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7.2 Ausführungsumgebung

7.2.2 Benutzung

Zur Laufzeit verarbeitet die Ausführungsumgebung [moby:runtime]dbpmautomatisiert eingehende Ereignisse, indem auf Basis der Esper-EPL-Anweisungen die entwickelten Ereignisverarbeitungs-regeln in Echtzeit angewendet werden. Anhand des XSD-Ereignismodells kann Esper zudem die eingehenden Ereignisse beim Eintreffen auf Validität mit bekannten Ereignistypen überprüfen.

Zur Erleichterung der Handhabung wurde zudem eine Java-Anwendung als Benutzerschnittstel-le zur Ausführungsumgebung [moby:runtime]dbpm implementiert. Diese greift jeweils auf die zu-grunde liegenden Klassen der Ausführungsumgebung, aber auch der Modellierungsumgebung zu und liefert dem Benutzer somit eine hilfreiche Unterstützung beim Test der erstellten Ereignisver-arbeitungsregeln. Abbildung 7.5 zeigt einen Screenshot dieser Benutzerschnittstelle.

Der Benutzer kann hier zunächst ein Ereignisverarbeitungsmodell in Form von serialisiertem EPMN oder JSON, wobei letzteres die Oryx-Repräsentation des EPMN-Modells darstellt, unter

Nut-303siehehttp://camel.apache.org

304siehe http://camel.apache.org/esper.html sowie

http://code.google.com/p/camel-extra

305siehehttp://www.activiti.org

Abbildung 7.5:Screenshot der Benutzerschnittstelle der Ausführungsumgebung

zung der Transformationsvorschriften in die entsprechenden Esper-EPL-Anweisungen transformie-ren lassen. Anschließend können diese zusammen mit der generierten Esper-Konfigurationsdatei unter Nutzung des Administrationsdienstes in die Ausführungsumgebung überführt werden. Zu guter Letzt können XML-Ereignisse versendet werden, auf welche in der laufenden Ausführungs-umgebung schließlich die abgelegten Esper-EPL-Anweisungen in Echtzeit angewendet werden. Die hieraus generierten Ereignisse werden dem Benutzer wiederum in Form von XML angezeigt.

In diesem Kapitel wird die konzipierte Methode [moby]dbpm mit ihren Modellen und Werkzeugen zur Entwicklung dynamischer Geschäftsprozesse auf Basis von Ereignisverarbeitung im Rahmen ei-nes Anwendungsfalls eingesetzt. Hierbei handelt es sich um das Management einer integrierten und teilautomatisierten Versorgungskette im Luftfahrt-Catering, welche im Zuge ihrer IT-gestützten Ge-schäftsprozessautomatisierung auf die Echtzeitverarbeitung verschiedenster Ereignisse angewiesen ist. Die in dieser Arbeit konzipierte Lösung wird demnach einer praxisnahen Begutachtung unterzo-gen und kann auf dieser Basis unter Berücksichtigung der Anforderununterzo-gen aus Abschnitt 3.2 kritisch bewertet werden.

8.1 Management von Echtzeitversorgungsketten im Luftfahrt-Catering

Im Jahr 2010 wurden im weltweiten Luftverkehr mehr als 2,5 Milliarden306Passagiere befördert, was im Vergleich zum Jahr 2000 einen Anstieg von über 50 % darstellt.307Allein in Deutschland lag dabei das Passagieraufkommen bei mehr als 160 Millionen.308Dass die Luftfahrt als Wirtschaftszweig eine hohe Relevanz aufweist, manifestiert sich darüber hinaus im global erzielten Reingewinn von über 15 Milliarden US-Dollar im selben Jahr nach IATA (International Air Transport Association).309

Bereits bei den ersten kommerziellen Reisen in Flugzeugen zwischen London und Paris im Jahr 1919 waren vorverpackte Mahlzeiten ein fester Bestandteil der Dienstleistungen für Passagiere.310 Die Qualität der an Bord servierten Mahlzeiten wird bei der Auswahl einer Fluggesellschaft durch die Passagiere im Allgemeinen zwar geringer priorisiert als bedeutendere Aspekte wie Sicherheit, Pünktlichkeit, bequeme Flugzeiten, niedrige Preise, Komfort an Bord oder angenehme Check-in-und Boarding-Prozeduren. Dennoch spielt gerade diese in Kombination mit dem wahrgenomme-nen Dienstleistungserlebnis für die anschließende Kundenzufriedenheit eine maßgebliche Rolle, da diese beiden Faktoren bei den Passagieren häufig am lebendigsten in Erinnerung bleiben.311

