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Zum Aufbau dieser Untersuchung

Im Dokument Schreiben mit der Hand (Seite 30-35)

2 (Linguistische) Zugänge zu Handschriftlichkeit

3 Zum Aufbau dieser Untersuchung

Zu Beginn dieser Untersuchung, bevor der Diskurs über Handschrift und die Praktiken des Schreibens von Hand in den Fokus rücken können, müssen die zentralen Begriffe geklärt werden. Worum es sich bei Handschrift genau han­

delt, ist alles andere als selbsterklärend. Wo und wie Schrift zu Geschriebenem wird, ob Schreiben mehr als ein rein motorischer/mechanischer Vorgang ist und wie aus Sprechen Schrift (oder Geschriebenes?) hervorgehen kann, muss zumindest diskutiert werden, bevor Aussagen über Bedeutung und Funktion des Schreibens von Hand möglich werden. Auf diese Einleitung folgt des­

halb zuerst eine Auseinandersetzung mit zentralen Termini wie »Schrift«,

»Schreiben« und »Geschriebenes« sowie den damit verbundenen Konzepten (Teil II). Das zentrale Anliegen dieses Teils ist eine möglichst klare Definition bzw. Unterscheidung von Ausdrücken, die mehrdeutig sind und in der All­

tagssprache oft widersprüchlich verwendet werden. Durch ihre Eingrenzung und Erläuterung stelle ich das sprachliche Werkzeug für die Analyse in den darauf folgenden, empirisch orientierten Teilen bereit.

Als Grundlage für diese definitorischen Bemühungen dienen zum einen schriftlinguistische Arbeiten, zum anderen stütze ich mich auch auf Überle­

gungen aus der Semiotik, der Medientheorie und der Sprachphilosophie. Al­

lerdings: Bei Schrift bzw. beim Schreiben handelt es sich bekanntlich um eine (wenn nicht sogar die) zentrale kulturelle Errungenschaft des Menschen und die (wissenschaftliche) Literatur dazu ist kaum zu überblicken. Entsprechend kann es bei der Begriffsbestimmung von Ausdrücken wie »Schrift« nicht da­

rum gehen, die sie betreffenden Positionen und Überlegungen umfassend oder gar abschliessend darzustellen. Auch soll in diesem Buch explizit nicht der Versuch unternommen werden, eine allgemeine Theorie der Schrift zu entwickeln, auch wenn die Bearbeitung einiger sehr grundsätzlicher Fragen unumgänglich ist. Mein Zugriff auf die Forschungsliteratur ist also in einem gewissen Sinn »parasitär«, wie die Kulturlinguistin Angelika Linke einmal ihre Foucault­Lektüre genannt hat:

Wissenschaftliches Lesen ist häufig parasitäres Lesen. Wir lesen sehr oft nicht, um fremde Rede in ihrem eigenen Recht und Anspruch zu verstehen, sondern um in ihr etwas für uns zu finden. Wir sind auf der Suche nach Anregung, häufig sogar schon recht gezielt auf der Suche

nach Methoden, Modellen, Begriffen, Belegen, Gedankensplittern, die wir für ein eigenes aktuelles Denkprojekt produktiv machen können.

(Linke 2015: 63, Hervorhebung im Original)

Das Schreiben von Hand provoziert eine ganze Reihe solcher »Denkprojekte«

semiotischer, medientheoretischer und philosophischer Art und es soll hier kein Hehl daraus gemacht werden, dass der erste Teil auch dazu dient, den mit diesen Provokationen verbundenen Fragen Raum zu geben.

Nach ausführlichen Überlegungen zu den zentralen Begriffen folgen zwei Teile, die sich der oben beschriebenen linguistischen Zugriffe auf Hand­

schriftlichkeit bedienen: einer zum (Medien­)Diskurs (Teil III) und einer zu verschiedenen (Hand­)Schreibpraktiken (Teil IV). Die Reihenfolge ist dabei nicht zufällig: Welche Praktiken aus welchen Gründen für die intersubjekti­

ve Wahrnehmung von Handschriftlichkeit zentral sind, geht (auch) aus dem Sprechen und Schreiben über sie hervor. Das heisst: Die Auswahl der Text­

sorten und ­exemplare, die in Teil IV analysiert werden, knüpft direkt an Erkenntnisse aus der Untersuchung des Diskurses in Teil III an.

