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Aussagen der einzelnen Forschungen

Matthias Dembinskis Aufsatz aus dem Jahre 2006 stellt zur Untersuchung der NATO und dem griechisch-türkischen Binnenkonflikt den neuesten Forschungs-stand dar. Die NATO und der Konflikt dienen Dembinski im Wesentlichen als Ve-hikel der These, internationalen Institutionen im Falle von internen Auseinander-setzungen allgemein eine ernsthafte konflikthemmende und friedensstiftende Rolle abzusprechen, soweit nicht vorher eine uneingeschränkte Kooperationswilligkeit der betroffenen Mitglieder vorliege28. Zur Frage, wie die Nordatlantische Allianz mit dem Streit umging, welche Rolle und welchen Einfluss sie dabei einnahm, ver-tritt Dembinski folgende Meinung: Das Bündnis brachte zwar in seinem Wesen als übergeordnete Institution mit Hilfe der Generalsekretäre und der militärischen Führung zahlreiche Vermittlungsversuche und kommunikationsfördernde Maß-nahmen auf den Plan. Der Erfolg blieb jedoch aus, da der tatsächliche spannungs-mindernde Effekt nahe Null lag. Eine zentrale Schwachstelle zeigte sich an der feh-lenden Kooperationswilligkeit Griechenlands und der Türkei. Athen verband eine erfolgreiche Schlichtung durch die NATO mit einer einseitigen Stärkung der tür-kischen Position. Ankara hingegen betrachtete die »westlichen Mächte« seit dem Zerfall des Osmanischen Reiches seit jeher mit Misstrauen. Die erfolgreiche Un-terbindung eines offenen Krieges zwischen Griechenland und der Türkei in den 1960er und 1970er Jahren schreibt der Autor daher weniger der NATO, als viel-mehr dem unilateralen politischen Druck der USA auf beide Widersacher zu29. Auf die Frage nach strukturellen Schwachstellen des Bündnisses bei der Eindämmung des Konflikts verweist Dembinski auf die Unterschiede der militärischen Organi-sation der NATO im mitteleuropäischen und östlichen Bereich. Während dem Au-tor zufolge AFCENT (Hauptquartier NATO-Streitkräfte in Zentraleuropa) arbeits-teilig organisiert war, herrschte im östlichen Mittelmeer eine aufgelockerte Streitkräftestruktur vor, deren nationale Elemente miteinander kaum in Verbin-dung standen und nach 1974 auch mit der NATO-Führung nur marginal zusam-menarbeiteten. Zu den Rückwirkungen des Binnenkonflikts auf den politischen Zusammenhalt des Bündnisses äußert Dembinski sich wie folgt: Statt eine Redu-zierung der griechisch-türkischen Spannungen zu bewirken, schwächten Ankara und Athen die NATO mit ihrem bilateralen Streit.

Mit dem Thema der NATO als Vermittlungsinstanz beschäftigt sich auch Ha-kan Akbulut30. Er beleuchtet die Nordatlantische Allianz nicht nur exemplarisch als internationale Institution, sondern unter dem besonderen Aspekt ihrer Beschaf-fenheit als kollektivem Sicherheitsbündnis. Den allgemeinen Umgang der Allianz

mit dem Konflikt, deren Rolle in der Beilegung der Auseinandersetzungen sowie einen möglichen Erfolg des Bündnisses beurteilt Akbulut anhand einzelner histo-rischer Phasen:

Während des Ausbruchs der ersten Zypernkrise 1956 konnte das Bündnis auf-grund nationaler Uneinigkeiten im NATO-Rat keine Einigung über ein geschlos-senes Vorgehen erzielen. Deshalb sah sich der damalige Generalsekretär Lord Is-may gezwungen, seine Pläne für eine Intervention des Bündnisses aufzugeben31. Ismays Nachfolger, Paul-Henri Spaak, zeigte sich zurückhaltend, da dessen Ansicht nach ein Fehlschlag der Institution insgesamt hätte Schaden zufügen können.

Akbulut zufolge behauptete Spaak später, seine Anstrengungen und die Dis-kussionen im NATO-Rat hätten zwar keine endgültige Lösung bewirkt, jedoch in-sofern moderate Erfolge erzielt, als Griechenland fester an die NATO gebunden und die griechisch-türkischen Spannungen gemäßigt worden seien. Dies trug laut Spaak 1959/60 entscheidend zum Züricher und Londoner Abkommen über die Un-abhängigkeit Zyperns bei.

