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3. Methodisches Vorgehen

3.6. Qualitative Inhaltsanalyse

3.6.3. Aufbereitung

In dritten Prozessschritt werden die Kategorien sortiert und Informationen werden zusammengefasst. Damit wird der Umfang des Rohmaterials redu-ziert und die Daten werden strukturiert. Ziel ist es, dass die „im Ergebnis der Aufbereitung entstandene Informationsbasis (...) alle für die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Informationen“ (Gläser & Laudel, 2010, S. 231) beinhaltet.

Die Aufbereitung der Daten wurde in einer Excel Tabelle vorgenommen. Da-bei wurden Zitate der Interview-Transkripte gemäss den Extraktionsregeln den verschiedenen Kategorien zugeordnet bzw. bei Bedarf neue Kategorien gebildet.

100 3.6.4. Auswertung

Der letzte Schritt besteht in der Beantwortung der Forschungsfrage auf Basis der aufbereiteten Daten. Dazu werden die Ergebnisse in den theoretischen Kontext eingeordnet, in dem die Forschungsfrage formuliert wurde (Gläser &

Laudel, 2010, S. 261). Das umfasst die Generalisierung der Ergebnisse wie auch Aussagen zu deren Geltungsbereich. Es sind in diesem Schritt drei Ebenen zu unterscheiden. Auf der ersten Ebene werden die im empirischen Material berichteten Kausalitäten angesiedelt. Wiedergegeben werden dabei die Ansichten der Expert*innen über die Zusammenhänge und Mechanismen in Bezug auf den spezifischen Sachverhalt. Die Interpretationen sind durch die individuellen Perspektiven der befragten Personen gefärbt. Auf einer zwei-ten Ebene werden die Kausalmechanismen von einzelnen Fällen rekonstruiert (S. 248). Beschrieben wird, welche Ursachen in einem konkreten Fall auf wel-che Weise welwel-che Wirkungen hervorgebracht haben. Abschliessend wird eine vergleichende Analyse durchgeführt. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Fällen aufgezeigt und erklärt (S. 248 f).

Die Ergebnisse der Interview-Auswertung finden sich im 4. Kapitel der vorlie-genden Master-Thesis.

101 4. Ergebnisse der Interviews

Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse der Expert*innen-Interviews dar-gestellt. In einem ersten Schritt wird der Kontext des Justizvollzugs aus Sicht der Expert*innen beschrieben (Kapitel 4.1.). Danach werden die Sichtweisen und Deutungsmuster der Expert*innen in Bezug auf Angehörige und Angehö-rigenarbeit erläutert (Kapitel 4.2.). Drei Möglichkeiten zur Institutionalisierung von Angehörigenarbeit werden aus Sicht der Expert*innen bewertet (Kapi-tel 4.3.) und abschliessend erfolgt ein Zwischenfazit, in dem die Ergebnisse zusammengefasst werden (Kapitel 4.4.).

102 4.1. Kontext Justizvollzug

Gemäss der Theorie von Groenemeyer (2012) findet die Problematisierung eines Sachverhalts in verschiedenen Kontexten statt, in denen jeweils spezifi-sche Bedingungen und Logiken die Konstruktion von sozialen Problemen lei-ten (S. 21). Die erste Frage der Interviews zielte deshalb darauf ab, mehr über den Kontext des Justizvollzugs zu erfahren. In den Interviews wurde be-sonders der starke Föderalismus im schweizerischen Justizvollzug hervorge-hoben.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Schweiz fast weltweit ein Unikum darstellt mit der Organisation des Strafvollzugswesens. Wir sind sicher nicht das einzige Land, dass das föderalistisch gelöst hat, aber so in-tensiv föderalistisch betont habe ich niemanden gefunden. (Troxler, 2021, Z. 25-29)

In zahlreichen Austausch- und Vernetzungsgremien tauschen sich Personen mit den gleichen Funktionen intra- und interkantonal sowie auch intra- und in-terkonkordatlich miteinander aus. „Das ist unglaublich kompliziert. Und von mir aus gesehen auch unglaublich ineffizient“ (Freytag, 2021, Z. 292-293).

Gemäss den interviewten Personen haben auch die Ideen und Vorstellungen von Einzelpersonen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Ausge-staltung des Justizvollzugs:

Einzelpersonen spielen jetzt hier schon eine nicht vernachlässigbare Rolle. Und wenn man von etwas überzeugt ist, kann man, und wenn (...) es gerade Zeitfenster gibt, kann man auch etwas (...) unterstützen.

