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Bernhard Heisig als "unbelehrbarer Soldat"

II. Bernhard Heisig im Konflikt mit dem 'Verordneten Antifaschismus' in der DDR

II.2. Bernhard Heisig als "unbelehrbarer Soldat"

a. Soldat bei der Waffen-SS

Ende 1941 meldete sich der sechszehnjährige Bernhard Heisig beim Wehrbezirkskommando freiwillig734 zur Wehrmacht mit dem Wunsch, zur Panzertruppe einberufen zu werden. Aber erst nach Beendigung des zweiten Semesters an der Meisterschule des Deutschen Handwerks (ehemals Kunstgewerbeschule) in Breslau wird er Anfang September 1942 eingezogen.

"Frontstudenten, die auf Fronturlaub ihr Studium fortsetzen durften, brachten mich auf die Idee, mich freiwillig zur Panzertruppe zu melden. Ihre schwarze Uniform sah interessant aus.

Wie alle in diesem Alter hatte ich natürlich Mädchen im Kopf. Um sich freiwillig melden zu können, brauchte man die Unterschrift der Eltern. Meine Mutter hatte natürlich nicht

unterschrieben. Ich wollte aber weg.

Da kam eine SS-Kommission zur Musterung.735 Warum weiß ich nicht mehr. Ich war damals 1,80 Meter groß. Der Offizier, er hatte nur einen Arm - das war damals in meinen Augen schon etwas ganz Heldenhaftes - , fragte mich, wollen Sie nicht zu uns kommen? Ich sagte, ich habe mich schon zur Panzertruppe gemeldet. Da sagte er, denken sie, wir haben keine Panzer? Oder haben sie was gegen uns? Natürlich wußte ich, daß die SS als Elitetruppe angesehen wurde.736 Sie war besser ausgerüstet und wurde an neuralgischen Punkten

734 "Mein Vater war tot, der hätte das nicht zugelassen." (Dammbeck, 2.3. 1995, Typoskript, S. 2.) Auf die Frage von Lutz Dammbeck, warum er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hat, antwortet Heisig: Wie viele meiner Generation wurden wir in der Hitler-Jugend mit der Nazi-Ideologie überfüttert. "Wir hatten richtig Angst, den Krieg zu verpassen. [...] Ich hatte das große Abenteuer erwartet, und was dann kam, war Stumpfsinn."

(Dammbeck, 20.4. 1995, Typoskript, S. 1.)

735 "Sowohl die Wehrmacht als auch die Waffen-SS beteiligten sich an der vorbereitenden militärischen Ausbildung der HJ. Dazu gehörten dreiwöchige Ausbildungskurse in speziellen Lagern, die über ganz Deutschland verteilt waren. Nach Beendigung des Kurses versuchten SS-Agenten häufig, die Jungen zu einem freiwilligen Eintritt bei der Waffen-SS zu überreden. Auf diese Weise versuchten sie nämlich die fast

zwangsweise Aufnahme in die Wehrmacht zu umgehen, nachdem diese das wehrhafte Alter erreicht hatten. [...]

Mit Fortschreiten des Krieges und steigenden militärischen Verlusten wurde es notwendig, das Alter für den Kriegsdienst zu senken. So fanden immer mehr Jugendliche ihren Weg direkt von der HJ zum Militär." (Gordon Williamson, Die SS. Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S. 102.)

736In Freya Mülhaupts "Biographische Dokumentation" präzisiert Heisig 1989 erstmals den bisherigen

biographischen Passus "am Kriegsdienst teilgenommen" mit der immer noch beschönigenden Formulierung "der 12. SS-Panzer-Division Hitler-Jugend zugeteilt", also nicht als Freiwilliger eingetreten. (In: Bernhard Heisig.

Retrospektive, hrsg. von Jörn Merkert und Peter Pachnicke, München 1989, S. 95.)

