Fenistil' Tropfen (Wirkstoff: Dimetindenmaleat). Zusammensetzung: 1 ml Lösung enthält 1 mg Dimetindenmaleat. 5,9 Vol.-% Alkohol (0,05 g/ml) und Methyl-4-hydroxybenzoat (Paraben) als Konservierungsmittel. Hilfsstoffe: Ethanol 96%, Methyl-4-hydroxybenzoat; Natriumdihydrogenphosphat 2H2O. Indikationen: Pruritus. Urtikaria. Kontaktdermatitis, Ekzeme und andere juckende Dermatosen. Neurodermitis. Juckreiz bei Diabetes, Hepatopathien, Leukämie und Lymphogranulomatose. Juckreiz bei Infektionskrankheiten. Pruritus senilis. Insektenstiche. Nahrungs
und Arzneimittelallergie. Serumkrankheit. Quincke-Ödem. Allergosen des Respirationstrakts. Kontraindikationen: IJberempfindlichkeit gegenüber dem Präparat. Schwangerschaft.
Strenge Indikationsstellung in der Stillzeit. Nebenwirkungen: Gelegentlich: Müdigkeit, Mundtrockenheit und Übelkeit sowie Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens (Straßenverkehr und Bedienen von Maschinen). Selten: Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Erregung und Kopfschmerz. Einzelberichte über Ödem, Hautausschlag, Muskelkrampf sowie Atmungsbeeinträchtigung.
Bei entsprechend veranlagten Patienten vereinzelt Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber dem Konservierungsmittel. Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Trizyklische Antidepressiva:
Auslösung eines Glaukomanfalls möglich. Alkohol: Verstärkung des sedierenden Effekts. Zentraldämpfende Pharmaka und Alkohol: Verstärkung der zentral
dämpfenden Wirkung. Dosierung siehe Gebrauchs- oder Fachinformation. Handelsformen und Preise: 20 ml/Ni DM 12,47; 50 ml/N2 DM 26,08; AP. ^ Zyma GmbH
Stand: 2/96 81366 München
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FAMILIENMEDIZIN
Fortbildung
5 Ein Patientenbeispiel:
Herzinfarkt statt Kur
Von einem Kollegen wird die 60jährige Patientin K. vorgestellt, die sich seit drei Jahren im Vorruhestand befindet. Sie ist verheiratet mit einem ehemaligen Bau
ern, Ende 60, der inzwischen seinen Hof verkauft hat und andere Grundstücke verpachtet hat. Eine Übernahme des el
terlichen Bauernhofs durch den noch im Haushalt lebenden 27jährigen Sohn steht damit nicht an; der ältere 34jäh- rige Bruder ist verheiratet und in die wei
tere Entfernung verzogen (Abb. 2).
Frau K. ist wegen einer essentiellen Hy
pertonie, degenerativer Gelenkerkran
kungen, die nicht rheumatisch bedingt sind, in hausärztlicher Betreuung. Der Kollege sieht aber im Ehemann den ei
gentlichen Patienten. Dieser ist seit 17 Jahren wegen chronischer Oberbauch
beschwerden sehr häufig in seiner Pra
xis. Er wurde immer wieder wegen rezi
divierender Ulcera duodeni untersucht, die sich aber nie gastroskopisch feststel
len ließen. Er sei ein ängstlicher, klagen
der Mann, der viel weint, nur in Beglei
tung seiner Frau in die Praxis kommt.
Jetziger Anlaß der Vorstellung ist, daß der behandelnde Allgemeinarzt mehre
re Male mit dem Ehemann zu tun hatte, weil dieser wegen eines unklaren Erbre
chens Hilfe brauchte. Hausbesuche oder auch Praxisbesuche ergaben Jedoch eher, daß es sich bei dem Erbrochenen (kurz nach dem Essen) um »ausgehuste
ten Bronchialschleim« handelte.
Er konnte sich keinen Reim auf die Be
schwerden des Mannes machen, dachte dann auch daran, daß die Symptomatik am ehesten mitderfürden Patienten be
lastenden Frage zusammenhing, ob er gesund und stark genug sei, um zusam
men mit seiner Frau in eine Kur zu fah
ren. Die Kur wurde auf Betreiben der Ehefrau in die Wege geleitet, wobei ihr Arzt deutlich wahrgenommen hat, wie sehr sich seine Patientin auf das bevor
stehende Ereignis freute.
