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Bernhard Heisig findet sein Thema im Widerspruch

I. Bernhard Heisig zwischen den Fronten der Kulturpolitik

I.3. Bernhard Heisig findet sein Thema im Widerspruch

a. Alfred Kurellas Wirken in Leipzig als "Ideologe der Rechtgläubigkeit"

Mit der Ernennung von Alfred Kurella zum Leiter der im Oktober 1957 gegründeten

"Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro der SED" leitete Walter Ulbricht

persönlich die Wende zurück in die Zeit vor dem "Neuen Kurs" ein. Kompromißlos sollte der Spätheimkehrer aus dem Exil in der stalinistischen Sowjetunion den Kampf gegen den

'ästhetischen Revisionismus' aufnehmen, der die Künstler an den autoritären Stil der Ende 1953 zugunsten des Ministeriums für Kultur aufgelösten "Staatlichen Kunstkommission"

erinnerte.

Mit der Kulturoffensive auf dem V. Parteitag (10.-16.7. 1958), auf dem Walter Ulbricht die Losung ausgab: "In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse der DDR bereits der Herr. Jetzt muß sie auch die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen"357 und mit der

"I. Bitterfelder Konferenz" am 24./25. April 1959 (vgl. Exkurs 2.f.) stiegen auch die ideologischen Ansprüche der Partei an die thematisch beliebigen und künstlerisch

mittelmäßigen Werke auf den Leipziger Bezirkskunstausstellungen (vgl. die Rezensionen von B. Heisig). Kurella, der bereits durch seine Tätigkeit als Direktor des Literaturinstituts (später Literaturinstitut Johannes R. Becher genannt)358 von 1954 bis 1957 mit Leipzig vertraut war, behielt auch nach seinem Wechsel in die Hauptstadt als Leiter der Kulturkommission beim Politbüro durch seine Frau Sonja, die er 1958 geheiratet hatte, enge Fühlung mit der Leipziger Kunstszene. Sonja Kurella war vor ihrer Heirat und dem Umzug nach Berlin

Abteilungsleiterin für Kultur- und Volksbildung in der Bezirksleitung Leipzig. Aus diesem Tätigkeitsfeld hatte sie gute Kenntnisse und Beziehungen zu den Leipziger Künstlern, z.B.

machte sie ihren Mann als erste auf den damals 29jährigen Maler Werner Tübke aufmerksam.359

357 Walter Ulbricht, Einige Probleme der Kulturrevolution. Auszug aus dem Referat "Der Kampf um den Frieden, für den Sieg des Sozialismus, für die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender

demokratischer Staat" auf dem V. Parteitag der SED, Juli 1958. In: ND vom 12.7. 1958. Zit.n. Dokumente, 1972, S. 536.

358 In seiner Eröffnungsrede als Direktor des "Instituts für Literatur" in Leipzig 1955 beschwor er die

"Lehrbarkeit der literarischen Meisterschaft" (Alfred Kurella, Wofür haben wir gekämpft? Beiträge zur Kultur und Zeitgeschichte, Veröffentlichung der Akademie der Künste der DDR, Aufbau Verlag, Berlin und Weimar 1975, S. 286-302.)

359 Sonja Kurella erklärte im Interview mit Lutz Dammbeck: "Na ja, die Leipziger Schule ist über die Astoria-Bilder von Werner Tübke entdeckt worden. Mich rief Ilse Dalinger, eine Freundin aus Leipzig, die beim Rat der Stadt arbeitete, an und sagte: Der Tübke hat mal einen Auftrag bekommen, zur Leipziger Messe fünf Gemälde für das Hotel Astoria zu malen. Er hat 10 Bilder gemalt [Fünf Diptychen zu den fünf Kontinenten, 1958, Öl auf Holz, jede der 10 Tafeln 275 x 147 cm, für den Speisesaal des Interhotels], die stehen jetzt hier im Keller herum, weil die Ökonomen des Hotels der Meinung sind, man könne diese Bilder den Messeonkels aus den

kapitalistischen Ländern [Thema war der Gegensatz zwischen sozialistischer und kapitalistischer