(Brägger, 2021, Z. 540-542)

Die Expert*innen beschreiben einen Trend im Justizvollzug hin zur Professio-nalisierung, Standardisierung und Harmonisierung. Diese Entwicklung zeige sich beispielsweise in der standardisierten Ausbildung des Justizvollzugsper-sonals (Brägger, 2021, Z. 71-78; Troxler, 2021, Z. 89-93), in der verbesserten

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Infrastruktur der Haftanstalten (Brägger, 2021, Z. 30) und in der Gründung des SKJV (Fässler, 2021, Z. 759–760). Gemäss den Expert*innen ist davon auszugehen, dass dieser Trend auf themenspezifischer Ebene auch in den nächsten Jahren anhalten wird. Freytag (2021) erwartet beispielsweise, dass es „auf die eine oder andere Art noch mehr eine Harmonisierung, noch mehr, denke ich jetzt, eine Vereinheitlichung und Zusammenarbeit geben [wird] zwi-schen den Kantonen in den nächsten Jahren“ (Z. 318-320). Das stösst bei den Verantwortlichen aber nicht nur auf Zustimmung: „Wenn etwas vereinheit-licht wird, verlieren sie [die verantwortlichen Personen in den Kantone, Anm.

der A.] Handlungsspielraum und Autonomie, das erleben nicht alle positiv“

(Brägger, 2021, Z. 97-100).

Die Expert*innen weisen darauf hin, dass die Arbeitsweise im Justizvollzug sich über die letzten Jahrzehnte verändert hat. Radikale Positionen, wie der ausschliessliche Fokus auf die Bestrafung oder umgekehrt auf die Fürsorge und Betreuung der inhaftierten Person wichen einer risikoorientierten Arbeits-weise, die im Rahmen der Einführung des risikoorientierten Sanktionenvoll-zugs (ROS) in beiden Deutschschweizer Konkordaten institutionalisiert wor-den ist. Auslöser für die Einführung des ROS waren schwere Straftaten, die von Personen verübt wurden, welche sich noch im Justizvollzug befanden.

Diese Straftaten wurden medial breit thematisiert und die Expert*innen be-schreiben, dass es zu einem grossen Druck seitens der Öffentlichkeit auf die Politiker*innen gekommen sei. Das habe dazu geführt, dass die Politi-ker*innen rasch Lösungen finden und Entscheidungen präsentieren wollten, wie solche Vorfälle zukünftig verhindert werden können.

Meistens passiert schnell etwas, wenn es einen riesigen politischen Druck gibt. Mit diesen Vorfällen (...) in den Hafturlauben (...), das hat ja so einen Druck gegeben. Und die Kantone sind nicht mehr darum her-umgekommen, etwas zu machen, wenn sie verhindern wollten, dass der Bund alles vorschreibt. (Brägger, 2021, Z. 559-564)

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Meine Einschätzung ist schon die, dass sich (...) wesentliche Verände-rungen vor allem durch, ich muss es fast so sagen, durch schwere Rückfälle eigentlich initiiert worden sind (...). Und dort sieht man sehr schön, was dann passiert ist. Nämlich ein Aufschrei der Empörung aus der Gesellschaft. Und dann entsprechend politische Reaktion auf das.

(...) Und das hat dann eben zu der grossen Veränderung geführt.

(Freytag, 2021, Z. 16-38)

Auch die Gründung des SKJV ist auf Druck von aussen entstanden:

Der Druck auf die Kantone war einfach viel zu gross geworden. Und auch der Druck der Öffentlichkeit. Man hat überall Problemfelder veror-tet, weil es zum Teil zu gravierenden Fehlleistungen oder gravierende Delikte zum Teil aus dem Vollzug oder während dem Vollzug bei Öff-nungsschritten gegeben hat. Hier haben die Kantone gemerkt, dass sie sich nicht mehr so sicher fühlen und sie haben gemerkt, dass es ver-mutlich eine ganze Reihe von Aufgaben gibt, bei denen es sich lohnen würde, dass es ausserhalb der Regierungsräte noch jemanden gibt, der sich (...) professionell und ständig mit solchen Themen beschäfti-gen kann. (Troxler, 2021, Z. 93-102)

Entwicklungen im Justizvollzug sind aber nicht nur auf Druck von aussen zu-rückzuführen, sondern können auch von einzelnen Fachpersonen innerhalb und ausserhalb des Justizvollzugs im Rahmen von Projekten initiiert werden.

