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Armuts- und ausgrenzungsrelevante Entwicklungen durch die COVID-19 Pandemie

Im Dokument COVID-19: Analyse der sozialen (Seite 74-78)

Karin Heitzmann (Forschungsinstitut Economics of Inequality, INEQ, WU)

5.2 Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung

5.2.1 Armuts- und ausgrenzungsrelevante Entwicklungen durch die COVID-19 Pandemie

Erhöhung der Arbeitslosigkeit

Eine Konsequenz der Pandemie war eine enorme Zunahme der Arbeitslosigkeit, v.a. bis Mitte April 2020. Seither entspannt sich die Lage am Arbeitsmarkt zwar wieder, vom Vorjahresniveau ist Österreich aber nach wie vor deutlich entfernt. Ende Juli 2020 waren knapp 384.000 Personen als arbeitslos vorgemerkt, das ist ein Zuwachs von mehr als 112.000 Personen oder 41% im Vergleich zum Vorjahr14. Überdurchschnittlich stark stieg die Arbeits-losigkeit von jungen Arbeitnehmer*innen (unter 25 Jahre) an (+52%) sowie von Ausländer*innen (+57%). Aus Sicht der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung besonders problematisch ist die Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit.

Im Juli 2020 waren knapp 15.000 mehr Personen seit mind. 12 Monaten arbeitslos als noch im Juli 2019. Das entspricht einem Anstieg von etwa 31%. Zwischen Ende April 2020 (und damit nach Beginn der Entspannung am Arbeitsmarkt) und Ende Juli 2020 hat die Zahl der Langzeitarbeitslosen um knapp 7.700 Personen oder etwa 14% zugenommen, wiewohl sich die Zahl der registrierten Arbeitslosen in diesem Zeitraum bereits um 29% oder knapp 140.000 Personen reduziert hat15: ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Entspannung am Arbeitsmarkt nicht allen Gruppen gleichermaßen zugute kommt.

Die wohl wichtigste Maßnahme zur Eindämmung der Arbeitslosigkeit war die Einführung der Corona-Kurzarbeit, die es – aktuell verlängert bis Ende März 202116 – ermöglicht, trotz deutlich geringerer Arbeitszeit beschäftigt zu bleiben und – je nach Höhe des Einkommens – auf 10 bis 20% seines Gehalts zu verzichten. Insbesondere bei Geringverdienenden kann jedoch schon ein Gehaltsverlust von 10% drastische Auswirkungen auf die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung haben. Neben der Ermöglichung von Kurzarbeit wurden von der Regierung einige Maßnahmen gesetzt, die sich direkt an Bezieher*innen von Arbeitslosenleistungen richten. Dazu gehört etwa eine Einmalzahlung in Höhe von € 450 für alle, die zwischen Mai und August 2020 mind. 60 Tage arbeitslos gewesen sind17. Zudem hat der Nationalrat beschlossen, die Notstandshilfe zwischen Mitte März und Ende September 2020 auf die Höhe des Arbeitslosengeldes anzuheben18. Einkommen aus weiteren Härtefallfonds, z.B. für Familien mit Kindern, sollten zudem dazu beigetragen haben, Einkommensausfälle für einige Gruppen

13 Vgl. dazu und zur Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit insbesondere https://www.bmafj.gv.at/Services/

News/Aktuelle-Arbeitsmarktzahlen.html

14 https://www.bmafj.gv.at/dam/jcr:4b4341ba-5cfe-4a70-97b6-0c6f5bea0610/amlage_akt_monat%20Juli%202020.xlsx

15 https://www.bmafj.gv.at/dam/jcr:4b4341ba-5cfe-4a70-97b6-0c6f5bea0610/amlage_akt_monat%20Juli%202020.xlsx;

https://www.bmafj.gv.at/dam/jcr:09f4a88e-c1a4-4201-9fbc-65767869ade4/amlage_akt_monat%20April%202020.xlsx

16 Vgl. https://www.bmafj.gv.at/Services/News/Verlängerung-der-Kurzarbeit-bis-März-2021.html

17 https://www.bmafj.gv.at/Services/News/Unterstützung-für-Familien-und-Arbeitssuchende.html

18 https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2020/PK0385/index.shtml

zumindest zum Teil abzudecken: in den meisten Fällen handelt es sich dabei aber um Einmalzahlungen, die zu keiner dauerhaften Erhöhung der knappen Einkommen führen.