Gesellschaftsordnung, zwischen Kolonialismus und Befreiungsbewegungen, zwischen Arbeitern und Ausbeutern, Armut und Reichtum auf den fünf Kontinenten] nicht zumuten. Da habe ich dem Alfred gesagt, er solle doch, wenn er in Leipzig zu tun hat, sich mal die Bilder anschauen. Zusammen mit Abusch haben sie sich die Bilder angesehen und waren also begeistert davon. Von daher besteht diese Beziehung meines Mannes zu Tübke und seiner Malerei." Kurella sorgte auch dafür, daß der Arbeitsausschuß des Kuratoriums des Kulturfonds, einem Antrag des Rates des Bezirks Leipzig folgend, für Tübkes Astoria-Tafeln über das vereinbarte Honorar (16.000 Mark) hinaus eine Prämie gewährte. (Vgl. Brief des Vorsitzenden des Kuratoriums des Kulturfonds der DDR und Stellvertreters des Ministers für Kultur, Professor Hans Pischner, an Tübke vom 12.9. 1959. SAPMO-BArch DY 30, IV/2/2026/58.)

Offensichtlich hatte sich Tübke von den Wandbildern Diego Riveras anregen lassen. Eine Monographie über den Mexikaner war 1957 im Verlag der Kunst, Dresden erschienen. So wie Rivera seinen Kubismus aus der Pariser

Als erste Bewährungsprobe sahen die Partei- und Verbandsverantwortlichen die 5.

Bezirkskunstausstellung in Leipzig an, die am 14.6. 1959, weniger als zwei Monate nach der I. Bitterfelder Konferenz, eröffnet wurde. Die Verbandsleitung stellte in ihrer "Ideologischen Konzeption"360 zur 5. Kunstausstellung des VBKD Leipzig vom 2.3. 1959 den Mitgliedern die Aufgabe, "zu einer qualifizierteren künstlerischen Darstellung des sozialistischen Menschen zu kommen. Die ganze Vielfalt der Individualität der Menschen und ihre neuen gesellschaftlichen Beziehungen widerzuspiegeln, ist nur möglich, wenn anstelle einer oftmals noch schematischen Darstellung die psychologische Vertiefung ihrer Gestaltung und das Verstehen ihrer gesellschaftlichen Bezüge treten." Auf dem Bitterfelder Weg sollten die Künstler vor Ort das "Studium der Wirklichkeit" betreiben und durch den direkten Kontakt mit der 'herrschenden Klasse' "formaldekorative Scheinlösungen" überwinden. "Die vielen positiven und liebenswerten Erscheinungen des täglichen Lebens bieten, neben den großen historischen Ereignissen der Vergangenheit und der Gegenwart, reichen Stoff und eine vielfältige Thematik für einen parteilichen Künstler, der fest im Lager des Friedens und des Sozialismus steht. Deshalb gebührt der würdigste Platz im Kunstwerk weniger dem Künstler, sondern dem darzustellenden Leben. Der optimistische Grundgehalt des sozialistischen Realismus soll [...] die Werke [...] von allen Erscheinungen der Dekadenz abgrenzen."361 In einem "Entwurf zum Bericht der Abteilung Kultur des Rates des Bezirks an das Büro der Bezirksleitung der SED Leipzig" vom 15.5. 1959 wird stolz vermerkt, daß u.a. die Genossen Künstler Karl Weber, Heinrich Witz, Gerd Thielemann bereits "feste Verbindungen zu sozialistischen Gemeinschaften, zu Betrieben und LPG" haben. Erste Arbeiten als Ergebnis solcher Verbindungen würden die Richtigkeit des von der Partei gewiesenen Bitterfelder Weges bestätigen. Die Auseinandersetzungen über die "Überwindung von Erscheinungen der Selbstisolierung, des Individualismus und der intellektuellen Überheblichkeit, die einige Künstler gegenwärtig noch daran hindern, den Schritt vom Ich zum Wir zu tun und sich Brigaden der sozialistischen Arbeit anzuschließen"362, seien voll im Gange. Der psychische Druck auf die Verbandsmitglieder in Leipzig, in die Partei einzutreten und Verträge mit Betrieben und Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften (LPG) abzuschließen, muß zum damaligen Zeitpunkt sehr groß gewesen sein.