Birgit Lahann notiert nach Gesprächen mit Bernhard Heisig zu seinem Eintritt in die Waffen-SS: Er "will unbedingt in eine Panzereinheit. Auch, weil die eine Uniform hatten, die mir gefiel [...]. Zur Marine wollte er nicht. Das waren die Schlipssoldaten. Mochte er nicht. Er hatte auch gehört, bei den Panzern sei die

Kameradschaft so gut. Ideologische Vorbehalte hat er nicht. Es war einfach das Klima [...]. Man kann das nicht erklären. Es gab doch keine Antikriegsfilme. Nur Kriegsfilme. Das prägt. Auch Schriftsteller prägen. Vergiften auch. Wie Ernst Jünger mit seinen Stahlgewittern. Und Remarque? Den habe ich mit Skepsis gelesen, sagt Heisig. Hatte doch alles mit dem Klima zu tun. Und dann die Hetze: Juden schädigen den deutschen

Volkskörper. Ich glaube, sagt er, das haben wir geglaubt. Aber wir bezogen das nicht auf einzelne Juden. Wir kannten ja viele. Meine Mutter arbeitete mit ihnen zusammen. Das waren eben die Ausnahmen. Also man kann schon sagen, sagt er, man war dämlich, als man in den Krieg zog, und noch dämlicher, als man wieder rauskam.

Und schlafen konnte man auch nicht mehr nach drei Jahren Krieg.

Wie kam er zur Waffen-SS? Also er wollte ja zu den Panzern. Aber da sagte man ihm, er sei zu groß mit seinen 1 Meter 81. Zwanzig Zentimeter weniger wäre in Ordnung gewesen. Über die Hitler-Jugend kamen dann SS-Ärzte zum Mustern. Und die fragten, ob ich nicht zu ihnen kommen wollte. Also zur SS. Nee, sagt er, ich will zur Panzertruppe. Ja, glaubst du denn, daß die Waffen-SS keine Panzer hat? Oder hast du was gegen uns? Nee, sagt er, hab ich nicht. Und so kam das. Der hat Panzereinheit draufgeschrieben, sagt er, und ich Idiot hab das geglaubt und unterschrieben. Aber er habe auch nichts dagegen gehabt. Die SS galt ja als Elitetruppe." (Birgit Lahann, Salto mortale in zwei Diktaturen. Bernhard und Johannes Heisig. In: Väter und Söhne. Zwölf biographische Porträts, Berlin 1998, S. 408f.)

Die SS (Schutzstaffel) ist aus der SA (Sturmabteilung) entstanden. Sie setzte sich von der gewöhnlichen SA durch ihre Aufgabe des "Führerschutzes", z.B. als "Leibstandarde Adolf Hitler" ab. "Dieses geliehene Charisma war das Kapital, das der 1929 zum SS-Führer aufgestiegene Heinrich Himmler gezielt vermehrte und durch genetische und ideologische Auslese zu verfeinern suchte - die Mindestgröße von 1,70 Meter und der jugendliche Charakter der SS-Anwärter unterstrich diese Hervorhebung ebenso wie die SS-eigenen Rituale und Symbole sowie die schwarze Uniformierung [...]. Himmler organisierte die Schutzstaffel nach besonderen

Ordnungskriterien und in äußerster Disziplin als pseudo-religiösen Orden und Männerbund, der - anders als die SA - in der Öffentlichkeit anständig, seriös und effektiv wirken sollte [...]." (Claus Leggewie, Von Schneider zu Schwerte. Das ungewöhnliche Leben eines Mannes, der aus der Geschichte lernen wollte, München 1998, S.

110f.)

Der Charakter eines religiösen Ordens wird deutlich am Zeremoniell der Fahnenweihe. Auf den Parteitagen in Nürnberg 'weihte' Hitler die neuen Parteifahnen, "indem er sie mit einer Hand berührte, während er in der anderen die Blutfahne hielt." (Gordon Williamson, Die SS. Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S.

19.) Die 'Blutfahne', die während des gescheiterten Putsches (Marsch auf die Feldherrnhalle) in München am 9.

November 1923 getragen wurde, war in den Augen der NSDAP durch das Blut der 'Gefallenen' zur Reliquie geweiht worden. Alle damaligen Teilnehmer am Putsch erhielten den 'Blutorden', die höchste Auszeichnung der NSDAP.

Heinrich Himmler erklärte 1936 bei einem Treffen der Hitlerjugend: "Das deutsche Volk, vor allem die deutsche Jugend, haben wieder gelernt, die Menschen nach ihrer Rasse zu bewerten - sie haben sich wieder von der christlichen Lehre abgewendet, die Deutschland mehr als tausend Jahre regiert und den rassischen Verfall und beinahe Untergang des deutschen Volkes bewirkt hat." (Zit.n. Gordon Williamson, Die SS. Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S. 101.)

