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Nach MARSHALL/KESSEL (1983) lassen sich bestimmte Herzkreislauf­

schäden bestimmten Positionen der Berufskrankheiten-Liste zuordnen;

nämlich den Schädigungen durch BK Hol:

Trichlorethylen, Vinylchlorid und Tetrachlor-dibenzo-p-dioxin

Toluol und Xylole Schwefelkohlenstoff

der (west-) deutschen Arbeitsmedizin zwar mehrheitlich vernach­

lässigt, sind aber für Einzelstoff durchaus bekannt und anerkannt, z.B. bei Schwefelkohlenstoff und Nitratestern. Dies hat sogar Ein­

gang gefunden in die Begründungen für MAK-Werte und die Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten.

Allerdings sind HerzkreislaufSchäden auch bei diesen Stoffen nur ein - keineswegs dominanter - Teil eines umfassenderen Schädigungskom­

plexes. Unter welchen Expositionsbedingungen sie sich - hier und in anderen Fällen - in den Vordergrund des Schadensspektrums schieben oder dieses sogar dominieren können, ist weitgehend ungeklärt. Da nach geltendem Berufskrankheitenrecht ein Gesundheitsschaden nur entschädigungspflichtig ist, wenn die Arbeit 'wesentliche Ursache' der Schädigung war, werden arbeitsstoff-bedingte Herzkreislauf­

schäden auf dieser Ebene wohl auch in Zukunft kaum eine Rolle spie­

len .

So argumentieren etwa HARTUNG/KENTNER/RAEITHEL (1979), dass nur Nitroglyzerin und Nitroglykol, Methämoglobin-Bildner und Reizgase als Verursacher einer Mangeldurchblutung des Herzmuskels infrage kommen. Auch TRIEBIG (1981) meint, ein Zusammenhang, z.B., zwischen Trichlorethylen- und Perchlorethylen-Exposition und Herzrhythmus­

störungen, Blutdruckabfall, etc.

"... sollte jedoch kritisch beurteilt werden. In unserer lang­

jährigen arbeitsmedizinischen Gutachtererfahrung wurden wir mit einer entsprechenden Fragestellung ausgesprochen selten kon­

frontiert. Ein ursächlicher Zusammenhang konnte in keinem Fall wahrscheinlich gemacht werden". (S.36)

Diese faktische Nichtanerkennung arbeitsstoff-bedingter Herzkreis­

laufschäden dürfte sich erst ändern, wenn ein 'liberalerer' Begriff von 'Arbeitsbedingtheit' (Arbeit als Mitverursacher von Krankheit)

einen Entschädigungsanspruch begründet.

6. FORSCHUNGSPROBLEME

Es ist m.E. deutlich, dass ein grosser Forschungsbedarf besteht.

Zwar kann die mögliche Herzkreislauf-Schädlichkeit zahlreicher Arbeitsstoffe als gesichert gelten, aber es ist noch ungeklärt, (a) wer davon wie betroffen ist, (b) wie stark diese Wirkungen sind, (c) wie solche arbeitsstoffbedingten Schäden diagnostiziert werden

können, und (d) welche reale Bedeutung dies für die Vermeidung von HerzkreislaufSchäden und allgemein Gesunderhaltung am Arbeitsplatz haben kann.

Art und Ausmass der Exposition

Art, Umfang, Intensität und Dauer der Exposition gegenüber poten­

tiell kardiotoxischen Arbeitsstoffen sind bei dem gegenwärtigen Forschungsstand nur schwer abzuschätzen. Diese Schwierigkeit erhöht sich mit der Berücksichtigung nicht nur je einzelner Expositionen, sondern der Gesamtexposition.

Ungeachtet der Unterscheidung von Einzel- und Gesamtexposition müssen bei der Abschätzung der Wirkung zwei Fälle unterschieden werden:

- Fall-l. - Manchmal sind viele Personen exponiert, aber auf einem niedrigen Niveau, für eine kurze Zeit, oder bei niedriger Toxizität. Dieser Fall ist eher typisch für

Schadstoffe in Umwelt und Nahrungsmitteln.

