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2. Partizipation im Kindergarten

2.2. Alltagspartizipation

„Partizipation benötigt echte, erfahrbare und nicht nur behauptete Wirkung.“ (Dobrick 2011, S. 46) Das bedeutet, dass Beteiligte jeden Tag die Möglichkeit haben sollten, sich Raum und Zeit zu nehmen, um ein verantwortungsvolles Miteinander selbstverständlich werden zu lassen. Dazu müssen Kinder und die pädagogischen Fachkräfte als Handlungseinheit gesehen werden, die ihr Alltagsleben gemeinsam managen müssen. Einmalige Projekte oder Resultate rücken dabei wenig bedeutungsvoll in den Hintergrund. Das Engagement, die Zusammenarbeit und das Handeln im Interesse einer Gemeinschaft begründen einen partizipativen Alltag (vgl. ebd., S. 46 und 69).

Soll Partizipation eine Aufgabe werden, die alle Lebensbereiche der Kinder durchzieht, muss dieses gemeinsame Alltagsleben als Alltagspartizipation wirksam werden. In diesem Fall hat man sich als Pädagoge die Frage zu stellen, wann vorschnell Entscheidungen für Kinder getroffen werden und ob diese auch wirklich nachvollziehbar sind. Will man die Wünsche der Kinder in den Tagesablauf integrieren, muss auch das Interesse der Kinder in die Planung des pädagogischen Alltags integriert werden. Der Tagesablauf wird somit zu einer Angelegenheit, bezüglich der sich Kinder und Erwachsene gemeinsam mit den Gestaltungsfragen auseinandersetzen. Kinder sollen so lernen, ihre Meinungen zu äußern, aber auch die der anderen zu respektieren und gemeinsam eine für alle akzeptable Lösung zu erarbeiten. In diesen Prozess fällt auch, die Verantwortung für das eigene Handeln und die Konsequenzen

dafür zu tragen. Im alltäglichen Handeln lernen Kinder auf diese Weise demokratisches Verhalten (vgl. Stamer-Brandt 2012, S. 150f.).

Im ersten Teil dieser Arbeit wurden bereits die Formen der Beteiligung beschrieben. Sie können individuell und nach Möglichkeiten des Kindergartens praktiziert werden. Dabei gibt es keine richtige oder falsche Rolle. Welche Möglichkeiten für Kinder im normalen Tagesablauf bestehen, wird im Folgenden ausgeführt.

2.2.1. Partizipationsmöglichkeiten im Kindergartenalltag

Hansen (2008) ist der Ansicht, dass zum größten Teil noch der Pädagoge die meiste Macht über Entscheidungen in einem Regelkindergarten der heutigen Zeit besitzt. Er beschreibt eine

„[...] uneingeschränkte Entscheidungs- und Gestaltungsmacht [...]“ (Hansen 2008, S. 3), die Abläufe und Verfahren im Kindergarten festlegt. Zwar gibt es seiner Meinung nach auch Fachkräfte, die sich auf Rechte und Freiräume einlassen, diese aber ohne jede Begründung auch wieder zurückziehen können. Begründet wird dieses Vorgehen durch eine gewisse Angst vor einer zu hohen Entscheidungsmacht der Kinder und durch die hohen Anforderungen, die für die Fachkräfte entstehen würden, wenn Beteiligung eine ernste und feste Umsetzung finden würde.

Da Kinder aber ohne das Wissen um ihr Recht nicht darum kämpfen können, müssen Erwachsene ihnen dieses aktiv nahe bringen und ihnen dieses damit auch zugestehen und unterstützend tätig werden. Die schriftliche Verankerung im Kindergarten für diese Rechte ist somit, wie im ersten Teil der Arbeit bereits erwähnt, der Anfang von fixer Eingliederung partizipativer Prozesse in den Kindergarten (vgl. Hansen 2008, S. 3f.).

Um einen gemeinsamen Konsens bei den Erwachsenen zu erzielen, sollte sich das Team folgende Fragen stellen:

„Worüber sollen die Kinder [...] [im Kindergarten] auf jeden Fall mitentscheiden?

Worüber sollen die Kinder [...] [im Kindergarten] auf keinen Fall mitentscheiden?

Mit welcher Form der Beteiligung [...] [kann sich das Team] anfreunden?

