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Anonyme und pseudonyme Militärliteratur im deutschsprachigen Raum 1848–2000

Zum mediengeschichtlichen Phänomen und zur Forschungsproblematik

Das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg birgt für den Historiker eine große Aus­

beute an militärischer Skandalliteratur. Wenigstens zwei Werke stechen dadurch hervor, dass die Autoren ihre Identität durch ein Pseudonym verbargen. 1903 löste der damalige Trainleutnant Fritz Oswald Bilse als »Fritz von der Kyrburg« mit sei­

ner Kolportage »Aus einer kleinen Garnison« einen nationalen Literaturskandal aus, in dessen Folge der Autor zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und aus der Ar­

mee entlassen wurde. Sein Buch wurde eingezogen, der preußische Kriegsminis­

ter musste vor dem Reichstag Rede und Antwort stehen. Mehrere Offiziere des in dem Schlüsselroman präsentierten lothringischen Trainbataillons Nr. 16 erfuhren eine dienstliche Rüge oder wurden mit Bezügen zur Disposition gestellt1. Zehn Jahre später publizierte der Regensburger Leutnant Hermann Schützinger unter dem Pseudonym »Hermann Pfeiler« seinen Genreroman »Die Waffen hoch!«, der ebenfalls zu Unruhe unter den Offizieren der Regensburger Garnison und den lo­

kalen Honoratioren führte, in der publizistischen wie juristischen Wirkung aber hinter Bilse zurückblieb2.

An den Debatten um beide Bücher machten sich die tiefen gesellschaftlichen Gräben im Wilhelminischen Deutschland fest. Thema und Kritikpunkt der Romane war die als militaristisch kritisierte Gesellschaftsordnung des Landes. Beide Auto­

ren waren aktive Offiziere, was den Skandalen zusätzliche politische wie auch mi­

litärjuristische Brisanz verlieh, den Kritikern des Militärs aber als Ausweis der be­

sonderen Lebensnähe der fiktiven Stoffe galt. Und besonders reizvoll war eben auch der Umstand, dass die Identität der Autoren zunächst ungeklärt blieb.

Dabei ist jedoch festzustellen, dass der Verzicht auf die namentliche Nennung des Autors gerade für die Militärpublizistik der Zeit nicht unüblich war, dass diese literarische Praxis bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geradezu als Massenphäno­

men gelten kann. Noch zwischen den beiden Weltkriegen erschienen rund 60 Pro­

zent aller redaktionellen Beiträge im wichtigsten periodischen Fachorgan, dem Mi­

litär­Wochenblatt, ohne Namensnennung oder unter Pseudonym3. Der Verzicht auf Namensnennung gilt für die militärische Belletristik wie für die Fachliteratur gleichermaßen, weswegen es sich keineswegs um ein »Kuriosum« des Literatur­

betriebs handelt4.

Die Publizistik zum Themenfeld Militär und Krieg unterlag dabei besonderen Beschränkungen, zumal dann, wenn die Autoren selbst Militärangehörige waren.

Ob Offiziere überhaupt schriftstellerisch tätig sein sollten, war innerhalb der gesell­

schaftlichen Gruppe durchaus umstritten5. Wer aber daraus ableitet, es sei für Offi­

ziere im Kaiserreich generell »nicht ungefährlich« gewesen, »über das reine Lesen hinaus etwa selbst Autor sein zu wollen«, unterschätzt die Bandbreite an Themen und Medien6. Er verkennt auch den Wandel, der sich gerade in dieser Epoche voll­

zog. Zwar war die öffentliche Debatte um Themen der technischen Rüstung oder der Operations­ und Kriegsplanung aus Gründen der militärischen Geheimhal­

tung inopportun. Kritische Untersuchungen der Führerleistungen in Kriegen der

Vergangenheit konnten, gerade wenn die Beteiligten noch am Leben waren, als Verletzung des Korpsgeistes gewertet werden7. Auf der anderen Seite stellte die Fachpublizistik aber für das Militärwesen, das seit der Aufklärung einem konflikt­

reichen Prozess der Verwissenschaftlichung unterworfen war, eine unentbehrliche Säule des militärischen Lernens dar8.

Und hier kam die Frage der Autorschaft ins Spiel, bildet sie doch, wenigstens aus heutiger Perspektive, die Grundvoraussetzung für die Bewertung der Quali­

tät, der Amtlichkeit und auch der Wahrhaftigkeit der Aussagen. In einem stark hi­

erarchischen System wie einer Armee war es in den Debatten auch nicht ohne Be­

deutung, Dienstgrad und ­stellung des Gegenübers einschätzen zu können.

