• Keine Ergebnisse gefunden

Alezeander Gggers

Im Dokument MW WWW R. UM». . (Seite 145-165)

I?r. 5. ö. Mai-Zunikett. I9IS.

Nachdruck verboten.

vorettcken.

Eine kurländische Erzählung aus alter Zeit von Elsa Bernervitz (Riga).

(Schluß.)

S i e b e n t e s K a p i t e l .

Seit jenem Tage lief Dorettchen noch stiller, noch blasser durchs Haus, und wenn sie allein war, rang sie heimlich die Hände.

Wie konnte sie Paul Wiedemann heiraten, da sie doch einen anderen so sehr liebte und dieser Weg so tief hinein in Sünde und Schande und Ver­

zweiflung führte! Darum faßte Dorettchen einen Entschluß, der furchtbar war, denn sie, das kleine, schüchterne Dorettchen, hatte vor, das zu tun, was niemand im Hause und niemand auf dem Hofe, ja keiner der Herren in der Umgegend zu tun'wagte! Sie wollte ihrem Vater den Gehorsam weigern, vor ihn hintreten und sprechen: ich kann Paul Wiedemann nicht heiraten!

Sie rang tagelang mit ihrer Angst, wie mit dem Tode, und als sie nun mit sinkenden Knieen, im Kopf einen Wirbel angstvoll durcheinander hetzen­

der Gedanken, vor Pastor Jlefelds Schreibzimmertür stand, die streng ge­

schlossen war, denn es war Sonnabend, und er wollte nicht gestört sein, selbst in der anstoßenden blauen Stube durste sich niemand aufhalten, da zwang die Verzweiflung ihr ein lästerliches Gebet ab: Gott möge sie sterben lassen, jetzt, in diesem Augenblick, damit sie ihr Leben voller Not und Qualen nicht zu Ende zu leben brauchte.

Vielleicht wäre sie.nie in das Studierzimmer gelangt, und die Bitte, die über ihr Leben entschied, wäre nie gesprochen worden, hätte sich nicht in dem Augenblick drinnen ein Geräusch hören lassen, als stehe jemand auf, und in der Angst, der Bater könne schnell heraustreten und sie an seiner Tür finden, wie jemand, der heimliche Wege des schlechten Gewissens schleicht, drückte sie die Klinke auf und stand vor dem Vater.

— Was willst du? herrschte er sie an. Es ist Sonnabend, ich will nicht gestört sein. Geh sofort hinaus!

Ii

— 146

-Aber Dorettchen rührte sich nicht vom Fleck. Ihr war klar, daß sie jetzt dableiben mußte, weil ein zweites Mal einen solchen Augenblick zu durch­

leben, es ihr an Kraft und entschlossenem Mut fehlen würde.

— Geh, sagte Pastor Ilefeld noch einmal und schrieb netter an seiner Predigt, als wäre niemand im Zimmer.

Als er den Kopf nach einer Weile hob, stand seine Tochter noch immer da, und wie er sie nun näher ansah, da las er auf ihrem Gesicht eine Bot­

schaft geschrieben, die sich an ihn richtete.

— Was willst du? fragte er kurz.

— Vater, stammelte Dorettchen, Vater! und brachte kein weiteres Wort über die Lippen.

Da dämmerte in Pastor Ilefeld eine Ahnung der Wahrheit auf, er wußte, worum sein Kind ihn bitten wollte, und seine Augenbrauen fuhren zornig in die Höhe. —

— Ich frage dich zum zweiten Male: was willst du ? Sprich! Oder ver­

laß augenblicklich mein Zimmer!

— Ich kann Paul Wiedemann nicht heiraten, sagte Dorettchen.

— Du kannst Paul Wiedemann nicht heiraten? Ja, wer hat dir denn das eingeredet? Das ist ja eine schöne, eine erfreuliche Neuigkeit!

— Ich kann Paul Wiedemann nicht heiraten, wiederholte Dorettchen.

— Kind, sprich keinen Unsinn, sagte Pastor Ilefeld ruhig. Du bist krank. Komm, laß mich deinen Puls fühlen ... du hast kaltes Fieber! Geh, schlaf dich aus, wir sprechen morgen weiter. . .

Dorettchen ging nicht nach der Tür, sie trat näher an den Schreibtisch und griff mit den Armen rückwärts, wie um eine Stütze zu gewinnen für ihre sinkenden Glieder.

-- Ich will ihn nicht heiraten, sprach sie wie von Sinnen.