Der Maler Heinrich Witz, zugleich kulturpolitisch tätig als Sekretär für Kultur der

Gebietsleitung Leipzig der IG Metall, hatte bereits am 23.2. 1959 einen Vertrag mit der IG Wismut, der gewerkschaftlichen Sektion der SDAG Wismut abgeschlossen.363 Dort entstand

Periode mit der Orientierung an der Malerei der italienischen Frührenaissance hinter sich ließ, suchte Tübke seinerseits Inspiration im italienischen Manierismus. Kurella, der Rivera 1927 in Moskau kennengelernt hatte, empfand sicher Symphatie für diese demonstrative Wende aus der 'dekadenten' Moderne zurück zum Erbe der alten Meister. Vgl. dazu Lothar Lang, Die fünf Erdteile, in: Junge Kunst 8/1959, S. 25-32 und Horst Jähner, Schule alter Meister, "Die fünf Erdteile" von Werner Tübke, in: Sonntag, 27.9. 1959.

360 "Die Kulturabteilung der Bezirksleitung der Partei hatte für jede Bezirkskunstausstellung eine Konzeption abliefern müssen. [...] Aber man hat das nicht ernst genommen. [...] Das waren so Pflichtübungen." (Dammbeck, 20.4. 1995, Typoskript, S. 1.) Werner Tübke bestätigt Dammbeck diese Einschätzung: "Das hat auch damals keiner gelesen. Jedenfalls die meisten nicht. [...] Sie nehmen es zur Kenntnis und machen das weiter, was sie sowieso machen." (Lutz Dammbeck, Interview mit Werner Tübke, Rolle 52/3.)

361 SStA, BT/RdB, Mappe 2972: VBKD Leipzig, 2.3. 1959, Bl. 1.

362 SStA, BT/RdB, Mappe 2953.

363 In diesem Vertrag verpflichtete er sich, "die Bewegung der Werktätigen der SDAG Wismut bei ihrem Bestreben, sozialistische Gemeinschaften zu bilden, mit allen künstlerischen Mitteln zu unterstützen" und

"Werke der bildenden Kunst zu schaffen, die diese Bestrebungen widerspiegeln und unterstützen [...]." (Vertrag des Zenralvorstandes der IG Wismut, SAPMO-BArch IV2/2.026/54, Bl. 11-13, Bl. 11.) Als Honorar wurden monatlich 1000 Mark vereinbart, die mit Ankäufen von Gemälden verrechnet werden sollten.

das Gemälde "Der neue Anfang" (Abb. 49).364 Der Händedruck als bildbeherrschendes Motiv spielt natürlich auf den historischen Handschlag zwischen SPD und KPD auf dem

Vereinigungsparteitag im April 1946 an, der zum Emblem des SED-Parteiabzeichens geworden ist. Die im Vordergrund rechts sitzende Frau im zitronengelben Kleid dient als Repoussoir-Figur, die eine Tiefenstaffelung der Figuren suggerieren soll. Dem frostigen Farbklima (hellblau, zitronengelb) entspricht das steife, unbeholfene Arrangement der Vertreter der jetzt herrschenden Klasse, die als austauschbare Charaktermasken dargestellt werden.

Kunsthistorisch orientiert sich Witz an der Malerei des deutschen Klassizismus365, die von der Epoche des aufgeklärten Absolutismus um 1760 bis zum Spätklassizismus von Buonaventura Genelli (1798-1868) und des Nazareners Peter Cornelius (1783-1867) reichte, der im

gezeichneten Karton sein ästhetisches Ideal fand. Diese spröde Malerei mit ihrer peniblen und steifen Konturierung der Körper wirkt in der amateurhaften Fassung von Heinrich Witz nur noch epigonal und unsinnlich.