Beispielsweise das Projekt Bildung im Strafvollzug (BiST), welches als Pilot-projekt in einigen Haftanstalten lanciert wurde und sich nach und nach durch die positiven Ergebnisse und Rückmeldungen als schweizweites Angebot etablieren konnte.

[Es gibt] so gute Projekte, die in anderen Kantonen laufen und gut lau-fen, dass diese eine gewisse Strahlwirkung entwickeln. Der Föderalis-mus ist ein kompliziertes Gebilde, aber wenn es gut läuft, dann kann es

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einen Wettbewerb von guten Ideen geben, wo sich die Kantone hoch-schaukeln. (Fässler, 2021, Z. 694-697)

Manchmal macht es aber auch Sinn, dass man zuerst Sachen im eige-nen Kanton macht und erst dann sagt - also dann kommen andere Kantone und sehen, doch das wäre jetzt für sie auch noch sinnvoll, das würden sie jetzt auch noch sehen. (Looser-Kägi, 2021, Z. 287-290)

Zwei Expert*innen betonten, dass dabei der Evaluation dieser Projekte eine besondere Bedeutung zukomme.

Dann kann man sagen, das funktioniert, das braucht gar nicht so viele Ressourcen. Das kann auch noch helfen, dass es weiterverbreitet wird (Brägger, 2021, Z. 979-983)

In der Auswertung der Interviews konnten zwei Arten von Entwicklungspro-zessen unterschieden werden. Der Top Down Prozess, bei dem der Antrieb zur Entwicklung durch Druck von aussen bzw. durch Politiker*innen von oben kommt, und der Bottom Up Prozess, bei dem ein Projekt lokal initiiert wird und sich nach und nach als Angebot schweizweit etabliert.

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Tabelle 2: Veränderungsprozesse im Justizvollzug

Top Down Prozess Bottom Up Prozess

Veränderungs-notwendigkeit

Schwerwiegende Vorfälle während dem Justizvollzug (z. B. Mord im Hafturlaub)

Erkennen von Verbesse-rungs-/ Entwicklungspotential (z. B. Vater-Kind-Projekt in Saxerriet)

Dringlichkeit Druck von Medien und Öf-fentlichkeit

Keine Dringlichkeit

Zuständigkeiten Politiker*innen mit Fachgre-mien wie KKJPD, KoKJ und Fachpersonen aus der

107 4.2. Deutungsmuster

Groenemeyer definiert soziale Probleme als „kulturelle Deutungsmuster (...), in denen bestimmte Sachverhalte als problematisch und veränderungsnot-wendig präsentiert (...) werden“. Die zweite Leitfrage zielte deshalb auf das Deutungswissen, also die Sichtweisen und Überzeugungen der interviewten Person bezogen auf die Situation von Angehörigen von inhaftierten Personen.

In der Auswertung werden anhand der Antworten der Expert*innen Gemein-samkeiten und Unterschiede in den Deutungsmustern bezüglich der Situation von Angehörigen von inhaftierten Personen bzw. der Etablierung und Umset-zung von intra- und extramuraler Angehörigenarbeit beschrieben.

4.2.1. Diagnoserahmen

Die Expert*innen wurden gefragt, wer die Angehörigen von inhaftierten Per-sonen sind. Die folgenden Antworten wurden von mindestens zwei Ex-pert*innen benannt: Angehörige von inhaftierten Personen sind Kinder (5 Nennungen), (Ehe)Partner*innen (4 Nennungen), Eltern (3 Nennungen) und die Familie der inhaftierten Person (3 Nennungen). Es zeigten sich Un-stimmigkeiten bezüglich des Begriffsverständnisses der Angehörigen. Wäh-rend eine Person mit Bezug auf das Strafgesetzbuch betonte, dass Angehöri-ge nur Personen aus dem engsten Kreis des sozialen Systems sein können, erörterten zwei andere Personen, dass eine Inhaftierung einen grossen Per-sonenkreis rund um die inhaftierte Person belasten kann und deshalb ein über den engsten Verwandtenkreis erweitertes Begriffsverständnis ange-bracht ist.