Anonymität brachte eine latente Unsicherheit in die Debatte. So rief 1935 der da­

malige Oberst Heinz Guderian in einer hitzigen Debatte um die Zukunft von Ka­

vallerie und Motor seine Gegner auf, doch ihre Namen zu nennen, damit man wisse, »mit wem man die Ehre hat, die Klinge zu kreuzen«9. Und noch im 6. Gene­

ralstabslehrgang (Heer) der Bundeswehr empfahl 1964 ein Dozent der Führungs­

akademie einem Lehrgangsteilnehmer ein Buch zur Lektüre, nicht wissend, dass der Lehrgangsteilnehmer selbst der pseudonyme Verfasser dieses Buches war10. Anonymität barg natürlich auch das Risiko falscher Zuschreibungen, wenn etwa Friedrich von Bernhardis anonyme Kampfschrift »Videant consules« von 1890 dem Journalisten der Kreuz­Zeitung Theodor Schiemann zugeschrieben wurde oder wenn noch 1926 im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Reichstages hinter einer alldeutschen Publikation des pseudonymen Autors »Junius Alter«

Großadmiral Alfred von Tirpitz vermutet wurde11. Die vorliegende Untersuchung versucht also, die Bedeutung eines bis heute weitestgehend unerforscht gebliebenen publizistischen Phänomens für den Militärdiskurs zu bestimmen. Sie versteht sich damit einmal als Beitrag zum Bild und Selbstbild militärischer Autoren und Medien, zum anderen will sie Aufschluss über den Wert der Publizistik für das militärische Lernen in deutschen Streitkräften des 19. und 20. Jahrhunderts gewinnen.

Quellen

Der zur Untersuchung stehende Quellenkorpus ist ausgesprochen heterogen. Die militärwissenschaftliche Fachpublizistik bildet dabei das Kernstück. Ihre Konjunk­

turen im 19. Jahrhundert waren politische gewesen, da sie von der Konstitutiona­

lisierung ebenso profitierte wie sie unter der Einschränkung der Pressefreiheit lei­

den musste12. Ihr Aufschwung zeigt sich in der Diversifizierung des Verlagsmarktes und der Ausbildung der Zeitschriftenlandschaft, wobei sich das 1816 gegründete Militär­Wochenblatt seit 1868 zu einem regelrechten Leitmedium entwickelte13. Die Auseinandersetzungen um die Wehrverfassung Preußens bzw. des Deutschen Rei­

ches boten darüber hinaus zahlreiche Anknüpfungspunkte für den militärpoli­

tischen Diskurs, der ebenfalls anonym geführt werden konnte14. Als ein um die Jahrhundertwende boomendes Genre sind ferner die vom Rüstungswettlauf und der Verkrisung der Bündnissysteme inspirierten Zukunftskriegsvisionen einzube­

ziehen, deren Verfasser sich oftmals hinter Pseudonymen verbargen, so »Seestern«

bzw. »Parabellum« (Ferdinand Grauthoff), »Argus« (Heinz Wilhelm Clobes) oder

»Hansa« (Otto Hoepner). Der Lufthansa­Direktor Robert Knauss bildete 1932 in

diesem Genre als »Major Helders« die publizistische Nachhut15. Die Literatur zum Themenfeld Nachrichtendienste wird hier in die Untersuchung mit einbezogen, da ihre Autoren oftmals Offiziere oder die Themen militärische waren16.

Gliedert man den Quellenkorpus nach den Medien, so sind zunächst die Mono­

grafien zu nennen. Allerdings waren die eingangs erwähnten Skandalbücher von Bilse und Schützinger schon in ihrer Zeit eher eine Seltenheit, insofern, als sich die namentliche Autorschaft bei selbstständigen Veröffentlichungen am frühesten durchsetzte. Die Gründe hierfür waren pragmatischer Natur: Wer die Zeit aufbrin­

gen konnte, ein Buch zu schreiben, tat dies entweder im dienstlichen Auftrag, wo­

bei in diesem Fall kaum Probleme zu erwarten waren, die eine Verschleierung der Autorschaft erforderlich gemacht hätten. Oder aber der Autor befand sich in einer privilegierten Lebenssituation, etwa der eines freien Schriftstellers oder Pensio­

nisten, die ihn die damit verbundenen karriererelevanten Risiken nicht scheuen ließ. Sehr viel länger hielt sich die Anonymität bei einem Medium, das heute an Bedeutung weitgehend verloren hat: den Broschüren. In der Seitenzahl gering und in der Aufmachung einfach, waren sie bis 1918 das Medium der militärpolitischen Auseinandersetzung, mit dem publizistisch flankiert und miniert werden konnte.