Die Ästhetik des deutschen Frühklassizismus, die die Einheit von Zeit, Ort und Raum und den 'fruchtbaren Augenblick' herausstellte, wurde von Kulturfunktionären wie Gerhard Winkler zum normativen Vorbild der Ästhetik des Sozialistischen Realismus erklärt (zu Gotthold Ephraim Lessings Laokoon vgl. Anm. 171). Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768)

"Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und

Bildhauerkunst"366, die er während seines Dresdener Aufenthaltes 1754-55 unter dem Einfluß der dortigen frühklassizistischen Bewegung367 niederschrieb, behaupten die bleibende

ethische und stilistische Vorbildhaftigkeit der antiken Kunst, ohne die Künstler zu einem unschöpferischen Eklektizismus aufzufordern. Die Nachahmung der Griechen garantiere eine bessere Nachahmung der Natur. Vor allem ihre "Kontur", die Zeichnung sind idealischer Ausdruck der Schönheit durch die Scheidung vom Zufälligen, Geschmacklosen und der Unordnung.368

Für Winckelmann gibt es einen konstitutiven Zusammenhang zwischen Linearität und Idealität. Schließlich sei die bildende Kunst einst mit der Umschreibung des Schattens eines Menschen entstanden.369

Der Aufstand der parteilichen Kunstkritik gegen Bernhard Heisigs Fassung der Pariser Kommune von 1964 geht zurück auf einen sozialistischen Humanismus, der sich am Idealismus der deutschen Klassik orientierte. Getreu der Auffassung, nach der es in der sozialistischen Gesellschaft keine antagonistischen Konflikte geben könne, wünscht sich die Partei eine Kunst, die im Sinne Winckelmanns "edle Einfalt und eine stille Größe"370 zum Ausdruck bringt. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle kulturpolitischen Verlautbarungen

364 1959, Öl auf Leinwand, abgeb. in Bildermappe anläßlich der ersten "Arbeiterfestspiele Karl-Marx-Stadt 1960", E.A. Seemann-Verlag, Leipzig 1960.

365 Vgl. Gisold Lammel, Deutsche Malerei des Klassizismus, Leipzig 1986.

366 In: Johann Joachim Winckelmann, Kleine Schriften und Briefe, Weimar 1960 (Hermann Böhlaus

Nachfolger). Herausgegeben im Auftrage des Instituts für angewandte Kunst, Berlin/DDR, von Wilhelm Senff, S.

29-61.

367 Dazu gehörte z.B. Adam Friedrich Oeser, der erste Direktor der 1764 gegründeten Leipziger "Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe", vgl. I.1.a.

368 Das allgemeine Schöne und die "idealischen Bilder desselben" (wie Anm. 366, S. 38) sind vergleichbar mit der Kategorie des Typischen in der Ästhetik des Sozialistischen Realismus, vgl. Exkurs, 2.b. und 2.bb. zu Lukács in der DDR.

369 Vgl. Robert Trautwein, Geschichte der Kunstbetrachtung. Von der Norm zur Freiheit des Blicks, Köln 1997.

Vgl. insbesondere im Kapitel "Die Krise der Kunstbetrachtung: Johann-Joachim Winckelmanns Kunst-Anthropologie" den Abschnitt "Die unbeschreibliche Linie", S. 144 und "Linearität und Idealität", S. 150.

370 Wie Anm. 366, S. 44.

der SED die Maxime des deutschen Klassizismus, der Künstler möge doch einen Beitrag zur Erziehung des Menschengeschlechts leisten. In einem Beitrag über das "Lessingsche Erbe"

zitiert Claus Träger Lessings Bemerkung im "Laokoon", die Obrigkeit im antiken

Griechenland habe es "ihrer Aufmerksamkeit nicht für unwürdig" gehalten, "den Künstler mit Gewalt in seiner wahren Sphäre zu erhalten". Das Gesetz der Thebaner zum Beispiel befahl ihm "die Nachahmung ins Schönere" und verbot "die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe".

"Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese wiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken."371

Über die Entstehungsgeschichte seines ersten Werkes als Lehrstück schrieb Heinrich Witz:

"Am 7. März 1959 nahm ich an dem ersten gemeinsamen Brigadeabend der Brigaden Meier und Hofmann der SDAG Wismut teil. Diese Brigaden kämpften im gleichen Schacht um den Titel 'Brigade der sozialistischen Arbeit'. Die Brigade Hofmann trägt seit dem 10. Jahrestag unserer Republik diesen Ehrentitel; ihr Brigadier wurde Held der Arbeit. Die Brigade Meier hatte die Brigade Hofmann zum Wettbewerb aufgefordert und nun trafen sie sich zum ersten Male, um ihre Erfahrungen auszutauschen." Statt Wettbewerb, der falschen "Ehrgeiz,

Egoismus, Eitelkeit, Ruhmsucht" provoziere, fiel ihnen die Einsicht "in den Schoß": "Man mußte sich gegenseitig helfen, um besser vorwärts zu kommen!" Zu dieser Einsicht hat ihnen die Partei geholfen. "Sie wußten, daß das, was die Partei sagte, gut und richtig war und daß unmöglich scheinende Dinge möglich wurden, wenn die Partei führte."372Diese Erkenntnis nahm sich auch der Maler zu Herzen und stellte sich der Partei als gehorsamer Parteimaler zur Verfügung.

Gerhard Winkler, Kulturbeauftragter der SED-Gebietsleitung bei der SDAG Wismut, berichtet: "Wir haben den Genossen Witz mitgenommen, weil wir wußten, was sich auf diesem Brigadeabend abspielen wird. Das war am 7. März 1959. Da wurde erstmalig in der Wismut ein Vertrag zwischen zwei Brigaden abgeschlossen, auf Grund dessen der eine Brigadier dem anderen durch den Austausch von Erfahrungen helfen wollte. Diesen Moment hat der Künstler, der mitten in dieser Brigade saß - in der ersten Zeit fast unbeachtet -, gestaltet. Wir stehen hinter diesem Bild in jeder Beziehung, weil hier eine historische Situation der Wismut festgehalten worden ist."373

Gerhard Winkler, der, wie bereits in Kapitel I.1.f. erwähnt, 1961 seine Dissertation am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED über die Bedeutung von Lessings Schrift

"Laokoon" für die deutsche sozialistische nationale bildende Kunst schrieb, behandelte auf über 40 Seiten des Manuskripts die Gemälde von Heinrich Witz als Musterbilder im Sinne von Winckelmann und Lessing.374 Entsprechend der idealistischen Position des

371 Gottfried Ephraim Lessing, Gesammelte Werke, hg. von Paul Rilla, Berlin/DDR 1954ff., Bd. 5, S. 20f. Zit.n.

Claus Träger, Lessingsches Erbe, in: Weimarer Beiträge, XXII. Jg., 5/1976, S. 90.

372 Heinrich Witz, Beitrag zu "Unser Profil: Künstler in Brigaden", in: Junge Kunst, Heft 2, 1960, S. 47-53. Die Arbeiter handeln demnach nicht aus eigener Einsicht, sondern sie vollziehen nach, was die Vordenker der Partei erkannt und propagiert haben.

373 SAdK, Berlin, VBK-ZV, Nr. 80, Bl. 126.

374 Gerhard Winkler, Die Bedeutung von Lessings Schrift 'Laokoon' für die Herausbildung einer bürgerlich-realistischen Theorie und für die Entwicklung der deutschen sozialistischen nationalen bildenden Kunst. Diss. am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, 1961.