Vgl. "Die Waffen-SS". Text und Dokumentation: Wolfgang Schneider. Bildredaktion: Andreas Schrade, Berlin 1998: Am 7. November 1939 wird in einem offiziellen Dokument zum erstenmal der Begriff "Waffen-SS" als Sammelbezeichnung für die "bewaffneten Einheiten der SS und Polizei" verwendet. Seit 1939 ist für alle Jugendlichen der Beitritt zur HJ ab 17 Jahren obligatorisch. Die physisch kräftigsten und ideologisch

fanatischsten werden für die SS geworben. Die Kriegsführung der Waffen-SS galt als besonders rücksichtslos. Im Frühjahr 1941 hatte die Waffen-SS bereits vier eigene Divisionen und eine Brigade. Am 31. Dezember 1943 beträgt die Gesamtstärke der Waffen-SS 501.049 Mann. Am 30. Juni 1944 verfügt die Waffen-SS über sieben eigene Armeekorps und bis zu 38 Divisionen (vgl. Gordon Williamson, Die SS. Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S. 244-246) und Ende des Jahres über annähernd 900.000 Mann, davon etwa zwei Drittel

"Volksdeutsche" aus Osteuropa und 200.000 Ausländer. 60.000 Angehörige der Waffen-SS sind als

Totenkopfverbände in Kommandanturen und Wachabteilungen von Konzentrationslagern im Einsatz. Während des Krieges bestanden die Wachmannschaften aus älteren Jahrgängen.

Im Urteil des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses wird am 30. September 1946 die SS einschließlich der Waffen-SS zur "verbrecherischen Organisation" erklärt (S. 16-34).

Werbeschrift "Dich ruft die SS", 1943 vom SS-Hauptamt herausgegeben (also im gleichen Jahr, in dem Heisig sich bei der Waffen-SS bewirbt): "Der SS-Mann [...] ist nicht allein Soldat, er ist vorbildlicher Träger der Idee Adolf Hitlers. [...] Die Waffen-SS wurde aus dem Geist der nationalsozialistischen Bewegung und besonders aus dem Geist geboren, der für die Haltung des SS-Mannes der Kampfzeit bestimmend war. [...] Sie hatte ferner die Reinheit der nationalsozialistischen Idee als kostbarsten Schatz für die weitere Entwicklung unsres Volkslebens sicherzustellen, alle Gegner unserer Weltanschauung und ihre zerstörenden Pläne rechtzeitig zu entdecken und unschädlich zu machen. [...] In dem großen Entscheidungskampf, den unser Volk augenblicklich zu bestehen hat, steht auch für den SS-Mann das rein Kämpferische, das Ringen um den Endsieg im Vordergrund. [...] Es ist bekannt, daß die Waffen-SS ihren erprobten Männern nach Beendigung ihrer Dienstzeit bzw. nach dem Krieg viele Möglichkeiten geschaffen hat, ihre Zukunft zu gestalten. Ein Beispiel hierfür bietet die Ostsiedlung, mit deren Durchführung der Reichsführer SS beauftragt wurde. Herr auf eigener Scholle, seinen Kindern eine wirkliche Heimat, seiner Sippe einen wirklichen Stammsitz zu schaffen, wird für viele SS-Männer eine

ausgezeichnete Lösung ihrer Zukunft bedeuten. [...] So entsteht im Osten durch die SS-Kameraden der Front ein neues deutsches Bauerntum, ein lebendiger Ostwall, dessen Stärke und innere Sicherheit die Wehrbauern der SS garantieren." (S. 145-148)

Kurt Meyer ("Panzer-Meyer"), Major der Waffen-SS ist im Krieg gegen die Sowjetunion Chef der 12.

Panzerdivision "Hitlerjugend". Er gilt in der Waffen-SS als besonders draufgängerisch. Seine 1957 erschienenen Memoiren tragen wesentlich zur Legendenbildung über die Rolle der Waffen-SS ("Soldaten wie andere auch") bei.

Herbert Döhring, Oberscharführer, ab 1943 1. Panzerdivision der Leibstandarte "Adolf Hitler", ab 1944 12.

Panzerdivision "Hitlerjugend": "Als ich mich meldete wurden 10.000 Mann zusammengezogen. Eine gnadenlose

eingesetzt. Bei der SS brauchte man keine Genehmigung der Eltern. Das war auch ein Grund, warum ich bei der Waffen-SS gelandet bin. Ich habe dann unterschrieben und erhielt den Einberufungsbescheid, aber nicht zur Panzertruppe. Ich ging hin und fragte, warum ich nicht zur Panzertruppe eingezogen werde. Da hat man mit dem Bleistift Panzertruppe

danebengeschrieben. So ein Quatsch! Ich bin trotzdem zur Infanterietruppe gekommen. Das war Bauernfängerei. Meine Größe war weder für die Infanterie noch für den Panzer geeignet.