— Du — wirst — ihn — nicht — heiraten? stieß Pastor Ilefeld, jedes einzelne Wort schwer betonend, heraus. Du wirst ihn nicht heiraten? Ja, wer ist hier eigentlich der Verrückte von uns beiden? Bin ich es oder bist du es? Ich verstehe nicht, ich begreife nicht .... er griff sich wie verwirrt an den Kopf. Warum willst du ihn nicht heiraten? Antworte! schrie er, als Dorettchen nicht gleich sprach.

— Ich liebe ihn nicht. . .

— Du liebst ihn nicht! Wie willst du auch mit deinen dummen neun­

zehn Iahren schon wissen, was Liebe ist! Wer verlangt denn auch von dir, daß du Paul Wiedemann lieben sollst? Du Grünschnabel, schrie er plötzlich auf in rasendem Zorn, willst du mehr vom Leben wissen, als ich alter er­

fahrener Mann? Glaubst du, das Leben ist so, wie es in deinen Romanen beschrieben ist? Brennende Leidenschaft. . . . Ewige Liebe. . . Cr fuhr mit der Hand durch die Lust, als scheuche er lauter verächtliche Gespenster von sich. Ich sage dir, ich, der das Leben kennt, es verlangt mehr von uns, als schöne Gefühle. Frage doch die verliebten Brautpaare nach zehnjähriger Ehe, was sie von dem ganzen verliebten Getue dann noch halten? Heirate erst, und einen prächtigen Menschen, wie Paul Wiedemann, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, und du wirst erfahren, was Liebe ist! Liebe kommt in der Ehe: zusammen tragen, zusammen leiden, sich zusammen freuen — kurz miteinander leben, — das ist Liebe, vor der ich mich beuge, aber alles ver­

liebte Getue und Getändel, die verliebten Brautgefühle sind nicht mehr wert, als ein Strohfeuer, das keine Wärme gibt!

— 147 —

Dorettchen stand regungslos. Des Baters Worte brausten über sie hin, wie ein wildes furchtbares Wasser. Sie hörte sie kaum und verstand sie nicht.

— Oder hast du eine andere Liebe? Sag es mir bitte, ich will dir nicht im Wege sein! Und wer sollte es denn auck sein? Einer von Fritz Jlefelds Söhnen? Hans? Peter? oder Joachim? Willst du warten, bis die ausstudiert haben? Oder vielleicht, b i s der junge Sumahlsche u m dich w i r b t . . . d a kannst du freilich lange warten. Kind — sagte er und sein Ton wurde ganz sanft, fast freundlich, — ich habe dich doch beobachtet, ich weiß, daß du dir aus keinem Manne in der Gegend etwas machst, auch wenn du vielleicht anders darüber denkst! Das sind kindische Torheiten, die zerreißen vor dem wirklichen Leben wie die Spinnweben, wenn der Wind hinein bläst. Geh jetzt, und wir wollen nicht mehr davon sprechen!

Da sank Dorettchen in die Knie und rang die Hände empor in flehen­

der Angst.

Pastor Ilefeld erhob sich aus seinem Sessel. Er reckte sich zu seiner ganzen Länge und trat in furchtbarer Majestät vor sein Kind, das vor ihm am Boden lag.

— Du willst mir trotzen? sprach er und seine Stimme kündete Swrm und Gewitter. Weißt du, was du damit tun willst? Wenn ein Knecht mir nicht gehorcht, so lasse ich ihn peitschen, und wenn einer meiner Patrone nicht meiner Meinung ist, dann lasse ich ihn fühlen, wer von uns den festesten Willen hat! Ich hatte sie alle gegen mich, als es sich darum handelte, die Kirche neu zu bauen. Sie wollten einen anderen Platz, ich allein stimmte für die alte Stelle. Sieh hinaus, schrie er auf und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gegenstände auf ihm klirrend aufsprangen. Wo steht meine Kirche? Und du, du Kind willst mir Trotz bieten!

Dorettchen wand sich am Boden.

— Hast du das vierte Gebot vergessen, oder meinst du, einem neu- * modischen Frauenzimmer we nicht mehr not, darnach zu handeln? Wer ist hier Herr im Hause, ich oder du? Ich meine wohl ich, und so lange ich am Leben bin, bestimme ich den Geist in meinem Hause, und der heißt Gottes­

furcht und Ehrfurcht vor den Eltern. Sofort sagst du mir das vierte Gebot!

Dorettchen am Boden flüsterte:

— Du sollst Vater und Mutter ehren . . .

— Ehren! schrie ihr Pastor Ilefeld dazwischen . . .