- Fall-2. - Manchmal sind wenige Personen exponiert, aber auf einem hohen Niveau, für eine lange Zeit, oder bei hoher Toxizität. Dieser Fall ist eher typisch für Schad­

stoffe am Arbeitsplatz.

Am Beispiel von Kohlenmonoxid soll die Schwierigkeit einer Abschät­

zung demonstriert werden. - Die (bei uns) umweltmedizinisch relevan­

teste Exposition besteht hier gegenüber Kohlenmonoxid als wesentli­

chem toxischem Bestandteil des Zigarettenrauchs. Da noch etwa die

W. Maschewky: Herzkreislaufschaden durch Arbeitsstoffe Seite 18

Hälfte der Bevölkerung raucht, und auch passives Rauchen berücksich­

tigt werden muss, ist der überhaupt betroffene Personenkreis in der BRD mit mindestens 4o Millionen Personen anzunehmen; allerdings ist die Expositionshöhe in aller Regel gering. Umweltmedizinisch sehr relevant sind weiterhin CO-Belastungen ('Smog') durch Autoverkehr und Heizanlagen; allerdings sind diese meist zeitlich und örtlich begrenzt, mit allerdings wachsender Tendenz (zunehmende Verkehrs­

dichte, Staus). - Bei arbeitsmedizinischer Betrachtung tritt eine relevante berufliche CO-Exposition auf bei Arbeiten unter Tage, in engen unbelüfteten Räumen, am Hochofen, an Verbrennungsanlagen, etc.

Kohlenmmonoxid folgt daher weitgehend dem Fall-l mit breitgestreu­

ter, aber schwacher und niedrig-toxischer Einwirkung. Bei Personen mit einer Vorschädigung des Herzens kann eine solche CO—Exposition aber bereits ausreichen, um - unterstützt etwa durch körperliche Anstrengung einen Herzanfall (eine 'ischämische Krise') auszulösen.

Beispiel: Kohlenmonoxid-Exposition durch Autoabgase führte bei bereits koronar—geschädigten Verkehrspolizisten und Tunnelarbeitem

in New York City zu einer erhöhten Herzkreislauf-Sterblichkeit (STERN u.a. 1988).

Schwache Wirkungen

Soweit überhaupt berücksichtigt, gelten kardiotoxische Wirkungen oft als schwache Wirkungen, weswegen ihnen die Relevanz abgesprochen wird.

Aber bei multikausaler Krankheitsentstehung müssen auch schwache Wirkungen ernst genommen werden. - Erstens können sie Zusammenwirken und kumulieren, und dadurch die Wirkung steigern. - Zweitens können auch schwache Wirkungen an 'strategischen Punkten' angreifen, und dadurch unverhältnismässig grosse Effekte erzielen, z.B. bei der

'Induzierung' von Krankheiten, oder durch die Schwächung der Immun­

abwehr. - Drittens hat das mathematische Verständnis von schwachen Wirkungen nicht notwendig eine biochemisches Pendant; so können z.B.

kleine Mengen von Enzymen sehr grosse Veränderungen hervorrufen. - Viertens ist die Schwachheit der Wirkung ein Durchschnittswert; im je einzelnen Fall können üblicherweise schwache Wirkungen durchaus dominieren, wie z.B. das Treibgas im Asthmaspray, das zum plötzli­

chen Herztod führen kann (ROSENMAN 1979).