Aber die Waffen-SS als Elitetruppe war auf diese Größe fixiert. Die waren ja alle so groß.

Unsere Vorstellung vom Krieg war ja bloß von Zeitungen geprägt.

Ein weiterer Grund, warum ich mich freiwillig gemeldet habe, war die Möglichkeit den zweijährigen Arbeitsdienst auf ca. drei Monate zu verkürzen. Wir haben Kartoffeln geerntet und ich habe bei dieser Gelegenheit gelernt, mit der Schaufel umzugehen.

Die darauf folgende Grundausbildung737 war nicht eine moderne Militärausbildung, sondern in Wirklichkeit der schlimmste preußische Drill. Da ich einen Senkfuß hatte, teilte man mich als Kraftfahrer ein. Es gab den Spruch 'Benzin verdirbt den Charakter'. Wer also wie ich Fahrer war, galt nichts, stand in der Hierarchie ganz unten. Wir wurden nicht als Fahrer ausgebildet. Man hat für diese Funktion auch nicht etwa Automechaniker eingesetzt."738 Am 18. Februar 1942 erteilte Hitler dem Ergänzungsamt der Waffen-SS die Genehmigung,

"für die Dauer des Krieges Freiwillige mit vollendetem 17. Lebensjahr auch ohne

Untersuchung begann. Die Ärzte waren Berliner Polizeiärzte und Reichswehrärzte. Und am Ende blieben 3000 Mann übrig. Wenn einer zum Beispiel einen Ansatz zu Krampfadern hatte, der wurde nicht genommen." (S. 92) Werner Barmann, 37. SS-Kavalleriedivision Lützow: "Ich habe mich 1944 kriegsfreiwillig gemeldet, wie es üblich war. Schüler höherer und mittlerer Lehranstalten meldeten sich damals kriegsfreiwillig. Und wer das Gegenteil behauptet, der sagt nicht die Wahrheit. Bei der Musterung konnte jeder einen Wunsch äußern, zu welcher Einheit er wollte. Ich wollte zur Kavallerie. Wenn Sie reiten wollen, sagte man mir, bei der Waffen-SS hier am Ort gibt es noch zwei voll berittene Divisionen, Sie können sich dort melden. Ich wurde als ein Kilo zu leicht empfunden und mußte erst ein halbes Jahr zum RAD; bis Herbst 1944 bin ich beim Arbeitsdienst gewesen.

14 Tage nach meinem 17. Geburtstag rückte ich in eine Kaserne in Dresden ein. [...] Wir waren durch

Hitlerjugend, Wehrertüchtigung, Arbeitsdienst geprägt. Vom zehnten Lebensjahr an wurde uns eingeprägt, daß wir den Krieg gewinnen mußten, es ging um Sein oder Nichtsein des Volkes. Ich glaube, an Adolf Hitler haben 1944/45 nur noch wenige gedacht; die meisten haben an die Heimat gedacht. Uns wurde erzählt, was die Russen alles anstellten [...]. Wir hatten inzwischen mitgekriegt, daß die SS gesondert behandelt wurde. [...] Aber dann sind wir doch am 18. Mai rausgeholt worden [...]. Das Hemd ausziehen, den linken Arm hochheben - dann fand man die Blutgruppe. Jetzt begannen die ersten Mißhandlungen. Ich bin dann in neun verschiedenen Lagern gewesen. Von heute auf morgen die Parias der Nation. Ab 9. Mai haben alle mit Fingern auf uns gezeigt.

Nürnberg hat uns seelisch getroffen, weil pauschal gesagt wurde: Das sind alles Verbrecher. Uns Junge hat es besonders getroffen, weil wir erst spät dazugekommen sind und die ganze Bürde mittragen mußten. [...] Von uns war sich keiner einer Schuld bewußt. Wir waren doch Soldaten wie andere auch. [...] Bis wir merkten, daß die Bewacher der KZs die gleichen Uniformen getragen haben wie wir. Wir haben uns gefragt: Warum uniformiert man eine Fronttruppe genauso wie die KZ-Bewacher? [...] Wir sind immer wieder die Aussätzigen gewesen. Das Schlimmste war die Behandlung durch die eigenen Leute nach der Gefangenschaft. Wir sind überall

ausgegliedert worden. Beruflich hatten wir überhaupt keine Möglichkeit." (S. 196ff.)