Welchen Entscheidungsmodalitäten [...] [ist das Team] sich zu beugen [bereit]?“

(Hansen 2003, S. 4)

Diese Vereinbarungen sind gleichzeitig auch als Positionierung zu sehen. Das gesamte Team entscheidet, inwieweit Partizipation im betreffenden Kindergarten Anwendung findet. Die schriftliche Verfassung der Rechte für Kinder – aber auch für Erwachsene – verhindert Manipulation und gewährt Sicherheit. Es wird vermutlich auch Uneinigkeit geben, aber ein individuelles und einrichtungsspezifisches Konzept zu erarbeiten, bedeutet, einen festen Kern zu etablieren und durch das Zulassen von Veränderung auch eine neue Entwicklung zu akzeptieren (vgl. Dobrick 2011, S. 68).

Die Einführung institutionalisierter Formen aller Entscheidungen wird in diesem Konzept oder in dieser Verfassung angeführt, sie werden mit der Zeit erweitert, aber auch verändert.

Durch den alltäglichen Ablauf entstehen immer neue Situationen, in denen es nötig wird, Regeln neu auszuhandeln oder zu erweitern. Zu diesen Verfassungsabschnitten zählen unter anderem die Hausschuhpflicht in der Einrichtung, eine Jacke im Garten tragen zu müssen oder nicht, eine Jause mitzubringen – bis hin zur Gestaltung von Räumen und Personalangelegenheiten (etwa eine Entscheidung nach einem Hospitationstag zu treffen) (vgl. Hansen 2008, S. 7).

Welche Möglichkeiten haben Kinder nun generell – und können sie selbst entscheiden, womit und mit wem sie sich untertags im Kindergarten beschäftigen wollen? Zur Beantwortung dieser Fragen dienen dem Team folgende Anhaltspunkte:

„Können die Kinder während [...] [ihres Aufenthalts] frei wählen, womit sie sich beschäftigen?

Sind die Spiel- und Gebrauchsmaterialien für die Kinder frei zugänglich?

Können [die] Kinder Werkstätten und andere Funktionsräume auch ohne Begleitung [...]

[eines Erwachsenen aufsuchen]?

Haben die Kinder das Recht, Erwachsenen und anderen Kindern den Zutritt zu einem Raum, im dem sie sich gerade befinden, zu verwehren?

Können die Kinder [...] [jederzeit] das Außengelände der Einrichtung [...] [nützen]?

Entscheiden die Kinder [...] [alleine], ob sie in der Einrichtung Hausschuhe [oder eine Jacke im Garten] tragen [...]?

Können die Kinder dann etwas essen, wenn sie Hunger haben?

Werden [diese] Regeln gemeinsam aufgestellt? [...]“

(Hansen 2003, S. 4)

2.2.2. Die Raumgestaltung

Kinder erweisen sich in der Spielraumplanung als sehr kompetente Partner bezüglich Planung. Obwohl sich das Leben der Kinder heute überwiegend in pädagogisch gestalteten Räumen abspielt, haben sie selten Gelegenheit, diese mitzugestalten. Dabei könnten sie am besten entscheiden, wo ihre Interessen und Bedürfnisse liegen. Zu diesen Räumen zählen der innere und der äußere Bereich gleichermaßen. Die Möglichkeit, diese mitzugestalten, erhöht die Identifikation mit denselben und die nötige Verantwortungsbereitschaft. Bei Kindern, die bewusst erleben, wie sie andere Kinder, Erwachsene und die sie umgebenden Räume beeinflussen können, wachsen das Selbstvertrauen und das Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten. Tatsächliche Fähigkeiten zeigen sich aber nur, wenn sie die Chance haben, zu zeigen, was sie können, und herausgefordert werden (vgl. Hansen 2003, S. 3f.).

Sollen Kinder also daran beteiligt werden, die Inneneinrichtung oder den Außenbereich eines Kindergartens mitzugestalten, brauchen sie zunächst eine Vorstellung davon, wie man so etwas machen könnte. Kinder können an allen Entscheidungen beteiligt werden, sie brauchen nur die nötigen, altersgerecht vermittelten Informationen, um Vorstellungen zu bekommen und Lösungen zu finden. Der Erfahrungshorizont kann zum Beispiel durch Ausflüge, Bilder, Bücher oder Kataloge erweitert werden. Wenn Kinder erstmals ihre Möglichkeiten erkannt und erfasst haben, können sie Vorschläge konstruktiv ergänzen und selbstständig und angemessen Prioritäten setzen (vgl. Hansen 2004, S. 3).

