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2. Allgemeiner Teil

2.1. Anatomie und Biomechanik

Das Kniegelenk (lat. Articulatio Genus) ist das größte Gelenk des menschlichen Körpers und verbindet den Oberschenkel mit dem Unterschenkel. Auf diesem lastet nicht nur das Gewicht des gesamten Körpers, sondern es stellt auch eine Verbindung der beiden längsten Hebelarme des Skeletts dar. Dadurch und durch die Inkongruenz der Gelenkkörper ist es besonders anfällig für Verletzungen und degenerative Erkrankungen (AUMÜLLER ET AL.2014: 362).

Das Kniegelenk ist ein zusammengesetztes Gelenk, welches aus dem Femoropatellargelenk (lat. Art. Femoropatellaris) und dem Femorotibialgelenk (lat. Art. Femorotibialis) besteht.

Im Femoropatellargelenk artikulieren Femur und Patella. Die Patella dient als Hebel des Musculus quadriceps femoris und vergrößert so dessen Drehmoment. Dadurch ergibt sich hier

die stärkste Belastung des gesamten Kniegelenks. Bei Kniebeugung können so Kraftwerte von bis zu 3000 Newton erreicht werden (HUBERTI ET AL. 1984). Außerdem schützt sie die Femurkondylen von ventral (JEROSCH ET AL. 2015: 10-14).

Das Femorotibialgelenk wird von Femur und Tibia gebildet. Das Femur bildet mit den spiralig gekrümmten Kondylen den proximalen Teil (Abb.1). Die Tibia stellt mit der eher konkaven medialen Pfanne und den leicht konvexen lateralen Pfanne den distalen Teil des Kniegelenks dar (Abb. 1; AUMÜLLER ET AL. 2014: 364).

Abbildung 1: Kniegelenk a) von vorne b) von hinten (SCHÜNKE ET AL. 2014: 442)

Funktionell handelt es sich um ein Drehscharniergelenk (lat. Trichoginglymus), was neben der Flexion und Extension auch eine Rotation ermöglicht (AUMÜLLER ET AL.2014: 364). Zusätzlich ist in geringem Maße auch eine Valgus- beziehungsweise Varusbewegung (Abduktion/ Adduktion) möglich. Neben diesen drei Rotationsbewegungen sind auch noch drei Translationsbewegungen möglich: eine Kompression, ein medialer oder lateraler Shift (dt. Verschiebung) und eine vordere beziehungsweise hintere Schublade. So ergeben sich insgesamt sechs Freiheitsgrade/

Bewegungsrichtungen (JAKOB U SCHÄUBLI 1990: 31-48).

Das Ausmaß an Bewegungsmöglichkeiten und Krafteinwirkung bei gleichzeitig recht geringer Knochenführung benötigt ein starkes Stabilisationssystem. Dieses wird durch die Gelenkkapsel, Bänder, Muskulatur und Sehnen gebildet. Während die Muskulatur vor allem für die willkürliche

Stabilisation verantwortlich ist, stellt der Kapsel-Band-Apparat den passiven Teil dar (JEROSCH ET AL. 2015: 6/ SCHÜNKE ET AL. 2014: 444).

Zum Ausgleich der Inkongruenz der Gelenkflächen und damit zur Druckverteilung liegen die beiden Menisci (Medialis und Lateralis) auf der Tibia. (SCHÜNKE ET AL. 2014: 449)

Die Kollateralbänder (Lig. collaterale tibiale und Lig. collaterale fibulare) verhindern in erster Linie die Valgisierung beziehungsweise Varisierung des Kniegelenks. Zusätzlich begrenzen sie die Überstreckung und Rotation der Tibia.

Die zentral gelegenen Kreuzbänder (Lig. Cruciatum anterius und Lig. Cruciatum posterius) verhindern die Ventral- und Dorsalverschiebung, sowie die Überstreckung. Außerdem begrenzen sie die Innenrotation und sind wesentlich in die Roll-Gleit-Bewegung bei Flexion und Extension involviert (siehe unten).

Der hintere Kapsel-Band-Apparat mit den Ligg. Popliteum obliquum und arcuatum wird durch den Ansatz und Ursprung einiger Muskeln verstärkt und verhindert so die Überstreckung und Varisierung und wirkt begrenzend auf die Außenrotation (AUMÜLLER ET AL. 2014: 370).

Das Kniegelenk wird im Wesentlichen durch zwei Muskelgruppen bewegt: die Streckung durch den Musculus quadriceps femoris und die Beugung durch die ischiokrurale Muskulatur (M.

biceps femoris, M. semimembranosus, M. semitendinosus) und den Pes anserinus superficialis (M. sartorius, M. gracilis, M. semimembranosus). Die Rotation wird vor allem durch die Beugemuskulatur und den M. tensor fasciae latae verursacht (SCHÜNKE ET AL. 2014: 488-491;

JEROSCH ET AL. 2015: 25,26).