Gemäss Groenemeyer (2010) liegt es in der Natur der Diskurse über soziale Probleme, dass diese von unterschiedlichen Deutungsmustern und Bewer-tungen geprägt sind (S. 31). Je nach Deutungsmuster ergibt sich ein anderes Problemverständnis, eine andere Dringlichkeit sowie eine andere Art der Lö-sungsmöglichkeiten und damit verbundene Zuständigkeiten. Dies gilt auch für die Wahrnehmung eines „Angehörigenproblems“ sprich der Situation von

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gehörigen von inhaftierten Personen (Diagnoserahmen) und die damit ver-bundene Angehörigenarbeit als Lösung des erkannten Problems (Lösungs-rahmen). In den Interviews konnten drei verschiedene Deutungsmuster er-kannt werden.

Tabelle 3: Wahrnehmung des „Angehörigenproblems“

Deutungsmuster Lösungsrahmen Ankerbeispiele

Angehörige sind (unschuldige)

Also ein Umfeld das auf irgendeine Art und Weise müssen. Und das ist auch glaube ich, ein grosses die Angehörigen mit in die Vollzugsarbeit einzubezie-hen.

„Man müsste die Angehöri-gen, wenn es solche gibt, auch mehr als Ressource anschauen und sie versu-chen in die Vollzugspla-nung zu integrieren. Wenn man erfolgreich resoziali-sieren will, ist es ja ein we-sentlicher Teil, dass man draussen Anknüpfungs-punkte in die Freiheit hat“

(Brägger, 2021, Z. 304-307).

Quelle: Eigene Darstellung

Die Anzahl der Nennungen zeigt, dass manche Expert*innen mehrere Sicht-weisen auf die Angehörigen haben. Aus Sicht der Expert*innen können An-gehörige beispielsweise gleichzeitig belastet sein und einen Schutzbedarf

ha-109

ben. Bezogen auf die vermuteten Belastungen der Angehörigen wurden fol-gende Problembereiche genannt:

Individuelle Ebene: Angst, Frust, Sorge, Entsetzen, Gefühl von Scham und Schande, Mitleiden, Gefühl von mitgefangen und mitbestraft sein, Gefühl des Alleingelassenseins, Überforderung, Ohnmacht, Hilf- und Orientierungslosigkeit

Soziale Ebene: Stigmatisierung, Ausgrenzung, Wegfall bzw. Trennung von Bezugsperson

Strukturelle Ebene: Finanzielle Einbussen

Auch die Veränderbarkeit der beschriebenen Sachverhalte wurde je nach Wahrnehmung des Problems unterschiedlich interpretiert: So wurden die Be-lastungen von einem Experten als (unvermeidbare) „Kollateralschaden“

(Freytag, 2021, Z. 400) einer Freiheitsstrafe wahrgenommen und von anderen Expert*innen als Anlass, diese durch geeignete Unterstützungsmassnahmen (sprich Angehörigenarbeit) zu reduzieren. Wenn der Schutzbedarf der Ange-hörigen im Vordergrund stand, wurde von den Expert*innen hervorgehoben, dass diesem im Rahmen des Justizvollzugs Rechnung zu tragen sei. Und wenn Angehörige in erster Linie als Ressource im Resozialisierungsprozess wahrgenommen wurde, betonten die Expert*innen die Notwendigkeit, die An-gehörigen in die Vollzugsplanung zu integrieren.

4.2.2. Lösungsrahmen

Gefragt nach den Möglichkeiten, die zu einer Reduktion der Belastungen von Angehörigen führen, wurden von den Expert*innen verschiedene Massnah-men genannt. Die Autorin fragte jeweils explizit nach, wer als Leistungsträger dieser Massnahmen in Frage kommt, denn „solange es keine bearbeitende Stelle gibt, bleiben Problematisierungen vage, umstritten und können als nicht wirklich existent angesehen werden“ (Groenemeyer, 2012, S. 93). Die Mass-nahmen werden im Folgenden gemäss dem in dieser Master-Thesis be-schriebenen Begriffsverständnis von intra- und extramuraler

Angehörigenar-110

beit unterschieden. Die von den Expert*innen genannten Massnahmen in Be-zug auf die Kinder von inhaftierten Personen bezogen sich sowohl auf intra- wie auch auf extramurale Angehörigenarbeit und werden im Anschluss sepa-rat aufgeführt.

4.2.2.1. Extramurale Angehörigenarbeit

Tabelle 4: Extramurale Angehörigenarbeit zur Reduktion der Belastungen von Angehörigen

Leistungsträger Leistungen Ankerbeispiele

Spezialisierte

„Es müsste Leute haben, die das spe-zialisiert machen und darum wäre wohl so ein Verein gut, der das übernehmen könnte, der auch den Justizvollzug kennt“ (Brägger, 2021, Z. 703-705).