Die hier gewählte Periodisierung erklärt sich zunächst aus den allgemein poli­

tischen Rahmenbedingungen, mit deren Entwicklung im letzten Drittel des 19. Jahr­

hunderts die Ausbildung einer neuen publizistischen Öffentlichkeit und die Ge­

nese eines Massenmedienmarktes einher gingen17. Beides hatte Folgen für die Militärpublizistik. Die Reichsgründung verlieh der Militärpublizistik zusätzlichen Auftrieb. Denn, erstens, kam ihr in dem jetzt anlaufenden Prozess der inneren »Ver­

reichlichung« der Streitkräfte eine wichtige binnenmilitärische Funktion zu. Und, zweitens, wurden die Streitkräfte nicht müde, ihre Rolle bei der »durch das Schwert« errungenen Reichseinigung auch öffentlichkeitswirksam herauszustel­

len, wofür sie ebenfalls der Publizistik bedurften18. Die Radikalisierung des mili­

tär­ und weltpolitischen Diskurses zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellt eine wei­

tere Zäsur dar, da sich in dieser Epoche nicht nur der »Eintritt der breiten Massen in die politische Arena«, sondern eben auch der Eintritt des schreibenden Offiziers in nicht­militärische Diskursforen beobachten ließ19. Die Verfassung der Republik von 1919 bildete für die Militärpublizistik eine weitere Wegmarke, da sie formal das Recht auf freie Meinungsäußerung auch für schreibende Soldaten stärkte. Doch deutet die anhaltende Bedeutung nicht­namentlicher Autorschaft darauf hin, dass auch hier zwischen dem Buchstaben des Gesetzes und der militärischen Praxis Un­

terschiede bestehen blieben20. Einschränkung der Meinungsfreiheit und Orientie­

rung an den Bedürfnissen der Aufrüstung und des Krieges kennzeichneten die Lage der Militärpublizistik zwischen 1935 und 1945, die seit 1939 ihre militärfach­

liche Relevanz weitestgehend einbüßte21. Eine tiefergehende Untersuchung der Pu­

blizistik nach 1945, ihrer Medien und der Stellung der Autorschaft steht bislang aus. Für derartige Arbeiten gälte es zu berücksichtigen, dass sich in der Bundes­

wehr und der Nationalen Volksarmee zwei unterschiedliche Kommunikationskul­

turen entwickelten, die aber möglicherweise auch aufeinander Bezug nahmen.

Schließlich müssten derartige Untersuchungen den qualitativen Wandel der Kom­

munikation berücksichtigen, der sich seit den 1990er Jahren durch die Digitalisie­

rung der militärischen Welt ergeben hat und dessen Ausmaß bislang nur in Ansät­

zen abzuschätzen ist.

Autorschaft im Militärdiskurs

Autorschaft entwickelte sich spätestens seit dem 18. Jahrhundert geradezu zu einem »Angelpunkt der Individualisierung« in der Geistes­ und Wissenschaftsge­

schichte22. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die Stellung des Autors als Verstehensnorm des Textes im literaturtheoretischen Fachdiskurs allerdings stark infrage gestellt worden. Diese Debatte hat jedoch dem Anschein nach die or­

thodoxe Alltagshermeneutik nicht nachhaltig erschüttern können, sodass hier der Verweis auf die Sekundärliteratur genügt23. Wichtig aber scheint es, die literatur­

theoretische Abgrenzung der Begriffe »Autor« und »Verfasser« vorzunehmen, da diese gerade für die nichtfiktionalen Texte der militärischen Fachpublizistik be­

deutsam ist. Für den hier untersuchten Zusammenhang soll ein Autor als ein Ver­

fasser verstanden werden, der zu seinem Text bzw. Werk in einem besonderen, schöpferischen Verhältnis steht. Auch bei anonymen bzw. pseudonymen Texten ist prinzipiell von Autorschaft auszugehen, solange dieses schöpferische Verhält­

