C. Die chromosomalen Marker D2S139, D8S1988, D11S1377 als Indikatoren
3. Allel-Assoziationsstudien
Allel-Assoziationsstudien stellen eine gute Möglichkeit zur Identifizierung von von Anfälligkeitsloci in einer Bevölkerung dar. Sie fanden bereits Einsatz bei der Identifizierung des HLA-DR Locus bei Diabetes mellitus Typ I (Undlien et al.
2001). Ihr Vorteil ist, dass sie durchgeführt werden können, ohne dass zuvor eine genaue Spezifizierung des vermuteten Vererbungsmodus gemacht werden muss (Lander und Schork 1994). Darüber hinaus werden im Gegensatz zu Kopplungs-Analysen keine großen Familien mit erkrankten und nicht erkrankten Mitgliedern benötigt.
Allel-Assoziationsanalysen können mit funktionell relevanten Polymorphismen durchgeführt werden oder mit solchen die nur Sequenzvarianten ohne bekannte funktionelle Relevanz darstellen. Sie sind am aussagekräftigsten, wenn sie mit funktionell relevanten Polymorphismen durchgeführt werden können, da somit die Wahrscheinlichkeit ein krankheitsassoziiertes Gen zu identifizieren, erhöht wird (Lander und Schork 1994; Daly 2003).
Unterschiedliche Gründe können in einer Bevölkerung zu einer Assoziation zwischen einer Krankheit und einem Polymorphismus führen: Der Polymorphismus selbst erhöht das Risiko für eine betroffene Person die Erkrankung zu entwickeln. Er verursacht demnach eine Anfälligkeit für die Erkrankung. Zu erwarten wäre, dass derselbe Polymorphismus in jeder untersuchten Population mit der Krankheit assoziiert ist. Der Polymorphismus wird mit einem anderen, noch nicht identifiziertem, genetischem Faktor gemeinsam vererbt, der den eigentlichen Risikofaktor darstellt. Dies bedeutet, dass der Polymorphismus in einem Kopplungsungleichgewicht mit einem Gen steht, das bei Menschen mit der Erkrankung mutiert ist. Das spezielle Allel, das mit der Krankheit assoziiert ist, kann in unterschiedlichen Populationen jeweils ein anderes sein (Strachan und Read 1996).
III Abschließende Diskussion 94
Eine Assoziation kann auch aufgrund einer Scheinassoziation entstehen. Ein Grund für eine Scheinassoziation ist ein Phänomen, dass auf Populationsstratifikation beruht. Dies ist möglich wenn falsche Kontrollen ausgewählt werden, d.h. wenn Patienten und Kontrollen aus unterschiedlichen Populationen stammen und sich in der Häufigkeit für das Krankheitsgen und das Markerallel unterscheiden. Lander und Schork nennen als Beispiel die Assoziation zwischen dem HLA1 Allel und der Fähigkeit mit Stäbchen zu essen, wie sie in der Region um San Francisco gefunden wurden. Die dort untersuchte Population unterschied sich hinsichtlich der Frequenz ihrer Allele, das HLA1 Allel kommt bei Chinesen, die in dieser Region leben, häufiger als bei Kaukasiern vor (Lander und Schork 1994).
In der vorliegenden Arbeit wurde mit Einsatz des Trio-Designs sowie des ETDT eine mögliche Populationsstratifikation weitgehend umgangen. Mit der Wahl dieses Studienkollektivs wurde sicher gestellt, dass Patienten und Kontrollen - die elterlichen nicht transmittierten Allele dienten als Kontrollen – einen einheitlichen genetischen Hintergrund aufweisen. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass sie gemeinsame Umweltfaktoren, wie Ernährung sowie Exposition gegenüber Infektionskrankheiten, besitzen.
Neben falschen Kontrollen werden häufig zu wenig Patienten in die Studien eingeschlossen. Um dies zu vermeiden und um auszuschließen, dass es unter der Analyse nicht zu falsch-negativen Ergebnissen kommt ist es wichtig, dass der Probenumfang für eine adäquate Aussagekraft groß genug ist, um unter der gegebenen Hypothese überhaupt einen Effekt feststellen zu können (Campbell und Rudan 2002). Insbesondere wenn keine statistische Assoziation gefunden werden konnte, stellt sich die Frage, ob der Probenumfang für eine adäquate statistische Stärke13 (beispielsweise von 80%) groß genug war.
13 Statistische Stärke = power. Die statistische Stärke ist eine Maß für die Güte eines statistischen Tests eine nicht-zutreffende Nullhypothese richtigerweise zu verwerfen (Fassl 1999).
III Abschließende Diskussion 95
Im Rahmen der vorliegenden Analysen wurden die oben genannten Empfehlungen weitgehend berücksichtigt und vor Analyse der Daten eine Powerkalkulation durchgeführt. Nachteilig ist, dass es durch die Struktur des ETDT, der nur heterozygote Eltern als Kontrollen in die Analyse einschließt, zu einer deutlichen Reduktion der Fallzahl kommen kann.