Bei der Abwicklung des Luftfahrt-Catering von der Produktion bis zur Auslieferung an Bord spielt ein abgestimmter Logistikprozess erfahrungsgemäß eine entscheidende Rolle. Denn über die alimentäre Verpflegung der Passagiere hinaus sind Flugzeuge vor dem Abflug mit einer Vielzahl an weiteren Gütern zu beliefern. Eine repräsentative Ladeliste eines Flugzeugs vom Typ Boeing 747 enthält beispielsweise mehr als 40 000 Positionen. Für die Beladung eines Flugzeugs bleibt dabei allerdings meist weniger als 50 Minuten Zeit.312Insgesamt tragen hauptsächlich folgende Faktoren zu einer hohen Komplexität im Management der zugehörigen Catering-Versorgungskette bei:313

○ Termingerechte Just-in-time-Anlieferung einer großen Menge an unterschiedlichen Gütern

○ Verhältnismäßig kurzes Zeitfenster für die Beladung eines Flugzeugs mit diesen Gütern

306schließt alle Passagiere eines Fluges mit eigener Flug-nummer ein, sodass der Umstieg nach einem Zwi-schenstopp eine Mehrfachzählung nach sich zieht

307vgl. Berster u. a. 2011, S. 78 f. nach einer Statistik der ICAO (International Civil Aviation Organization)

308vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 10

309vgl. IATA 2012, S. 1

310vgl. O’Hara und Strugnell 1997, S. 105

311vgl. Lee und Jones 2004, S. 5; Jones 2007, S. 39 f.

312vgl. Jones 2004, S. 2 und 151; Jones 2007, S. 39

313vgl. Jones 2007

○ Unternehmensübergreifender Logistikprozess mit verschiedenen Stakeholdern, sprich mehre-ren Lieferanten von Lebensmitteln und Non-Food-Artikeln, dem Caterer selbst, einem oder mehreren Logistikdienstleistern, der Fluggesellschaft und den Passagieren

○ Nutzung unterschiedlicher und nicht integrierter Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) durch die verschiedenen Teilnehmer der Catering-Versorgungskette, wodurch Medien-brüche, intransparente Prozesse und unabsehbare Verzögerungen entstehen

○ Dynamisches Geschäftsumfeld mit unvorhersehbaren Ereignissen, die unmittelbar berück-sichtigt werden müssen, wie etwa Flugverspätungen und Ad-hoc-Flugplanänderungen

○ Intransparenz und stetige Bestandsverschiebungen bei den Ausrüstungsgegenständen, insbe-sondere den Catering-Trolleys, aufgrund von Flügen mit mehreren Teilstrecken, Zwischenlan-dungen mit neuen BelaZwischenlan-dungen sowie insbesondere der Tatsache, dass die Ausrüstung zwar von Caterern genutzt wird, sich jedoch im Besitz verschiedener Fluggesellschaften befindet Zur Bewältigung dieser Herausforderungen im Luftfahrt-Catering und zur gleichzeitigen Eröff-nung neuer Möglichkeiten der individuellen Kundenansprache ist eine informationstechnische In-tegration und Teilautomatisierung der Catering-Versorgungskette mittels aktueller Technologien lohnenswert. Das vom BMWi geförderte Verbundprojekt iC-RFID (intelligentes Catering mittels Radiofrequenz-Identifikation), das zwischen 2007 und 2010 durchgeführt wurde,314 hatte die Kon-zeption und Erprobung eines derartigen unternehmensübergreifenden Systems zum Ziel. Folgende Bausteine sind bei diesem Vorhaben von zentraler Bedeutung:315

○ Austausch aller Geschäftsdokumente zwischen den Teilnehmern, wie etwa der Flugpläne, Be-stellungen und Ladelisten, in elektronischer Form als XML-Daten mit vereinbarter Struktur

○ Ausrüstung von Catering-Trolleys mit RFID-Technologie (Radiofrequenz-Identifikation), die per kontaktloser Funkübertragung die automatische Identifizierung von Objekten und die Erfassung von Daten mittels winziger Transponder ermöglicht316

Neben einer erhöhten Transparenz über Unternehmensgrenzen hinweg eröffnet dies auch neue Möglichkeiten der persönlichen Ausrichtung des Catering auf den einzelnen Passagier. Dessen in-dividuelle Online-Bestellung von Catering-Artikeln vor dem Flug löst somit die Ausführung der Versorgungskette nach dem Pull-Prinzip aus.317 Dies betrifft beispielsweise vorab bestellte Duty-free-Waren oder individuell bespielte Video- und Audio-Medien auf mobilen Unterhaltungsgeräten, welche mit RFID-Transpondern ausgestattet und dem Passagier direkt an seinem Sitzplatz über-bracht werden.318Abbildung 8.1 zeigt in schematischer Darstellung den vereinfachten Material- und Informationsfluss in einem derartigen System über die wesentlichen Teilnehmer hinweg.

