• Keine Ergebnisse gefunden

Belastung im Lehrberuf

Im Dokument DIPLOMARBEIT. Titel der Diplomarbeit (Seite 43-47)

4 Der Beruf LehrerIn

4.3 Belastung im Lehrberuf

Wo immer die Gesellschaft mit einer Schwierigkeit – Gewalt, Migration, Rassismus, Aids, Gesundheitsprophylaxe, Aufklärung, Umgang mit (neuen) Medien – nicht zurechtkommt, richtet sich der Anspruch an die Schule, korrigierend oder präventiv in gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen einzugreifen. (Bieri 2006: 38)

Eine Antwort auf diese veränderten Bedingungen sieht die Schule in zahlreichen Reformpro-jekten, von den Lehrkräften wird Engagement in allen Bereichen gefordert, sie sollen sich beispielsweise in Schulentwicklungsprojekten engagieren, Schulleitbilder erarbeiten, ihre Schule vermarkten und sich laufend fortbilden (Bieri 2006: 39). Unter diesen Voraussetzun-gen wird es für LehrerInnen nahezu unmöglich, allen ErwartunVoraussetzun-gen gerecht zu werden. Daher sind steigende Zahlen von vorzeitigen Pensionierungen und Dienstunfähigkeit nicht verwun-derlich (Bieri 2006: 40).

4.3 Belastung im Lehrberuf

Eine Untersuchung der BZ von Lehrkräften kann nicht umhin auch über weniger erfreuliche Aspekte des Berufes sowie Belastung und Beanspruchung zu sprechen. Belastung und Bean-spruchung sind aus dem Berufsalltag von LehrerInnen kaum wegzudenken. Oft werden die Begriffe synonym oder auch falsch verwendet, daher ist es sinnvoll sie definitorisch abzu-grenzen: „Psychische Belastung ist die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken“ (van Dick und Stegmann 2013: 45). Psychische Beanspruchung meint hingegen „die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Be-wältigungsstrategien“ (van Dick und Stegmann 2013: 45). Belastungen beziehen sich also grundsätzlich auf die Einflussgrößen der Umwelt, die auf LehrerInnen einwirken und potenzi-ell zu individupotenzi-ell empfundener Beanspruchung (z.B. Unwohlsein, Krankheit, Fehlzeiten) füh-ren können (van Dick und Stegmann 2013: 44).

Ein häufig zitiertes Modell zum Verständnis von Belastung und Beanspruchung stammt von Rudow (1994), das hier in der vereinfachten Form von van Dick und Stegmann (2013: 45) vorgestellt wird (Abbildung 3). Die „objektive Belastung“ umfasst dabei alle Arbeitsaufgaben und Bedingungen, unter denen sie erfüllt werden. Diese wirken auf die Lehrkraft ein. Durch den Schritt der individuellen „Widerspiegelung“ wird aus der objektiven Belastung die „sub-jektive Belastung“. Dabei üben die Einstellungen, Kompetenzen, Berufserfahrungen und das Befinden der Lehrperson einen wesentlichen Einfluss aus. Aus der subjektiven Belastung

re-44

sultieren zunächst positive oder negative „Beanspruchungsreaktionen“ (kurzfristig auftreten-de, reversible psychophysische Phänomene) und schließlich „Beanspruchungsfolgen“ (über-dauernde, chronische und bedingt reversible psychophysische Phänomene, vgl. Rudow 1994:

45).

Für Lehrerinnen stellt beispielsweise starker Lärm in der Schule eine Belastung dar, weil durch ihn das Bedürfnis nach Wohlbefinden im Beruf nicht befriedigt werden kann. Kurzfris-tig führt Lärm zu Anspannung und Kopfschmerzen. Diese negativen Beanspruchungsreaktio-nen sind aber reversibel, da sie durch Ruhe und entsprechende Beschäftigung in der Freizeit wieder ausgeglichen werden können. Sind diese subjektive Belastung und Beanspruchungsre-aktionen jedoch dauerhaft, kommt es zu negativen Beanspruchungsfolgen wie etwa chroni-schen Krankheiten (vgl. van Dick und Stegmann 2013: 45f.).