737 "Die Grundausbildung krempelt die gesellschaftlichen Prozesse um, welche Werte vermitteln. [...] So 'verflüssigen' sich die wenig gefestigten Gewissenstrukturen der jungen Männer und verbinden sich zu einer 'Kampfeinheit'. Das ermöglicht die symbiotische Verschmelzung mit den Kameraden und das Abtreten der Überich-Leistungen an idealisierte Führer, die schon 'Blut gerochen' haben. Die Kampfgrundausbildung ist mit siebzehn Stunden 'Dienst' am Tag und einer Gesamtdauer von siebenundsiebzig Tagen eine veritable

Gehirnwäsche, durch die der Kontakt mit der elterlichen Welt abgeschnitten, die Rekruten strikt von Frauen getrennt und auf eine künstliche Gruppenmännlichkeit hin stilisiert werden, in der die Unterschiede zwischen Waffe und Phallus von den Ausbildern nivelliert werden. [...] Durch die Identifikation mit dem Aggressor [...]

verliert der Rekrut zwar seine zivile Identität, gewinnt aber als Lohn der Unterwerfung die Illusion der Allmacht, die dem Eintauchen in eine totale Institution entspringt. Er wird von normalen Über-Ich-Zwängen entlastet, er darf grausam sein." (Wolfgang Schmidbauer, 'Ich wußte nie, was mit Vater ist'. Das Trauma des Krieges, Reinbek bei Hamburg 1998, S. 88f.)

738 Heisig im Gespräch mit dem Vf. am 1.6. 2000 in Strodehne.

Einwilligung der Eltern" einzuberufen. Im gleichen Jahr beginnt auch die schleichende

"Zwangsrekrutierung", zunehmend wird auch auf Jugendliche aus dem Reichsgebiet starker Druck ausgeübt, in die Waffen-SS einzutreten.739 Heinrich Himmler und der

Reichsjugendführer Artur Axmann beschlossen darauf, Jugendliche als Freiwillige schon mit 17 Jahren, drei Jahre früher als bisher erlaubt, in die Waffen-SS aufzunehmen.

Im Juni 1943 befahl Hitler die Aufstellung einer kompletten Waffen-SS-Division aus Freiwilligen der Hitlerjugend: die Hitler-Jugend-Division, für deren Ausbildung ein eigenes Lager in Beverloo/Belgien eingerichtet wurde.740 In Beverloo erhielt Heisig im Sommer 1943 seine Gefechtsausbildung.

In dieser "12. SS-Panzer-Division Hitler-Jugend" herrschte "ein lässiger Umgangston741, fast wie in der HJ. Der Übergang vom Kriegsspielen zum Krieg soll gar nicht weiter auffallen. Die Vorgesetzten sind auch für den Lebenswandel ihrer Halbwüchsigen zuständig; den Jüngsten werden Süßigkeiten zugeteilt statt Zigaretten [...] Die Grundausbildung in der Waffenschule der SS ist hart und kurz. Schon nach einem Vierteljahr sind viele Jungen Unteroffiziere.

Führer und Geführte haben keine Kampferfahrung." Ludwig M., Funker bei der Panzer-Division Hitlerjugend erinnert sich: "Die wurden nach vorne geschickt mit der Panzerfaust und machten das mit Begeisterung. Und viele, die nicht trafen, wurden von den Panzern lebendig begraben... Das war eben Langemarck II, für Volksschüler [...]"742

"Als einfacher Rekrut bekam man als höchsten Rang einen SS-Untersturmführer, bei der Wehrmacht entsprach das dem Rang eines Leutnants, zu sehen. Von der Luftwaffe delegierte Unteroffiziere nannten wir Herman-Göring-Spende. [...] Als unsere Division aufgestellt wurde, war gerade Italien aus dem Krieg ausgeschieden. Wir hatten plötzlich jede Menge italienische Fahrzeuge. Nur die Panzer kamen aus deutscher Produktion."743

"Wir dachten wirklich, wir sind die beste Division der Wehrmacht. [...] Ich hatte eine Freund, der sagte mir allen Ernstes, ich möchte fallen."744

Bereits auf dem Weg nach Beverloo in Belgien wird Bernhard Heisig bei einem

739 "Die Waffen-SS". Text und Dokumentation: Wolfgang Schneider. Bildredaktion: Andreas Schrade, Berlin 1998, S. 102.