Eine weitere Möglichkeit die Aussagekraft von Allel-Assoziationsanalysen zu erhöhen, ist die Untersuchung in einem möglichst homogenen Patienten-kollektiv durchzuführen. Aus diesem Grund werden Allel-Assoziationsstudien häufig in genetisch isolierten Populationen durchgeführt (Glatt und Freimer 2002).
Zur Bildung eines möglichst homogenen Patientenkollektivs empfehlen Lander und Schork die Einschlusskriterien möglichst streng zu definieren: Basierend auf dem klinischen Phänotyp, dem Erkrankungsalter, dem Schweregrad der Erkrankung sowie der Familienanamnese können Subgruppen gebildet werden (Lander und Schork 1994). Dies war im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen jedoch nicht möglich, da die entsprechenden klinischen Informationen nicht zur Verfügung standen.
IV Schlussbetrachtung 96
IV S CHLUSSBETRACHTUNG
Ein rascher Erfolg bei der Identifizierung eines einzigen spezifisch genetischen Risikofaktors für GTS konnte nicht erzielt werden. Unterschiedliche Faktoren dürfen dafür verantwortlich sein: An erster Stelle steht dabei das die Diagnosestellung erschwerende breite phänotypische Spektrum des GTS, das Fehlen eines biologischen, diagnostisch verwertbaren Markers sowie seine Komorbidität mit anderen psychiatrischen Erkrankungen.
Kandidatengengestützte Allel-Assoziationsstudien sind ein sinnvoller Ansatz bei der Suche nach genetischen Suszeptibilitätsfaktoren bei GTS. Dieser Methode sind jedoch Grenzen gesetzt, insbesondere wenn Polymorphismen mit einem eher schwachem Effekt sowie fehlender funktioneller Relevanz untersucht werden. Ausschlaggebend ist dann vor allem die Größe des untersuchten Patientenkollektives.
Alternativ zur Analyse einzelner Polymorphismen hat sich die simultane Untersuchung einer Vielzahl von sog. Single Nucleotide Polymorphismen (SNPs) durchgesetzt. Untersucht wird, ob bestimmte SNPs häufiger bei erkrankten Personen im Vergleich zu Kontrollen vorkommen. Genom-weite SNP Scans stellen sich als sehr aufwendig dar, unter anderem ist nicht klar wie viele SNP für einen Scan benötigt werden (Daly 2003): Maraganore et al.
führten erst kürzlich eine hoch-auflösende genom-weite Assoziationsstudie zum Morbus Parkinson (PD) durch. Im Rahmen der ersten Untersuchung wurden 198.345 informative SNPs bei 443 Parkinsonpatienten und ihren nicht erkrankten Geschwisterpaaren genotypisiert. In einer zweiten Stufe wurden 1.793 PD-assoziierte SNPs (p < 0.01 in Stufe 1) und 300 genomische Kontroll-SNPs bei 332 Parkinsonpatienten und nicht verwandten Kontrollpaaren
IV Schlussbetrachtung 97
genotypisiert. Identifiziert werden konnten 11 SNPs, die in beiden Stufen mit PD assoziiert waren (p < 0.01) (Maragnore et al. 2005). Die multiplen statistischen Vergleiche dieser Studie könnten jedoch auch für das positiven Ergebnis verantwortlich sein. Darüber hinaus erreichte keines der Ergebnisse eine statistische Signifikanz wenn eine strikte Bonferroni Korrektur für die Anzahl der durchgeführten Tests vorgenommen wurde. Weiterhin könnte die Anzahl der untersuchten Marker zu groß gewesen sein um eine signifikante genetische Assoziation festzustellen (Maraganore et al. 2005; Maraganore et al. 2006).
Auch die Bildung und Analyse von Haplotypen bei der Untersuchung komplexer Erkrankung scheint vielversprechender zu sein als die Fokusierung auf einzelne DNA-Varianten in einem Kandidatengen. Gründe für die Favorisierung von Haplotypen sind folgende: Proteinprodukte von Kandidatengenen treten in Polypeptidketten auf, deren Faltungskinetik sowie weitere Eigenschaften von speziellen Aminosäurekombinationen bestimmt werden. Populationsgenetische Prinzipien zeigen, dass Unterschiede in Populationen von Natur aus in Haplotypen strukturiert sind. Darüber hinaus kann die statistische Stärke eines Assoziationstest mit dem Einsatz von Haplotypen erhöht werden (Clark 2004).
Angenommen wird, dass erst das Zusammenwirken mehrerer SNPs bzw. eines Haplotyps die Ausprägung einer Eigenschaft bestimmt bzw. zu einer Krankheitsdisposition führt. Untersucht wird, welche spezifische Kombination von Sequenzvarianten (Haplotyp) mit dem Krankheitsphänotyp assoziiert ist (Clark 2004).
Mit Blick auf diese neueren Ansätze in der Durchführung und Analyse genetischer Assoziationsstudien, wird deutlich, dass die Untersuchung eines einzelnen funktionell nicht relevanten Polymorphismus zu Fehlinterpretationen führen kann und sogar relevante Polymorphismen ausgeschlossen werden können.
