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5.3.1 „Lagezuschläge“, eine rechtliche Grauzone?

6 Hypothesen zu Effekten der Lageregulierung

6.3 Auswirkungen einer „Grauzone“

Obige Ausführungen zeigen, dass es unter dem vorliegenden mietrechtlichen Lagezuschlags-Regime zu Grauzonen kommen muss. Wie gehen Marktteilneh-mer mit der Deckelung der Lagezuschläge um? Gibt es Umgehungsmechanis-men? Die bisherigen Studien – hauptsächlich im Auftrag der Arbeiterkammer – belegen, dass Vermieter mehr Miete verlangen als sie verlangen dürften.

Auswirkungen einer „Grauzone“ 127

6.3.1 Umgehungsmechanismen des Lagezuschlags-Regimes

Liegt die mögliche Marktmiete in bestimmten Gebieten über der nach MRG er-laubten Miethöhe, so haben die Vermieter einerseits die Möglichkeit sich der Regulierung zu beugen. Andererseits kann es zu Umgehungsmechanismen kommen, wenn das enge Reglement des Lagezuschlags nicht ausreicht, den tat-sächlichen „Wert“ einer Wohnlage als Mietzinsbestandteil abzubilden.

Ein Umgehungsmechanismus einer Regulierung wird durch eine Tatsache befeuert, die schon mehrmals angesprochen wurde: die Rechtsunsicherheit in der gesamten Richtwertgesetzgebung. Stets wird bei Regelungen, die sich in we-sentlichen Teilbereichen der praktischen Umsetzung entziehen, auch in jenen Bereichen, die durchaus faktisch nachvollziehbar wären, die strikte Auslegung tendenziell nicht befolgt. Vor allem dann nicht, wenn sie für jene Partei nachtei-lig ist, die das Vertragsabschlussgeschehen typischerweise dominiert (Böhm 2003, 42). Ist etwa der Lagezuschlag nicht einfach berechenbar, könnte der Vermieter (als dominierende Vertragspartei) andere Zuschläge verrechnen und einzelne Abschläge je nach persönlicher Auslegung vernachlässigen.

Ist eine Regel unverständlich, so würden Parteien auf den „nächstverständli-chen“ Regelungsbereich ausweichen, im konkreten Fall den des Angemessenen Hauptmietzinses. „Diesbezüglich kann dem Gesetzgeber zugute gehalten wer-den, dass er mit seiner Regelung dadurch zumindest einen gewissen Dämp-fungseffekt hinsichtlich des Mietzinsniveaus erzielt.“ (Böhm 2003, 42)

Ein Vermieter wird zumindest zurückhaltender bei seinen Mietzinsforde-rungen sein, wenn er weiß, dass die Mietvereinbarung nachgeprüft werden kann.

Das Richtwertzins-System geht „von starren Größen“ aus, „während der Ange-messene Mietzins – jedenfalls auf Basis der […] ,Vergleichswertmethode‘ – auf die Marktverhältnisse reagiert“ (Böhm 2003, 42). Böhm geht so weit, dass er den Richtwertmietzins aufgrund der in der Praxis zum Teil willkürlichen Ausle-gung für „totes“ Recht hält.

Hypothese 6: Eine fehlende Lagezuschlagsmöglichkeit wird bei Mietver-hältnissen durch andere Zuschläge substituiert.

Andere Umgehungsmechanismen können sein: 1) Verbotene, überteuerte Ablö-sen, 2) Mietvertragsgestaltung über Scheinuntermieten, überteuerte Möbelmie-ten, vertragliches Ausweichen auf Ausnahmen vom Mietrecht („Ferienwoh-nung“, etc.) oder ähnliche rechtliche Konstrukte, die eine Überprüfung der Miethöhe erschweren.

6.3.2 Mietrecht und Erhaltungszustand der Häuser

Als direkter Effekt von „Rent-Control“ wird stets genannt, dass Vermieter durch die Mindereinnahmen weniger in die Instandsetzung der Häuser investieren (vgl.

2.4.2), und dass ein strenges Mietrecht zwangsläufig zur Bestands-Deterioration führt. Geht man davon aus, dass es sich bei der Vermietung von Altbauwohnun-gen zum Marktpreis um eine mietrechtliche Grauzone handelt, so müssen die Vermieter auch ein Risiko für mögliche Mietzinsherabsetzungen einpreisen. In Anbetracht der Unsicherheit über zukünftige Mieterträge, die von der Klagsaffinität der Mieter abhängen, wird die Investitionsstimmung weiter einge-trübt, auch wenn sich Erhaltungsinvestitionen im Verhältnis zum (tatsächlich verlangten, aber rechtlich überhöhten) Mietertrag rechnen würden. In Bezug auf den Lagezuschlag heißt das:

Hypothese 7: Je geringer der Lagezuschlag ist, desto schlechter ist auch der Erhaltungszustand der angebotenen Wohnungen.