Sind nur begrenzte Möglichkeiten vorhanden, die Räume des Kindergartens offener zu gestalten, bietet sich flexible Raumgestaltung an. Diese umfasst Material wie etwa Stellwände, Gerüste und andere Gegenstände zur freien Handhabe für die Kinder. Auch durch deren Platzierung können Selbstständigkeit und Selbstwahrnehmung unterstützt werden. Die Möglichkeit auf Eigenaktivität lässt Kinder die Regeln und den Schwierigkeitsgrad zumeist selbst bestimmen (vgl. Hundertmark-Mayser 2003, S. 33).

Durch die Vielfalt an Lebensbedingungen oder Themen, an denen man sich angemessen beteiligen könnte, gibt es auch eine Vielzahl an Arten der Bearbeitung, die unterschiedliche Anforderungen und Intensitäten der Beteiligung bedeuten. Der Kindergarten lässt

dahingehend viele Möglichkeiten offen, auch was die Entwicklung und im Folgenden die Realisierung von Projekten, Aktivitäten und Regeln betrifft (vgl. Sturzbecher/Waltz 2003, S.

18). Daher gestaltet sich auch die Umsetzung in jedem einzelnen Kindergarten so individuell und vielfältig wie die Möglichkeiten.

2.2.3. Das Freispiel

Die Gestaltung des Freispiels trägt viel dazu bei, wie Kinder sich im Kindergartenverband aufgehoben fühlen. Erste Gruppenerfahrungen werden meist sehr behutsam und einfühlsam vorgenommen, sodass das Einleben in die Gruppe möglichst wenig mit Ängsten behaftet ist.

Das Freispiel wird pädagogisch nur wenig durch das Fachpersonal begleitet. Kinder beeinflussen und bilden sich in solchen Situationen gegenseitig, was nicht immer positiv ist.

Eine genauere Beobachtung solcher Gruppenprozesse sollte immer auch ohne bereits bestehenden Konflikt stattfinden, um ein positives Lernumfeld für die Gruppe zu schaffen.

Denn in diesen Gruppen bilden Kinder ihre sozialen Kompetenzen aus, sie bringen ihre Gedanken ein, entdecken den Umgang mit Kooperation, aber auch mit Konkurrenz, nehmen vielleicht eine dominantere oder auch eine untergeordnete Rolle ein. Sie müssen sich entweder für ihre eigenen Rechte einsetzen oder die der Spielpartner anerkennen. Ohne eine beobachtende Haltung und die Bestärkung von positivem Verhalten kann es zum Einnehmen einer Außenseiterrolle und zu abwertendem Verhalten kommen, das vielleicht auch später in einer neuen Gruppe nicht mehr abgelegt werden kann.

Das Freispiel trägt insgesamt viel zur Entwicklung der sozialen Kompetenzen bei. Leider wird es meist unterschätzt und nicht angemessen begleitet. Partizipation unterstützt auch diesbezüglich den Demokratiegedanken positiv. Je früher man mit dem Einbeziehen beginnt, desto eher bildet sich bei den Kindern eine gewisse Grundhaltung auch in der Gestaltung des Freispiels heraus. Es geht nicht nur darum, Kinderwünsche bewusst wahrzunehmen, oder um deren Abstimmungsrechte (vgl. Pausewang 2013, S. 2f.), sondern um die „[...] motivierende Erfahrung für Kinder, sich ethisch nachhaltig und sozial verantwortlich für Demokratie einzusetzen und diese Form der Partizipation in der Gruppe zu leben.“ (ebd., S. 4)

Somit beschreibt Partizipation mehr als eine Grundhaltung – wie schon mehrfach aufgezeigt.

Sie soll im alltäglichen Leben Ausdruck finden, etwa im Freispiel. Im methodisch geleiteten Spiel können wertvolle Grundlagen dafür geschaffen werden.

Im Spiel machen Kinder viele Erfahrungen über Stärken und Schwächen, die eine Person haben kann. Sie sehen, dass jeder ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt und dass diese in Interaktionen zum Ausdruck kommen. Kinder können im methodisch vorbereiteten Spiel lernen, was es heißt, Grenzen auszutesten, sie lernen, die Grenzen anderer zu erkennen und ihre Selbstwirksamkeit zu überprüfen. Spiele, in denen Handlungspläne erstellt werden müssen und im Zuge derer die Kooperation im Team gesteigert wird, helfen Kindern einerseits dabei, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, und andererseits, zu erkennen, was es bedeutet, die eigene Meinung zu äußern oder die der anderen wertzuschätzen (vgl. Hundertmark-Mayser 2003, S. 33f.).