Winkler bekam am 10.5. 1960 Schwierigkeiten mit seinem Doktorvater Eberhard Bartke, Lehrstuhlleiter des Lehrstuhls bildende Kunst am Institut für Gesellschaftswissenschaften des ZK. Bartke wandte "sich kategorisch gegen die Aufnahme des Beispiels Wismut in die Dissertation." Winkler zitiert Bartke: "Es ist nicht in Ordnung, wenn der Geschmack von einem einzigen Mann wie Kurella bestimmt wird, der weiter niemanden als Witz und Tübke kennt." Auf der Kulturkonferenz Ende April 1960 sei Witz von Walter Ulbricht, Alfred Kurella, Alexander Abusch und Max Seydewitz lobend erwähnt worden. (Gerhard Winkler, Information, 16.1.61, vermutlich an Kurella, SAPMO-BArch IV 2/2026/54, Bl. 26.)

Sozialistischen Realismus zählte die Darstellung der gefährlichen, gesundheitsschädigenden, oft unter haarsträubenden Sicherheitsbedingungen geleisteten, Arbeit unter Tage nicht zu den 'fruchtbaren Momenten' der Malerei.

Das Ziel der Bitterfelder Kampagne war nicht zuletzt eine soziale Kontrolle der Künstler durch den "gesellschaftlichen Auftraggeber" (vgl. Exkurs 2.e.). Angeblich wissen "unsere Kumpel" (!) bereits, "was Kunst ist", und wollen "das Neue, das sie im täglichen Kampf spüren, gestaltet sehen."375Das Bild über die Geburtsstunde einer sozialistischen Brigade sollte zugleich die Geburtstunde einer von den 'Auftraggebern' bestimmten oder zumindest entscheidend beeinflußten Kunst werden: "Die Brigaden entschieden, wer zu der

Porträtgruppe gehört - nur die besten Kumpel ihrer Gemeinschaft sollten es sein. Die Bergarbeiter organisierten auch das Modellsitzen [...] Wieder waren die Kumpel Heinrich Witz' erste Kritiker. [...] 'Aber die Frau Hoffmann, das ist die rechts vorn, ist doch noch viel hübscher.' 'Und die Frau von Günter Meier ist jünger als auf dem Bild.' 'Weißt du, die langen Haare von Günter Meier, na ja, damals waren sie so, er konnte aber nicht zum Friseur gehen, da er eine Flechte hatte, sonst geht der regelmäßig zum Friseur. Muß denn auf dem Bild nun ausgerechnet der Ausnahmefall zu sehen sein?'"376 (Das Typische!, E.G.)

Im Gegensatz zu seinen Leipziger Kollegen Heisig und Tübke, vor allem aber zum gemäßigten Modernismus, der von Willi Sitte und Willi Neubert im benachbarten Halle gepflegt wurde, setzte Heinrich Witz auf die schlichte, konturenbetonte Figurenmalerei, wie sie die klassizistische Malerei und die Genremalerei des mittleren und späten 19. Jahrhunderts kultiviert hatte. An der HfGB wurde eine epigonale Variante gelehrt, die u.a. auch von der

"Brigade Rammenau" für die Dritte Deutschen Kunstausstellung 1953 betrieben worden war (vgl. I.1.e. und f.).377 Offensichtlich war Heinrich Witz handwerklich-technisch nicht in der Lage, die bei den Arbeitern geweckten Erwartungen auf Milieugenauigkeit zu erfüllen. Ein Arbeiterkorrespondent macht in einer Ausstellungsbesprechung angesichts des Gemäldes

"Der neue Anfang" seinem Herzen Luft: "Auf Anhieb seufzt du 'Gott, ist das schlecht gemalt!'" Witz wird aber zugestanden, er habe "trotz und gegen die tausend Mängel" die Brigaden erlebt und sie beispielsweise nicht im Schacht "in schwerer körperlicher Arbeit

Witz erklärte Lutz Dammbeck im Interview: "Man soll mir beweisen, daß die Prinzipien von Lessing nicht mehr stimmen für die Malerei. Was die Kunst angeht, da bin ich hier Fachmann." (Typoskript, S. 18) Die Kunst der Griechen ist "musterhaft, beispielhaft [...] Es gibt wohl nichts Schöneres, Geschlosseneres, Zauberhafteres als die griechische Architektur und die griechische Plastik..." (Dammbeck, Kassette 9, S. 1.)