Abschließend kann in Bezug auf die hier vorgelegten Untersuchungen gesagt werden, dass gemeinsame genetische Suszeptibilitätsfaktoren bei GTS und
IV Schlussbetrachtung 98
ADHD unwahrscheinlich werden, auch wenn die Analyse einzelner Polymorphismen eine nur geringe Aussagekraft besitzt.
Der HLA-DRB Locus scheint bei GTS eher keine Rolle zu spielen. Die Beobachtung hinsichtlich eines möglichen Autoimmunmechanismus in der Pathogenese von GTS lassen jedoch noch viele Fragen offen, insbesondere bleibt die Beziehung von PANDAS und GTS unklar.
Die Analyse der chromosomalen Marker D2S139, D8S1988 und D11S1377 ergab keine Assoziation zu GTS in der eher typisch deutschen, gemischten Population. Rückblickend wäre im Rahmen dieser Studie die Bildung von Haplotypen sinnvoller gewesen.
V Zusammenfassung 99
V Z USAMMENFASSUNG
Das Gilles de la Tourette Syndrom (GTS) ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch wiederholte, vokale und motorische Tics charakterisiert ist. Es konnte festgestellt werden, dass GTS relativ häufig vorkommt. Neben Bewegungsstörungen treten Komorbiditäten mit anderen neuropsychiatrischen Störungen, insbesondere einem hyperkinetischem Syndrome (ADHD) und Zwangsstörungen (OCD), auf.
Die Ursache von GTS ist bisher unbekannt. Eine Reihe von Untersuchungen deuten an, dass genetische sowie immunologische Faktoren an der Pathogenese dieser Erkrankung beteiligt zu sein scheinen.
Die molekulargenetische Forschung bei GTS umfasst zwei Ansätze: den Kandidatengenansatz und den Einsatz anonymer Marker, die über das gesamte Genom verteilt werden. Die vorliegende Arbeit konzentrierte sich auf den allel-assoziationsgestützten Kandidatengenansatz. In herkömmlichen Allel-Assoziationsstudien kann es durch Populationsstratifikation zu falsch positiven oder negativen Ergebnissen kommen. Aus diesem Grund wurden in der vorliegenden Arbeit alle Untersuchungen an GTS-Trios bestehend aus dem erkrankten Kind und den beiden nicht erkrankten Eltern durchgeführt. Zudem wurde zur Analyse der Daten der erweiterte Transmissions Disequilibrium Test (ETDT) eingesetzt.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden drei Untersuchungen vorgenommen: Klinische Beobachtungen von GTS und ADHD legen eine gemeinsame genetische Grundlage nahe. Deshalb wurden fünf Polymorphismen, die bei ADHD eine deutliche Assoziation zeigten, auch bei GTS auf ein Assoziation hin überprüft: das 480 bp Allel des
Dopamin-V Zusammenfassung 100
Transporter-Gens (SLC6A3), ein Taq-Polymorphismus der Dopamin-Beta-Hydroxylase (DBH), eine 120 bp-Tandem-Duplikation des Dopamin-D4-Rezeptor-Gens (DRD4), das 148 bp Allel eines Dinukleotid-Repeat-Polymorphismus des Dopamin-D5-Rezeptor-Gens (DRD5), sowie das 157 bp Allel eines Dinukleotid-Repeat-Polymorphismus am DXS7 Locus. Darüber hinaus wurden zwei weitere Polymorphismen am Monoaminoxidase-A-Gen (MAO-A) untersucht: ein Fnu4H1-Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismus und ein 30bp-Repeat-Polymorphismus. Der ETDT konnte keine Assoziation für einen der untersuchten Polymorphismen feststellen. Gemeinsame genetische Suszeptibilitätsfaktoren für GTS und ADHD sind daher vermutlich eher unwahrscheinlich.
Um die Beteiligung immunologischer Faktoren in der Pathogenese von GTS zu untersuchen, wurde eine moderne PCR-basierte HLA-DRB-Typisierung in GTS-Trios durchgeführt. Die Frage war, ob GTS mit einem bestimmten HLA-DRB-Allel assoziiert ist. In der vorliegenden Population konnten 13 HLA-DRB-HLA-DRB-Allele detektiert werden. Der ETDT konnte keine Assoziation für eines der Allele feststellen. Das Ergebnis macht somit eine Beteiligung des HLA-DRB Locus an der Pathogenese von GTS unwahrscheinlich.
In einer Afrikaner Population konnte eine Assoziation zwischen den chromosomalen Markern D2S139, D8S1988 und D11S1377 und GTS festgestellt werden. Bisher war unklar, ob diese Ergebnisse auch auf andere Populationen zutreffen. Aus diesem Grund wurden GTS-Trios auf eine Assoziation mit diesen Markern untersucht. Der ETDT konnte keine Assoziation zu einem der drei Loci identifizieren. Die Untersuchung deutet an, dass die chromosomalen Regionen keine Bedeutung in der Pathogenese von GTS in der hier untersuchten Population zu haben scheinen. Die negativen Ergebnisse schließen jedoch genetische Effekte dieser Regionen nicht völlig aus. Es ist möglich, das ein eher schwacher genetischer Effekt dieser Loci aufgrund des begrenzten Probandenumfangs nicht festgestellt werden konnte.
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