Die informationstechnische Integration erfolgt dabei über eine zentrale Middleware, über die sämtliche elektronischen Geschäftsdokumente und Ereignisse verteilt werden. Im Anschluss an die Online-Flugbuchung stößt der Passagier durch eine individuelle Bestellung den Ablauf der Catering-Versorgungskette an. Die Fluggesellschaft sammelt alle eingehenden Flugbuchungen und

314siehehttp://www.pt-ikt.de/de/95.php 315vgl. Bauer u. a. 2010, S. 18 ff.

316vgl. Finkenzeller 2006, S. 6 f.

317vgl. Busch u. a. 2003, S. 52 f.

318vgl. Bauer u. a. 2010, S. 23–26

Flughafen Flugzeug

Fluggesellscha

Passagier (zu Hause)

Vorfeldtransporter Passagier

Besatzung

Middleware

Caterer

Informationsfluss Materialfluss

Elektronisches Dokument RFID-Ereignis

RFID-Schranke Legende:

Abbildung 8.1:Informations- und Materialfluss im Anwendungsfall319

Catering-Bestellungen und aggregiert die erforderlichen Catering-Positionen in einer elektroni-schen Bestückungsliste für den Caterer. Dieser kommissioniert die Catering-Trolleys, beschreibt die entsprechenden RFID-Transponder und gibt die tatsächliche Ladeliste in elektronischer Form weiter. Daraufhin beginnt der Materialfluss, indem die bestückten Catering-Trolleys zum vorge-sehenen Ausgang am Flughafen transportiert werden. Beim Passieren der unterwegs platzierten RFID-Schranken erzeugen diese jeweils ein RFID-Ereignis, welches über die Middleware verteilt wird. Auf diese Weise herrscht im Geschäftsprozess jederzeit Transparenz über den aktuellen Auf-enthaltsort aller Trolleys. Vom Flughafen können während der Ausführung des Catering-Logistikprozesses Ad-hoc-Fluplanänderungen in elektronischer Form bekanntgegeben werden, die zur Laufzeit einbezogen werden müssen. Zudem können auch späte Catering-Bestellungen durch Passagiere eingehen, die je nach Fortschritt des Prozessablaufs möglicherweise noch berücksichtigt werden können. Nachdem der Vorfeldtransporter die Catering-Trolleys am Flugzeug abgeliefert hat, wobei weitere RFID-Schranken passiert werden, beginnt das beladene Flugzeug schließlich seinen Flug. Währenddessen werden die individuell bestellten Catering-Güter den Passagieren durch die Besatzung direkt an ihrem Sitzplatz überbracht.320

Um einen derartigen Catering-Logistikprozess zumindest teilweise zu automatisieren, wodurch er transparenter und schneller abgewickelt werden kann, ist auf der einen Seite dessen informati-onstechnische Unterstützung in einem dedizierten BPMS (Business Process Management System) angemessen. Das zugrunde liegende Geschäftsprozessmodell integriert dabei sowohl elektronische

319in Anlehnung an Bauer u. a. 2010, S. 40 320vgl. Bauer u. a. 2010, S. 18–23

als auch manuell ausgeführte Aktivitäten. Auf der anderen Seite müssen zur Laufzeit eine Vielzahl von Ereignissen aus dem dynamischen Geschäftsumfeld und dem ausgeführten Geschäftsprozess selbst berücksichtigt werden, die den Verlauf des Geschäftsprozesses in Echtzeit beeinflussen. Re-levante Ereignisse sind in diesem Kontext beispielsweise Bestellereignisse, insbesondere bei späten Bestellungen, RFID-Ereignisse, der Eingang von Geschäftsdokumenten oder von kurzfristigen Flug-planänderungen. Welche Ereignisse in diesem dynamischen System auftreten können, ist demnach zwar von vornherein bekannt, ebenso ihre strukturelle Beschaffenheit, jedoch sind das tatsächliche Auftreten der Ereignisse zur Laufzeit, der Zeitpunkt ihres eventuellen Auftretens sowie ihre kon-krete Ausprägung nicht vorhersehbar. Darüber hinaus beeinflussen nicht nur singuläre Ereignisse den Verlauf des Geschäftsprozesses, sondern insbesondere auch Ereignismuster, die aus einer in Echtzeit zu identifizierenden Beziehung zwischen mehreren Ereignissen bestehen.

Aufgrund dieser Merkmale stellt das beschriebene Management von Echtzeitversorgungsketten im Luftfahrt-Catering einen adäquaten Anwendungsfall für dynamische Geschäftsprozesse auf Ba-sis von Ereignisverarbeitung dar (siehe Abschnitt 1.2), wodurch die in dieser Arbeit konzipierte Methode praxisnah angewendet und kritisch bewertet werden kann.