Rudow (1994) betont auch explizit die positive Bewertung von Belastungen der Arbeitstätig-keit durch LehrerInnen, die zu positiven Beanspruchungsreaktionen führt, wie angenehme geistige Aktivität und Wohlbefinden. Anhaltendes Wohlbefinden führt wiederum zu emotio-naler Stabilität. Hierbei spielt die BZ eine erhebliche Rolle (vgl. Rudow 1994: 46).

Abbildung 3: Rahmenmodell der Belastung und Beanspruchung (van Dick und Stegmann 2013:

45 nach Rudow 1994: 43; 46)

45 Eine weitere Perspektive auf den Komplex Beanspruchung und Belastung stammt von Gehr-mann (2009/2013). Ähnlich wie van Dick und StegGehr-mann (2013) definiert er Beanspruchung als „die messbare Veränderung von Körperfunktionen u.a. in Phasen der arbeitsmedizinischen Entspannung bzw. Anstrengung“ (2009: 457f). Er konstatiert, dass mit Ausnahme von Bean-spruchung in Folge von Lärm bisherige Untersuchungen keine überproportionalen Beanspru-chungen im Lehrberuf feststellen konnten. Die Herzfrequenz steigt lediglich zu Unterrichts-beginn und geht dann wieder zurück. Die deutlichste Beanspruchung wird durch das Treppen-steigen in den Pausen verursacht. LehrerInnen leiden überdies an den durchschnittlichen Zivi-lisationskrankheiten, Erkältungen und Allergien und weisen keine überdurchschnittliche Zahl an psychischen Erkrankungen auf (vgl. Gehrmann 2009: 457f.).

Gehrmanns Definition von Belastung variiert jedoch von jener van Dick und Stegmanns. Be-lastungen sind für ihn nicht bloß erfassbare äußere Einflüsse, die auf LehrerInnen einwirken, sondern „Belastung kennzeichnet die messbaren beruflichen Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern zu den arbeitsspezifischen Anforderungen ihrer Berufstätigkeit selbst bzw. be-schreibt ihre subjektiven Einstellungen zu Erwartungen an ihre Tätigkeit“ (Gehrmann 2013:

176). Somit bekommt der Begriff Belastung eine stark subjektive Komponente und ähnelt definitorisch jenem der BZ (vgl. Kap. 2.2). Belastungen werden demnach von den persönli-chen Einstellungen zu den arbeitsspezifispersönli-chen Aufgaben sowie den Erwartungen an die eige-ne berufliche Tätigkeit beeinflusst. Als Beispiel führt er an: „Arbeitszeiten, Erfahrungen und berufliche Selbstverständnisse erzeugen Antworten in qualitativen bzw. quantitativen Unter-suchungen“ (Gehrmann 2013: 176). Folglich bewerten LehrerInnen Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Berufslebens machen nicht nur individuell, sondern sie werden auch im Lichte der persönlichen Einstellungen zur Arbeit und den daran geknüpften Erwartungen gesehen und dementsprechend bewertet.

Krause und Dorsemagen (2014) führen in ihrer Überblicksarbeit zur Lehrerbelastungsfor-schung folgende Arbeitsplatz- und -bedingungsbezogene Belastungsfaktoren an, die sich ne-gativ auf die Gesundheit von Lehrpersonen auswirken:

1. Schwierige und verhaltensauffällige SchülerInnen sowie Disziplinschwierigkeiten, hohe An-zahl an Unterrichtsstörungen, verbale und körperliche Gewalt bzw. Aggressionen

2. Hohe Anzahl an SchülerInnen in der Klasse, insbesondere wenn der Anteil schwieriger SchülerInnen hoch ist, hohe Anzahl an zu unterrichtenden Schulklassen

3. Hohes Arbeitspensum, quantitative Überforderung, starker Zeitdruck, lang anhaltende Pha-sen mit Arbeitsspitzen, Übernahme mehrerer Zusatzämter neben der Unterrichtsverpflich-tung

4. Hoher Lärmpegel und schlechte akustische Rahmenbedingungen in der Schule

46

5. Zwang, eigene Gefühle zu unterdrücken (z.B. Ärger) und damit einhergehende emotionale Dissonanz

6. Konflikte im Kollegium sowie Mobbing

7. Konflikte zwischen Schulleitung und Teilen des Kollegiums

8. Unsicherheit, fehlende Klarheit bei Aufgaben, widersprüchliche Ziele und Erwartungen, Rollenkonflikte und Rollenambiguität

