• Keine Ergebnisse gefunden

Die Bedeutung des Lehramtes für die »applicatio fidei« im Bereich der Sitt- Sitt-lichkeit implizierte die Frage nach dem Umfang dessen, was zur

Im Dokument KIRCHE SITTLICHES (Seite 195-200)

J. Ratzinger geht davon aus, daß die Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes«

2. Die Bedeutung des Lehramtes für die »applicatio fidei« im Bereich der Sitt- Sitt-lichkeit implizierte die Frage nach dem Umfang dessen, was zur

Sittlich-keit gehört.

9 6 Siehe Anm. 60.

9 7 Ebd. 280.

9 8 Siehe 5. 3.7.

9 9 Siehe Anm. 93.

1 0 0 A. RIEDL, a.a.O. (s. Anm. 3); vgl. auch: J. D A V I D , Diskussion um »Glaube undSit-ten«, in: Orien. 35 (1971) 70-72; ders., Glaube und Sitten: eine mißverständliche For-mel, in: Orien. 35 (1971) 32-34.

Für das I. Vatikanische Konzil stellt A . Riedl zusammenfassend fest: »Als Lehrgegenstand bezeichnen die >mores< in erster Linie das sittliche Verhal-ten. In der Zeit des Vatikanums haben sie unzweifelhaft diese Bedeutung, ohne daß sie allerdings darauf ausdrücklich und per definitionem einge-schränkt werden ...

Wenn man damals aber - worin eine bedeutsame Feststellung liegt - unter

>mores< gemeinhin >Moral< verstand, so steht der Ausdruck doch generell für alles, was im Bereich des kirchlichen Lebens und christlichen Handelns Gegenstand definitiver Lehrentscheidung zu werden vermag ... Vor allem sind die >mores< von >fides< her zu bestimmen. Sie stehen nicht einfach ne-ben, sondern vielmehr unter >fides<, als ein Teil, ein Ausdruck davon1 0 1

Die von J. David vorgeschlagene Trennung von »Offenbarungsmoral«

und »natürlichem Sittengesetz« läßt daher zu viele Gesichtspunkte außer acht, um befriedigen zu können. Das umgekehrte Problem liegt bei »Hu-manae Vitae« vor. Dort wird keinerlei Unterschied zwischen »Offenbarungsmoral« und »natürlichem Sittengesetz« angebracht. In diesem Z u -sammenhang ist der Hinweis von K . Rahner wichtig, daß es durchaus ei-nen Unterschied zwischen moraltheologischen Sätzen einerseits und »me-taphysischen« Glaubenssätzen andererseits gebe, auch wenn dieser »nicht so groß und eindeutig ist, wie man zunächst zu denken geneigt sein

mag«1 0 2. K . Rahner kennzeichnet diesen Unterschied nicht näher.

3. Der entscheidende Beziehungspunkt liegt für das Lehramt in der Verkün-digung des Glaubens. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann auch das na-türliche Sittengesetz zu betrachten und die Kompetenz des Lehramtes zu prüfen. F. Böckle hat dies mit dem Hinweis auf die »applicatio fidei« her-ausgestellt.

Diese Perspektive führt von der biblischen Verkündigungssituation her K . Demmer weiter: »Die moralische Kompetenz des kirchlichen Lehramts ist von den Strukturen wie Anforderungen der neutestamentlichen Verkün-digungssituation vorbestimmt. Letztere zeichnet sich zu allererst durch ihre untrennbare Vollzugseinheit von Glaube und Verstehen aus. Das er-scheint nur auf der Ebene eines strikt geschichtlichen Denkens verständ-lich, welches ein Operieren mit hypostasierten Abstraktionen konsequent vermeidet und die daraus erfließenden Antinomien immer neu auf ihren synthetischen Vermittlungsgrund hinterfragt; konkret bedeutet das: wel-ches methodisch am subjektiven Einsichtsvollzug des Glaubenden ansetzt und nicht an einer ungeschichtlich-objektivistischen Diastase von >lex Christi< (Glaubenssätzen) und >lex naturalis< (Naturrechtssätzen). Der konkret-geschichtliche Einsichtsakt verschmilzt vielmehr immer schon ontologisch vorgängig zur genannten Untertrennung beide Dimensionen

1 0 1 A. R I E D L, a.a.O. 364/365.