Der Bewegungsumfang des Knies ergibt sich also neben der Begrenzung durch Muskulatur, Fett- und Bindegewebe auch im Wesentlichen durch den Kapsel-Band-Apparat. Die Flexion und Extension ist lediglich durch Ersteres begrenzt und ergibt nach der Neutral-Null-Methode einen Umfang von 150°/0/0 (Flexion/Extension). Eine Überstreckung (lat. Hyperextension) um 5-10° ist meist nur Frauen und Kindern möglich. Bei maximaler Streckung führt die Anspannung der Kreuzbänder zu einer leichten Außenrotation von 5-10° (Schlussrotation) und trägt damit zur Erhöhung der Stabilität bei.

Die Flexion und Extension verlaufen in der für das Kniegelenk typischen Roll-Gleit-Bewegung mit Schlussrotation der Tibia. Diese Bewegung ergibt sich durch die Form der Femurkondylen und Führung der Kreuzbänder. Dabei rutscht der Kontaktpunkt von Femur und Tibia nach dorsal und ermöglicht so eine starke Flexion ohne, dass es zu einer posterioren Luxation der Kondylen kommt (JEROSCH ET AL.2015: 21).

Die Innen- und Außenrotation des Unterschenkels ist nur bei gebeugtem Knie möglich, da in Extension die Kollateral- und Kreuzbänder eine Drehung verhindern. Nach der Neutral-Null-Methode ist der Bewegungsumfang 10°/0/30° (Innen-/Außenrotation). Begrenzt durch ein Umeinanderwickeln der Kreuzbänder (SCHÜNKE ET AL.2014: 452).

Zu einer signifikanten Varisierung beziehungsweise Valgisierung kommt es nur bei pathologischen Befunden (SCHÜNKE ET AL.2014: 452; AUMÜLLER ET AL. 2014: 377).

Abbildung 2: mechanische Achse des Beins a) physiologische Achsverhältnisse b) Genu Valgum c) Genu Varum (PAULSEN U WASCHKE 2020).

Bei physiologischen Achsenverhältnissen verläuft die mechanische Achse des Beins (Mikulicz-Linie/ Traglinie) durch das Hüftkopfzentrum und die Mitte des Sprunggelenks (Abb. 2a). Diese Achse liegt bei phyiologischem Verlauf 4 +/- 2mm medial des Kniegelenkzentrums (WINKER

2011: 708 f.,787 f.). Dadurch liegt bei normalem Stand (Füße unterhalb der Hüfte) eine optimale gleich-verteilte Gewichtsverteilung vor. In alltäglichen Situationen, wie zum Beispiel Treppensteigen kann fast das 7-fache Körpergewicht auf dem Kniegelenk lasten (KIM ET AL. 1993).

Da der Femurkopf medialer liegt als die Schaftachse, ergibt sich eine Abweichung der anatomischen von der mechanischen Achse und somit auch von der Traglinie. Bei der Tibia stimmt diese überein. So ergibt sich zwischen den anatomischen Achsen des Femurs und der Tibia ein nach außen offener Winkel von ungefähr 173-175° (aFTW: anatomischer

femoro-tibialer Winkel). Das entspricht einer physiologischen Valgusstellung von 5-7° (SCHÜNKE ET AL. 2014: 412; WINKER 2011: 708, 786 f.).

Ein O-Bein (lat. Genu varum; Abb. 2b) liegt vor, wenn die Mikulicz-Linie mehr als 15mm medial des Kniegelenkzentrums verläuft, beziehungsweise der aFTW größer als 175° ist (SCHÜNKE ET AL. 2014: 412). Die Abweichung der Mikulicz-Linie vom Kniegelenkszentrum wird als mechanische Achsabweichung (MAD: engl. mechanical axis deviation) bezeichnet und kann im Röntgenbild gemessen werden. Diese Achsabweichung führt unter anderem zu einer Mehrbelastung des medialen Kompartiments und der lateralen Kapsel-Band-Strukturen inklusive Tractus iliotibialis (SCHÜNKE ET AL. 2014: 412; GALLA U LOBENHOFFER 2007: 21 f.).

Beim X-Bein (lat. Genu valgum; Abb. 2c) verläuft die Mikulicz-Linie mehr als 10mm lateral des Gelenkzentrums und damit der aFTW kleiner als 173° ist. Hier kommt es zu einer Mehrbelastung des lateralen Kompartiments (SCHÜNKE ET AL. 2014: 412; GALLA U LOBENHOFFER

2007: 21 f.).

Mit Hilfe der später noch besprochenen Kniewinkel (siehe Tabelle 1) kann zwischen einer tibialen und femoralen Ursache der Achsabweichung unterschieden werden: Eine Abweichung des mechanischen lateralen distalen Femurwinkels (mLDFW) spricht für eine femorale Pathologie. Wenn der mechanische mediale proximale Tibiawinkel (mMPTW) von der Norm abweicht, besteht eine Pathologie der Tibia (GALLA U LOBENHOFFER 2007: 21 f.).

Aus dem oben Beschriebenen lässt sich schon jetzt erkennen, dass eine genaue Kenntnis über die anatomischen Begebenheiten und die komplexen biomechanischen Bewegungsabläufe für eine Kniegelenksalloplastik benötigt wird.