9. Übernahme von Aufgaben, die nicht der Qualifikation entsprechen; hohes Ausmaß administ-rativer Aufgaben und bürokratischer Zwänge

10. Schlechte räumliche Situation, fehlende Arbeitsplätze, fehlende Lehr- und Lernmittel, schlechte Hygiene am Arbeitsort

11. Konflikte mit Eltern bzw. Ausbildnern bei berufsbildenden Schulen

12. Überforderung durch Reformtempo und Anzahl angestrebter Veränderungen, die auch im Zusammenhang mit den Instrumenten des New Public Managements stehen, z.B. externe Evaluation, Qualitätsmanagement, messbare Erfolgskennzahlen

13. Qualitative Überforderung, die beispielsweise bei Berufsbeginn stark ausgeprägt sein kann;

Versetzung an eine andere Schulform

14. Jobunsicherheit, (im Vergleich) geringe Entlohnung und niedriger Status (Krause und Dorsemagen 2014: 992)

Auch wenn die definitorischen Abgrenzungsversuche zwischen Beanspruchung, Belastung und Berufszufriedenheit in der Lehrerforschung der letzten 20 als „erratisch“ bezeichnet wer-den können und nach wie vor kein allgemein akzeptiertes Befragungsinstrument existiert, das

„abgrenzbar“ Belastung, Beanspruchung und BZ im Lehrberuf misst (vgl. Gehrmann 2013:

177), ist die Interdependenz der Phänomene nicht von der Hand zu weisen. Gehrmann betont:

Berufszufriedenheit markiert in der Lehrerforschung also ein Konstrukt, das seinen Gehalt aus einem Zusammenspiel aus situativen Erfahrungen und individuellen Einstellungen von Lehrern zu je gegebenen beruflichen Belastungsprofilen gewinnt. Diese können sowohl verursacht sein durch objektiv messbare Veränderungen wie Lärm als auch durch die subjektive Verarbeitung von Eindrücken über das Schulehalten (Schüler, kollegiale Kontexte, Schulleitung, Arbeitszeit usw.). (Gehrmann 2013: 178, Hervorhebungen im Original)

Angesichts der zahlreichen Belastungsmomente, seien sie nun objektiv messbar oder subjek-tiv empfunden, verwundern die konstant hohen globalen Zufriedenheitswerte, die LehrerIn-nen immer wieder äußern (s. Kap. 3.3.8). Offensichtlich reagiert jeder Organismus völlig un-terschiedlich auf Belastungen, womit diese nur vermeintlich objektivier bar sind (vgl. Gehr-mann 2012: 177). Jede Lehrperson verarbeitet Belastungen individuell, daher ist es umso sinnvoller einen qualitativen Zugang zum Thema zu wählen und nicht zu versuchen, das Ausmaß einer bestimmten Beanspruchung zu messen, sondern vielmehr den individuellen Umgang mit Belastungen zu explizieren.

47 4.4 Zusammenfassung

Gegenstand dieses Kapitels waren zunächst allgemeine Charakteristika des Lehrberufs, die einen potenziellen Einfluss auf die BZ von LehrerInnen haben. Anschließend wurden explizit die gesetzlich verankerten Tätigkeitsbereiche von Lehrkräften präsentiert. Dabei wurden aus-zugsweise Stellen aus dem SchOG und SchUG zitiert, um die vielfältigen und anspruchsvol-len Aufgaben aufzuzeigen, die LehrerInnen in „eigenständiger und verantwortlicher Unter-richts- und Erziehungsarbeit“ zu erfüllen haben. Belastungen, die mit der Bewältigung des täglichen Arbeitspensums einher gehen, meinen nicht nur erfassbare äußere Einflüsse, die psychisch auf die Lehrkraft einwirken, sondern beschreiben auch deren subjektive Einstellun-gen zu den ErwartunEinstellun-gen an die Tätigkeit. Demnach häufig geäußerte Belastungsmomente betreffen etwa unsoziales Verhalten von SchülerInnen, hohe Klassenschülerzahlen oder ein hohes Arbeitspensum.

Im Dokument DIPLOMARBEIT. Titel der Diplomarbeit (Seite 43-47)