1 0 2 Siehe Anm. 90.

der einen und unteilbaren Wirklichkeit miteinander; das geschieht auf der Ebene des Athematisch-Vorsatzhaften, was auf der Ebene des Thema-tisch-Satzhaften, die sich durch geringere Dichte und Ursprünglichkeit auszeichnet, weil sie schon mit Abstraktionen arbeitet, nicht immer und überall explizit zutage tritt. Er ergreift im A k t der Verschmelzung das Ganze der im Glauben endgültig erschlossenen Wirklichkeit, in dessen Sinnzusammenhang jede Einzelaussage steht1 0 3

Neben der fundamentaltheologisch-dogmatischen Diskussion über das Lehramt bildet auch die moraltheologische über die Kompetenz des Lehram-tes im Bereich des Naturrechts ein wichtiges Stück Kirchenverständnis.

5. 6. D I E E R K L Ä R U N G » M Y S T E R I U M E C C L E S I A E «1 0 4

Die Erklärung »Mysterium ecclesiae« soll deshalb zum Schluß dieses Kapitels zu Wort kommen, weil wir einerseits einen die dogmatische wie moraltheo-logische Diskussion übergreifenden Gesichtspunkt aufzuzeigen suchen, an-dererseits sehen wollen, wie das kirchliche Lehramt zur »Vertiefung des wah-ren Wollens« des Konzils beiträgt.

»Mysterium ecclesiae« ist, wie K . Lehmann in seinem Kommentar schreibt, eine »offizielle Verlautbarung der Kongregation für die Glaubenslehre und damit eine Äußerung des universalen Lehramtes1 0 5.« Sie gibt den Willen des Papstes wieder.

»Mysterium ecclesiae«, die Anfangsworte der »Declaratio«106, weisen auf die enge Verbindung mit der Kirchenkonstitution hin. In der Erklärung wird po-sitiv von einer Vertiefung der nachkonziliaren Ekklesiologie durch viele ek-klesiologische Darstellungen gesprochen1 0 7.

1 0 3 K . D E M M E R , Die Weisungskompetenz des kirchlichen Lehramts im Licht der

spezi-fischen Perspektivierung neutestamentlicher Sittlichkeit, in: K . D E M M E R / B. SCHÜL-LER, Hrsg., Christlich glauben und handeln. Fragen einer fundamentalen Moraltheo-logie. Düsseldorf 1977. 122-144, hier 128. Vgl. jetzt auch ders., Sittlich handeln aus Verstehen. Strukturen hermeneutisch orientierter Fundamentalmoral. Düsseldorf 1980. 240-257.

1 0 4 KONGREGATION FÜR DIE G L A U B E N S L E H R E , Erklärung »Mysterium ecclesiae« zur

katholischen Lehre über die Kirche und ihre Verteidigung gegen einige Irrtümer von heute. Ubersetzt von O . SEMMELROTH. Erklärung vom 15. Februar 1975. Von den deutschen Bischöfen approbierte Ubersetzungen. Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von K . L E H M A N N. Trier (NKD 43) 1975.

1 0 5 K . L E H M A N N, ebd. 28.

1 0 6 Die genaue theologische Qualifikation der Declaratio ist schwierig zu ermitteln.

Die Declaratio bezieht sich mehr als andere literarische Genera des kirchlichen Lehr-amtes auf gegenwärtige Zeitverhältnisse.

1 0 7 »Nicht wenige von ihnen haben zu seinem tieferen Verständnis beigetragen.« (Ein-leitung).

»Einige aber haben durch unklare oder auch irrige Aussagen die katholische Lehre verdunkelt und gingen zuweilen soweit, sich auch in grundlegenden Fragen in Gegensatz zum katholischen Glauben zu stellen1 0 8.« Positiv wird von den »einander verwandten Erklärungen« der Bischöfe vieler Länder ge-sprochen. »Es bleibt jedoch überraschend und merkwürdig, daß in >Myste-rium ecclesiae< diese >Erklärungen< der genannten Bischofskonferenzen an keiner Stelle konkret zitiert werden, obgleich in den sechzig Anmerkungen auch Dokumente von erheblich geringerer Bedeutung ... angeführt

wer-den1 0 9

Dieser Hinweis von K . Lehmann ist in unserem Zusammenhang deshalb wichtig, weil wir, wenn auch in anderer Form, dasselbe Problem bei »Humanae Vitae« feststellen konnten, das im Verhältnis des Papstes und den B i -schöfen begründet ist.