Zunahme der Nachfrage nach Sozialleistungen und nach Unterstützungen durch die Sozialwirtschaft Als eine Folge der Pandemie haben viele Menschen ihre Arbeit verloren. Für sie wurden soziale Transferleistungen bedeutsamer. Ist die Anwartschaft erfüllt, haben Arbeitslose Anspruch auf Arbeitslosengeld und in weiterer Folge auf Notstandshilfe. Im Vergleich zur Kurzarbeit ist die Einkommensersatzleistung bei Arbeitslosigkeit geringer: es gebühren i.d.R. 55% vom Nettolohn. Die Notstandshilfe liegt dann noch einmal darunter. 2019 wurden in Österreich im Schnitt € 32,80 pro Tag an Arbeitslosengeld bezahlt und € 27,00 an Notstandshilfe (Arbeitsmarktservice Österreich 2020b, S. 25). Weil es sich bei beiden monetären Transfers um Sozialversicherungsleistungen handelt, ist die Dauer und Höhe der Einzahlungen ins Arbeitslosenversicherungssystem zentral. Generell gilt: je kürzer die Einzahlungsdauer (die über die Anspruchsberechtigung entscheidet) und je geringer die Einzahlungshöhe, desto geringer auch die Einkommensersatzleistungen. Berücksichtigt man die Personengruppen, die als Reaktion auf die COVID-19 Pandemie überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind (v.a. Junge, Ausländer*innen), dann lässt sich vermuten, dass die Einkommensersatzleistungen für diese Gruppen geringer ausfallen als die oben angeführten durchschnittlichen Tagsätze andeuten. V.a. bei zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit können die zusätzlich gewährten Einmalzahlungen die Einkommensverluste bei diesen Gruppen nicht kompensieren.

Ein spezifisches Problem, das im Zusammenhang mit der COVID-19 Krise zutage getreten ist, ist die mangelhafte Absicherung der Selbstständigen. Zwar gibt es die Möglichkeit einer (freiwilligen) Arbeitslosenversicherung, allerdings wurde diese bislang kaum in Anspruch genommen (Derndorfer et al. 2020). Diese Gruppe musste sich daher in der Zeit des Lockdown aber auch danach vornehmlich auf Unterstützungen durch Härtefallfonds verlassen.

Alle einkommensarmen Menschen haben Anspruch auf Unterstützungen durch Fürsorgeleistungen, v.a. durch die Sozialhilfe bzw. Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Von Ende März bis Ende Mai 2020 nahm die Zahl der Bezieher*innen dieser Leistungen um knapp 7.500 Personen zu und danach wieder ab. Ende Juli 2020 ent-sprach die Anzahl der unterstützten Personen schon fast wieder dem Wert von Ende März 202019 (vgl. Abb. 4).

Bemerkenswert ist die Entwicklung der Anzahl der BMS-Empfänger*innen in Niederösterreich. Dort reduzierte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger*innen schon seit März kontinuierlich. Der Rückgang bis Ende Juli 2020 beläuft sich auf immerhin knapp 15%. Auch in Oberösterreich war der Rückgang mit über 6% deutlich höher als in anderen Bundesländern: Resultat der neuen Gesetzgebung in diesen Ländern, die eine deutlich restriktivere Unterstützung vorsieht als im Vergleich zu den „alten“ Regelungen?

19 Seit 2020 gilt ein neues Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, das bis dato aber nur von zwei Bundesländern (Nieder- und Oberösterreich) umgesetzt worden ist. Die Entwicklung der Zahlen zur Sozialhilfe bzw. zur bedarfsorientierten Mindestsicherung sind daher mit Vorsicht zu genießen: neben der COVID-19 Pandemie könnten auch die in einigen Bundesländern schon umgesetzten Gesetzesänderungen Veränderungen der Zahlen in den letzten Monaten erklären.

Abbildung 11: Entwicklung der Zahl der Bezieher*innen von Sozialhilfe/Bedarfsorientierten Mindestsicherung, Österreich März – Juli 2020

20 D.h. insbesondere, dass sie zeitgleich keine Einkommen aus Erwerbsarbeit oder aus der Arbeitslosenversicherung bezogen haben.

