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ARBEITSORGANISATION UND BELASTUNG

Neben körperlicher Schwerarbeit und Arbeitsumweltbelastun-gen sehen sich Bauarbeiter aufgrund der Besonderheiten der Arbeitsorganisation weiteren spezifischen Arbeitsbelastun-gen ausgesetzt. Diese Belastungen nehmen vermutlich in den nächsten Jahren mit der Einführung von EDV-Techniken (u.a.

CAD/CAM) in der Bauwirtschaft zu. Dies hängt mit der genau-eren Einhaltung von Zeitplänen und Synchronisierung von Arbeitsverläufen zusammen, die von Experten als das wich-tigste Ergebnis der Anwendung der neuen Techniken bezeich-net wird. So wird vom Management eines großen schwedischen Bauunternehmens (das gegenwärtig den Bau des zentralen Bus-bahnhofs in stockholm durchführt) eine bisher nicht gekann-te Ubersicht und Kontrolle über den Bauprozeß als wesentli-cher Vorteil der beschleunigten Einführung von EDV-Techni-ken beschrieben. In einern weiteren Schritt könne in abseh-barer Zukunft der Einsatz von Robotern an Bauarbeitsplätzen mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung vorgenommen wer-den. Als realistisch wird angesehen, daß Roboter einen be-trächtlichen Teil der dort anfallenden gesundheitsgefähr-denden Arbeiten übernehmen können (Dagens Nyheter

13.3.1985).

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Zeitdruck und Zeitkontrolle gehören zu jenen zentralen Ar-beitsmilieuproblemen, deren belastungssteigernde Effekte seit den 70er Jahren untersucht worden sind. 1974 wurde von der Bauarbeitergewerkschaft Forschung über den Zusammenhang von Arbeitsorganisation/Lohnformen und Unfällen/Arbeitsun-fähigkeit initiiert. 1978 führte eine Erhebung der Gewerk-schaft bei lokalen Schutzbeauftragten zu dem Ergebnis, daß Arbeitstempo und Streß als Hauptursache von Arbeitsunfällen

im Baugewerbe angesehen werden (Jacobsen/Johnson 1978). Die in dieser Untersuchung festgestellten Zusammenhänge wurden dann in einern Forschungsprojekt des Arbetslivscentrums ver-tieft, das wiederum auf Initiative der Bauarbeitergewerk-schaft in den Jahren 1978 bis 1984 konzipiert und durchge-führt wurde. Erkenntnisziel dieses Projekts war es, den in

Als positive Merkmale der Arbeit im Baugewerbe wird gewöhn-lich genannt, daß der Beruf von hoher Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit geprägt ist, daß die Arbeit in Be-rufsgruppen organisiert wird, die einen sogenannten Grup-penvorarbeiter wählen können, der die lokalen Arbeitsver-hältnisse und Löhne in einem bestimmten Ausmaß beeinflussen kann. Negativ wird in der Regel festgehalten, daß trotz der

Gesetzgebung zur Beschäftigungssicherheit nur 40% aller Bauarbeiter fest angestellt. sind, während 60% nur eine auf das jeweilige Bauvorhaben befristete Anstellung haben. Auf diese Weise werde auf die Arbeitnehmer ein hoher Leistungs-druck augeübt, der durch das Akkordlohnsystem noch

ver-stärkt werde. Diese Ambivalenz der IIWirklichkeit des Bauar-beitsplatzes" wurde von der ALC-Forschergruppe stark in den Vordergrund ihrer

.1984

abgeschlossenen Untersuchung

ge-stellt (Westberg u.a.

1984).

-,

der Studie von 1978 angedeuteten Zusammenhang von Arbeits-tempo/Streß, Akkordentlohnung und Arbeitsunfällen/Berufsun-fähigkeit näher zu beleuchten.

Der Bauprozeß als Kontrakt.sytem

Das den Erfordernissen des Baugewerbes angepaßte Kontrakt-system beinhaltet die Organisation der Bauarbeit an Groß-baustellen durch einen Hauptunternehmer, der mehrere Klein-unternehmen als Subkontraktoren unter Vertrag nimmt.

zeitdruck entsteht gewöhnlich dadurch, daß der gesamte zeitverbrauch als Konkurrenzmittel bei der Auftragsbeschaf-fung benutzt und deshalb äußerst knapp kalkuliert wird.