nis zum Text und damit ein Autorenbewusstsein angenommen werden kann24. Un­

ter anonymen Texten sollen hier solche ohne Namensnennung des Verfassers ver­

standen werden, ob dieser nun verschwiegen wurde, unbekannt ist oder fälschlich zugeschrieben wurde25. Pseudonyme Texte sind solche, bei denen der Klarname des Verfassers von ihm selbst durch identitätsmaskierende Zeichen wie Ziffern, Initialen oder Decknamen ersetzt wurde26. Anonyme und pseudonyme Texte kön­

nen sich darin gleichen, dass eine Identifikation des Verfassers aus der Textkennt­

nis alleine selten geleistet werden kann. Ein wichtiger Unterschied besteht aller­

dings in der Möglichkeit, Pseudonyme zu klassifizieren, d.h. auch ohne die Kenntnis des Klarnamens lassen sich pseudonyme Einzeltexte zu Werken grup­

pieren, in denen sich dann Entwicklungen und Positionen des unbekannten Ver­

fassers ausmachen lassen – was bei anonymen Texten nur im Ausnahmefall mög­

lich ist27.

Methoden der Identifikation

Die Identifikation von Autoren ergibt sich in der Regel als ein Nebenprodukt der Forschung. Verfasser erschließen sich aus Pseudonymen, die Hinweise auf die landsmannschaftliche Herkunft, die Truppengattung oder eine bestimmte Dienst­

stellung geben. Sie lassen sich aus den Frontstellungen in Kontroversen herausle­

sen, wobei es mitunter auch zu Fällen von Enthüllungen durch Dritte (Outing) kommen konnte. So gab Fritz Hoenig in der Deutschen Heereszeitung die Identi­

tät von Colmar von der Goltz preis, der 1900 unter dem Kürzel »G.« im Militär­

Wochenblatt einen Beitrag über die Führung der 2. Armee von 1870/71 veröffent­

licht hatte28. Eine waffentechnische Gegenschrift aus dem Jahr 1902 enthüllte das Pseudonym »Kaisertreu«, hinter dem sich der Ingenieur einer Waffenfabrik ver­

barg, die mit der als Fachpublikation getarnten Broschüre schlicht das eigene Pro­

dukt zu vermarkten gedachte29. Und im Frühjahr 1918 ventilierten die Militärbe­

hörden im Rahmen von Pressebesprechungen die Identität des im schweizerischen Exil lebenden Pazifisten Richard Grelling, der unter dem Phraseonym »Von einem

Deutschen« Schriften gegen die deutsche Kriegspolitik veröffentlicht hatte30. Die Beispiele machen deutlich, dass es sich hier um Kontroversen handelte, bei denen wenigstens einer der Beteiligten nicht von den ständischen Rücksichten innerhalb des Offizierkorps geschützt war. Im Regelfall einer Zeitschriftendebatte unter Of­

fizieren konnte die Anonymität der Diskutanten bis zur Erschöpfung der Leser ge­

wahrt bleiben, wobei allerdings davon ausgegangen werden muss, dass vielen zeit­

genössischen Lesern die Identitäten oftmals vertrauter waren als sie es dem Historiker heute sind.

Identitäten lassen sich ferner in Nachlässen ermitteln, in denen sich Manu­

skripte, Publikationsverzeichnisse oder Verlagskorrespondenz finden. Die Quel­

lenlage bei den Militäraktenbeständen und den Verlagen ist dagegen für die Zeit bis 1945 weniger ergiebig, da sie unter umfangreichen Kriegsverlusten leiden. So fehlen vor allem die einschlägigen Bestände des preußischen Kriegsministeriums und das Archiv des Berliner Verlags E.S. Mittler & Sohn, was zur Folge hat, dass sich die für die Forschung besonders wichtigen Namenssiglen der Autoren des Militär­Wochenblattes nur in Einzelfällen erschließen lassen. Auch hier könnten allerdings die Überlieferungen der Kontingentsheere noch Zufallsfunde bergen, wie eine kürzlich aufgefundene Übersicht der aus dem bayerischen Heer stam­

menden Militärautoren der Jahre 1855 bis 1915 beweist31. Eine weitere Quelle sind die – inzwischen allerdings weitgehend der Digitalisierung zum Opfer gefallenen – Karteikartenkataloge wichtiger Fachbibliotheken, die wertvolle handschriftliche Hinweise der zeitgenössischen Erfasser tragen. Enorme Vorteile für die Recherche ergeben sich andererseits aus den digitalen Verbundkatalogen. Die einschlägigen Lexika und Bibliografien erfassen die Militärliteratur am Rande, und dabei allen­

falls die monografische Literatur32. Angesichts der schwierigen Quellenlage und des ohnehin problematischen Forschungscharakters dieser teilweise »grauen« Lite­

ratur baut jede Forschung ein gutes Stück auch auf wertvolle Hinweise aus dem Kollegenkreis33.