21 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200325_OTS0169/corona-krise-caritas-weitet-hilfe-aus

22 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200422_OTS0076/

caritas-warnt-soziale-dimension-der-corona-krise-ist-bereits-spuerbar

Quelle: Daten aus dem BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; eigene Darstellung

Auch wenn nur für sechs Bundesländer entsprechende Informationen vorliegen, zeigt sich insbesondere ein Anstieg bei jenen Empfänger*innen von Sozialhilfe oder bedarfsorientierter Mindestsicherung, die diese Leistung als Vollbezug20 erhielten. Ihre Anzahl stieg zwischen März und Juli 2020 um knapp 7.000 Personen oder 23%

an. Ein Teil davon könnten Selbstständige oder ehemalige Geringeinkommensbezieher*innen bzw. Berufsein-steiger*innen ohne Anspruch auf Arbeitslosenleistungen sein. Eine gründlichere Analyse dieser Gruppe wäre jedenfalls hilfreich (vgl. Kapitel 5.5).

Viele hilfsbedürftige Personen wandten sich nach Ausbruch der COVID-19 Pandemie auch an Sozialorganisationen und suchten dort um Unterstützung an. Die Caritas Österreich informierte schon Ende März 2020 von einer Zu-nahme der Anfragen bei den 36 österreichweiten Sozialberatungsstellen und einem Anstieg der Essensausgaben bei den Wiener Suppenbussen21. Der damalige Generalsekretär, Bernd Wachter, meinte in einer Aussendung: „Viele Menschen, denen wir helfen, befanden sich schon in Vor-Corona-Zeiten in existenziellen Krisen. Diese Krisen haben sich nun massiv verschärft. Aber auch Menschen, die bislang noch nicht auf die Hilfe der Caritas angewiesen waren, melden sich jetzt bei uns“, so Wachter: „Darunter befinden sich arbeitslose Menschen ebenso wie ältere Menschen oder auch Männer und Frauen, die noch vor wenigen Tagen von ihrem persönlichen Umfeld gestützt wurden – viele von ihnen sind nun in der Pandemie auf sich allein gestellt und brauchen Hilfe.“ Mitte/Ende April 2020 war die Lage weiter prekär, wie Meldungen aus der Caritas Wien deutlich machten22. Generalsekretär Klaus Schwertner betonte damals: „Wir begegnen Menschen, die ihren Job verloren haben und nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen. Alleinerziehende Mütter suchen verzweifelt Hilfe, und müssen sich von ihren Kindern Taschengeld ausborgen, damit der Kühlschrank nicht leer bleibt und Mindestpensionisten sind oftmals nicht in der Lage, ausreichend Lebensmittel zu besorgen und zu bezahlen. Und auch für obdachlose Menschen

199.204

März April Mai Juni Juli

stellt die Pandemie einen harten Stresstest dar. Wir sehen: Die Schwächsten unserer Gesellschaft sind am stärksten von der aktuellen Situation betroffen und 50 Prozent der Menschen, die bei der Corona Nothilfehotline anrufen, geben an, dass sie nie geglaubt hätten, jemals von der Caritas Hilfe zu brauchen.“ Die zunehmende Betroffenheit schlug sich in konkreten Zahlen nieder. Nach der zitierten Presseaussendung der Caritas Wien gab es in der ersten Märzhälfte, und damit vor Beginn des Pandemie-bedingten Lockdown rund 900 Kontakte (E-Mail, Telefon, Beratungsgespräche) in den Caritas Sozialberatungsstellen, in der zweiten Märzhälfte waren es bereits knapp 1.800. Alleine in den ersten beiden April-Wochen meldeten sich dann schon 2.100 Menschen bei der Caritas. Warum? „Ausstehende Mietkosten, zu wenig Geld für Lebensmittel und zu lange Wartezeiten auf zu geringe staatliche Unterstützungsleistungen – das sind die häufigsten Sorgen und Nöte, mit denen wir hier konfrontiert sind“, so Schwertner in der Aussendung. Alarmierend sind auch Erkenntnisse der Volkshilfe, die im Juni 2020 100 armutsgefährdete Haushalte mit Kindern zu ihren Erfahrungen befragt hat (Volkshilfe Österreich 2020). Auf die Hälfte der Befragten hat sich die COVID-19-bedingte Krise demgemäß finanziell negativ ausgewirkt, auch auf Grund steigender Kosten, die durch das Homeschooling verursacht worden sind. Mehr als drei Viertel machte sich noch mehr Sorgen über die Zukunft und über die Hälfte hatte Angst, dass ihre Kinder die Schule nicht gut abschließen würden.