6.3.3 Selektionseffekte als Ursache für Segregation

Der Vermieter hat als dominierende Vertragspartei auch eine weitere Möglich-keit, mietrechtliche Konfrontationen zu vermeiden: Er kann sein Gegenüber aus-suchen. Das wiederum kann zu Selektionseffekten führen. Ist der Markt bereit, mehr als die mietrechtlich höchstzulässige Miete zu zahlen, so kann dies der Vermieter nur unter dem Risiko ausnutzen, dass der Mieter die Miethöhe beeinsprucht und den Mietzins gerichtlich herabsetzen lässt. Dieses Risiko kann dadurch verringert werden, dass ein Mieter ausgesucht wird, der mit dem öster-reichischen Rechtssystem weniger vertraut ist (Ausländer, Migranten ohne Auf-enthaltstitel, etc.), oder der aufgrund seiner schlechten Ausbildung nicht über seine Rechte aufgeklärt ist. Der Ausländeranteil und das Bildungsniveau sind dafür Indikatoren.

Hypothese 8: In Gründerzeitvierteln (in guten Lagen) kommt es zu einer Mieterselektion: der Anteil an Ausländern ist höher und das Bildungsniveau niedriger als in Nachbar-Sprengeln, wo ein LZ erlaubt ist.

Ein weiterer Effekt der Risikobegrenzungspolitik könnte die zeitliche Befristung der Mietverhältnisse sein. Kommt es zu einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Mieter in Bezug auf die Miethöhe, so ist dieses Problem damit für den Vermieter zumindest zeitlich auf die befristete Mietdauer begrenzt.

Auswirkungen einer „Grauzone“ 129 Albon/Stafford 1987, 18f). Rent-Control müsste in der lagezuschlagsfreien Grauzone diesen Effekt verstärkt hervorrufen. Der Rückgang des Angebots be-deutet nicht unbedingt eine Reduktion der Wohnungen, sondern womöglich le-diglich eine Reduktion der Mietwohnungen. Da die Mietregulierung vor allem den Altbaubereich – das klassische Zinshaus – betrifft, haben die Vermieter die Möglichkeit, ihre Häuser in Wohnungseigentum zu parifizieren und zu verkau-fen. Auf einen Rückgang der Neubautätigkeit dürfte die Einordnung als Grün-derzeitviertel bzw. „Grauzone“ keinen mittelbaren Einfluss haben, denn Neu-bauten unterliegen grundsätzlich keiner Mietregulierung. Abbildung 21 soll die soeben erörterten Faktoren in einer Gedankenkarte zusammenfassen.

Abbildung 21: Theoretische Effekte einer mietrechtlich-ökonomischen Grauzone

Je stärker der mietrechtlich bedingte „Knick“ in der erlaubten Miethöhe ist, desto stärker muss dies Abverkäufe provozieren. Das fassen folgende Hypothe-sen zusammen:

Hypothese 9: In Gründerzeitvierteln in guten Lagen ist das Mietangebot ge-ringer bzw. rückläufig, da der „Graubereich“ höher ist.

Dies rührt auch aus der beobachtbaren Entwicklung, dass Mietshäuser zuneh-mend parifiziert und als Eigentumswohnungen abverkauft werden. Diese Woh-nungen werden zwar zum Teil wieder vermietet, zum Teil jedoch von den Ei-gentümern selbst genutzt, egal ob als Hauptwohnsitz oder als Zweitwohnung für Freizeitzwecke in der Bundeshauptstadt. Jedenfalls führt dies zu einer Verklei-nerung des Mietmarktes. Ist der Graubereich des Mietrechts in Gründerzeitvier-teln höher, aber zugleich die Abverkaufsrenditen in Bezug auf die legale Marktmiete geringer61 so müssen rational handelnde Vermieter ihre Häuser tat-sächlich parifizieren und einzeln verkaufen:

Hypothese 10: In Gründerzeitvierteln in guten Lagen kommt es verstärkt zu Parifizierungen und Abverkäufen von Wohnungen.

61 Zur Abverkaufsrendite: erwirtschaftet ein Zinshaus 100.000 Euro pro Jahr, so kann es als „Ertragshaus mit 5 Prozent Rendite“ für 2 Mio. Euro verkauft werden. Ist von die-sem Mietertrag aber nur die Hälfte nachhaltig und mietrechtlich durchsetzbar, weil das Haus in einem Gründerzeitviertel überteuert vermietet wird, so verringert das die „lega-le“ Rendite entsprechend auf 2,5 Prozent. Wäre das Haus aber frei vermietbar, würde es möglicherweise ohnehin teurer verkauft werden können, als „4-Prozenter“ für 2,5 Mio.

Euro. Der Anlegerhunger nach Zinshäusern führt m.E. dazu, dass die Kaufinteressenten zunehmend das Risiko der Mietzinsherabsetzungen geringschätzen.