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Begründetheit der Klage

Im Dokument 11 07 (Seite 152-155)

13. Polizeirechtliches Vorgehen nach der TrinkwV 2001 – an Beispielen

13.1 Erlass von Nutzungseinschränkungen

13.1.1 Grundfall

13.1.1.2 Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, soweit die Nutzungseinschränkung rechtswidrig ist und die Kläger dadurch in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).594 Die Nutzungsein-schränkung ist allerdings rechtmäßig, wenn eine Ermächtigungsgrundlage vorliegt und deren Voraussetzungen erfüllt sind. Als Ermächtigungsgrundlage kommt § 20 Abs. 3 Nr. 1 TrinkwV 2001 in Betracht. Zu prüfen ist, ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist zunächst die Nichteinhaltung der in den §§ 5-7 TrinkwV 2001 aufgeführten Grenzwerte und Anforderungen.

a) Mikrobiologische Anforderungen

§ 5 Abs. 1 TrinkwV 2001 verlangt, dass Krankheitserreger nicht in Konzentrationen vorhan-den sein dürfen, die eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen. Aus der amtlichen Begründung595 geht hervor, dass mit dieser Formulierung die konkrete Gefahr des allgemeinen Polizeirechts gemeint ist. Es wird ausdrücklich nicht auf Vorsorge Bezug genommen. Aus dem Sachverhalt lässt sich dafür aber nichts erkennen. G hat sich beim Erlass der Verbotsverfügung nicht auf das Vorhandensein biologischer Verunreinigungen bezogen.

b) Generalklausel für chemische Anforderungen

§ 6 Abs. 1 TrinkwV 2001 stellt eine dem § 5 Abs. 1 entsprechende Anforderung an die Kon-zentration chemischer Stoffe. Für bestimmte Stoffe enthält die Anlage nach § 6 Abs. 2 TrinkwV 2001 eine Konkretisierung dieser Anforderung, die aber nicht abschließend ist. Sie ist hier auch nicht hilfreich, weil die Stoffe mit einer Ausnahme nicht Bestandteile von Epoxidharzen sind. Daher ist in diesem Fall eine besondere Feststellung darüber erforderlich welche Stoffe in welchen Konzentrationen vorliegen und ob sich daraus eine Gesundheits-gefahr ergibt. Aus der amtlichen Begründung geht hervor, dass zur Konkretisierung dieser Anforderung Leitlinien des UBA herangezogen werden sollen, um den einheitlichen Vollzug der VO zu gewährleisten und um die Gesundheitsämter zu entlasten.596 Die Begründung be-zieht sich zwar auf § 9 TrinkwV 2001. Diese Vorschrift behandelt aber genauso wie § 20 Abs. 3 Maßnahmen im Falle der Nichteinhaltung von Grenzwerten. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass der Verordnungsgeber die Anwendbarkeit der UBA-Leitlinien für die An-wendung des § 20 Abs. 3 ausschließen wollte. Immerhin sind die Bewertungsprobleme die gleichen. Das Gesundheitsamt darf sich also nach der Vorstellung des Verordnungsgebers für eine Untersuchung nach § 6 Abs. 1 immer auf die einschlägigen UBA-Leitlinien stützen.

Fraglich ist, ob das Gesundheitsamt den Nachweis der Nichteinhaltung der Anforderungen erbringen muss oder ob nicht ausnahmsweise der Adressat der Maßnahme den Nachweis der Einhaltung der Grenzwerte erbringen muss. Zwar gilt im Verwaltungsgerichtsprozess der Grundsatz der Amtsaufklärung, so dass es im Grunde einer Beweislastregel zunächst nicht bedarf (§ 86 Abs. 1 VwGO). Wenn der Umstand jedoch unaufklärbar bleibt, stellt sich aber doch die Frage, wer den Nachteil der Unaufklärbarkeit der Tatsache tragen soll – der Staat oder der Bürger. Im Grundsatz gilt: Sind die Voraussetzungen für ein Eingreifen nicht gege-ben, so ist die Maßnahme rechtswidrig.

594 Es wird im Folgenden unterstellt, dass es sich bei dem Verbot um einen Verwaltungsakt handelt und dass die Anfechtungsklage statthaft ist.

595 Begründung der Bundesregierung zu § 6 Abs. 1, abgedruckt bei Dilly/Welsch 2003, 39.

596 Begründung der Bundesregierung zu § 9 vor „zu Absatz 1“, abgedruckt bei Dilly/Welsch 2003, 55 f.

Eine isolierte Betrachtung der §§ 20 Abs 3 und 6 TrinkwV 2001 scheint zunächst für die-sen Fall nichts anderes zu ergeben. Sie sind so strukturiert wie andere Normen des Polizei- und Ordnungsrechts auch, so dass das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20 Abs. 3, 6 TrinkwV 2001 im Prozess erwiesen werden muss. Durch Einbeziehung von § 17 Abs. 1 TrinkwV 2001 könnte sich aber eine Umkehr der „Beweislast“ ergeben. Die Vorschrift lautet:

„Für die Neuerrichtung oder die Instandhaltung von Anlagen für die Aufbereitung oder die Verteilung von Wasser für den menschlichen Gebrauch dürfen nur Werkstoffe und Materialien verwendet werden, die in Kontakt mit Wasser Stoffe nicht in solchen Konzentrationen abgeben, die höher sind als nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik unvermeidbar, oder den nach dieser Verordnung vorgesehenen Schutz der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar mindern, oder den Geruch oder den Geschmack des Wassers verändern; (…). Die Anforderung des Satzes 1 gilt als erfüllt, wenn bei Planung, Bau und Betrieb der Anlagen min-destens597 die allgemein anerkannten Regeln der Technik eingehalten werden.“

Seeliger deutet den Satz 2 dieser Vorschrift als Negativvermutung: „Die Anforderungen des Satz 1 sind jedenfalls nicht erfüllt, wenn die aaRdT nicht eingehalten sind.“598 Dieser Ausle-gung kann nicht gefolgt werden. Es handelt sich vielmehr um eine Positivvermutung. Der Verordnungsgeber wollte mit dieser Vorschrift sagen: Es kann davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen der §§ 5-7 erfüllt sind, wenn die aaRdT eingehalten werden. Das be-deutet wiederum, dass bei Einhaltung dieser Regeln (bzw. strengerer Vorgaben) die Behörde nur einschreiten muss, wenn es besondere Verdachtsmomente gibt. Für eine Negativformulie-rung hätte die Vorschrift anders formuliert sein müssen:

„Sind die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten, wird vermutet, dass die Vorgaben dieser Verordnung nicht erfüllt sind.“

Außerdem spricht auch das Wort „mindestens“ gegen eine Negativfiktion. Auch bei der Auslegung als Positivfiktion bleibt § 17 TrinkwV 2001 eine Norm mit Sinn, weil sie für die Gesundheitsämter nach wie vor Vollzugserleichterungen bringt: Die Nachforschung bezieht sich zunächst nur auf die Einhaltung der aaRdT. Nur wenn diese nicht eingehalten werden, sind weitere Untersuchungen nötig. Im Übrigen widerspricht sich Seeliger mit seiner Ausle-gung selbst. In der Kommentierung zu § 4 TrinkwV 2001 interpretiert er die entsprechende Formulierung des § 4 Abs. 1 TrinkwV 2001 als Positivfiktion.599

Zwischenergebnis: Aus § 17 Abs. 1 TrinkwV 2001 ergibt sich keine „Beweislastumkehr“.

Vielmehr muss das Gesundheitsamt nachweisen, dass die Anforderungen des § 6 TrinkwV 2001, wie sie durch die jeweils einschlägige UBA-Leitlinie konkretisiert sind, nicht einge-halten sind.

Für den Fall der Epoxidharzleitlinie, die Positivlisten verwendbarer Kunststoffe enthält, bedeutet das Folgendes: Aus der UBA-Leitlinie ergibt sich, dass eine Gesundheitsgefahr im-mer dann vorliegt, wenn andere als die gelisteten Stoffe in einer Harzrezeptur vorhanden sind oder wenn gelistete Stoffe in höheren Konzentrationen vorliegen, als es nach dieser Leitlinie vorgesehen ist. Daher muss das Gesundheitsamt nachweisen, dass entweder ein nicht geliste-ter Stoff Bestandteil der Harzrezeptur ist oder dass ein gelistegeliste-ter Harzbestandteil in höheren Konzentrationen vorkommt, als es nach der Leitlinie zulässig ist. Da die Leitlinie unver-bindlich ist, muss außerdem die Gefährlichkeit eines nicht gelisteten Stoffes bewiesen wer-den.

597 Hervorhebung durch die Verfasser.

598 Oehmichen/Schmitz/Seeliger 2001, 50.

599 Oehmichen/Schmitz/Seeliger 2001, 26.

G weiß aber in diesem Fall noch nicht einmal, welches Harz verwendet wurde. Daher kann es im konkreten Fall auch nicht den Nachweis erbringen, dass Stoffe in Konzentrationen vor-liegen, die höher sind als nach der UBA-Leitlinie vorgesehen. Auch kann es nicht nachwei-sen, ob nicht gelistete Stoffe enthalten sind. Damit sind zunächst die Voraussetzungen des

§ 20 Abs. 3 nicht erfüllt. Auf § 6 Abs. 2 kommt es, wie zuvor dargelegt, nicht an.

c) Minimierungsgebot

Es fragt sich aber, ob die Anforderung des § 6 Abs. 3 TrinkwV 2001 erfüllt ist. Danach sind Konzentrationen von chemischen Stoffen, die das Wasser für den menschlichen Gebrauch verunreinigen oder seine Beschaffenheit nachteilig beeinflussen, so niedrig zu halten, wie dies nach den aaRdT mit vertretbarem Aufwand unter Berücksichtigung der Umstände des Einzel-falles möglich ist. Nun gibt es für den Bereich der Rohrinnensanierung mit Epoxidharz derzeit noch keine aaRdT. Das ist eine Situation, an die der Gesetzgeber offenbar nicht gedacht hat;

in der amtlichen Begründung findet sich nichts für den Umgang mit dieser Konstellation. Da Genese und Wortlaut nichts für die Sinnermittlung ergeben, muss der Sinn anhand der Systematik und anderer objektiver Umstände ermittelt werden.