Bei »Humanae Vitae« hat der Papst als Träger des universalen Lehramtes der Kirche sich nicht das Votum der Bischöfe zu eigen gemacht, hier werden zwar die Erklärungen der Bischöfe erwähnt, aber nicht berücksichtigt. Das damit verbundene theologische Problem der Kollegialität der Bischöfe unter-einander, besonders aber mit dem Bischof von R o m , kommt damit verschärft in den Blick. Damit ist auch die Glaubwürdigkeit lehramtlicher Äußerungen angesprochen.

»Mysterium ecclesiae« versucht, ihren Maßstab ganz eindeutig vom I. und IL Vaticanum her zu gewinnen. Es bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob das gelun-gen ist. Wie auch in anderem Zusammenhang J. Ratzinger und W . Breuning, betont auch K . Lehmann in seinem Kommentar: »Unbeschadet dieser Be-denken wird jede negative Beurteilung der Sachaussagen von >Mysterium ec-clesiae< sich jedoch fragen lassen müssen, wie sie sich zum Inhalt der Konzils-aussagen stellt. Es hat wenig Sinn, sich auf den >Geist< dieses Konzils zu beru-fen, wenn man seinen >Buchstaben< nicht (mehr) kennt, geringschätzt oder gar verachtet. Eine theologische Entwicklung über die Konzilstexte hinaus ist durchaus möglich, aber diese kann nicht über die gelegten Fundamente ein-fach hinweggehen1 1 0

Beim Vergleich der Texte von »Mysterium ecclesiae« und der Texte des Kon-zils fällt auf, daß die zitierten Texte sich an ihrem Ursprungsort in den Konzilstexten »in einem reicheren, dynamischen und in vielfältigen Dimen-sionen stehenden Kontext befinden1 1 1.« Z u bedauern bleibt sicher auch, daß dieses Dokument, das zuerst ein innerkatholisches Wort ist, die ökumenische Bedeutung des Textes nicht stark genug berücksichtigt hat.

1 0 8 Einleitung.

1 0 9 K. L E H M A N N, a.a.O. 36. Anm. 37.

1 1 0 Ebd. 37.

1 1 1 Ebd. 48.

In der N r . 2 spricht die »Declaratio« über die Unfehlbarkeit der Kirche. »Zu-nächst muß anerkannt werden, daß>Mysterium ecclesiae< die Behandlung des unfehlbaren kirchlichen Lehramtes in den Kontext der Aussagen von der U n -fehlbarkeit der ganzen Kirche einbettet. Ganz bewußt wird auch in diesem Punkt die Gedankenführung des Vaticanum II aufgenommen, denn das zweite Kapitel der Kirchenkonstitution, darin der Artikel 12, hatte zum Ziel, jede Rede von einer Amtsunfehlbarkeit in das Ganze des Gottesvolkes ein-zuordnen und von dort her zu begründen1 1 2.« Die Vieldimensionalität der Unfehlbarkeit wird beschrieben, auch die Grenzen der Indefektibilität der Kirche näher bestimmt. Das Hauptkriterium für die Infallibilität liegt im Konsens des ganzen Volkes »von den Bischöfen bis zu den letzten Laien« be-gründet. Die aktive Rolle des Gottesvolkes in Glauben und Bekenntnis ist deshalb sehr wichtig. »>Mysterium ecclesiae< fällt an dieser Stelle keineswegs hinter die Konzilsaussagen zurück, sondern umschreibt die aktive Rolle des Gottesvolkes in seinem vielfältigen Beitrag zum Wachsen des Glaubensver-ständnisses in der Kirche1 1 3.« Diese Ausführungen der »Declaratio« werden durch ein Wort Papst Paul VI. aus der apostolischen Mahnung » Quinque iam anni« aus dem Jahre 1971 ergänzt, »daß die Hirten der Kirche ihr >Zeugnis<

