert ist. Was sich innerlich in den Figuren abspielt, wird nicht erzählt. Das Sams ist ein Wesen, das Herrn Taschenbier offensichtlich als Vater lieb ansieht und ihm jederzeit zur Verfügung steht. Das Sams erscheint zwar in der Rolle eines Kindes, aber in Wirklichkeit tritt er gegenüber Herrn Taschenbier als Erwachsener auf. Es belehrt Herrn Taschenbier, warnt ihn, gibt ihm Ratschläge, aber es kritisiert ihn nicht und gibt ihm Freiheit. So ähnelt das Sams einem literarischen Picaro, der sich beschränkt stellt und zugleich dem Anderen den Spiegel vorhält.

Herr Taschenbier ist ein gutmütiger, etwas stumpfsinniger Mann im mittleren Alter, der sich im Vergleich mit dem Sams als Kind zeigt. Diese Konstellation wirkt humoristisch. In der Geschichte treten noch zwei weitere Figuren auf: Herr Lürcher und das Polizistenpaar. Ihr Charakter wird durch das Handeln in der jeweiligen Situation bestimmt. Herr Lürcher erwischt der auf seinem Speicher zwei fremden und seltsamen Wesen und ruft die Polizei an, nachdem Herr Taschenbier nicht in der Lage war, ihm seine Anwesenheit zu begründen. Das Polizistenduo besteht aus zwei Männern, die ihre Routinearbeit ausüben (sie kommen infolge des Anrufs, nehmen die Zeugenaussage auf und ärgern sich, als es sich herausstellt, dass der Anruf unbegründet war).

Die Erzähltechnik ist erheblich von der Figurenrede bestimmt. Die Dialogizität ist in diesem Text sehr hoch und treibt die Handlung nach vorne. Die Erzählinstanz gleicht einem auktorialen Erzähler, welcher den Figurenäußerungen einen Rahmen gibt. Er führt ein, wann und wie sie aufeinander reagieren, verfolgt die Figuren als aktiv handelnde Einheiten und verzichtet auf eine detaillierte Beschreibung der Umgebung. Überwiegend folgt die Erzählinstanz dem Protagonisten-Duo, nur in einem Kapitel richtet sich ihr Fokus auf die anderen Figuren, und zwar in dem Kapitel namens An der Nase herumgeführt, das von der peinlichen Situation Herr Lürchers und den zwei Polizisten, die umsonst gerufen wurden erzählt. Die erzählte Zeit beträgt kaum einen Vormittag und ist trotzdem länger als die Erzählzeit. Die Erzählzeit dehnt sich jedoch mittels der hohen Dialogizität in Richtung der erzählten Zeit.

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Die eigentliche Geschichte besteht aus sechs Kapiteln. Diesen Kapiteln ist ein Prolog vorangestellt. Die Komposition der Geschichte ist chronologisch. Die Gliederung der Kapitel basiert auf der Änderung der zeit-räumlichen Situierung (z.B. erstes Kapitel: Herr Taschenbier steht auf und zieht sich mittels Wünschen an; zweites Kapitel: Herr Taschenbier gerät durch einen mangelhaften Wunsch auf einen fremden Speicher), auf der Änderung des Fokus der Erzählinstanz (drittes Kapitel: Herr Lürcher führt die Polizisten auf seinen Speicher, der aber bereits leer ist) oder auf der Änderung der Bedingungen innerhalb eines Raums (Kapitel 4: die Wunschmaschine wird durch einen fehlenden Hebel komplettiert und nun einsatzbereit; Kapitel 5: Herr Taschenbier formuliert seinen Wunsch nach viel Geld nicht genau genug; im letzten Kapitel gelingt das Wünschen endlich).

Die Sprachliche Komponente ist wesentlich durch direkte Rede und sich schnell abwechselnde Repliken gekennzeichnet, also entsteht der Eindruck, dass sich die Handlung aktuell („jetzt und hier“) entwickelt. Der Leser bekommt durch die hohe Dialogizität auch das Gefühl, dass er sich direkt in der geschilderten Situation befindet. Die direkte Rede ist überwiegend im Präsens verfasst – im Unterschied zur Dimension des Erzählers, der vor allem das Präteritum verwendet. Die Sprache allgemein ist arm an Adjektiven, wodurch die Schnelligkeit des Erzähltempos unterstützt wird. Die Poetik der Sprache beruht auch auf der Kinetik, welche zur Dynamik beiträgt („Dabei kippte der Korb um, und Hunderte von Euros rollten durch das ganze Zimmer.“242).

