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C. EU-Regionalpolitik und Politikverflechtungsfalle

2. Politikverflechtung in der deutschen Regionalpolitik

2.1. Analyserahmen/Theorie

Die «Mehrebenenverflechtung» ist der politikwissenschaftliche Ausdruck für die Interorganisationsbeziehungen zwischen politischen Institutionen und Akteuren auf der Ebene des Bundes und der Länder, in der Regel auch unter Einschluß der Europäischen Union.

In diesem Kontext interessieren nur Verflechtungsformen, die sich dadurch auszeichnen, daß die individuellen oder kollektiven Akteure nicht nur mit der Aufgabe der internen Koordination auseinanderstrebender Präferenzen konfrontiert sind, sondern meist in mehreren interdependenten Interaktions- und Entscheidungssituationen stehen. Beispiele für solche Abhängigkeitsbeziehungen stellen Situationen dar, in denen sich

Bund-Länder-Beziehungen mit Länder-Länder-Interaktionen oder Bund-Land-EU-Beziehungen mit Parteipolitik kreuzen315.

Mehrebenensysteme sind grundsätzlich dadurch charakterisiert, daß politische Prozesse die Grenzen einer Ebene überschreiten. Das erfordert ein Zusammenspiel zwischen den Akteuren aus unterschiedlichen Gebietskörperschaften. Dieses Zusammenspiel wird von drei Elementen geprägt316: Dies sind zum einen die Interessenkonstellationen317, die sich aus spezifischen Policies ergeben, zum anderen die Handlungsorientierungen und -strategien der Akteure und schließlich die Interaktionsregeln, die in den institutionellen Strukturen angelegt sind.

Institutionelle Strukturen beeinflussen Interaktionen im Mehrebenensystem zum einen über die Handlungsorientierung der Akteure318, zum anderen durch die Verteilung von Kompetenzen und Macht. Auch entscheiden institutionelle Strukturen, ob und wie intergouvernementale Beziehungen die Politik auf bestimmte Verfahren festlegen.

Betrachtet man institutionalisierte Verhandlungssysteme, wie beispielsweise bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG im deutschen Bundesstaat, haben die Beteiligten keine exit-Optionen offen. Es handelt sich um «Zwangsverhandlungen»319. Fritz W. Scharpf entwickelte in mehreren Arbeiten das Theorem der

«Politikverflechtungsfalle»320. Dieses Theorem besagt, daß Regierungen, die in verflochtenen Entscheidungsstrukturen zur Kooperation gezwungen sind und einen Konsens erzielen müssen, nicht nur an kollektiver Handlungsfähigkeit verlieren,

315 Im Sprachgebrauch der Entscheidungstheorie handelt es sich bei Mehrebenenverflechtung um sogenannte, ineinander verschachtelte oder verbundene Entscheidungssituationen (engl. nested games).

316 Vgl. Benz (1998a), S. 2.

317 Interessenkonstellationen können in zwei Typen eingeteilt werden. Zum einen verfolgen die Akteure teilweise gleichgerichtete, teilweise entgegengesetzte Interessen. Diese Situationen werden in der Spieltheorie vor allem mit dem Gefangenendilemma rekonstruiert. Dieser Konstellation ist auch die Produktion von kollektiven Gütern zuzuweisen, wie auch die Niveau- und Niveaufixierungs-Probleme, die Fritz W. Scharpf in seiner Politikverflechungstheorie beschreibt (Vgl. Benz (1998a), S. 2). Zum anderen sind hiervon Situationen zu unterscheiden, die durch ausschließlich oder primär gegensätzliche Interessen geprägt sind. Hierbei handelt es sich um Verteilungsprobleme, in denen sich die Interessengegensätze auf eine Umverteilung oder Aufteilung richten (Nullsummenspiel).

318 Vgl. Scharpf (1997).

319 Vgl. Scharpf (1992b), S. 62 – 64. Die Entscheidung über Ein- oder Ausschluß von Akteuren erfolgt in politischen Prozessen. Institutionen können auch multilaterale Verhandlungssysteme bilden, wie sie im deutschen Bundesstaat typisch sind.

sondern auch unfähig sind, durch Reformen die institutionellen Restriktionen der Politikverflechtung zu überwinden321.