Zeitliche Verzögerungen ziehen Konventionalstrafen für die einzelnen Unterauftragnehmer nach sich, auf die sonst die finanziellen Risiken verteilt werden. Diese Risikovertei-lung bestimmt die Entlohnungs- und Beschäftigungsformen:

Die Mehrheit aller Bauarbeiter arbeitet nach einem Gruppen-akkordsystem und ist nur befristet für das jeweilige Bau-vorhaben angestellt.

In einem 1984 veröffentlichten Forschungsbericht für den Bauforschungsrat ist indes darauf hingewiesen worden, daß dem Akkordsystem für Bauarbeiter auf dem Gebiet der Baufi-nanzierung bei einem Viertel aller Bauprojekte - vor allem den größeren - eine eher konstenindifferente Regelung ge-genübersteht. Das bedeutet, daß jährlich 2 bis 3 Milliarden SEK Kostensteigerungen deshalb entstehen, weil Bauprojekte nicht nach festen Angebotspreisen, sondern auf laufende Rechnung durchgeführt werden. In der Studie wird Kritik an dieser Art Kostenindifferenz geübt, die den von den Arbeit-gebern in der Baubranche als notwendig bezeichneten Akkord als Regellohnform der Bauarbeiter ad absurdum führe. Die Bauwirtschaft sei selbst offenbar nicht daran interessiert, unter Bedingungen zu arbeiten, die dem Akkord der Bauarbei-ter entsprächen, nämlich unter Beachtung fixer Preise. Dem durch Kostengründe motivierten Akkordsystem der Bauarbeit steht somit ein Finanzierungs- und Planungssystem gegen-über., das kontraproduktiv für einen Transfer dieser Ratio-nalisierungsvorteile wirkt (Jüriado/Grennberg 1984).

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Das Gruppenvorarbeitersystem

Im Unterschied zur lokalen Arbeitsorganisation im Baugewer-be der Bundesrepublik, die von industriellen Organisations-formen mit Montagearbeit angelernter Arbeitskräfte bei ganztägiger Schichtarbeit (Dreierschicht) und davon ge-trennter Spezialistenarbeit bei Vorbereitung und Planung geprägt ist (Janssen u.a. 1983), ist die in Schweden vor-herrschende Organisationsform die des Gruppenvorarbeitersy-stems. Dies beinhaltet, daß Vorarbeiter, die das Vertrauen der von ihnen im Auftrag des Unternehmers angestellten Gruppenmitglieder besitzen, die Arbeit im Rahmen des Kon-traktsystems weitgehend selbständig leiten. Das System wird von Vertretern der Bauarbeitergewerkschaft und Partizipa-tionsforschern als ein Mittel zur Einflußnahme der Beschäf-tigten auf den Arbeitsprozeß bezeichnet. Es seials Organi-sationsprinzip zu wichtig, als daß man es zerfallen lassen könne und "durch Arbeitsorganisationen ersetzen, bei denen die Arbeiten den arbeitsteiligen, zerstückelten und

machtlo-sen Arbeitspositionen in der 'festen' tndustrie gleichen"

(Kranlund 1982, S. 107). Eine differenzierte Auswertung der Auswirkungen des Gruppenvorarbeitersystems für das Arbeits-milieu von Bauarbeitern, wie sie von Kronlund (1970, 1982) vorgenommen worden ist, ergibt jedoch auch nachteilige Aspekte für vor allem die psychosozialen Arbeitsbedingun-gen. Das regional unterschiedlich ausgeprägte, jedoch an allen schwedischen Bauarbeit~plätzen vorherrschende System mit objektangestellten Bauarbeitergruppen um einen Gruppen-vorarbeiter wurde bereits 1964 zum Gegenstand einer ar-beitsmedizinisch ausgerichteten untersuchung des schwedi-schen Arbeitsschutzamtes und des Instituts fUr Psychologie der Stockholmer Universität gemacht. Psychosomatische Sym-ptome bei den Gruppenvorarbeitern legten die Vermutung na-he, diese würden durch die hohe Arbeitsverantwortung und Rollenkonflikte verursacht (Astrand u.a. 1966). In Anleh-nung daran vertrat eine Forschergruppe des (damaligen) Psy-chotechnischen Instituts der stockholmer Universität die These, daß vor allem Rollenkonflikte ursächlich Auslöser psychosomatischer Erkrankungen (Herzinfarkt u.ä.) darstel-len.

