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Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik

3. Der Transformationsprozeß und die Perspektiven der

3.3 Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik

103. Der Arbeitsmarktpolitik kommt - ebenso wie der Bildungs- und So-zialpolitik -, eine wichtige Rolle im Übergangsprozeß zu. Durch die Ver-besserung der Arbeitsmarktinformation und der Arbeitsvermittlung, durch ein Angebot effektiver Hilfen für die Arbeitslosen und durch die Entwicklung von Beschäftigungsprogrammen könnten sowohl die Indivi-duen als auch die Unternehmen Unterstützung bekommen. Insgesamt ließe sich dadurch der Übergangsprozeß sozial akzeptabler und effizienter gestalten.

104. Entgegen weitverbreiteten Vorstellungen waren auch die Arbeits-märkte in den mittel- und osteuropäischen Ländern nicht statisch. Es gab große Arbeitskräftebewegungen, wenn auch anders organisiert als unter marktwirtschaftliehen Bedingungen. Die Arbeitsämter waren vor allem dazu da, Arbeitskräftereserven zu suchen und sie zu aktivieren (für die UdSSR s. Gramatzki 1988, für Polens. Kortau 1988). Im Rahmen der wirt-schaftlichen Umstrukturierung suchen viele -beschäftigte und arbeitslose - Arbeitskräfte neue Jobs und viele Unternehmen neues Personal. Eine größere Effizienz der Anpassungsprozesse könnte durch verbesserte Dienstleistungen der Arbeitsverwaltung erreicht werden, durch Berufsbe-ratung, Weiterbildung, Umschulung sowie durch öffentliche Beschäfti-gungsprogramme.

105. Alle untersuchten Länder haben damit begonnen, ihre Arbeitsver ..

waltung neu zu strukturieren oder haben schon Erfahrungen damit ge-sammelt. Ungarn war das erste Land, das mit der Umwandlung der frühe-ren Arbeitsverwaltung zu Institutionen begonnen hat, defrühe-ren Aktivitäten die Arbeitsvermittlung, die Einführung von Umschulungsmöglichkeiten und Beschäftigungsprogramme für Arbeitslose utnfaßt (zum Beispiel Lohnsubventionen, öffentliche Beschäftigung, Darlehen für Selbständige) (Horvath/Sziraczki 1989:55).

106. Offensichtlich sind die Arbeitsämter immer noch personell unterbe-setzt, so daß sie den Anforderungen kaum gerecht werden. Da die Ar-beitslosigkeit steigt und zu einem stabilen, nicht nur vorübergehenden Element werden wird, müssen die Arbeitsämter verschiedene Funktionen gleichzeitig erfüllen: Schaffung von Arbeitsplätzen, Berufsberatung und Unterstützung der Arbeitslosen. Um alle diese Aufgaben zu erfüllen, ist es unumgänglich, die Zahl der Experten in den Arbeitsämtern zu erhöhen.

Hier wären gute Einsatzmöglichkeiten auch für Frauen.

107. Die staatliche Unterstützung für Arbeitslose hat zwei Komponen-ten: Einkommenstransfer und Hilfe bei der Suche nach Erwerbsarbeit.

Hinsichtlich des Bezugs von Arbeitslosengeld sind die Definition von

"Arbeitslosigkeit" sowie die Kriterien für die Berechtigung kritische

Punkte. Da die meisten Frauen in den mittel- und osteuropäischen Län-dern bislang erwerbstätig waren, werden die meisten zunächst auch die Kriterien für die Berechtigung erfüllen. Dennoch werden sie gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt sein, da die Leistungen auf Grundlage der vorherigen Erwerbseinkommen berechnet werden, die für Frauen grundsätzlich geringer waren als für Männer. Wenn die Arbeits-losigkeit sich (individuell) zur LangzeitarbeitsArbeits-losigkeit entwickelt, ist damit zu rechnen, daß der Effekt der Entmutigung sich für Frauen stärker als für Männer zeigt; es sei denn, die Arbeitsbehörden unternehmen be-sondere Anstrengungen, Frauen zurück in die Erwerbsarbeit zu helfen. In den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern werden Stellenangebote für Männer und Frauen getrennt ausgewiesen. Dies könnte für Frauen die Aussichten verbessern, neue Arbeitsplätze in den frauen-dominierten Be-reichen zu finden. Aber niemand weiß, in welchem Ausmaß geschlechts-spezifische Arbeitsmärkte so transformiert werden, daß ehemals

"weibliche" Arbeitsplätze jetzt attraktiv für Männer werden.