Vor der Abfahrt in die Kur kam dann ein Anruf der Ehefrau, in dem sie um einen Hausbesuch wegen plötzlicher Brust
schmerzen bei ihr bat. Die Unter
suchung ergab den Verdacht auf einen Herzinfarkt, der sich dann in der Klinik bestätigte. Der Kollege schildert die häusliche Szene so, daß dabei die Ehe
frau ihre Beschwerden eher noch dis
simulierte und sogar noch aufstehen wollte, um zum Rettungswagen zu ge
hen.
ben, die der Kranke selbst nicht ha
ben darf. Immer wieder hört man von diesen Kranken: »Ich habe einen kranken Mann, ich kann mir keine Krankheit leisten.« Die Gruppe resü
miert: »Möglicherweise ist die Lei- stungsorientierung das hervorste
chendste Moment in diesen Partner
schaften. Eine Schwäche beim Sor
gegeber darf nicht zugegeben wer
den, krank ist nur der andere, der Partner.«
Diskussion
Die biopsychosoziale Perspektive (8) im Sinne der Familienmedizin be
deutet, daß die Krankheit des Patien
ten nicht nur in seiner Person be
gründet liegt, sondern auch in seine zwischenmenschlichen Beziehun
gen eingebettet ist. Die rasanten Ent
wicklungen der Medizin einerseits, die demographischen (Alterspyrami
de, 7) und soziologischen (Schei
dungsrate, 3) Strukturveränderun
gen andererseits führen zu einer Zu
nahme familiären Stresses, der zu
nehmend von professionellen In
stanzen aufgefangen werden muß.
Hierbei sind die Zugangsschwellen zum Allgemeinarzt in quantitativer und qualitativer Hinsicht niedriger als zu Beratungsstellen und anderen professionellen Angeboten.
Häufig ist primärärztliche famili
enmedizinische Tätigkeit gleicher
maßen unumgänglich wie subtil; sie ist weder an die Anwesenheit aller Beteiligten in der Praxis noch an die Behandlung aller Familienmitglie
der durch einen Arzt gebunden (16).
Familiäre Belastungen bestimmen das Behandlungsergebnis stärker als andere Streßformen und als Patien
tenressourcen (16). Allgemeinärzte sind damit erheblich mit familien
medizinischen Problemen konfron
tiert (4).
Wir haben daher in den letzten zwei Jahren eine interdisziplinäre
»Lern«-veranstaltung erprobt, nach
dem wir mit einer klassischen Vor
lesung in Familienmedizin unzufrie
den waren. Hierfür kamen verschie
dene Konzepte in Betrachtung:
POL-Tutorial (18), Balintgruppe (2) und QualitätsZirkel (1).
Das Prinzip des »Siebensprungs«
beruht darauf daß die Studierenden unter Anleitung eines Tutors eine Fallgeschichte in der Gruppe bear
beiten (18). Die Darstellung familien
medizinischer Schlüsselprobleme ist so zwar möglich, es fehlt jedoch bei dem schriftlich präsentierten Patien
tenbeispiel (»Papercase«) die Authen- zität der Arzt-Patient-Familien-Inter- aktion. Die Domäne der Balint-Grup- penarbeit besteht in der Supervision schwieriger Arzt-Patienten-Bezie- hungen. Ein Qualitätszirkel ist die Gruppenarbeit unter praktizieren
den Ärzten, die über den individua
listischen Ansatz der Balint-Gruppe hinausgeht, z.B. durch Benutzung ei
ner systematischen Dokumentation oder Entwerfen von Handlungsleit
linien (1). Vereinzelt wurde über die Beteiligung von Studenten an Quali
tätszirkeln berichtet (12). Die Fami
lienmedizinische Fallkonferenz vereint die verschiedenen Elemente dieser Lemformen unter dem Dach einer strukturierten Analyse des The
rapeutischen Systems P-A-F. Durch die Fallkonferenz kann ein für Haus
ärzte spürbares Manko der Balint- gruppen (12) überwunden werden:
die Konzentration auf die Arzt-Pati- ent-Beziehung zuungunsten sozialer Beziehungsaspekte. Zielsetzung und Inhalt konzentrieren sich auf die Ver
mittlung familienmedi- zinischer Kompetenz,
die auf verschiedenen . ,
nische Kompe
tenz soll vermit
telt werden Familienmedizi-Ebenen angestrebt wer
den kann (Kasten 6). Hier geht es nicht nur darum, psychosoziale Probleme
zu erkennen und zu diskutieren (Ebene 2). Auch die systematische In
tervention gehört zum essentiellen Werkzeug im Rahmen des allgemein
medizinischen Behandlungsauftrags und wird daher im Konzept der Konferenz eigens berücksichtigt (Ebene 3).