ablegen, >das in der heiligen Tradition und der Heiligen Schrift begründet und verankert und vom Leben des ganzen Gottesvolkes genährt ist<«1 1 4. Das Wechselverhältnis der Gesamtheit des Episkopats und der christlichen Gemeinden kommt im Text nicht genügend zum Vorschein. Der Schwer-punkt liegt auf der eigenen Funktion des Lehramtes. »Die formale Betrach-tung der lehramtlichen Kompetenz führt ungewollt zu einer wiederum isolierten Sicht der Funktion des Lehramtes, jedenfalls verglichen mit dem K o n -text >Unfehlbarkeit der ganzen Kirche<. Die Autorität des Lehramtes wird so sehr in ihrer formaljuristischen Bevollmächtigung betrachtet, daß in man-chen Formulierungen ungeachtet des aufgezeigten wechselseitigen Bedin-gungsverhältnisses zwischen der Unfehlbarkeit des Amtes und der ganzen Kirche ein einbahniges Verhältnis zu herrschen scheint1 1 5.« Dies kommt in der »Declaratio« besonders zum Ausdruck, wenn es heißt: »Kraft göttlicher Einrichtung ist es jedoch Sache einzig dieser Hirten, der Nachfolger des Pe-trus und der übrigen Apostel, authentisch, das heißt kraft verschiedenartiger Teilhabe an der Autorität Christi, die Gläubigen zu lehren1 1 6.« Ist damit die Vielschichtigkeit der konziliaren Aussagen wie des vorhergehenden Kontex-tes genügend zum Ausdruck gebracht, wenn hier einzig der Hierarchie die authentische Vermittlung des Evangeliums zugesprochen wird?

1 1 2 Ebd. 58.

1 1 3 Ebd. 6 3 .

1 1 4 Declaratio Nr. 2, siehe in der Declaratio auch Anm. 19.

1 1 5 K . L E H M A N N, a.a.O. 65/66.

1 1 6 Declaratio Nr. 2.

Für unseren Zusammenhang ist noch die N r . 5 der »Declaratio« »Keine Fäl-schung des Begriffes der Unfehlbarkeit der Kirche« von Bedeutung, die auf die geschichtliche Bedingtheit der Glaubensaussagen hinweist. Vier Prinzi-pien werden für diese Bedingtheit genannt:

1. Die Aussagekraft und Sprache einer bestimmten Zeit.

2. Die Möglichkeit der Entfaltung einer dogmatischen Wahrheit, die »zu-nächst in unvollständiger, aber deshalb nicht falscher Weise ausgedrückt

wird1 1 7

3. Das, was in Schrift und Tradition enthalten ist, wird angesichts neuer Fra-gen oder Irrtümer bestätigt oder erhellt.

4. Die Wahrheiten, die das Lehramt vorträgt, unterscheiden sich zwar vom wandelbaren Denken einer Zeit, können aber vom Denken dieser Zeit be-einflußt sein.

Der Abschnitt bemüht sich, den positiven Sinn der Unfehlbarkeit in den Vordergrund zu rücken. »Mit >Infallibilität< ist nicht nur ein unbestimmbares Gehaltenbleiben in der Wahrheit Jesu Christi gemeint - >trotz aller Irrtümer<

- , sondern >Unfehlbarkeit< ist eine unter gewissen Voraussetzungen durch aktivierbare, reale geschichtliche Bedeutung erlangende, geistgewirkte Befä-higung der Kirche, die geoffenbarte Wahrheit durch ihre Glaubensaussagen positiv treffen und konkret bestimmen zu können1 1 8

Gerade durch die Aufnahme des Themas Geschichtlichkeit dogmatischer Aussagen hat dieser Abschnitt N r . 5 seine Bedeutung erhalten, der damit si-cher der zukunftsweisende der »Declaratio« ist.

Für unsere Fragestellung bleibt von »Mysterium ecclesiae« festzuhalten:

1. Der durch den Titel schon angedeutete enge Bezug der »Declaratio« zu den Texten des II. Vatikanischen Konzils.

2. Das Problem der tatsächlichen Einbeziehungen bischöflicher Verlautba-rungen in Texte des universalen Lehramtes.

3. Die Einbettung des Lehramtes in das Gesamt des Gottesvolkes, damit ver-bunden aber auch die Schwierigkeit, die Mehrdimensionalität der ekkle-siologischen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils nicht auf eine Eindi-mensionalität des Lehramtes im Bereich der Verkündigung zu reduzieren.

4. Die geschichtliche Bedingtheit der Offenbarung und damit dogmatischer Aussagen zu erkennen. Dies gilt analog auch für moraltheologische Aus-sagen des Lehramtes, zu denen auch Erklärungen naturrechtlichen Inhalts gehören.

Im nächsten Kapitel werden wir uns mit dem Kirchenverständnis in den Bei-trägen zum Proprium Christianum auseinandersetzen, da diese Frage die Grundlagendiskussion nach dem II. Vatikanischen Konzil ganz entscheidend prägte.

1 1 7 Ebd. Nr. 5.

1 1 8 K. L E H M A N N, a.a.O. 95.

Im Dokument KIRCHE SITTLICHES (Seite 195-200)