Syntaktisch wird der Text vom Thema Wünschen und vom Abzählen verschwundener Sams-Punkte geprägt. Aus diesem Grund fidnen sich viele syntaktische Variierungen des Ausdrückens von Wünschen (Heute wünsche ich mir, dass; Ich wünsche mir, dass; Jetzt wünsche ich, dass; Ich wünsche, dass) sowie vom Abzählen („Jetzt habe ich nur noch fünf Punkte.243; „Jetzt habe ich nur noch vier Punkte.“244; „Drei,“ zählte das Sams“245.). Das ist für Leseanfänger sehr lesefreundlich. Auf der anderen Seite steht der Text unter dem Einfluss der bereits erwähnten Dialogizität, die die syntaktische Konstruktionen stark beeinflusst: die Repliken werden vom Erzähler angeführt, ergänzt oder abgeschlossen. Die Dialoge sind manchmal so lang, dass es für Leseanfänger anstrengend sein kann, den ganzen Dialogverlauf im Kopf zu behalten. Obwohl der Text ziemlich viele Satzgefüge und andere schwer lesbare Satzkonstruktionen (z.B. Passiv-Konstruktionen) aufweist, wird das Verständnis dieser

242 Ebd., S. 35.

243 Ebd., S. 15.

244 Ebd., S. 24.

245 Ebd., S. 25.

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Fragmente durch andere Mittel ausgeglichen (zum Beispiel durch Wiederholung und Variierung).

Die Lexik ist vor allem durch Wörter und Wortverbindungen mit einer Zeitangabe (an diesem Morgen, im nächsten Moment, heute, jetzt, nun etc.) und Wörtern, die mit dem Wünschen zusammenhängen (Wunschmaschine, Wunschpunkte im Gesicht, wünschen, wegwünschen, weiterwünschen etc.), geprägt. Auch das Motiv der Wunschmaschine wird von einer spezifischen Wortauswahl begleitet (ein Knopf zum Einschalten, Wunschmaschine in Gang setzen/bringen, ein (Dreh-)Griff, ein Hebel, ein kleines rotes Lämpchen, ein Trichter, ein Summton, summen, blinken). Ein spezifisches Wortfeld bringt auch das Thema Geld mit sich (Zwei-Euro-Stück, Zwanzig-Dollar-Schein, Geldscheine, Rubel, Kronen, Schweizer Franken, Zehn-Pfund-Schein, zentnerschwer etc.).

Diese Geschichte enthält nur einen Handlungsstrang, also muss die Frage gestellt werden, ob diese Geschichte organisch genug zusammenhält, um sie als Geschichte zu bezeichnen.

Die Geschichte hält zeit-räumlich zusammen und innerhalb dieses Rahmens handeln die Figuren motiviert und ihrem Charakter gemäß. Auf der anderen Seite fehlt ein Konflikt, der der Botschaft der Geschichte einen höheren Sinn geben würde. So entsteht eher das Gefühl, dass man sich am Ende des Buches wieder am Anfang der Geschichte befindet. Das kann wiederum die Leser dazu motivieren, sich den nächsten Teil der Sams-Geschichte zu besorgen. Dennoch kann das Buch als allein stehendes Werk gelesen wedren.

Die Echtheit der literarischen Darstellung dieser Geschichte in Bezug auf die geschilderte Welt ist hoch: man kann die geschilderten Ereignisse innerhalb der fiktiven Welt nachvollziehen. Die Echtheit des Autors zu seinem Schaffen ist ebenfalls groß und es scheint, dass dem Autor vor allem die Dialoge leicht von der Hand gehen. Dadurch schreitet die Geschichte flott und munter voran.

Spannend ist die Geschichte auch. Die Spannung basiert auf dem fortwährenden Konflikt zwischen dem Vorhaben Herrn Taschenbiers und der realen Auswirkung dieses Vorhabens.

Da Herr Taschenbier so unvorhersehbar ist, kann sich der Leser nie sicher sein, was als nächstes passieren wird. Die Spannung word zusätzlich gesteigert, indem das Protagonisten-Duo auf einen fremden Dachboden gerät.

Die literarische Botschaft ergibt sich aus der Figurenkonstelation: es gibt keine Garantie, dass die Erwachsenen tatsächlich erwachsen (reif) handeln. Das zeigt den Lesern, dass man die Welt mit Abstand betrachten soll. Die kindlichen Leser werden in eine Position versetzt, aus der sie das Handeln eines Erwachsenen beurteilen können. Dies ist ein wichtiges Leseerlebnis.

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3.2.7 Ergebnisse der Erstlesetextanalyse in Bezug auf den kindlichen Adressat und auf die

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