Nach Akbulut ermahnte der amtierende Generalsekretär Dirk Stikker in enger Zusammenarbeit mit dem SACEUR während der zweiten Zypernkrise der Jahre 1963 und 1964 beide Parteien zur Zurückhaltung, woraufhin beide Staaten ihre wechselseitigen Provokationen zunächst einstellten32. Da nach Aussage des Autors unter den Mitgliedern aber Uneinigkeit über die Haltung der NATO vorherrschte, waren dem Nordatlantikrat die Hände gebunden. Letzterer konnte daher den Ge-neralsekretär nur mit einem reinen Beobachtungsmandat ausstatten. Stikker blieb daher in seinen Schlichtungsversuchen erfolglos und äußerte, er könne in dieser Angelegenheit nichts mehr erreichen. Der Vorschlag der britischen Regierung, eine NATO-gezogene Friedenstruppe auf Zypern zu stationieren, wurde im Rat zwar diskutiert, scheiterte aber ebenfalls am Widerstreben zahlreicher NATO-Partner, allen voran Frankreich. Der Abbruch türkischer Invasionspläne war daher nicht das Verdienst der Allianz.

In den Folgekrisen der Jahre 1965 und 1967 erzielte der neue Generalsekretär Manlio Brosio in enger Kooperation mit dem US-amerikanischen Sonderbeauftrag-ten Cyrus Vance geringfügige Erfolge, Ankara und Athen an den Verhandlungs-tisch zu bewegen33. Brosio spielte dem Autor zufolge jedoch keine bedeutende Rolle, da Vance die Aufgabe auch allein gemeistert hätte. Hier wiederum verhin-derten die USA und nicht die NATO einen griechisch-türkischen Krieg.

Anlässlich der türkischen Invasion auf Zypern im Sommer 1974 drängte der Nachfolger Brosios, Joseph Luns, die NATO-Vertreter Griechenlands und der Tür-kei zur Zurückhaltung und übersandte diesbezüglich auf diplomatischem Wege Ermahnungen an Ankara und Athen34. Auch der NATO-Rat rief die Streitparteien in mehreren Krisensitzungen zur Mäßigung auf. Akbulut zufolge erreichte Luns schließlich, beide Seiten zu einem ersten Waffenstillstand zu bewegen. Im Zuge des erneuten Ausbruchs der Feindseligkeiten auf der Insel und dem erneuten Vor-marsch türkischer Truppen kam der Nordatlantische Rat erneut zu einer Krisen-sitzung zusammen. Der Generalsekretär schlug vor, persönlich nach Ankara und Athen zu fliegen, um erneut zu vermitteln. Griechen wie Türken lehnten dies jedoch ab. Der zweite, endgültige Waffenstillstand war nach Akbulut wiederholt auf diploma-tisches Vorgehen und Sanktionsdrohungen der USA an die Türkei zurückzuführen.

In der Krise des Jahres 1987 mit dem Streit über die Abgrenzung des Festlands-sockels im Zusammenhang mit Ölbohrrechten in der Ägäis drängte der NATO-Rat beide Parteien zur friedlichen Beilegung ihrer Streitigkeiten. Generalsekretär

Lord Carrington bot seine Vermittlungsdienste an. Letzten Endes bewegte aber nicht die NATO als Gremium, sondern der Druck einzelner NATO-Staaten die Tür-kei zum Einlenken.

Aus seiner historischen Betrachtung zieht Akbulut den Schluss, die NATO habe insgesamt in der Beilegung des Konflikts keine führende Rolle gespielt35. Ein Ver-dienst räumt der Autor der Organisation hingegen als Kommunikationsforum für beide Streitparteien ein. NATO-Konferenzen ersetzten demnach fehlende offizi-elle bilaterale diplomatische Verhandlungen durch inoffizioffizi-elle »Korridorgesprä-che« und halfen dadurch beiden Seiten, Missverständnisse auszuräumen und hin-ter verschlossenen Türen wechselseitig ihr Gesicht zu wahren.