Organisatorisch bedeutsam ist die gemeinsame Teilnahme von Studie
renden und mindestens zwei prakti
zierenden Ärzten (Allgemeinmedi
zin/Familientherapie). Es handelt sich um einen vielversprechenden
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Fortbildung
FAMILIENMEDIZIN
6 Familienmedizinischen Kom
petenzstufen für Hausärzte
1. Stufe: Akutmedizinische Behandlung mit Berücksichtigung biomedizinischer und versorgungsbezogener Aspekte der Familienmedizin
2. Stufe: Berücksichtigung des familien
medizinischen Kontextes im Rahmen der individuellen psychosozialen Be
dürfnisse und Behandlungsmaßnah
men des Patienten
3. Stufe: Geplanter und systematischer Einbezug der Familienmitglieder in die diagnostischen und therapeutischen Überlegungen mit dem Ziel, die Gesund
heit des Patienten oder der Angehörigen zu verbessern
4. Stufe: Systemische Therapie unter Anwendung familientherapeutischer Methoden (z.B. Familienkonferenzen) mit dem Ziel, Strukturveränderungen in den interpersonellen Beziehungen her
beizuführen).
Ansatz, die klassische Struktur eines POL-Tutoriums: ein Gruppenleiter, mehrere Studierende, aufzugeben.
Die Anwesenheit von mehreren Do
zenten eröffnet in der Diskussion verschiedene, im Fachgebiet inhae- rente Sichtweisen und verdichtet die Einblicke in allgemeinmedizinische Entscheidungsstrategien. Als wesent
liches Strukturelement kann die An
fertigung von erweiterten Geno- grammen angesehen werden, wobei der Verortung des Arztes eine zentra
le Rolle zukommt (6). Genogramme sind hierzulande unüblich, werden in den angloamerikanisch beeinfluß
ten Gesundheitssystemen jedoch zu
nehmend propagiert (10, 17). ln den USA (15) benutzen mindestens 24%
aller »family doctors« gelegentlich Genogramme. Es ist zum Teil Praxis, vom Hilfspersonal bei jedem Erst
besuch ein Genogramm anfertigen zu lassen und in die nach Familien geordnete Patientenkartei zu legen (10). Es ist in Zukunft wichtig, die Me
thode weiterzuentwickeln und der Familienmedizin mehr Aufmerk
samkeit zu schenken:
■ die Realisierung der Familienmedi
zin ist hierzulande durch eine feh
lende Primärversorgung aus einer Hand kompliziert. Zweifelsohne präsentieren sich daher dem All
gemeinarzt, dem Gynäkologen oder dem Kinderarzt spezifische Familienausschnitte. Es wäre für Studierende (und Dozenten) be
stimmt lehrreich, diese fachspezi
fischen Erfahrungen in einer inter
disziplinären Konferenz kennen- zulemen.
Gerade die zunehmende Flexibili
sierung der Arzt-Patient-Bezie- hung, die Segmentierung der Pri
märversorgung und die Auflösung klassischer Familienstrukturen bringt künftig mehr Probleme für die Patienten. Diese müssen von hausärztlicher Seite (Qualitätszir
kel mit familienmedizinischen Schwerpunkten) angegangen wer
den, wenn der Hausarzt auch Fa
milienarzt bleiben will.
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dicine revisited, again. J Fam Pract 1994; 39:
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Dr. Hagen Sandholzer Facharzt für Allgemeinmedizin Abteilung Allgemeinmedizin Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 42 37075 Cöttingen
Persönliche Daten Verheiratet, 2 Kinder Ausbildung
Studium der Medizin in Freiburg, Heidelberg und Mannheim
Beruflicher Werdegang
1982-1993 Weiterbildung in Chirurgie, Anästhesie, Epidemiologischer Psychiatrie, Allgemeinmedizin, In
nere Medizin und Psychiatrie Arbeitsschwerpunkte
Seit 1994 Koordinator des vom Bundesministers für Gesundheit geförderten Modellprojekts »Qualitäts
sicherung in der Psychosomatischen Grundversor
gung«
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