10~. In allen untersuchten Ländern liegt der Schwerpunkt der Arbeits-marktpolitik auf Ausbildungs- und Umschulungsprogrammen im Hinblick auf die erforderlichen neuen beruflichen Qualifikationen. Es ist jedoch nicht klar, inwieweit diese Programme offen für Arbeitslose sind oder sich sogar speziell an Arbeitslose richten. Ungarn, Polen und CSFR berichten von neuen Ausbildungs- und Umschulungsprogrammen, wo die Teilneh-merinnen und Teilnehmer Lohnersatzleistungen oder Ausbildungszu-schüsse erhalten. Keines dieser Programme ist speziell für Frauen konzi-piert, obwohl einige davon de facto Frauen-Programme sind, vor allem im

nicht-gewt~rblichen Sektor. So war zum Beispiel das Umschulungspro-gramm für Russisch-Lehrkräfte in Ungarn ein FrauenproUmschulungspro-gramm, da 95 Prozent der Lehrer Frauen sind.

109. Nach Schätzungen der Umschulungsabteilung im ungarischen Ar-beitsministerium, die für die Ausbildungsprogramme verantwortlich ist, lag der Frauenanteil an den Umschulungsprogrammen in den letzten Jah-ren bei fünfzig Prozent. Es gibt jedoch in der Arbeitsmarktpolitik Ungarns keine speziell an Frauen gerichteten Programme und sie sind auch nicht

geplant. Die tschechoslowakische Regierung bereitet Ausbildungspro-gramme für Arbeitslose vor und für Frauen (und Männer), die nach der Kindererziehungszeit wieder in Erwerbsarbeit Fuß fassen wollen.

110. Eine detailliertere Analyse der laufenden Programme ist uns nicht möglich, da wir keine Angaben zu den Kriterien haben, nach denen solche Kurse angeboten werden bzw. nach denen die Teilnehmerinnen und Teil-nehmer an Ausbildungs- und Umschulungskursen ausgewählt werden und welche individuellen Bedingungen für die Berechtigung zur Teilnahme er-füllt sein müssen.

111. Die Erfahrung in den westlichen Ländern lehrt, daß die Beteiligung von Frauen an Arbeitsmarkt-Programmen in der Regel geringer ist als ihr Anteil an den registrierten Arbeitslosen. Die Hauptgründe für dieses Phänomen liegen in den individuellen Zugangsvoraussetzungen, die Frauen im Westen oft nicht erfüllen, und in der selektiven Auswahlpolitik der Arbeitsbehörden bzw. der Ausbildungseinrichtungen. Es gibt Hin-weise auf offene Diskriminierung von Frauen mit kleinen Kindern.13 Wie die jüngsten Entwicklungen in Ostdeutschland zeigen, sind sogar Frauen, die die individuellen Zugangsvoraussetzungen erfüllen, in den Arbeits-marktprogrammen oft unterrepräsentiert. Spezielle Programme und eine allgemeine Bestimmung, daß Frauen proportional zu ihrem Anteil an den Erwerbslosen an den Programmen partizipieren sollen, wurden kürzlich erstmals eingeführt.

112. Wie oben erwähnt, sind Ausbildungsprogramme für Verwaltungs-, Management- und Finanzberufe besonders dringlich, damit Frauen in den qualifizierten nicht-gewerblichen Berufen weiterhin Chancen haben.

Würden Arbeitsbeschaffungsprogramme auch in den sozialen Dienstlei-stungen eingerichtet, so würde dadurch nicht nur das bestehende

Sozial-13 Um als arbeitslos registriert zu werden und an Arbeitsmarktprogrammen teilnehmen zu können, muß beispielsweise eine Mutter in Deutschland nachweisen, daß das Kind be-treut ist. Das bedeutet, daß die Vermittlung auf einen Arbeitsplatz oder in eine Maß-nahme durch die Arbeitsverwaltung an die Voraussetzung gebunden ist, daß sie einen der knappen Plätze in Krippen oder Kindergärten gefunden hat.

leistungssystem erweitert, sondern auch die Frauenbeschäftigung qualita~

tiv wie quantitativ verbessert.

113. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen U mstrukturierung hän~

gen die Zukunftsaussichten der Frauenbeschäftigung sehr stark von Aus~

bildungsprogrammeil ab, in denen sie die erforderlichen Fähigkeiten er~

werben können. Neben einer finanziellen Basis brauchen Frauen öffent~

liehe Einrichtungen zur Kinderbetreuung sowie Sozialhilfeprogramme.

