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Die Untersuchung von Verarmungskr¨aften in rein entropischen Systemen ist insofern besonders erstrebenswert, als dass es f¨ur diesen Fall verschiedene etablierte Modell-systeme gibt (siehe Abschnitt 2.3). Zur Untersuchung dieser Systeme ben¨otigt man zun¨achst eine Kombination aus Sondenpartikel, Substrat und L¨osungsmittel, die der Situation einer hard-core-Abstoßung m¨oglichst nahe kommt. Der elektrostatische An-teil l¨asst sich gew¨ohnlich durch Zugabe großer Salzkonzentrationen sehr kurzreich-weitig abschirmen, so dass er, verglichen mit den experimentellen L¨angenskalen, ei-ner Harten-Wand-Abstoßung sehr nahe kommt. Die attraktiven van der Waals-Kr¨afte m¨ussen ebenfalls effektiv unterdr¨uckt werden, damit kein Potentialtopf kurz vor der Oberfl¨ache vorhanden ist oder gar das Partikel irreversibel an der Oberfl¨ache haften bleibt. Letzteres ist in vielen kolloidalen Suspensionen bei hohen Salzkonzentrationen der Fall und kann normalerweise nur durch Zugabe von oberfl¨achenaktiven Substan-zen (surfactants) verhindert werden. Diese f¨uhren zu einer kurzreichweitigen, sterischen Stabilisierung gegen ein Haften der Partikel an der Oberfl¨ache. Der stark attraktive Po-tentialtopf vor der Oberfl¨ache bleibt in diesem Fall jedoch bestehen. Daher musste hier eine andere Form der Stabilisierung gefunden werden. Aus Gleichung 2.15geht hervor, dass sich die van der Waals-Kr¨afte durch Anpassen der optischen Brechungsindices minimieren lassen, da der Unterschied der Brechungsindices, z.B. zwischen Substrat und L¨osungsmittel, als Faktor (n21 −n23) in die Hamakerkonstante eingeht. In Abb.

4.10 ist eine m¨ogliche Realisierung eines solchen Systems mit rein harten Wechselwir-kungen skizziert. Grundlegende Idee dabei ist, dass das L¨osungsmittel Dimethylfor-mamid (DMF, n=1.43) und Silica (n≈ 1.45) sich in ihren spektralen dielektrischen Eigenschaften sehr ¨ahnlich sind und deshalb kaum van der Waals-Kr¨afte zu erwarten sind. Daher sind auch kleine Partikel aus Silica in diesem L¨osungsmittel sehr stabil [Imh95,Koe02]. F¨ur die Messungen wird das Standard-Glassubstrat mit einer 300 nm dicken, thermisch aufgedampften Silicaschicht beschichtet. Die Totalreflexion findet in

4.3. PR ¨APARATION REIN ENTROPISCHER SYSTEME 73

Abb. 4.10: Skizze des als Modell f¨ur harte Wechselwirkungen pr¨aparierten Systems.

diesem Fall an der Substrat-Silica-Grenzschicht statt. An der Silica-DMF-Grenzfl¨ache ist sie nicht m¨oglich, weil sich der optische Brechungsindex dort nicht ¨andert. Das eva-neszente Feld wird von der Silica-DMF-Grenzfl¨ache praktisch nicht mehr beeinflusst, so dass in der N¨ahe dieser Oberfl¨ache ein wohldefiniertes evaneszentes Feld entsteht, wie es f¨ur TIRM ben¨otigt wird. Durch die Silicaschicht wird erreicht, dass das Sonden-partikel einen Mindestabstand von der Oberfl¨ache des Glassubstrates hat und so alle van der Waals-Kr¨afte zwischen ihm und dem Glassubstrat abgeschirmt sind. Das Son-denpartikel muss aus einem Material mit h¨oherem Brechungsindex als Silica bestehen.

Dies k¨onnen einerseits Partikel aus anorganische Materialien wie Titandioxid (T iO2) oder mit mindestens 2 % Divinylbenzen (DVB) quervernetzte Polystyrol-Partikel sein.

Die meisten anderen Materialien werden von dem sehr aggressiven L¨osungsmittel DMF auf- oder angel¨ost. Als kleine Partikel zum Generieren von Verarmungskr¨aften eignen sich Silica-Partikel oder auch mit Silica beschichtete Partikel. Um das Anpassen der Brechungsindices zu optimieren, kann der Brechungsindex des L¨osungsmittels durch Zugabe von Dimethylsulfoxid (DMSO) noch etwas erh¨oht werden, ohne dass sich die Stabilit¨at des Systems verschlechtert. In jedem Fall muss erreicht werden, dass die kleinen Partikel kaum Licht aus der evaneszenten Welle streuen, um zu gew¨ahrleisten, dass der Streuhintergrund w¨ahrend der Messung klein bleibt. In beiden L¨osungsmitteln l¨osen sich große Mengen (>1 M) von LiCl, womit die Elektrostatik effektiv abgeschirmt werden kann.

74 KAPITEL 4. MESSUNGEN KOLLOIDALER WECHSELWIRKUNGEN

Abb. 4.11:Wechselwirkungspotential eines (a= 1.85µm) Polystyrol-DVB-Partikels in DMF + 0.2 M LiClmit einer silicabeschichteten Oberfl¨ache. Von dem gemessenen Potential (Qua-drate) wurde die Gewichtskraft abgezogen (Kreise). An die letzte Kurve wurde eine Expo-nentialfunktion mit einer Abschirml¨ange von κ−1 = 8.5 nm gefittet (durchgezogene Linie).