— . . . a u f d a ß e s d i r w o h l g e h e u n d d u l a n g e l e b e s t a u f E r d e n .

— Und wie ehrst du deine Eltern? Wie dankst du es ihnen, wenn sie für dein Wohlergehen auf Erden sorgen, für dich denken und in die Zukunft sehen? Du willst selbst für dich sorgen! Kennst du das Leben etwa besser, als deine Eltern? Du denkst dir wohl, die Freier wachsen in Kurland aus dem Boden, wie die Pilze bei Regen? Jede Woche kommt ein anderer in der Staatskalesche vorgefahren und du kannst nur so wählen. . . . Heutzutage kann man froh sein, wenn man eine Tochter unter der Haube hat! Oder erscheint dir das Los deiner Tanten nachahmungswect? Dasitzen bis in alle Ewigkeit und auf den Rechten warten, bis man alt und grau und mürrisch wird, sich selber und anderen eine Last! So . . . jetzt wird kein Wort mehr über die Sache gesprochen.... Er reckte den Arm nach der Tür... Hinaus!

Dorettchen erhob sich, der Wagen des Schicksals war über sie hin­

gegangen, er hatte sie zermalmt. Langsam, ohne den Vater anzusehen, ging sie nach der Tür.

11*

— 148 —

Sie suchte die Mutter. Sie fühlte, daß diese Stunde zu schwer, zu dunkel war, um allein durch sie zu gehen.

Es war eine ängstliche Stille in den Räumen, als hätte das Unwetter, das in der Studierstube getobt, seine Wogen bis in den letzten Winkel des Hauses geschlagen. Nichts rührte oder regte sich, die Schwestern waren verschwunden, die Mutter nicht da.

Dorettchen raffte ihre letzte Kraft zusammen und ging durch die Küche, wo die Leute beim Vesperbrot saßen.

Sie fand die Mutter in der Speisekammer. Dort stand sie am Fenster und weinte.

Es wurde kein Wort zwischen ihnen gewechselt, sie schlössen einander auch nicht in die Arme, ruhig blieb die Pastorin am Fenster stehen, sie fuhr sich nur häufiger mit dem nassen Tuch über die Augen, seit sie in die toten Augen ihres Kindes gesehen, und Dorettchen setzte sich still aus die Mehlkiste im Winkel und schluchzte dort hoffnungslos in sich hinein.

Sie sprachen nicht mit einander, sie klagten niemand an, sie lehnten sich nicht heimlich auf, aber es war doch der tiefe Trost wortlosen Verständnisses in diesen stumm gemeinten Tränen, das trostreiche Ineinanderfließen von zwieerlei Geschick, das Sichbeugen und Gehorchen hieß und seine Last tragen, stumm und ergeben, bis an die Grenze der Kraft.

Es war Dorettchen gut, daß in diesem Augenblick jemand da war, der ihr half, sonst hätte sie sich vielleicht einsam gefühlt, weil draußen das Leben gleichmütig seinen gewohnten Gang ging, das Vieh von der Weide kam und brüllend zur Pumpe stampfte, der Schwengel kreischend hin und her flog und Sappe vor der Küchentür ihr eintönig zärtliches „zipp, zipp zahling"*) rief, den Hühnern das Abendfutter streuend.

Dann kam ein wunderlicher Abend, so wie er droben in dem stillen ' Mädchenzimmer des Birseneeker Pastorats noch nicht erlebt worden war.

Dunkle Angst hockte in den Winkeln und sah schwarz heraus, und die unbestimmte Schwere eines abziehenden Ereignisses, das fortgehend seinen Schatten noch lange hinter sich herzieht, drückte die Gemüter.

Eonstanzchen und Luischen wußten nicht, was vorgefallen war, aber sie fühlten, daß es schwer und schrecklich gewesen sein mußte: des Vaters Gesicht zum Abendbrot war furchtbar gewesen und das lastende Schweigen während der Mahlzeit ängstlicher, als jedes laute Schelten.

Und nun lag Dorettchen in ihrem Bett und weinte und schluchzte, daß es jämmerlich durch das Zimmer klang. Mit einem Gefühl, das aus Angst und Ehrfurcht seltsam gemischt war, sahen die Schwestern zu Dorettchen hin, aber sie machten einen scheuen Bogen um ihr Bett, denn als Eonstanzchen versucht hatte, ihr gutmütig tröstend über das Haar zu streichen, da war das sanfte Dorettchen heftig aus ihren Kissen gefahren, und, die Hände der Schwester mit einer wilden Geberde des Abscheus von sich stoßend, hatte sie angefangen eintönig jammernd immer wieder dasselbe zu rufen:

— Laßt mich in Frieden, laßt mich nur in Frieden!