Eine weitere Ueberlegung: In der bisherigen Argumentation wurde stillschweigend unterstellt, dass die Arbeitsstoffe auf sogenannte

'normale Arbeitspersonen' wirken. Diese 'Normalperson' kann man sich so vorstellen: ca. 3o Jahre alt, männlich, gesund, mit keinen weite­

ren Expositionen, keinem riskantem Verhalten, etc. Der fiktive Cha­

rakter dieser Konstruktion ist oft genug kritisiert worden. Für das

Herzkreislauf-System ist z.B. anzunehmen, dass schädigende Arbeits­

stoffe bei jungen, schwangeren, alten, kranken, oder einfach beson­

ders empfindlichen (ASHFORD/MILLER 1989) Arbeitern eine wesentlich höhere Wirkung entfalten. Beispiel: bei einem Abbeizer führte die Methylenchlorid-Exposition zu drei Infarkten in kurzer Zeit, der

letzte davon tödlich (STEWARD/HAKE 1976). - Daneben dürften auch besondere Arbeitsbedingungen das 'Durchschlagen' herzkreislauf­

schädigender Wirkungen begünstigen. Beispiel: unter den Arbeits- und Lebensbedingungen von U-Boot-Besatzungen führt die Belastung mit Propylenglykoldinitrat zu deutlich erhöhter Herzkreislauf-Mortalität

(FORMAN/HELMKAMP/BONE 1987).

Fehldiagnose

Zum dritten Problem. Kardiotoxische Wirkungen werden wahrscheinlich meist übersehen oder falsch diagnostiziert. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen:

Herzkrankheiten sind in der Regel 'multikausal' ('multi­

faktoriell') bedingt, also durch mehrere Ursachen gleich­

zeitig. Beispiel: der Stahlarbeiter, der Hitze, Lärm, verschiedenen Gasen und Stäuben ausgesetzt ist; der oft Nachtschicht arbeitet, bei körperlicher Anstrengung oft Atemnot bekommt, und sich um seinen Arbeitsplatz sorgt;

der raucht, zuviel isst, und Bier und auch 'härteren Sachen' nicht abgeneigt ist.

Herzkrankheiten waren und sind bei uns weit verbreitet;

der Herzinfarkt allein verursacht jährlich in der BRD etwa I80.000 Todesfälle. Diese 'Nähe' zu vielen verschie­

denen Herzkranken mit unterschiedlicher Entstehungsge­

schichte und unterschiedlicher individueller und sozialer Interpretation der Krankheit verschleiert den möglichen Anteil spezifischer - und meist unbekannter - Schadstoffe.

Zudem gilt die Entstehung von Herzkrankheiten als weit­

gehend geklärt, auch wenn noch um den Erklärungsanteil der einzelnen Theorien gestritten wird. Die Risikofak­

toren Rauchen, Uebergewicht und Bluthochdruck werden der Bevölkerung tagtäglich durch die Medien 'eingehäm­

mert'. Giftstoffe - ausser Alkohol, Zigarettenrauch und Cholesterin - tauchen in diesen Erklärungen nicht auf.

Und was nicht gedacht wird, wird auch nicht gesehen.

Entsprechend gering ist die Bereitschaft, neue mögliche Ursachen zu berücksichtigen.

W. Maschewky: HerzkreislaufSchäden durch Arbeitsstoffe Seite 20

Aus den eben genannten Gründen wird wenig geforscht zur Herzschädlichkeit von Arbeitsstoffen. Dadurch fehlen bisher ausreichende Belege für den Zusammenhang von Arbeitsstoffen und Herzkrankheit. Dies wird dann falsch interpretiert als Beleg für den fehlenden Zusammenhang von Arbeitsstoffen und Herzkrankheit.

Kardiotoxische Störungen sind daher sicherlich schwer zu diagnosti­

zieren. Kardiologie und Toxikologie haben darüber hinaus kardio­

toxische Wirkungen vernachlässigt. Entsprechend gibt es wenig 'know­

how', um solche Wirkungen zu entdecken. Zudem sind kardiotoxische Wirkungen oft wenig spezifisch (Bluthochdruck, Herzrhythmusstörun­

gen), und lassen sich daher leicht mit anderen, besser bekannten Herzkreislauf-Störungen verwechseln. Daher besteht die Gefahr, dass sie fehldiagnostiziert werden als Herzkreislaufschaden unklarer Genese oder als stress-bedingte, verhaltens-bedingte oder psycho­

somatische Herzbeschwerden.