Hinsichtlich der Forschungsfrage nach Einfluss und Mitteln zur Eindämmung des Konflikts sowie eventuell vorhandenen Schwachstellen konzentriert Akbulut sich auf die Rolle des Generalsekretärs und die politische Beschaffenheit des Bünd-nisses. Als Funktionsträger der einzelnen Mitgliedsstaaten verfügte ersterer kaum über aktive, unabhängige politische Entscheidungsgewalt zur Beilegung interner Bündnisstreitigkeiten36. Daneben konnte die NATO ihren beiden südöstlichen Mit-gliedsstaaten auch keine Sanktionen auferlegen oder eine Lösung diktieren, da die Allianz nach dem Prinzip des freiwilligen Zusammenschlusses und gegenseitigen Einvernehmens ihrer Mitglieder arbeitete. Akbulut gelangt daher zu dem Ergeb-nis, dass die Allianz sich als kollektives politisches und militärisches Sicherheits-bündnis gegen potenzielle Aggressionen von außen zwar bewährte, jedoch als strukturell ungeeignetes Instrument für den Umgang mit internen Konflikten er-wies. Seiner Meinung nach hätte ein aktiveres Eingreifen das Konsensprinzip und damit die Allianz selbst von innen heraus zerstört.

Victor Papacosma schreibt zum Umgang der NATO mit ihrem Binnenkonflikt, das Bündnis habe sich bei den griechisch-türkischen Auseinandersetzungen mög-lichst neutral verhalten, um keine der beiden Seiten vor den Kopf zu stoßen, ob-wohl die Türkei der Allianz größeren strategischen Nutzen bereitete37. Nach Papa-cosma betrachtete Athen diese Haltung trotzdem als indirekte Förderung türkischer Ziele in der Ägäis, wohingegen Ankara den westlichen Verbündeten vorwarf, seine besondere strategische Position im Mittelmeer nicht ausreichend zu würdigen. Die westliche Sicherheitsgemeinschaft versuchte zwar in Zusammenarbeit mit den USA, die griechisch-türkischen Auseinandersetzungen einzudämmen und eine of-fene militärische Konfrontation zu verhindern. Jedoch bemühte die Allianz sich dabei wenig um die Beilegung der tiefer liegenden Konfliktursachen.

Auf der Suche nach Wegen zur Entschärfung der Krisen der 1950er Jahre be-saß das Bündnis nur marginalen Einfluss, wenn auch der gescheiterte Kompro-missversuch von Paul-Henri Spaak die Grundlage für die Wiederaufnahme der bi-lateralen griechisch-türkischen Gespräche legte38. Washington und London, ebenso aber auch Ankara und Athen lehnten dabei eine Verwicklung der NATO eher ab.

In den Krisen der 1960er Jahre nahm das Bündnis daher meist nur eine sekundäre Rolle gegenüber den USA ein. Auf dem kritischen Höhepunkt des Jahres 1974 hielt die Allianz sich vollständig zurück und ließ die gewaltsame Durchsetzung türki-scher Interessen auf Zypern zu. Der griechische Ministerpräsident Karamanlis wandte sich an Generalsekretär Joseph Luns mit der Bitte, eine Krisensitzung der NATO-Außenminister einzuberufen. Luns entgegnete ihm jedoch, die meisten Mi-nister seien dafür zu beschäftigt oder urlaubsbedingt nicht zu erreichen.

In der ägäischen Krise des Jahres 1987 schritten NATO-Amtsträger mit Unter-stützung von US-Vertretern ein und verhinderten mit Erfolg eine militärische

Kon-frontation39. Griechische und türkische Schiffe verblieben auf äußeren Druck hin in ihren jeweiligen Hoheitsgewässern. Bescheidene Erfolge schreibt Papacosma auch den Initiativen des SACEUR auf militärischer Ebene zu. Im Zuge des griechi-schen Wiedereintritts in die integrierten Bündnisstrukturen im Jahr 1980 erreichte der damalige SACEUR, General Rogers, dank intensiver Bemühungen, dass An-kara darauf verzichtete, die griechische Wiedereingliederung an einen Kompro-miss in der Frage der Abgrenzung der operationellen Verantwortungsbereiche zu knüpfen. Obwohl auch später keine Einigung in jener Angelegenheit erzielt wer-den konnte, war es Rogers Verdienst, beide Staaten zur Aufnahme von Verhand-lungen zu bewegen.

Zu den Rückwirkungen des Konflikts auf das Bündnis erwähnt der Autor ei-nige Folgen für die militärischen Planungen der Allianz im östlichen Mittelmeer.

