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Berufliche Rehabilitation psychisch kranker und suchtkranker

Im Dokument Landespsychiatrieplan Bremen 2010 (Seite 81-85)

Teil II Psychiatrische Versorgungsangebote im Land

3. Komplementäre Versorgungsangebote

3.3 Arbeits- und Beschäftigungsangebote

3.3.7 Berufliche Rehabilitation psychisch kranker und suchtkranker

Kunden der BAgIS (Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Sozia-les), also Bezieher von Arbeitslosengeld II – so genannte Hartz-IV-Empfänger, früher Sozialhilfeempfänger -, die psychisch oder suchtkrank sind, werden von den regionalen BHZ und Drogenhilfezentren im Hinblick auf Arbeit und Beschäftigung bzw. berufliche Rehabilitation auf Grundlage des § 16 a SGB II beraten. Diese Beratungen dienen der Stabilisierung bzw.

Orientierung. Die Anzahl der beratenen Kundinnen und Kunden stieg von 634 (2007) auf 684 Neufälle (2009). Neben dem Einsatz der flankierenden Maßnahmen nehmen viele suchtgefährdete Menschen, suchtkranke Perso-nen und psychisch kranke PersoPerso-nen an den verschiedePerso-nen, zielgruppen-übergreifenden Integrationsmaßnahmen der BAgIS und der ARGE Bre-merhaven teil, die sich potentiell an alle Arbeitsuchenden richten.

Am Klinikum Bremen-Ost gibt es die klinische Arbeitstherapie, die nach SGB V und VI arbeitstherapeutische Maßnahmen und Belastungser-probungen im Rahmen der medizinischen Behandlung durchführt. Krank-heits- oder behinderungsbedingte Einschränkungen versucht die klinische Arbeitstherapie zu beheben bzw. zu lindern, um so die berufliche Rehabili-tation fördern.

Mit der Schaffung strukturierter Beschäftigungsangebote nach § 11(3) SGB XII wurde seit Mitte 2009 für ca. 100 psychisch- und suchtkranke Per-sonen in Bremen eine gezielte Förderung gewährleistet. In Bremerhaven gibt es derartige Angebote bis dato nicht. Die Ziele liegen in der sozialen und gesundheitlichen Stabilisierung und der Wiederherstellung der Erwerbs-fähigkeit.

Speziell für suchtgefährdete- und suchtkranke Personen bietet die AWO Bremerhaven drei Projekte mit insgesamt 47 Plätzen an. Finanziert werden die Maßnahmen unter anderem aus Mitteln des Europäischen Sozi-alfonds.

Weiter sind in Bremerhaven mit den Modellprojekten „Ambulante tages-strukturierende Beschäftigung für psychisch kranke und suchtkranke Men-schen“ zwei entgeltfinanzierte Maßnahmen auf Basis des SGB XII entstan-den, die eine stationäre Unterbringung verhindern bzw. beenden sollen und auch als Alternative zur WfbM anzusehen sind. Mit der Vorlage eines

„Fach- und Steuerungsrahmenkonzeptes für den Bereich Arbeit und Be-schäftigung“ ist für die weitere Entwicklung eine wichtige Grundlage gelegt.

Zukünftige Handlungsfelder

Angebote im komplementären Bereich werden vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips, also der Nachrangigkeit staatlicher Leistungserbrin-gung im Rahmen der Sozialgesetzgebung, vorrangig von den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege erbracht. In den zurückliegenden Jahrzehnten des Auf- und Ausbaus komplementärer Versorgungsstrukturen ist eine umfäng-liche Palette an Hilfen und Angeboten außerhalb der ambulanten und kran-kenhausbezogenen Leistungen entstanden. Mit viel Kreativität und Enga-gement und der notwendigen Unterstützung durch Land und Stadtgemein-den haben die Wohlfahrtsverbände in Bremen nahezu in sämtlichen Berei-chen des Alltagslebens gemeindenahe Unterstützungsangebote für psy-chisch kranke und suchtkranke Bremer Bürgerinnen und Bürger entwickelt.

Zukünftig wird es darum gehen, die so entstandenen Hilfen noch passge-nauer im Sinne individueller Hilfebedarfe und kostenträgerübergreifend mit einem hohen Maß an Flexibilität als Komplexleistung zu gestalten. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass alle Angebote – ohne Ausnahmen – so zu organisieren sind, dass sie jedem Hilfeempfänger ausreichend Möglich-keiten eröffnen, mental und materiell unabhängig und selbstbestimmt leben zu können.

Zur Zielerreichung ist es unerlässlich, dass alle Akteure darauf hinwirken, dass es nicht zu neuen Ausgrenzungsformen kommt, angemessen entlohnte Arbeit als wichtiges Gut anerkannt wird und die psychisch kranken und suchtkranken Menschen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Aus-wahl ihrer Hilfen bekommen – beispielsweise durch eine vermehrte Inan-spruchnahme eines Persönlichen Budgets.

Zudem sollten die Hilfen im komplementären Bereich durch eine noch effektiver und effizienter gestaltete Kooperation – auch mit Anbietern am-bulanter und krankenhausbezogener Leistungen – optimiert werden. Als Stichwörter sind hier mehr Transparenz in der Leistungserbringung durch

die Entwicklung von Qualitätskriterien und entsprechenden Prüfrastern und von mehr Flexibilität seitens der Kostenträger durch trägerübergreifende Finanzierungsformen zu nennen.