Dabei hat Scharpf seine Theorie der Politikverflechtung immer als eine Theorie dargestellt, die nur unter spezifischen Bedingungen gilt. Sein Werk von 1997 enthält ein elaboriertes Instrumentarium, das eine präzisere Bestimmung der von ihm untersuchten Verflechtungsstrukturen erlaubt322. Dort werden die für die Politikverflechtungsfalle anfälligen «joint-decision systems» als spezifische Verhandlungsstrukturen dargestellt323.

Sie werden durch drei Besonderheiten charakterisiert324. Zum einen sind die beteiligten Akteure Mitglieder von Exekutiven, die gegenüber parlamentarischen Gremien verantwortlich sind und von diesen kontrolliert werden. Damit unterliegen sie den Regeln des Parteienwettbewerbs325. Dieser bewirkt, daß Akteure in Verhandlungssystemen primär Interessen ihrer Gebietskörperschaft vertreten und keine darüber hinaus gehenden Gemeinwohl- oder Kooperationsorientierungen entwickeln. In der parlamentarischen Arena und im öffentlichen Parteienwettbewerb wird von den Akteuren ein Konfrontationsverhalten erwartet und praktiziert326. Sie wollen spezifische Interessen der eigenen Wählerschaft durchsetzen. Dies hat für die Verhandlungen zur Folge, daß Einigungsspielräume systematisch reduziert werden327. Entscheidungen sind nur noch möglich, wenn Interessensdivergenzen ausgeklammert und konfliktminimierende Lösungen gefunden werden, die vom Status quo nur wenig abweichen.

Zum zweiten nimmt die Wahrscheinlichkeit der Politikverflechtungsfalle zu, sofern keiner der in intergouvernementalen Verhandlungssystemen beteiligten Akteure eine hegemoniale Position einnimmt328. In diesem Fall finden sich keine «politischen Unternehmer» oder Machtpromotoren, die in der Lage wären, Entscheidungen so

321 Zusammenfassend kann die «Politikverflechtungsfalle» also beschrieben werden «als eine zwei oder mehr Ebenen verbindende Entscheidungsstruktur, die aus ihrer institutionellen Logik heraus (...) systematisch ineffiziente und problem-unangemessene Entscheidungen erzeugt, und die zugleich unfähig ist, die institutionellen Bedingungen ihrer Entscheidungslogik zu verändern – weder in Richtung auf mehr Integration noch in Richtung auf mehr Desintegration.» Vgl. Scharpf (1985), S. 349 – 350 und vgl.

Scharpf (1997), S. 211 – 212.

322 Vgl. Scharpf (1997).

323 Vgl. Scharpf (1997), S. 143 – 145, und S. 192.

324 Vgl. Benz, (1998b), S. 562.

325 Vgl. Lehmbruch (1998).

326 Vgl. Mayntz/Neidhardt (1989).

327 Vgl. auch Benz (1998a).

vorzustrukturieren, daß ein höherer Grad an Problemadäquanz erreicht wird oder die bei drohenden Blockaden der Kooperation neue Impulse für Verhandlungen geben können.

Drittens werden konfliktminimierende Entscheidungen nur getroffen, wenn die Beteiligten zur Konsensfindung gezwungen sind. Eine Politikverflechtungsfalle entsteht nur bei «Zwangsverhandlungen»329. Die Akteure ziehen entweder aus eigenem Interesse oder durch institutionelle Regeln kooperative Lösungen gegenüber autonomen Entscheidungen vor330.

Die Politikverflechtung ist im kooperativen Förderalismus als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses zu sehen, dessen bestimmende Faktoren eine pluralistische Gesellschaft, der Gewaltenteilungsgrundsatz und eine Vielzahl von Entscheidungsebenen sind. Der kooperative Förderalismus wird dementsprechend dadurch charakterisiert, daß die Erfüllung von staatlichen Aufgaben im Verbund von Bund und Ländern geschieht, unabhängig davon, wer die Gesetzgebungs- bzw. die Verwaltungszuständigkeit besitzt oder über die Finanzhoheit verfügt331. Zwischen den Gebietskörperschaften von Bund und Ländern hat sich durch die politische Praxis ein verfassungsrechtlich abgesichertes, institutionelles Netz von Kooperationsformen in einigen Bereichen gebildet (beispielsweise die Bund-Länder-Kommissionen, die Konferenzen der Fachminister, der Wissenschaftsrat, der Bildungsrat und der Finanzplanungsrat332).