„Wenn man es einbindet, dann haben wir auch einen Auftrag. (...) Aber wenn man es dann nicht auch noch in die Vollzugsplanung und an die Bewäh-rungshilfe anknüpft, dann ist es wie iso-liert“ (Brägger, 2021, Z. 604-608).

„Meine Erfahrung ist einfach, dass wenn man es so isoliert macht, dass es dann punktuell einen Nutzen geben kann, aber es dann nicht in den Prozessen drin (...), also wenn dann ein Insasse versetzt wird, dann geht es wie nicht weiter“ (Brägger, 2021, Z. 611-615).

„Ich finde das schön, wenn das eine Or-ganisation ist, die sich nur diesem The-ma widmet und darauf spezialisiert ist.

Dass Angehörige eine Anlaufstelle ha-ben. Wo viel Sorgfalt darauf verwendet wird, dass Kinder begleitet werden beim Besuch. Wo man sich auch in dieser Thematik spezialisiert“ (Frohofer, 2021, Z.760-764).

„Also am liebsten nicht der Staat. Ein Verein. Stiftung. Oder etwas Vergleich-bares. Privates Engagement, das dann aber mit dem Staat zusammen kommt“

111 An-gebot bieten, bei dem die Leute einfach kommen können und verschiedene Fra-gen stellen können. Wir haben das so aufgebaut, dass jemand vom Bewäh-rungsdienst dabei sein und jemand von der Therapieseite vom Forio dabei sein [kann]. Wir fanden, dass es beide As-pekte braucht. Der Bewährungsdienst kann etwas über die Rahmenbedingun-gen vom Justizvollzug erzählen, was es heisst und so weiter, und der therapeuti-sche Aspekt sollte aber auch nicht ganz aussen vorgelassen werden. Von dem her sind eigentlich diese Beratungs- und Informationsabende entstanden. Das ist vier Mal im Jahr“ (Zürcher, 2021, Z.112-121).

„Gleichzeitig haben wir aber gesagt, dass es nicht das Einzige sein soll (...) Und deshalb haben wir noch eine Tele-fonberatung und eine schriftliche oder eine persönliche Beratung ins Angebot reingenommen“ (Zürcher, 2021,

„Es könnte ja auch beides [Fürsorge und Justiz, Anm. der A.] sein, das könnte ich mir auch vorstellen. Rein von der Für-sorge her (...) könnte das sehr viel Sinn machen, wenn das von dieser Seite her mitgetragen wird“ (Troxler, 2021,

„Die haben so eine digitale Informati-onsveranstaltung für etwa 300 Leute.

Und dann haben wir uns gefragt, ja ei-gentlich, warum machen wir das nicht auch so? Und das wäre ja dann der Teil von Informationen. Dem könnte man dann wirklich Angehörigenarbeit sagen“

„Heilsarmee, die in vielen Anstalten eine gute und unterstützende Arbeit macht“

(Brägger, 2021, Z. 290-292)

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„Vielleicht wäre es für Angehörige einfa-cher, wenn es die sozialen Dienste wä-ren, also Soziale Arbeit. Aber ja gut, dort haben sie ja dann manchmal auch Vor-behalte“ (Looser-Kägi, 2021, Z. 517-519).

Quelle: Eigene Darstellung

Die Auswertung der Interviews macht deutlich, dass die Mehrzahl der Ex-pert*innen sich für die Zuständigkeit einer spezialisierten Organisation aus-serhalb des Justizvollzugs ausspricht, die aber eng mit dem Justizvollzug zu-sammenarbeitet, um eine nahtlose Betreuung der Angehörigen sicherzustel-len. Nach Aussage der Expert*innen könnte die Finanzierung durch Leis-tungsvereinbarungen gewährleistet werden. Dabei sei eine Finanzierung durch den Justizvollzug am naheliegendsten, wobei auch die Mitfinanzierung einer Fürsorgedirektion in Betracht gezogen werden könnte. Im Kanton Thur-gau übernimmt der Bewährungsdienst die Beratung für Angehörige. Eine be-sondere Herausforderung besteht in möglichen Loyalitäts- und Interessens-konflikten. „Ich sehe es einfach etwas kritisch, weil wir teilweise so etwas in einen Rollenkonflikt hineinkommen“ (Zürcher, 2021, Z. 243-244). Deshalb sei gemäss Zürcher besonders darauf zu achten, dass die Beratung der Angehö-rigen nicht durch dieselbe Person vorgenommen werde, die auch die inhaf-tierte bzw. haftentlassene Person dieser Angehörigen berate. Die Ex-pert*innen weisen auf Möglichkeit hin, dass die Fachpersonen der Bewäh-rungsdienste die verurteilte Personen sowie ihren Angehörigen vor Haftantritt beraten können, um die Haftzeit gut vorzubereiten und bei Bedarf den Ange-hörigen eine geeignete Therapiestelle zu vermitteln. Zwei Expert*innen wei-sen auf die Möglichkeit hin, dass Bewährungsdienste gemeinsam mit den psychiatrischen Diensten für die Angehörigen Informationsabende organisie-ren. Zürcher führt aus, dass dies im Kanton Thurgau bereits gemacht wird.