Auch im Diskurs­Teil stelle ich den Stand der Forschung nur soweit dar, wie er für meine Überlegungen relevant ist. Das umfasst einige Ausführungen dazu, was unter »Diskurs« überhaupt zu verstehen ist und welche Metho­

den ich anwende. Selbstverständlich darf auch eine Beschreibung des em­

pirischen Materials, auf das ich zugreife, d. h. meiner Textsammlung bzw.

meines Korpus, nicht fehlen. Dabei werde ich u. a. auf die Unterscheidung zwischen Diskurs und Korpus eingehen und erläutern, weshalb es sich bei der vorliegenden Untersuchung nicht um eine korpuslinguistische Arbeit (im engeren Sinn) handelt und weshalb auch die Bezeichnung diskursanalytisch nur bedingt zutrifft. Nach diesen einleitenden methodischen Bemerkungen folgt eine systematisch geordnete Darstellung der Themen, in deren Zusam­

menhang Handschriftlichkeit diskursiv bearbeitet wird, und der Motive, To­

poi und Kollokationen, die für das gesellschaftlich geteilte Wissen über das Handschreiben konstitutiv sind. Schliesslich führe ich die verschiedenen Be­

obachtungen zusammen und leite daraus die zu untersuchenden Textexem­

plare in Teil IV ab.

Zu Beginn des Praktiken­Teils (Teil IV) wird die methodische Kombinati­

on aus kulturlinguistischem und textlinguistischem Zugang (s. o.) nochmals

erläutert und das Zusammenspiel beider Perspektiven skizziert. Danach fol­

gen detaillierte Untersuchungen von vier Text sorten, die sich jeweils unter­

schiedlichen Konzepten und Funktionen von Handschriftlichkeit zuordnen lassen. Abhängig davon, was für die jeweilige Text sorte im Diskurs als be­

sonders relevante Eigenschaft dargestellt wurde, steht dabei eher die Einbet­

tung in kulturelle Praktiken im Fokus oder die dichte Beschreibung einzelner Texte.

Zum Schluss dieses Buches werden die Beobachtungen und Überlegun­

gen aus dem Begriffe­, dem Diskurs­ und dem Praktiken­Teil zusammenge­

fasst und aufeinander bezogen. Dank der unterschiedlichen Zugriffe kann hier ein differenziertes und dennoch recht umfassendes Bild davon gezeich­

net werden, was Handschrift(­lichkeit) gesellschaftlich und kommunikativ bedeutet, wann wir heute von Hand schreiben und wieso. Nicht zu kurz kom­

men wird dabei der Ausblick auf Fragen, die mit dem kulturellen Phänomen Handschrift in einer sich rasant wandelnden Welt zu tun haben, in der sehr häufig von »Digitalisierung« die Rede ist. Schon jetzt kann festgehalten wer­

den: Aussterben wird Handschrift nicht.

II Begriffe

Zum Nachdenken über Handschriftlichkeit gehört die Arbeit mit häufig ver­

wendeten, aber mehrdeutigen Ausdrücken wie »Schrift«, »schreiben«, »Me­

dium« (bzw. »Medien«) und »digital«. Wie viele hochfrequente Termini be­

nutzen wir auch diese im Alltag ohne grosse Schwierigkeiten, wissen also, wovon wir reden oder schreiben, wenn wir sie verwenden. Wir benötigen dazu keine elaborierten Definitionen und können mit Bedeutungsunschärfen und Mehrdeutigkeiten gut umgehen. Meist lässt sich aus dem Kontext prob­

lemlos erschliessen, worauf wir uns beziehen, was wir also z. B. mit dem Wort Schrift in einer spezifischen Situation meinen. Für eine fundierte theoretische Auseinandersetzung mit Handschriftlichkeit ist die vorgängige Klärung eini­

ger Termini aber unabdingbar. Dabei kann es nicht darum gehen, allgemein­

gültige, d. h. für jede Fragestellung sinnvolle, abgeschlossene Definitionen zu liefern; das wäre weder machbar noch wünschenswert, wie u. a. schon Michael Klemm (2002: 150–152) und Kirsten Adamzik (2016: 41) im Hinblick auf den Terminus »Text« festgehalten haben. In den folgenden Kapiteln wird die Bedeutung zentraler Ausdrücke (und ihre Relation zueinander) auf eine Weise festgelegt, wie es für diese spezifische Untersuchung nützlich ist. Es geht also ›nur‹ darum, das sprachliche Werkzeug für die weitere Arbeit vor­

zubereiten. Gleichzeitig sind die mit dieser Vorbereitungsarbeit verbundenen Überlegungen eine Annäherung an den Gegenstand, an Handschrift. Mit ei­

nem bestimmten Verständnis eines Ausdrucks ist ja auch die Modellierung des damit bezeichneten Phänomens verbunden und diese ist entscheidend für alle Aussagen, die über besagtes Phänomen gemacht werden (können).

Es geht aber, das soll hier nochmals ganz explizit gesagt sein, nicht um die Entwicklung einer allgemeinen Schrift­ oder gar Zeichentheorie.

Die Kapitel dieses Teils sind in gewisser Weise, d. h. meinem Verständ­

nis der Termini entsprechend, chronologisch geordnet. Am Anfang steht die Schrift (Kap. 4), die dem Schreiben (Kap. 5) vorgelagert ist, aus dem wiederum das Geschriebene (Kap. 6) hervorgeht.

Im Dokument Schreiben mit der Hand (Seite 30-35)