Varianten des Pseudonyms

In der deutschsprachigen Militärpublizistik spiegelt sich die gesamte Bandbreite des Pseudonyms wider. Jedem Leser des Militär­Wochenblattes sind die Autoren­

siglen bekannt, die mitnichten auf die Regimentszugehörigkeit verweisen. Tatsäch­

lich führte die Redaktion eine Liste mit (wahrscheinlich) fortlaufender Nummerie­

rung, in die Autoren aufgenommen werden konnten, wenn sie dies wünschten.

Ab 1890 waren die Redaktionen der Militärzeitschriften verpflichtet, derartige Ver­

zeichnisse zu führen, in die Vertreter des Kriegsministeriums erforderlichenfalls Einblick erhalten konnten. Die Tatsache, dass ein Autor unter einer Ziffer schrieb, bedeutete nicht, dass er an anderer Stelle nicht auch unter seinem Klarnamen oder einem selbst gewählten und ebenfalls hinterlegten Pseudonym publizieren konnte.

Neben Ziffern sind oftmals auch Namenskürzel oder Initialen anzutreffen. So pu­

blizierte der Kommandierende General des III. Armeekorps, Generalleutnant Fried­

rich Karl von Preußen, 1860 unter »P.F.C.« eine viel diskutierte militärische Reform­

schrift34. Unter die Initialen bekannter Militärpublizisten ihrer Zeit fallen »C.v.B.K.«, (Karl von Binder­Krieglstein), »F.C.v.H.« (Franz Conrad von Hötzendorf), »K.v.O.«

(Karl­Ludwig von Oertzen) und »K.v.T.« (Kurt von Tippelskirch)35. Aus vielen Pseudonymen lassen sich bereits erste Hinweise auf die Identität oder die Motiva­

tion der Autoren ziehen. Dies ist der Fall bei Phraseonymen wie »Von Einem der Nordarmee« (Emanuel Schuppanzigh von Frankenbach), »Von einem älteren In­

fanteristen« (Jacob Meckel), oder »Von einem Generalstäbler« (Hans Ritter)36. Das Pseudonym selbst kann Teil oder Abwandlung des Klarnamens sein, etwa bei dem ehemaligen Nachrichtenoffizier Alexander Bauermeister (»Agricola«), dem Romancier Walter Rispeter (»Peter Riss«) oder dem Funktionär der »Hilfsge­

meinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen­SS«, Erich Kernmayr (»E. Kern«)37. Pseudonyme wie »Saxonius« (Constantin Rößler), »Lo­

tharingus« (Wilhelm Marx) oder »Helveticus verus« (Eugen Bircher) ließen Rück­

schlüsse auf die landsmannschaftliche Herkunft zu38. Namen wie »Nauticus«, »Gal­

licus« oder »Aviaticus« (August Apke) deuteten auf eine fachliche Spezialisierung hin39. Auf eine kriegerische Selbststilisierung lassen die häufig auftretenden Pseud­

onyme »Miles« und »Mars« schließen. Dasselbe gilt für »Frontkritikus« (George Soldan?) oder in besonderer Weise für »Antiscutander«, einen unbekannten Au­

tor, der 1904 mit diesem Namen seine Ablehnung der Ausstattung der deutschen Feldartillerie mit dem Schutzschild zum Ausdruck zu bringen versuchte40. Klassi­

sche Beispiele für politisch­mythische Selbstverortungen boten vor allem Nationa­

listen wie der Science­Fiction Romancier Karl Kaerger (»Größtdeutscher«), der All­

deutsche Heinrich Class (»Einhart« bzw. »Daniel Frymann«), der Funktionär des antisemitischen »Reichshammerbundes« Alfred Roth (»Otto Armin«) und der ehe­