Von den Expert*innen wurde weiter auf die Unterstützungsangebote von be-reits bestehenden, aber nicht auf die Zielgruppe der Angehörigen spezialisier-ten NGOs sowie auf die Sozialen Dienste verwiesen. Diese könnspezialisier-ten im

Rah-113

men ihrer Beratungstätigkeit auch die Beratung von Angehörigen überneh-men. In der Literatur wird jedoch mehrfach auf die Notwendigkeit von spezia-lisierten Beratungsangeboten hingewiesen (Busch et al., 1987, S. 76; Meyer, 1990, S. 509; Kawamura-Reindl, 2018, S. 508 f), weshalb die Autorin davon ausgeht, dass diese Massnahmen den Unterstützungsbedarf der Angehöri-gen nicht adäquat zu decken vermöAngehöri-gen.

4.2.2.2. Intramurale Angehörigenarbeit

Sechs der Expert*innen sind sich einig, dass die Etablierung von intramuraler Angehörigenarbeit in erster Linie in der Verantwortung der Haftanstalten bzw.

der Anstaltsleiter*innen liegt. Vereinzelt wurden die Sozialdienste innerhalb der Haftanstalten ausdrücklich als mögliche Leistungserbringer genannt.

Also der Anstaltsleiter könnte da sehr viel machen. Wenn er sagt: Wir wollen ein Kinderbesuchs- oder ein Familienbesuchszimmer, wir wollen den Familienbesuchen andere Besuchszeiten oder längere Besuchs-zeiten geben. Man kann mit der Kontrolle Sachen anpassen, also das hat viel auch mit Persönlichkeit zu tun im Einzelfall. Wenn man es pro Anstalt anschaut, dann könnte man schon viel machen. (Brägger, 2021, Z. 363-368)

In der Zuständigkeit (...) ist es grundsätzlich mal ein Job vom Vollzugs-system. Sie müssen schauen, dass sie die Informationen, die sie für die Öffentlichkeit geben können, dass sie das zur Verfügung stellen.

Das finde ich. Es muss eine Möglichkeit sein, dass eine Anstalt sagt:

Das sind wir (...). Das kann man abrufen und das kann man anschau-en. Denn, wenn ich weiss, ah jetzt ist er dort, dass ich zumindest weiss, wo das ist und was das ist und etwas über dieses Haus erfah-ren. Das müsste grundsätzlich jede Institution zur Verfügung stellen.

(Troxler, 2021, Z. 506-514)

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Ich glaube aber eben, solange die Leute irgendwo institutionell unter-wegs sind, läuft es ja dann vor allem über die Sozialdienste der Institu-tionen vor Ort. Die sollten ja dann auch schauen, dass maximal daran gearbeitet wird, dass die Kontakte, sofern gewünscht, aufrechterhalten werden können mit allen verschiedenen Möglichkeiten, die es gibt, das zu fördern. (Freytag, 2021, Z. 471-476)

Als Vorschläge für intramurale Angehörigenarbeit wurden die folgenden Mas-snahmen genannt:

• Kontaktmöglichkeiten fördern

• Informationen für Angehörige über die Haftanstalt bereitstellen

• Ansprechperson innerhalb der Haftanstalt für Angehörige gewährleis-ten

• Bewusste Gestaltung der Besuche (inkl. Besuchszeiten, Besuchszim-mer, Begrüssung der Angehörigen durch Justizvollzugspersonal,

• Bewusste Gestaltung der Besuche (inkl. Besuchszeiten, Besuchszim-mer, Begrüssung der Angehörigen durch Justizvollzugspersonal,