Demnach führten seit den 1980er Jahren Griechen wie Türken ihre Manöver mehr-heitlich mit dem Ziel durch, einer Aggression der jeweils anderen Seite zu begeg-nen, während Verteidigungsplanungen gegen den gemeinsamen sowjetischen Geg-ner vernachlässigt wurden40. Daneben verweigerte Griechenland seine Teilnahme an NATO-Übungen in der Region, während die Türkei die Militarisierung der grie-chischen Insel Lemnos durch die NATO ablehnte. Papacosma lässt die Höhe des Schadens offen, den das Bündnis dadurch erlitt.

Monteagle Stearns führt in seiner Monografie das Versäumnis der NATO an, sich vor Aufnahme der neuen Mitglieder mit den politischen Differenzen zwischen Griechenland und der Türkei befasst zu haben. Vielmehr stand nach Stearns nur die schnellstmögliche Mitgliedschaft beider Staaten im Zentrum des Bündnisin-teresses41. In der Krise des Jahres 1974 vermied es die Allianz hingegen, sich dem bündnisinternen Problem zu stellen, da sie befürchtete, durch ihre Einmischung einen Austritt Ankaras oder Athens zu provozieren. Die Rolle, welche das Bünd-nis seiner Meinung nach im Kern einzunehmen gedachte, fasst Stearns in einem Satz zusammen: Die Handschrift der Allianz drückte deutlich aus, dass die Aus-tragung von Differenzen unter Bündnismitgliedern im NATO-Rat als unerwünscht galt.

Die führenden NATO-Vertreter reduzierten daher ihre Handlungen auf allge-meine Appelle an die Beteiligten, den Frieden zu bewahren und ihre Streitigkei-ten mit friedlichen Mitteln beizulegen42. Die Generalsekretäre Lord Ismay und Paul-Henri Spaak ergriffen dabei aber häufig die Initiative. In der Streitbeilegung erzielten sie keinen Erfolg, brachten aber beide Seiten an den Verhandlungstisch und erwiesen sich dadurch als Wegbereiter für das Londoner und Züricher Ab-kommen. Das gescheiterte Vorhaben zur Schaffung einer NATO-Friedenstruppe 1963/64 galt nach Stearns hingegen als anglo-amerikanische Initiative. Seit der Un-terstützung des US-Sonderbeauftragten Cyrus Vance durch Generalsekretär Man-lio Brosio spielte der politische Arm des Bündnisses in der Beilegung der grie-chisch-türkischen Auseinandersetzungen bis zur ägäischen Krise des Jahres 1987 keine aktive Rolle mehr. Allerdings hielt der strukturelle Einfluss der griechischen und türkischen Mitgliedschaft im gemeinsamen Militärbündnis das Ausmaß der beiderseitigen militärischen Zusammenstöße in Grenzen43. So versuchten im Herbst des Jahres 1983 NATO-Planer, anlässlich der ägäischen NATO-Übung APEX EX-PRESS eine Lösung bezüglich der strittigen Frage über die Militarisierung der stra-tegisch bedeutsamen griechischen Insel Lemnos zu erarbeiten. Deren Umsetzung scheiterte jedoch angesichts fehlender politischer Kompromissbereitschaft beider Streitparteien. Auch die SACEURs, General Haig und General Rogers bemühten

sich zwischen 1976 und 1980, zu strittigen Fragen der territorialen Abgrenzung der militärischen Verantwortungsbereiche eine Lösung herbeizuführen. Der bilaterale griechisch-türkische Umgang wurde auf der politischen Ebene dadurch aber nicht verbessert.

Strukturelle Schwachstellen zur Eindämmung des Konflikts wurden nach Stearns vor allem darin sichtbar, dass die NATO als Institution sich für Europa und die USA eher als Hemmschuh denn als Hilfe zur Lösung des Konflikts erwies. An-kara und Athen beschäftigten sich mehr damit, ihre Stellung in Brüssel zu festi-gen, als ihre gegenseitigen Streitereien bilateral beilegen zu wollen.