Abbildung4.11zeigt eine Potentialkurve, die f¨ur das in Abb.4.10skizzierte System gemessen wurde. Die elektrostatische Wechselwirkung wurde durch Zugabe von 0.2 M LiCl abgeschirmt. Verglichen mit dem in Abschnitt4.1 geschilderten Experiment war die Salzkonzentration hier etwa 200-mal h¨oher als die h¨ochste messbare Konzentration dort, was die außerordentliche Stabilit¨at des hier pr¨aparierten Systems dokumentiert.

Nach Abzug der Gewichtskraft erkennt man besonders deutlich, dass dieses Modell-system einer hard-core-Wechselwirkung sehr nahe kommt. Bis zu einem Abstand von

≈30 nm vor der Oberfl¨ache gibt es weder attraktive noch repulsive Anteile im Potential.

Das heißt, auch die van der Waals-Kr¨afte sind tats¨achlich vollkommen unterdr¨uckt! F¨ur Abst¨ande kleiner als 30 nm wird das Potential repulsiv. Es kann durch eine Exponential-funktion (Gleichung2.11) mit einer charakteristischen Abklingl¨ange von 8.5 nm gefittet werden. Aufgrund der reinen elektrostatischen Abstoßung ist bei dem sehr hohen LiCl-Gehalt der L¨osung (0.2 M) eine deutlich geringere Abschirml¨ange von unter 1 nm zu erwarten. Es muss also noch weitere repulsive Kr¨afte geben, die zus¨atzlich f¨ur die außer-gew¨ohnlich gute Stabilit¨at des Systems verantwortlich sind. Verschiedene Arbeiten wie z.B. [Imh95, Koe02] erkl¨aren die Stabilit¨at von Suspensionen von Silica-Partikeln in DMF mit Solvationskr¨aften. In diesem Modell bilden die polaren DMF-Molek¨ule eine 3-4 nm dicke Schicht vor der Silica-Oberfl¨ache des Substrates. Vor der Oberfl¨ache des hier verwendeten Polystyrol-Sondenpartikels bildet sich wahrscheinlich ebenfalls eine Schicht aus DMF-Molek¨ulen. Die zum Aufbrechen dieser Schichten ben¨otigte Energie f¨uhrt zu weiteren sehr kurzreichweitigen, repulsiven Anteilen im Potential und stabi-lisiert das Sondenpartikel. F¨ugt man dem L¨osungsmittel weitere kleine Partikel mit Silica-Oberfl¨ache hinzu, so wirken nat¨urlich die gleichen Stabilisierungsmechanismen zwischen den kleinen Partikeln und der Substrat- bzw. Sondenpartikeloberfl¨ache.

4.3. PR ¨APARATION REIN ENTROPISCHER SYSTEME 75

Abb. 4.12:Wechselwirkungspotential eines Polystyrol-DVB-Partikels (a= 1.85µm) in DMF + 0.2 M LiCl mit einer silicabeschichteten Oberfl¨ache. Bei den Kurven (b)-(d) wurde das effektive Gewicht des Partikels durch Lichtdruck von oben erh¨oht.

Das Sondenpartikel befindet sich bei solchen harten Systemen direkt vor der Wand.

Dies wird in Abb.4.12besonders deutlich, in der das Sondenpartikel mit der optischen Pinzette immer st¨arker gegen die Wand gedr¨uckt wurde. Der attraktive Teil des Po-tentials wir deutlich steiler und die aus der Steigung bestimmte effektive Gewichtskraft erh¨oht sich dabei von 35 fN (Kurve (a), freies Partikel) auf 75 fN (b), 147 fN (c) bzw.

418 fN (d). Auch das Potentialminimum verschiebt sich geringf¨ugig Richtung Wand.

Obwohl sich das effektive Gewicht verzw¨olffacht, ¨andert sich der minimale Partikel-Wand-Abstand jedoch praktisch nicht, d.h. die steilen repulsiven ¨Aste des Potentials liegen alle aufeinander. Da alle Potentiale unter Verwendung der optischen Pinzette mit dem gleichen Partikel an derselben Stelle gemessen wurden, stimmen die relativen Abst¨ande in dieser Messung sehr genau. Dies best¨atigt, dass sich das Partikel un-mittelbar vor der Wand befindet und verdeutlicht nochmals den hard-core-Charakter des Systems. Bei genauer Betrachtung von Abb. 4.12 stellt man fest, dass einzelne Messpunkte einige Nanometer

”innerhalb“ der Wand liegen. Dies ist auf den in Abb.

3.13 dargestellten Effekt der Detektorfaltung zur¨uckzuf¨uhren. Der Nullpunkt, der hier dargestellten hard-core-Potentiale wurde festgelegt als der Punkt, an dem das Potenti-al eine Steigung von 3 pN, Potenti-also die der gr¨oßten aufl¨osbaren Kraft, annimmt. Auch die mit der hydrodynamischen Methode (Abschnitt3.3.1) bestimmten absoluten Abst¨ande stimmen gut mit den in Abb. 4.12 angegebenen Abst¨anden ¨uberein.

Insgesamt konnte so ein wohldefiniertes System pr¨apariert werden, in dem alle Wechselwirkungen so kurzreichweitig sind, dass sie in sehr guter N¨aherung als hard-core-Wechselwirkung angesehen werden k¨onnen. Dispergiert man nun kleinere Partikel, deren Wechselwirkungen ebenfalls kurzreichweitig abgeschirmt sind, im L¨osungsmittel, so er¨offnet sich die M¨oglichkeit, Verarmungskr¨afte an einem rein entropischen System zu messen.

76 KAPITEL 4. MESSUNGEN KOLLOIDALER WECHSELWIRKUNGEN