Soziales Verhalten kann aber nicht „beigebracht“ werden. Man kann die Grundlagen dafür schaffen, um die Entfaltung des Verhaltens zu unterstützen. Kinder müssen als eigenständige Subjekte mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen wahrgenommen werden, damit sie lernen, auch die Wünsche anderer ernst und wahrzunehmen (vgl. Brodbeck 2010, S. 3).

2.2.4. Eine Orientierung

Welche Möglichkeiten für Kinder bestehen, sich zu beteiligen, und in welchem Ausmaß dies geschieht, hängt immer noch von der Entscheidung der Pädagogen ab. Dabei unterliegen die Themen, die dabei angesprochen werden können, einer großen Vielfalt. An dieser Stelle erfolgt eine Auflistung, um den Überblick zu erleichtern.

Der Sesselkreis bietet sich für ein tägliches Zusammentreffen an und ermöglicht es den Kindern, Fragen aus ihrem lebenspraktischen Umfeld zu stellen und womöglich zu einem weiteren Thema zu machen. Wenn möglich, nehmen alle Kinder der Gruppe daran teil.

Auch das Frühstück ist ein tägliches Ereignis, das gemeinsam geplant werden kann. Den Kindern soll die Möglichkeit offenstehen zu essen, wann und so viel sie wollen. Zu den Rahmenbedingungen zählt auch ein angemessener Platz zum Essen, der von den Kindern eigenständig gedeckt und abgeräumt wird.

Situationsorientierte Angebote des Fachpersonals sind offen für eine freiwillige Teilnahme.

Diese Angebote können je nach Bedarf vom Erzieher, aber auch von den Kindern selbst in Anspruch genommen werden. Sie sollten kreativ an die Bedürfnisse der Kinder angepasst sein.

Der Modellbau findet in Kleingruppen statt und bewirkt, dass alle Kinder mit einem fertigen Modell in ein Plenum kommen, um gemeinsam eine Übereinstimmung zu finden. Beispiele dafür sind Spielplatzplanungen oder die Gruppenraumeinrichtung. Der dreidimensionale Modellbau kann sich durch seine Anschaulichkeit eher bewähren als eine Befragung oder die Veranschaulichung durch eine Zeichnung.

In einem Kinderparlament wird eine Vertretung der Kindergartengruppe gewählt, die die Interessen der Gesamtgruppe vertritt. Bei dieser Möglichkeit werden alle Fragen von Belang geklärt, wie beispielsweise Themen rund um Essen, Trinken, Spiele und Ähnliches.

Durch parlamentarische Maßnahmen können Raumgestaltung und dergleichen bestimmt werden. Dabei können dem Modellbau eine Abfrage und eine Anhörung der relevanten Punkte folgen. Gewählt bzw. beschlossen werden hier etwa Geräte für den Garten, die Einrichtung neuer Räume, die Flurgestaltung, die Neugestaltung eines Funktionsbereichs oder des Gruppenraums oder das Einstellen einer neuen Fachkraft.

Bei initiativen Projekten werden mit den Kindern Aktionen geplant, die auch spontan stattfinden können. Themen können hier ein Zeitungsprojekt, Umwelt- und Verkehrsfragen, Erkundungsgänge, Exkursionen oder Ähnliches sein.

Um Kindern die Möglichkeit zu bieten, am Gemeinwesen teilzunehmen, kann auch ein Kinderbüro eingerichtet werden. So können sie Außenkontakte knüpfen und Informationen selbstständig besorgen. Dazu können Rahmenbedingungen wie ein eigener Schreibtisch, ein funktionierendes Telefon, eine Kamera, ein Computer mit Internetanschluss, ein Erzieher als Sekretär oder ein Postsystem mitgestaltet werden.

Im Kindergericht werden Regeln, Grenzen oder Aufgaben bestimmter Ämter mit den Kindern gemeinsam besprochen. Ein gewähltes Gremium kann über die Einhaltung dieser Punkte wachen (vgl. Dobrick 2011, S. 70f.).