"

Diese These konnte in größeren Umfrageuntersuchungen veri-fiziert werden (Kronlund u.a. 1970). Die beteiligten For-scher zogen daraus den Schluß, daß Fragen von Macht und Einfluß im Arbeitsprozeß in den Vordergrund zu rücken sei-en. Im Hinblick auf die Diskussion und Forderung nach auto-nomen Gruppen in der "f'esten" Industrie wurde das Gruppen-vorarbeitersystem in der Bauwirtschaft als

weiterentwickel-te, Vorbildfunktionen besitzende Partizipationsform be-zeichnet.

Erst. Ende der 70er Jahre konnte dieser Fragestellung wieder nachgegangen werden, da wei tere Fo.rac hunq Anfang der 70er Jahre vom Arbeitgeberverband der Bauwirtschaft blockiert wurde. Jetzt wurde stärker pointiert, daß das ganze System auch ein selbstdestruktives Potential besitzt: Historisch ursprünglich als gewerkschaftliche Mitbestimmungsforderung

umgesetzt, sei es "aufgrund der Entwicklung übergreifender ökonomisch-organisatorischer Strukturen" (Kranlund 1982, S.

96) entartet, seien die demokratischen und solidarischen Bestandteile dieses Systems zerfallen.

Der lokale Arbeitsschutz

Der lokale Arbeitsschutz in der Bauindustrie hat aufgrund des Akkordlohnsystems einen schweren Stand. Der eingebaute Zeitdruck bei Bauprojekten führt dazu, daß Arbeitsschutz besonders bei den häufigen Terminverspätungen vernachläs-sigt wird, da er zum großen Teil unbezahlte Arbeit dar-stellt. Der Zeitdruck wirkt sich negativauf das Unfallri-siko aus. Lokale Schutzbeauftragte, gewerkschaftliche Ar-beitsmilieuexperten und Forscher haben in jüngster zeit übereinstimmend darauf hingewiesen, daß der geringe Stel-lenwert des Arbeitsschutzes auch in der gleichgültigen Be-handlung von Arbeitsunfällen durch staatliche Ermittlungs-behörden und Gerichte zum Ausdruck kommt (Dagens Nyheter 8.

und 9.1.1985). Der auftretende Streß hat außerdem negative Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Arbeiter.

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Die Bedeutung des Akkords für die geringe Prioritierung von Arbeitsschutz und damit für die Risikobereitschaft der Ar-beiter liegt darin, daß die Minimierung von Schutzmaßnahmen zu Zeitgewinnen führt, die aufgrund des Unterauftragnehmer-systems finanziell belohnt werden. Damit Bauarbeiter es für lohnend ansehen, weniger Risiken am Arbeitsplatz einzuge-hen, schlagen die Forscher des Arbetslivscentrums vor,

"entweder den Akkord zu beseitigen, so daß die Arbeitnehmer nicht für die Mißachtung von Schutzmaßnahmen belohnt wer-den, oder ein Belohnungssystem für die Schutzarbeit zu fin-den, das wie Geld Werte darstellt und spürbar ist." Hier habe der Branchengesundheitsdienst eine zentrale Aufgabe, indem er seine Informationsarbeit zur Vermeidung von Ar-beitsunfällen und Berufskrankheiten intensivieren und akti-vieren müsse. Die Schutzorganisation müsse so verändert

~ werden, daß sie nicht als Ursache materieller Opfer für

Arbeitnehmer wie Arbeitgeber fungiere.

~ingebaut in das Gruppenakkordsystem ist der Mangel, daß ein auf Sicherheit und damit einen gewissen zeitlichen Mehraufwand eingestelltes Arbeitsverhalten die Leistung kurzfristig beeinflußt. Dies führt in der Regel dazu, daß ein Bauarbeiter, der die Sicherheitsvorschriften beachtet und erfüllt (und dadurch langsamer arbeitet>, Gefahr läuft, bei der nächsten Projektanstellung nicht mehr berücksich-tigt zu werden.

Der ständige Zeitdruck, dem sich Bauarbeiter normalerweise zur Vermeidung dieses Risikos unterwerfen, führt im Zusam-menwirken mit ergonomischen Belastungsfaktoren zu einem beträchtlichen Ausscheidungsprozeß.

4. FORSCHUNG ZUM BELASTUNGSABBAU