Ein denkbares Auslegungsergebnis wäre: Da es für ein Verfahren keine aaRdT gibt, kann das Minimierungsgebot auch nicht erfüllt werden, so dass das Verfahren zu unterbleiben hat.

Dieses Ergebnis ist aber aus verschiedenen Gründen abzulehnen. Zum einen würde so den aaRdT eine Bedeutung zugemessen, die sie nach dieser Vorschrift nicht haben sollen: Diese Regeln sind – das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift – Abwägungstopoi. Sie finden daher nur als ein Aspekt unter vielen Eingang in die Abwägung. Zum anderen widerspricht dieses Ergebnis dem Charakter des Minimierungsgebots als „weicher“ Anforderung. So heißt es in der Begründung: „Die Reduzierung des Gehalts an Stoffen, die Trinkwasser verunreini-gen oder seine Beschaffenheit nachteilig beeinflussen können, ist stets im Sinne einer gesund-heitlichen Vorsorge sinnvoll.“600 Außerdem spricht die Vorschrift nur von der möglichen Re-duzierung von Stoffen. Auch muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass die ent-sprechende Richtlinie der EG601 den Ausdruck „allgemein anerkannte Regeln der Technik“

gar nicht kennt und auch ähnliche Begriffe nicht verwendet. Vielmehr wird bei der Festlegung der Qualitätsanforderungen allein auf die Zusammensetzung des Wassers abgehoben (siehe Art. 4, 5 und 10 der Richtlinie). Auch wegen des Gebots der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des EG-Rechts kann daher diesem Begriff keine so große Bedeutung zukommen.

Statt dessen ist vielmehr zu fragen, wozu die Anwendung des § 6 Abs. 3 TrinkwV 2001 in der Regel führt. Indem sie die Minimierung bestimmter Stoffkonzentrationen vorschreibt, will sie in Verwirklichung des Vorsorgeprinzips möglichst weitgehenden Gesundheitsschutz ge-währleisten. Vor allem geht sie damit über das Schutzniveau des § 6 Abs. 1 und Abs. 2 hin-aus. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass einige Grenzwerte aus den Anlagen zur TrinkwV 2001 bereits Vorsorgegrenzwerte sind. Dieser sehr weitgehende Schutz wird aber von der VO nicht absolut gewährt, sondern steht unter dem Vorbehalt der Abwägung mit anderen Aspekten. Unter anderem kommt es auf die Möglichkeiten an, die die aaRdT bieten.

Allgemein anerkannt sind diese Regeln, wenn sie die herrschende Ansicht der Fachleute wie-dergeben und erprobt sind. Das Erfordernis der Erprobung stellt sicher, dass Verfahren nach

600 Begründung der Bundesregierung zu § 6 Abs. 3, abgedruckt bei Dilly/Welsch 2003, 43; Hervorhebung durch die Verfasser.

601 98/83/EG, ABl. L 330 v. 5.12.1998, S. 32-54.

den aaRdT technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar sind. Die Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit tauchen auch in der Formulierung „vertretbarer Aufwand“ auf.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen: Der Verordnungsgeber wollte mit dem Verweis auf die aaRdT das Minimierungsgebot unter den Vorbehalt der technischen und wirtschaft-lichen Machbarkeit stellen.

Für diesen Fall bedeutet das also: Anders als die Vorgaben aus § 6 Abs. 1 TrinkwV 2001 gilt das Minimierungsgebot nicht absolut. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Senkung von Stoffkonzentrationen technisch und wirtschaftlich möglich ist, wobei es auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Sofern also ein Harz verfügbar ist, dass bestimmte Stoffe in geringeren Konzentrationen abgibt als andere, ist jenes vorzuziehen. Bei der Abwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zur Epoxidharzsanierung nur die Alternative des Komplettaustau-sches des Rohrsystems bleibt. Diese ist aber wesentlich teurer. Oft ist aber eine Sanierung ge-boten, weil unsanierte Rohre ebenfalls eine Gesundheitsgefahr darstellen können. Es sind aber bisher keine Stoffe bekannt, die dem hier verwendeten Harz überlegen sind. Daher ist auch nicht gegen diese Vorgabe verstoßen worden.

Weil ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 TrinkwV 2001 nicht ersichtlich ist, sind die Vorausset-zungen des § 20 Abs. 3 TrinkwV 2001 nicht erfüllt. Die Nutzungseinschränkung ist daher rechtswidrig. Die Kläger sind durch das Verbot in ihren Rechten verletzt, namentlich Art. 12 GG (Vermietung von Wohnräumen als Beruf), Art. 14 GG (Nutzung des Eigentums) und hilfsweise noch Art. 2 Abs. 1 GG. Damit ist die Anfechtungsklage gegen das Verbot be-gründet.

Im Dokument 11 07 (Seite 152-155)