114. Realistischerweise ist mit Widerständen gegen eine speziell auf Chancengleichheit für Frauen ausgerichtete Politik zu rechnen, zumal die früheren unterstützenden Maßnahmen und "Privilegien" für berufstätige Mütter heute von den Frauen selber kritisiert werden. Es wird argumen~

tiert, diese Maßnahmen hätten Frauen in eine Sackgasse manövriert an-statt ihnen zukunftsorientierte Karriereperspektiven zu eröffnen. Die Er-fahrungen aus den westlichen Ländern weisen in eine andere Richtung:

Der Arbeitsmarkt ist keine geschlechtsneutrale Institution; die Arbeits-markt- und Beschäftigungsmöglichkeiten sind für Frauen und Männer ver~

schieden. Daher sind für eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern positive Diskriminierungen zugunsten von Frauen unabdingbar.

115. Zweifellos hat die wirtschaftliche Umstrukturierung in den unter-suchten Ländern erhebliche Auswirkungen auf die Sozialpolitik. Der An-teil des Sozialprodukts, das im Sinne einer Sozialisierung der Kinderer~

ziehungskosten an Familien umverteilt wird, muß neu ausgehandelt wer-den. Höchstwahrscheinlich wird er geringer ausfallen. Wenn die Höhe der Familienbeihilfen sowie des Erziehungsgeldes nicht den Preissteigerun~

gen augepaßt wird, handelt es sich bei diesen Maßnahmen nur noch um symbolische Politik. Eltern können sich dann nämlich den Erziehungsur-laub nicht mehr leisten, eine Entwicklung, die sich in Polen bereits zeigt.

In Ungarn übernehmen Frauen während des Erziehungsurlaubs unge~

schützte Arbeitsplätze im zweiten Arbeitsmarkt. Mit großer Wahrschein~

lichkeit werden die Güter und Dienstleistungen eingeschränkt, die bislang kostenlos oder subventioniert vom Staat zur Verfügung gestellt wurden wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Kultur. Bislang wurden zwar

Waren des Grundbedarfs von der Preisfreigabe ausgenommen, aber dieser Schutz wird beispielsweise in der CSFR auslaufen.

116. Die öffentliche Kinderbetreuung in den sozialistischen Staaten hat nicht immer die Qualitätsansprüche der Eltern erfüllt. Eine weitere Sen-kung der Standards mangels finanzieller Ressourcen könnte Eltern ver-anlassen, ihre Kinder abzumelden. Daher wird es nicht nur um die Zahl der Plätze gehen; auch die Qualität muß verbessert werden. Bis heute tra-gen die Eltern nur einen sehr gerintra-gen Teil der Kosten der öffentlichen Kinderbetreuung; Marktpreise dafür zu zahlen, dürfte jenseits der finan-ziellen Möglichkeiten vieler Eltern liegen.

117. Kinderbetreuungseinrichtungen wurden zum großen Teil von Un~

ternehmen bereitgestellt (in Ungarn 30 Prozent, s. Lado). Wenn die Be-triebe schließen oder rationalisieren, sind auch - und häufig zuerst - die Kinderbetreuungseinrichtungen und andere soziale· Einrichtungen betrof-fen. Das Zusammentreffen von Arbeitslosigkeit und dem Wegfall von Kinderbetreuung ist insbesondere für Frauen ein gravierendes Problem.

Bei Unternehmensschließungen sind schwangere Frauen oder Frauen im Mutterschutzurlaub nicht vor Entlassung geschützt. In Polen ist es sogar Betrieben im Zuge der Umstrukturierung erlaubt, schwangere und im Mutterschutz befindliche Frauen zu entlassen. Bislang fehlen Regelungen dafür, wie diesen Frauen andere Arbeitsplätze, die ihren Qualifikationen entsprechen, zugänglich gemacht werden können.

118. Die Kinderbetreuung und -erziehung ist traditionell Frauenarbeit.

Die Grenze zwischen bezahlter Arbeit (Krankenschwestern, Lehrerinnen) und unbezahlter Arbeit (Mütter, Großmütter) hat sich in den untersuch-ten Ländern verschoben. Ein Zusammenbruch des Systems der öffent-lichen Kinderbetreuung würde nicht nur die Situation erwerbstätiger Müt-ter erschweren, sondern auch eine Vielzahl von Frauen erwerbslos machen. Der Übergangsprozeß und das neue Gefüge persönlicher und so-zialer Verantwortlichkeiten erfordern eine neues System soso-zialer Dienste;

dies könnte ein wachsender Bereich der Frauenbeschäftigung werden. Aus verschiedenen Ländern wird ein Bedarf an verbesserter und erweiteter

psychoJogischer und pädagogischer Unterstützung von Familien berichtet.

Nicht zuletzt wird die Altenbetreuung neu organisiert werden müssen. All dies begründet einen enormen Aufbaubedarf für Ausbildungseinrichtun-gen für soziale und Dienstleistungs-Berufe.