Auseinanderklaffen von Bildungsunterschieden: das Beispiel des Homeschooling

Eine spezifische Herausforderung für Familien mit Schulkindern war die Periode des Homeschooling ab Mitte März 2020. Erst zwei Monate später öffneten die Schulen dann wieder sukzessive (und jeweils für 50% der Schüler*innen) ihre Tore. Hinweise aus einigen in dieser Zeit durchgeführten Studien zeigen, dass ein Teil der Schüler*innen während dieser Zeit nicht erreichbar war bzw. nicht die passende Ausstattung für Homeschooling vorhanden gewesen ist. Gerade auch in armutsbetroffenen Haushalten fehlte es zudem oft am (ruhigen) Platz zum Lernen: Hinweise darauf, dass sozialer Aufstieg in Österreich (noch) schwieriger geworden ist (vgl. dazu Förster und Königs 2019).

Die Belastungen durch das Homeschooling waren innerhalb der Bevölkerung nicht gleichmäßig verteilt. Einerseits wurde die Verantwortung für die Kinderbetreuung und das Homeschooling stärker auf Mütter als auf Väter ver-lagert. Mütter spürten auch die damit verbundenen Belastungen deutlicher (vgl. z.B. Schönherr 2020, S. 7ff) und wandten mehr Zeit für die informelle Betreuung der Kinder zu Hause auf23. Als Ergebnis einer Befragung von Eltern Anfang Mai 202024 zeigte sich andererseits aber auch, dass spezifische Familientypen stärker belastet waren als andere. So war das Homeschooling für zwei Drittel der alleinerziehenden Mütter (teilweise) mit Schwierigkeiten verbunden. 29% gelang es nach eigenen Angaben (sehr) schlecht die Kinder beim Lernen zu unterstützen, 34%

gelang es nur teilweise. Nach dem Bildungsstand des befragten Elternteils gaben nur 46% der Befragten mit maximal Lehrabschluss an, dass Homeschooling (sehr) gut funktioniert hätte, während dies bei 67% der Befragten mit Matura oder Hochschulabschluss der Fall war. Auch im Hinblick auf die Anzahl der Kinder und das Alter des jüngsten Kindes im Haushalt zeigten sich Unterschiede: Mit mehr als einem Schulkind konnte es herausfordernd sein, Arbeitsplätze und Ausstattung (u.a. die abwechselnde Nutzung eines Laptops) zu koordinieren. Als Fazit der zitierten Studie kommt Caroline Berghammer zum Schluss: „Beim Homeschooling spielen die innerhalb der Familie vorhandenen Ressourcen – u. a. Bildung der Eltern, Wohnungsgröße, technische Ausstattung – eine weitaus größere Rolle für den Lernerfolg der Kinder als im Präsenzbetrieb, wo alle Schüler*innen den gleichen

23 Vgl. dazu auch https://www.wu.ac.at/vw3/forschung/laufende-projekte/genderspezifscheeffektevoncovid-19

24 https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/

Zugang zu Ressourcen haben. Daher haben sich, wie auch unsere Ergebnisse unterstreichen, in der Corona-Krise Ungleichheiten zwischen Familien mit unterschiedlichem sozioökonomischen Status noch verstärkt“25. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine weitere Studie der Universität Wien26. Dafür wurden Anfang bis Mitte Mai 2020 Lehrer*innen zu ihren Erfahrungen mit Homeschooling befragt. Als ein Problem wurde dabei identifiziert,

„lernschwächere Schüler*innen und Schüler*innen mit schlechteren technischen Möglichkeiten ausreichend zu unterstützen. Probleme von ohnehin schon benachteiligten Schüler*innengruppen würden sich vergrößern“.27 Im Bereich des Homeschooling bot nicht nur die öffentliche Hand28, sondern auch die Sozialwirtschaft Unter-stützung an29. Trotzdem merkte Caritas-Präsident Michael Landau an, dass sich durch die Pandemie und ihre Folgen Ungleichheiten im Bildungssystem vergrößern würden. In einer Aussendung dazu heißt es: „Aus unserer Arbeit mit benachteiligten Kindern wissen wir, dass PCs in armutsbetroffenen Haushalten – wenn vorhanden – von mehreren Personen geteilt werden müssen. Ungefähr 70 Prozent der von der Caritas unterstützten Kinder geben an, ihre Lernaufgaben über das Handy, meist jenes der Eltern, erledigen zu müssen.“

5.2.2 Wie wird sich die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung in Österreich

Im Dokument COVID-19: Analyse der sozialen (Seite 74-78)