Nun duckten sich die beiden in ihren Betten, fürchteten sich vor der Dunkel­

heit, vor der eintönig' klagenden Regenmelodie am Fenster und vor Dorett-chens großem Jammer.

Als es Nacht wurde, kam die Mutter und saß still, die Hände im

*) lettisch.

— 149 —

Schoß gefalten, in ihrer weißen Nachtjacke und dem runden Häubchen auf den dünnen Haaren an Dorettchens Bett, bis Eonstanzchen und Luischen, durch ihre stille Gegenwart beruhigt, in Schlaf sanken, um Angst und Kummer zu verschlafen und fröhlich aufzustehen, weil am anderen Morgen die Sonne doch wieder schien, bis auch ihr verweintes Kind, das arme traurige Dorett­

chen, stiller wurde und in Schlaf sank.

A c h t e s K a p i t e l .

Es war Dorettchen klar, nachdem des Vaters Zorn sie aus dem däm­

mernden Traumzustand gerissen und ihr die Augen für die Unabänderlichkeit ihres Schicksals geöffnet hatte, daß sie Ulrich Märzendorff noch einmal sehen mußte, um von ihm traurigen Abschied für immer zu nehmen.

Sie dachte dabei nicht an Paul Wiedemann.

Wenn sie sich auch immer wieder klar zu machen suchte, daß sie in gar nicht langer Zeit seine Frau sein würde, ihr Gefühl wußte nichts von ihm.

Sie hörte nicht zu, wenn er ihr seine langen Geschichten erzählte, seine Küsse und ungeschickten Liebkosungen merkte sie kaum, ihre Seele kannte nur den einen: Ulrich Märzendorff, den fremden Mann, der, aus der Ferne gekommen und ihr friedliches Dasein heimlich und rätselhaft kreuzend, dessen stärkster Eindruck und ganze Sehnsucht geworden war.

Darum fragte sie niemand um Erlaubnis, sondern ging eines Tages am späten Nachmittag still davon. Ihn noch einmal sehen und die fremdbekannten Worte hören, die er zu ihr sprach, das allein, so meinte sie, würde sie stiller und ergebener in die künstige Leere ihres Geschicks gehn lassen.

Sie dachte auch nicht daran, einen Umweg zu machen, wie eine, die auf verbotenen Wegen ist, — geradeswegs ging sie durch die Sonne auf Birseneeken zu, lief mehr, als daß sie ging, bis sie atemlos vor dem Gitter ankam: dort blieb sie betroffen stehen, die immer verschlossene Pforte war offen und auf der Steintreppe zwischen den Rosen saß Ulrich Märzendorff, den Kopf in die Hände gestützt, verloren und verlassen da.

Nun erschrak Dorettchen doch, das Herz begann ihr zu hämmern, die Hände fielen ihr herab und sie rührte sich nicht vom Fleck.

Aber das Gitter bewegte sich und knarrte, Ulrich Märzendorff wandte den Kopf und sah sein Dorettchen, ganz blaß und schmal geworden, mit einer jämmerlichen Miene in ihrem Kindergesicht, vor sich stehen. Da wich der Aus­

druck müder Verzweiflung von seinen Zügen, er lächelte und streckte ihr die Hand entgegen. Und Dorettchen machte ein paar Schritte nach vorne, faßte seine Hände und selbstvergessen sank sie auf ihn.

Und er vergaß, daß es eines anderen Mannes Braut war, die er in seine Arme schloß, dachte einzig und allein daran, daß er seines armen ver­

lorenen Lebens letzten Glücksschimmer noch einmal mit den Händen faßte.

— Es war ein schöner Traum von mir, daß ich dich einmal heiraten würde, sprach Ulrich Märzendorff. Aber es war Frevel, davon auch nur zu träumen! Wenn ich mit einer Bitte vor deinen Vater getreten wäre, weißt du, was mein Los gewesen wäre? Mit seinen Hunden hätte er mich vom Hof gehetzt, mit seinen Hunden! schrie er aus, als erlebte er in Wahrheit diese Pein.

Dorettchen weinte. Sie wollte ihn trösten, die Wunden verbinden, die das Leben hier geschlagen hatte, aber in der Einfalt ihres kindlichen Herzens wollte ihr nichts anderes einfallen, als daß sie leise und beschämt zu ihm sagte:

— Ich hätte dir keine gute Frau sein können, ich bin so dumm!