malige SS­Obersturmbannführer Wilhelm Höttl (»Walter Hagen«)41. Dass der po­

litische Kampf in der Weimarer Republik auch über die Autorennamen ausgetra­

gen wurde, zeigen der im »Verein zur Abwehr des Antisemitismus« engagierte Bremer Pfarrer Emil Felden (»Anti­Anti«) und der kommunistische Matrose Willy Sachse (»Anti­Nautikus«)42. Als letzte Variante von maskierender Namenswahl, die literaturwissenschaftlich allerdings nicht als Pseudonym anzusehen ist, sind Künstlernamen zu nennen, von denen sich eine prominente Reihe im Themenfeld Krieg und Militär ausmachen lässt, angefangen mit Klabund (Alfred Heuschke), Ringelnatz (Hans Bötticher), Roda Roda (Sándor Friedrich Rosenfeld), Erich Ma­

ria Remarque (Erich Paul Remark), Ludwig Renn (Arnold Friedrich Vieth von Gols­

senau), Gorch Fock (Johann Kinau) bis zu Curzio Malaparte (Kurt Erich Suckert) und Heinz Günther Konsalik (Heinz Günther). Kurt Tucholsky schließlich hat in der Weltbühne mit einer ganzen Palette von Pseudonymen auch zu militärischen Fragen publiziert43.

Presserechtliche Grundlagen

1883 schrieb der damalige preußische Hauptmann a.D. Fritz Hoenig, der bis zur Jahrhundertwende selbst zu einem der einflussreichsten kritischen Militärpubli­

zisten erwachsen sollte:

»Ginge es nach uns, so müsste der Brauch, dass der aktive Offizier anonym schreibt, kategorisch durch allerhöchste Kabinetsordre mit Stumpf und Stil aus­

gerottet werden. Was die inaktiven angeht, so muss die Ehre der Zeitschrift da­

für bürgen, dass sie niemand zu Worte kommen lässt, der der Sache seinen Na­

men vorenthält. Mit einem Schlage verschwänden die Eiteln und (vermeintlich) Gekränkten, und an einem Tage wären wir von den Plagiaten dieser und dem Gift der Unzufriedenen befreit44

Autorschaft im militärfachlichen Diskurs unterlag also offensichtlich einem starken juristischen Reglementierungsdruck, wobei dadurch – ginge es nach Hoenig – nicht etwa eine Beschränkung der Literatur, sondern ihre Förderung erreicht werden sollte. Die Entscheidung für eine anonyme bzw. pseudonyme Publikation war an erster Stelle durch die allgemeinen presserechtlichen Bestimmungen beeinflusst, die bis 1871 in ihrer Vielfalt der verfassungsrechtlichen Formierung der deutschen Staaten folgten45. Mit der Reichseinigung fanden sich einschlägige Bestimmungen vor allem im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und im Ge­

setz über die Presse vom 7. Mai 1874. Gleichzeitig bildete sich für das Militär ein Korpus an Sondergesetzen und Verfügungen aus, die weitere Bestimmungen mit Bedeutung für die Militärpublizistik enthielten. Nennenswert sind das Militärstraf­

gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 und das Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893 bzw. vom 3. Juni 191446. Eine erste rechtliche Neuordnung der publizistischen Praxis ergab sich allerdings mit der Verfügung des Chefs der Admiralität vom 4. Dezember 1883, die für Publika­

tionen von Angehörigen der Marine erstmals die Nennung von Dienstgrad und Namen vorschrieb. Soweit Gründe vorlagen, die eine Namensnennung unstatthaft erschienen ließen, waren diese Angaben auf dem Dienstweg zu melden47. Eine ver­

gleichbare Regelung für das Heer kam erst nach langwieriger Diskussion zustande.

Strittig blieb hier vor allem die Frage, ob Autoren ihre Beiträge zusätzlich dem un­

mittelbaren Vorgesetzten zu melden hätten. Während das Militärkabinett dies unbe­

dingt forderte, gab das Kriegsministerium zu bedenken, dass dadurch die Bereit­

schaft zu publizieren sinken könne. Auch warf eine solche Praxis die Frage auf, inwieweit der Vorgesetzte damit für die Publikation seines Untergebenen in dis­

ziplinarische Mithaftung genommen werden könne48. Während die zögerliche Hal­

tung des Militärkabinetts von der Sorge um disziplinarische, letztlich auch wohl ständische Belange bestimmt war, drängte das Ministerium im Interesse der Ausbil­

dung auf eine pragmatische Variante. Die Diskussionen, bei denen sich das Militär­

kabinett zunächst durchsetzen konnte, mündeten schließlich am 1. Januar 1890 in

kabinett zunächst durchsetzen konnte, mündeten schließlich am 1. Januar 1890 in