Die Rückwirkungen des Binnenkonflikts auf das Nordatlantische Bündnis be-leuchtet Stearns in erster Linie unter militärischen Gesichtspunkten mit Schwer-punkt in den 1980er Jahren. Der griechisch-türkische Streit schwächte dem Autor zufolge die militärische Struktur der Allianz im Südosten44. Die Uneinigkeit über die Festlegung der territorialen Verantwortungsbereiche verhinderte den Prozess der Reintegration Griechenlands in die militärischen Bündnisstrukturen. Wegen der ungeklärten Abgrenzungsfragen konnte weder der Aufbau der 7. Alliierten Taktischen Luftflotte (7th ATAF), noch der Aufbau des neuen griechischen NATO-Hauptquartiers (LANDSOUTHCENT) in Larissa umgesetzt werden. Auch wur-den NATO-Übungen in der Region infolge ungeklärter Fragen über die Militari-sierung ägäischer Inseln zu Bündniszwecken erschwert. Gleiches verursachten auch griechische Manöverabsagen sowie nicht zuletzt die Tatsache, dass griechi-sche und türkigriechi-sche Luftfahrzeuge sich regelmäßig unbotmäßige Scheingefechte lieferten. Der Mangel an Koordination zwischen griechischen und türkischen NATO-assignierten Kräften schuf Unsicherheiten, die sich weit über den ägäischen Raum hinaus erstreckten. Die Probleme wurden jedoch von der Allianz nicht aus-geräumt, sondern notdürftig verhüllt. In diesem Zusammenhang sah der NATO-Militärausschuss auch über die Tatsache hinweg, dass beide östlichen Mittelmeer-anrainer den Schwerpunkt ihrer nationalen Verteidigungsanstrengungen nicht wie vorgesehen auf NATO-Belange, sondern auf einen gegenseitigen Schlagabtausch ausrichteten.

Ronald Krebs beleuchtet die Euro-Atlantische Gemeinschaft und ihren Um-gang mit dem bündnisinternen Konflikt vorwiegend aus Sicht der Institutionen-theorie. Als Basis seiner Argumentation legt Krebs seine These zugrunde, nach welcher internationale Allianzen unter bestimmten Umständen den Konflikt un-ter ihren Mitgliedern nicht entschärfen, sondern sogar anheizen können45. Krebs zufolge breitete die NATO mit der Aufnahme Griechenlands und der Türkei einen Schutzschirm über beide Staaten aus, welcher deren Furcht vor externer Bedro-hung sinken ließ. Dadurch konzentrierten sich die beiden ägäischen Nachbarn stär-ker auf regionale Belange und traditionelle Rivalitäten, die zu politischen und mi-litärischen Spannungen führten. Neben der Sicherheitsgarantie förderte die Allianz jene Auseinandersetzungen auch unbewusst durch die Lieferung von Rüstungs-gütern und verwandelte damit den begrenzten Streit um Zypern in eine tiefer lie-gende Feindschaft.

Dennoch besaß die NATO nach Krebs auch Einflüsse und Mittel, den Konflikt einzugrenzen. Das Bündnis stellte sicher, dass der Dialog zwischen den beiden verfeindeten Mitgliedsstaaten nicht abriss46. Die Allianz diente hier als Forum, wel-ches beiden Seiten helfen konnte, außerhalb politischer Rhetorik wechselseitig ihr Gesicht zu wahren. Daneben beeinflusste die NATO die beiden Widersacher indi-rekt, indem auf der militärischen Ebene griechische wie türkische NATO-Offiziere

dazu übergingen, die Belange und Interessen der jeweils anderen Seite stärker zu achten und zu respektieren. Die Mitgliedschaft beider Staaten in der Nordatlanti-schen Organisation erleichterte den USA auch die Möglichkeit, Druck auf Ankara und Athen auszuüben. Nicht zuletzt trug das Bündnis dazu bei, einen offenen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei zu verhindern.