740 "Nur die besten Kandidaten mit einem ausreichenden Maß an nationalsozialistischem Eifer und unbeirrbarer Loyalität zu Adolf Hitler wurden aufgenommen. Sie war vom ersten Tag an als eine Elitedivision gedacht. So war es auch zu erklären, dass der Kader der Leibstandarte SS Adolf Hitler gestellt wurde, die den Kern der Division bilden sollte. An die 1000 der besten Männer der Leibstandarte kamen zur neuen Einheit, die als 12.

Panzerdivision Hitlerjugend bekannt werden sollte. Andere SS-Divisionen stellten ebenfalls einige erfahrene Mannschaften zur neuen Formation ab. Dazu kamen noch mehrere Offiziere der Wehrmacht, wie etwa Major Gerhard Hein, ein Eichenlaubträger des Jägerregimentes 209. Hein hatte außerdem die Stellung eines HJ-Oberbannführers und Kommandanten der HJ Wehrertüchtigungslager inne." (Gordon Williamson, Die SS.

Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S. 102.)

741 "Den Parteigruß haben wir nicht ernst genommen und nur lässig angedeutet." (Heisig im Gespräch mit dem Vf. am 1.6. 2000 in Strodehne.)

742 Helmut Kopetzky, In den Tod - Hurra! Deutsche Jugendregimenter im Ersten Weltkrieg, Köln 1981, S. 157.

743 Heisig im Gespräch mit dem Vf. am 1.6. 2000 in Strodehne.

744 Bernhard Heisig in: "Hitlers Kinder (4): Krieg", Fünfteilige Dokumentarreihe, Arte 1999. Heisig berichtet von der Wirkung z.B. eines historischen Filmdramas "Kadetten" (Regisseur Karl Ritter), das bereits 1939 gedreht, aber erst 1941 zum Einsatz kam. Erzählt wird eine Episode aus dem Siebenjährigen Krieg von einer Gruppe preußischer Kadetten im Alter von neun bis zwölf Jahren, die in russische Gefangenschaft gerät. Die Verherrlichung jugendlichen Heldentums und Selbstaufopferung mischt sich mit antirussischer Propaganda. Vgl.

Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films, Band 4, 1939-1945, Berlin 1983, S. 222, Abb. 186-195.

Neben den SS-Divisionen Leibstandarte, Das Reich, Wiking, Hohenstaufen, Frundsberg und Götz von

Berlichingen gehörte Hitlerjugend zur Elite der Waffen-SS. Ihr Ruf beruhte auf "ihrer militärischen Tapferkeit, ihrer bisweilen rücksichtslosen Verachtung jeglicher Gefahr sowie ihrem phänomenalen Korpsgeist. [...] Dies sind die Divisonen, die berechtigterweise behaupten können, bloß Soldaten wie alle anderen gewesen zu sein."

(Gordon Williamson, Die SS. Hitlers Instrument der Macht, Klagenfurt 1998, S. 238.)

Tieffliegerangriff am Kopf schwer verletzt. Ein Verwundetenabzeichen erhält er nicht, da seine Verletzung nicht auf 'Feindeinwirkung' (Geschoß) beruhte, sondern ein Unfall war beim Versuch vom Waggon abzuspringen und Deckung zu suchen. "Ich schoß mit dem Kopf gegen eine Eisenbahnschwelle und wurde ohnmächtig."745 Die Kopf- und Schlüsselbeinverletzungen sind so schwer, daß er für 15 Wochen in ein Lazarett in einem Nonnenkloster kommt. Trotz schmerzender Furunkel unter den Verbänden hält er still, statt den Wechsel seines Verbandes zu fordern. Er war der Ansicht, das müsse man als Angehöriger einer Elitetruppe aushalten.

Seine Einsatzfähigkeit war nach Ansicht der Ärzte durch Sehstörungen als Folge der Verletzungen dauerhaft beeinträchtigt. Er wurde deshalb GvH (Garnisondienst

verwendungsfähig Heimat) geschrieben, setzte jedoch durch, wieder zur Feldeinheit überstellt zu werden. "Ich hatte eine furchtbare Wut. Der Arzt fragte mich, ja warum wollen sie denn in den Krieg? Ich sagte, ja ich habe mich doch zum Krieg gemeldet. Mein Vetter, der damals

verwendungsfähig Heimat) geschrieben, setzte jedoch durch, wieder zur Feldeinheit überstellt zu werden. "Ich hatte eine furchtbare Wut. Der Arzt fragte mich, ja warum wollen sie denn in den Krieg? Ich sagte, ja ich habe mich doch zum Krieg gemeldet. Mein Vetter, der damals