An den nachfolgenden Themenfeldern werden beispielhaft aktuelle Hand-lungsfelder im komplementären Bereich aufgezeigt:

- Die dargestellte umfängliche Palette landesweiter komplementärer Betreuungsangebote gepaart mit den leicht erreichbaren stationären und ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Be-handlungsmöglichkeiten birgt das Risiko einer neuen Form der Hospitalisierung in sich. Die Versorgungsstrukturen sind so viel-schichtig und umfassend; sie decken nahezu sämtliche das Alltagsle-ben betreffende Bereiche der zu betreuenden Menschen ab. Es be-steht die Gefahr, dass diese gut gemeinte komplexe Hilfe dazu füh-ren kann, dass die in dem System lebenden psychisch kranken und suchtkranken Menschen sich einrichten und somit institutionell ein Leben lang versorgt werden, obwohl sie das Potential für eine selb-ständige Lebensführung hätten. Verstärkt wird dieses Risiko nicht zuletzt dadurch, dass in den Einrichtungen eine institutionell ge-prägte Sprache und Alltagsgestaltung vorherrscht, die in der Regel wenig mit „normalen“ Lebensverhältnissen zu tun haben. Eine wirkliche Integration und Identifikation der Klienten in und mit dem gesellschaftlichen Leben um sie herum, wird dadurch er-schwert.

- Die regionale und damit gemeindenahe Struktur der Hilfen und Leistungen für psychisch kranke und suchtkranke Bremerinnen und Bremer bedingt die Verpflichtung, auch innerhalb Bremens an-gemessene Hilfen vorzuhalten. Das gilt auch für im Umgang sehr schwierige Klientinnen und Klienten, die ein erhebliches Potential an Unterstützung benötigen bis hin zu zeitlich befristeten freiheits-entziehenden Maßnahmen. In Bremen scheint sich in diesem Zu-sammenhang eine Tendenz abzuzeichnen, psychisch kranke und suchtkranke Bremerinnen und Bremer, die zu dem beschriebenen Klientenkreis gehören, in auswärtige Heimeinrichtungen zu vermit-teln, die teils geschlossene Einrichtungen sind.

Es ist zu prüfen, inwieweit dieser Tendenz effektiv entgegengewirkt werden kann, damit auch als schwierig geltende chronisch psychisch kranke und suchtkranke Patientinnen und Patienten nicht ausgegrenzt und vom gesell-schaftlichen Leben in Bremen ausgeschlossen werden.

In diesem Kontext muss auch die Frage zum Bedarf für einen geschlos-senen Bereich innerhalb einer bestehenden Heimeinrichtung im Land Bremen gestellt und mit angemessenen konzeptionellen Überlegun-gen beantwortet werden. Ein schwieriges und sensibles Thema angesichts der Historie. Es kann und darf aber nicht sein, dass zeitlich befristete frei-heitsentziehende Maßnahmen, so sie denn in indizierten Fällen auch im komplementären Bereich unvermeidbar zu sein scheinen, in Bremen durch eine Form von „Abschiebung“ in andere Bundesländer tabuisiert werden.

- Angemessen entlohnte Arbeit ist sowohl für nicht behinderte Menschen als auch für psychisch Kranke ein zentrales Element, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Es sollte daher vor-rangiges Ziel sein, die Erwerbs- und Arbeitsfähigkeit psychisch kranker und suchtkranker Bürgerinnen und Bürger zu erhalten bzw.

zu fördern. Chronisch psychisch kranke Menschen, die aufgrund ih-rer Erkrankung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oftmals nur schwer eine angemessen entlohnte Tätigkeit finden, könnten mit un-terstützenden Hilfen wie den beschriebenen Angeboten, bessere Startchancen für einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt erhal-ten. Insofern ist anzustreben, Unterstützungsleistungen zu entwi-ckeln bzw. auszubauen. Darüber hinaus sollten sich verstärkt die Arbeitgeber und die entsprechenden Verbände dafür einsetzen, dass auch im Lande Bremen Arbeitsplätze für psychisch kranke Men-schen ausgebaut werden. Allerdings wäre darauf zu achten, dass die Arbeitsplatzanforderungen den Möglichkeiten oftmals einge-schränkten Leistungsfähigkeit angepasst werden. In dem Zusam-menhang sei darauf hingewiesen, dass nach dem Fehlzeiten-Report 2010 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) psychische Erkrankungen als Ursache für Fehlzeiten am Arbeitsplatz stark an-gestiegen sind. Die Zahl der auf diese Krankheitsart zurückgehen-den Arbeitsunfähigkeitsfälle ist seit 1998 um 93%, die der –tage um 82,6% gestiegen56. Als Gründe werden insbesondere von den Be-triebsärzten und den Gewerkschaften deutlich beschleunigte Pro-zesse in der Arbeitswelt sowie der offenere Umgang mit psychi-schen Problemen vermutet.

- Im Bereich der Suchtkrankenversorgung sollten die Kooperati-ons- und Koordinationsangebote zwischen allen Beteiligten verbes-sert werden. Zu denken wäre an die Entwicklung eines „Netzwer-kes“, an dem sich neben den klinischen, ambulanten und komple-mentären Leistungsanbietern auch die Leistungsträger / Institutio-nen der beruflichen Rehabilitation und die SelbsthilfeorganisatioInstitutio-nen beteiligen. Sinnvoll wäre es, wenn in dem Zusammenhang auch über regional übergreifende gemeinsame Standards und Qualitätskriterien nachgedacht würde.

56 vgl. Badura B., Schröder H., Klose J., Macco K. (2010): Fehlzeiten-Report 2010, Vielfalt managen:

Gesundheit fördern – Potentiale nutzen, S.295.

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