— 150 —

Und Ulrich Märzendorff, berauscht von der unschuldigen Süße dieses reinen Kindes, beugte sich zur Erde und küßte den Saum ihres Kleides:

— O Kind, Kind, sprach er zu ihr. Meinst du wir suchten im Weibe etwas, das uns gleich sei, und uns darum in unserer Qual versteht? Meinst du, wir sehnten uns nach uns selbst? O nein, o nein, du bist wie die Natur, die holdselige, die, ihr eigenes Rätsel nicht kennend, doch die Lösung in Händen hält, die ewig fremd, ewig fern doch das liebste, das nächste, das köstlichste ist, das ewige Erlebnis!

Er Wischte ihr die Tränen von den Wangen. Weine nicht, Geliebte, das Leben scheidet uns, und es ist gut so. Du gehst von mir, dem Unglücklichen, zu den Glücklichen, den Lebensstarken, von denen du dich zu mir verirrt hast.

Aber es wird mir schwer, dich ihnen wiederzugeben, denn ich hasse sie! In plötzlich aufflammendem Zorn stand er auf. Ich klage sie an, rief er, ich klage sie an! Sie sind auf mir herumgetreten, wie man auf Holz und harte Steine tritt, und wo sie nicht treten konnten, da sahen sie über mich hinweg in ihrem grenzenlosen Hochmut! Was gab ihnen ein Recht dazu, mich zu verachten und unter ihre Füße zu treten? Glaubst du, daß gerade die, die in ihrem lebens­

fernen Winkel froh an gedeckten Tischen sitzen, fern von Kampf und Lebensnot und jeder Leidenschaft, meine Richter sind? Was könnten sie, die von der Kindheit in die Mannesjahre, vom Alter in den Tod hinüberdämmern, von den Leiden eines Künstlers wissen! Sie wollen ja vom Leben nichts als den Alltag mit seiner Arbeit und seinem Frieden! Wer kennt hier die Not? Wer kann hier verstehen, wie dem zu Mute ist, der morgens aufwacht und nicht weiß, wovon er den Tag über leben soll, oder wie einem das Mittagbrot schmeckt, wenn man Woche um Woche nichts anderes hat, als Linsen um vierzehn Pfennige! Dorettchen! Dorettchen! so war mein Leben: ein Irren und Straucheln, ein wirres Stürzen von Traum zu Traum! Und der Ertrag:

Sehnsucht! Sehnsucht! und ein paar Lieder, die dieser Sehnsucht Ausdruck geben. . . Es war zu wenig, Dorettchen, zu wenig ! Und Ulrich Märzendorff brach stöhnend zusammen, deckte das Gesicht mit den Händen und lag so auf den kalten Stufen zu Dorettchens Füßen.

Sie saß still und feierlich, fühlte den eigenen Schmerz zusammen klingen mit der geheimnisvollen Tragik dieses verirrten Lebens und dadurch größer und stiller werden.

Es dauerte lange, ehe Ulrich Märzendorff weiter sprach:

— Man soll verstehen, ehe man verurteilt! Bald wird es jedermann wissen, und sie werden es auch dir erzählen: Ulrich Märzendorff hat im Kruge gesessen und mit den Bauern getrunken! Man hat ihn im Rausch den Birse-neeker Berg heraufschwanken sehen... Sie lügen nicht, sie erzählen dir die Wahrheit, ich habe getrunken da unten in dem schmutzigen Kruge. Wer kann von der Verachtung allein leben? Die Bauern rücken doch zur Seite, wenn ich komme, es ehrt sie, daß des Pastors Sohn mit ihnen trinkt! So grenzen­

los verdirbt das Leben einen, daß man zuletzt zufrieden ist mit der Anerkennung v o n Menschen^ die m a n v e r a c h t e t . . .

Eine kurze halbe Stunde waren Dorettchen und Ulrich Märzendorff zu­

sammen, aber sie sprachen nun nicht mehr.

Wie die Sonne nach einem dunklen Tage noch einmal, ehe sie hinter den Wald sinkt, aus den Wolken tritt und ihren letzten Scheideblick leuchtend über die Erde wirft, so fühlten die beiden, daß diese traurig schöne Abschieds­

stunde das letzte Lächeln ihres scheidenden Glücks war, ehe sie weiter mußten,

stunde das letzte Lächeln ihres scheidenden Glücks war, ehe sie weiter mußten,

Im Dokument MW WWW R. UM». . (Seite 145-165)