Tarik Oguzlu ist der Ansicht, dass die Nordatlantische Allianz sich in ihren Pla-nungen in erster Linie auf Nord- und Westeuropa konzentrierte, während dem öst-lichen Mittelmeerraum nur sehr begrenzte Aufmerksamkeit zuteil wurde47. Der griechisch-türkische Konflikt stieß in Washington nur dann auf offene Ohren, wenn dieser die Eindämmung der kommunistischen Bedrohung gefährdete. Dies war nach Oguzlu nur dann der Fall, wenn entweder ein offener Krieg zwischen den beiden Widersachern unmittelbar bevorstand, oder eine direkte sowjetische Ein-mischung in den Konflikt erkennbar wurde. Daher erachtete die Allianz kostspie-lige und zeitraubende Aufwendungen zur Beilegung der Streitigkeiten als unver-hältnismäßig hoch gegenüber einem möglichen Erfolg zur Senkung der Spannungen. Solange der Militärbeitrag Ankaras und Athens für die Euro-Atlan-tische Sicherheitsgemeinschaft nicht akut gefährdet wurde, tolerierte die NATO die schädlichen Auswirkungen des Konflikts. Die Allianz legte auch keinen Wert darauf, eine Schlüsselrolle beim Aufbau von langfristigen kooperativen griechisch-türkischen Beziehungen einzunehmen. Vielmehr nahmen zahlreiche Funktions-träger des Bündnisses an, ein neutrales, zurückhaltendes Verhalten der Gemein-schaft würde dazu führen, dass Ankara und Athen ihre Streitigkeiten bilateral lösten.

Die NATO verfügte in ihrer Eigenschaft als kollektives Staatenbündnis aber auch nicht über strukturelle Mechanismen zur Lösung interner Konflikte48. Daher konnte die Allianz auch, selbst wenn sie dies gewollt hätte, keine entscheidende Rolle in der Beilegung der Auseinandersetzungen einnehmen. Eine weitere Schwachstelle zeigte sich in der Politik der Führungsmacht USA, im Rahmen der NATO-Verteidigungshilfen Rüstungsverkäufe an beide Staaten zu tätigen. Die Tür-kei betrachtete die unverhältnismäßig hohen militärischen Zuwendungen an Grie-chenland als einseitige Parteinahme des Bündnisses für Athen. GrieGrie-chenland hin-gegen sah die scheinbare Untätigkeit der NATO zur Mäßigung der Ambitionen Ankaras als pro-türkische Handlung an, da sich die Türkei in ihren Zielen durch die westliche Sicherheitsgemeinschaft indirekt bestärkt fühlte. Als Folge davon sank nach Oguzlu die Glaubwürdigkeit des westlichen Bündnisses in beiden Staa-ten.

An Auswirkungen des Konflikts auf die NATO greift der Autor teilweise die Aufzeichnungen Monteagle Stearns auf. Der griechisch-türkische Konflikt schwächte die militärische Struktur der NATO im Südosten. Daneben behinder-ten die Auseinandersetzungen auch die jährlichen Infrastruktur- und Streitkräfte-planungen des NATO-Rats, da die anwesenden griechischen und türkischen Ver-treter jeweils Veto gegen die nationalen Kontingentplanungen der anderen Seite einlegten und dadurch die Beschlussfähigkeit des Gremiums blockierten.

Fotios Moustakis besitzt eine ähnliche Auffassung wie Oguzlu. Die NATO un-ternahm grundsätzlich keine ernsthaften Anstrengungen, die griechisch-türkischen Streitfragen zu lösen49. Ihre zurückhaltende, auf Neutralität und Unparteilichkeit ausgerichtete Politik führte dem Autor zufolge sogar zu einer Verschärfung der bi-lateralen Spannungen. Die Atlantische Gemeinschaft ließ zu, dass das NATO-Mit-glied Türkei mit NATO-Waffensystemen und 35 000 Soldaten aus dem

NATO-Ver-bund das demokratische europäische Zypern gewaltsam besetzte50. Nach Auffassung der damaligen griechischen Regierung war die Nordatlantische Alli-anz für einen Großteil der türkischen Invasion sowie für das generelle Bestehen des Konflikts verantwortlich. Die Passivität der USA anlässlich der türkischen Be-setzung Nordzyperns im Sommer 1974 zeigte nach Moustakis, dass sich die Füh-rungsmacht der NATO nicht mit den Hintergründen des Konflikts befassen wollte.

Washington zielte nur darauf ab, den potenziellen Schaden für das Bündnis gering zu halten und die strategische Position der USA im Mittelmeer aufrechtzuerhal-ten.Als Resultat der türkischen Invasion auf Zypern litt die Nordatlantische

Washington zielte nur darauf ab, den potenziellen Schaden für das Bündnis gering zu halten und die strategische Position der USA im Mittelmeer aufrechtzuerhal-ten.Als Resultat der türkischen Invasion auf Zypern litt die Nordatlantische