375 Gerhard Winkler auf der Sitzung der Kulturkommission beim Politbüro des ZK im Hause des ZK der SED am 19. Oktober 1959, Vorsitzender Prof. Alfred Kurella.

(SAdK, Berlin, VBK-ZV, Nr. 80, Bl. 127/128)

Verantwortlich für die Abwicklung der Aufträge war die Oberreferentin für bildende Kunst beim Rat des

Bezirks, R. Dutschke, die dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes unterstellt war. (Vgl. Henry Schumann, Die Entwicklung der bildenden Kunst im Bezirk Leipzig. Forschungsbericht im Auftrag des

Ministeriums für Kultur der DDR, Abteilung Bildende Kunst und Museen, Leipzig, Dezember 1965/Januar 1966, Typoskript, S. 6, Archiv Schumann.)

376 Werner Krecek, Ein neues Bild mit Geschichte, Leipziger Volkszeitung vom 5.7. 1959.

377 Vgl. Horst Jähner, Ist die Genremalerei überholt? In: Junge Kunst 5/1959, S. 53-58. "Aus welcher Epoche man sich auch Bilder betrachtet, überall kommt das Literarische entscheidend zu Wort, selbst noch bei

Expressionisten wie Beckmann und Hofer ist es zu finden. Es verändert zwar sein Gesicht im Wandel der Stile, bleibt aber existent bis zu jenem Augenblick, wo die Demontage des Menschlichen durch die Dekadenz beginnt.

Immer mehr verliert nun das literarische Element an Bedeutung gegenüber 'reinen Sehen' [...] Zurück bleibt ein Schrottplatz des Modernismus. [...] Bernhard Heisig schuf ein Bild über die Pariser Kommune, bei dem man an Oskar Kokoschka in seiner Spätphase erinnert wird [...] solange wir uns nicht um eine klare Vorstellung von der sozialistischen Kunst und ihren gestaltungsmäßigen Möglichkeiten gemäß unserer eigenen Tradition bemühen, werden die gesellschaftlichen Wünsche ohne nachhaltiges Echo in den künstlerischen Lösungen bleiben." (S. 54, 58) Ders., Genrebild kein Stiefkind mehr. Bezirksausstellung des Verbands Bildender Künstler in Leipzig, in:

Sonntag, 31, 1959.

dargestellt [...], sondern im gesamten Leben, und erkannt, daß sie hochstehende, kultivierte, schöpferische Menschen sind.378 Und für dieses Erlebnis schien ihm der Brigadeabend günstiger [...] Selbst der Schimmer des wirklich Schönen, des im Leben Schönen, den du ahnen kannst, ist wertvoller als erdachte Schönheit [...]."379 In einer Anmerkung wird dennoch bedauert, daß bei Witz die "spezifischen Mängel an realistischer Detailtreue und Können"

leider "Stimmung und 'Zauber'" verhindern und "die Phantasie nicht 'großwerden'" lassen.380 Wie ernst diese Mitbestimmung von Seiten der Partei- und Betriebsleitungen gemeint war, wird deutlich aus Äußerungen des damaligen Brigadiers Werner Schiffner, der sich erinnert, daß Heinrich Witz für das Gemälde "Das Arbeitertheater der Wismut auf dem Lande"

leider "Stimmung und 'Zauber'" verhindern und "die Phantasie nicht 'großwerden'" lassen.380 Wie ernst diese Mitbestimmung von Seiten der Partei- und Betriebsleitungen gemeint war, wird deutlich aus Äußerungen des damaligen Brigadiers Werner Schiffner, der sich erinnert, daß Heinrich Witz für das Gemälde "Das Arbeitertheater der Wismut auf dem Lande"