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4.2 E RGEBNISSE DER FUNKTIONELLEN D ATEN

4.2.2 Effekte von Oxytocin auf die neuronalen Korrelate väterlicher Bindungsemotion

4.2.2.1 Aktivierung durch Oxytocin

Zunächst fällt auf, dass durch den Einfluss von Oxytocin keine der bereits für die ein-zelnen Bekanntheitsgrade aktivierten Regionen in Erscheinung treten. Das widerspricht der Hypothese, Oxytocin steigere die neuronale Aktivität in den durch die Kinderge-sichter aktivierten Areale. Insbesondere ist keine zusätzliche Aktivität in Bereichen der visuellen Wahrnehmung zu verzeichnen, wie es durch behaviorale Studien, die eine Steigerung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit zeigen konnten (Domes, Heinrichs et al. 2007; Guastella, Mitchell et al. 2008), zu vermuten gewesen wäre. Eher liegt auf-grund der Ergebnisse vorliegender Arbeit der Verdacht nahe, dass die wiederholt in Studien gezeigte verhaltensmodulatorische Eigenschaft von Oxytocin zerebral nicht durch eine Ausweitung der funktionellen Areale, sondern durch die Verarbeitung in anderen neuronalen Systemen erreicht wird. Zunächst sollen aber die Einzelheiten der vorgestellten Ergebnisse diskutiert werden.

Jeder aktivierte Cluster, der bei der Betrachtung aller Kinderbilder unter Oxytocin-einfluss in Erscheinung tritt, befindet sich im Gyrus cinguli. Diese Gehirnregion liegt oberhalb des Corpus callosum und zieht sich beidseits medial entlang der sagittalen Achse von frontal nach occipital. Der cinguläre Kortex (mit seinen zellarchitektonisch unterschiedlichen Subregionen) muss eher als Teil eines komplexen zerebralen Netz-werks gesehen werden, in den eingehende Informationen gespeist werden und moduliert zur Weiterverarbeitung in andere spezifische Hirnregionen fortgeleitet werden (Bush, Luu et al. 2000). Es gibt einige Hinweise, dass Subregionen innerhalb des Gyrus cinguli der höheren kognitiven Verarbeitung emotionaler Stimuli dienen. In folgenden Ab-schnitten soll näher darauf eingegangen werden. Ausgeprägt scheint jedoch auch die Beteiligung an der neuronalen Verarbeitung von Schmerz, Schmerzunterdrückung und der Ausbildung chronischer Schmerzsyndrome (Hsieh, Stone-Elander et al. 1999; Vogt, Berger et al. 2003). Eingangs wurde bereits über mögliche antinozizeptive Wirkung

zentraler Oxytocinapplikation hingewiesen, die im Tierversuch gezeigt werden konnte (s. Kapitel 1.3.3.1). Ein Zusammenhang zwischen zentraler Oxytocinwirkung und Schmerzwahrnehmung liegt daher nahe. Im Setting dieser Studie mit Kinderbildern als Reizstimuli ist allerdings nicht zu erwarten gewesen, dass sich Hinweise auf diesen Zusammenhang ergeben. Daher rücken die übrigen vielfältigen Funktionen dieser Gehirnstruktur ins Zentrum des Interesses.

Zum besseren Verständnis der Komplexität des Gyrus cinguli mit seinen anatomischen und funktionellen Subdivisionen dient unter anderem eine ausführliche Arbeit von Yu et al. Besonders die Rolle als Verschaltungs- und Verbindungsstation für verschiedene neuronale Netzwerke sollte durch die Arbeit genauer spezifiziert werden. Dafür wurden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie und Konnektivitätsanalysen im Resting State10 den Aufgaben der cingulären Subdivisonen nachgegangen. Das bedeu-tet, dass jeweils von einer bestimmten zerebralen Zielregion aus (Region of Interest, ROI) nach Korrelationen bezüglich des Aktivierungs- und Deaktivierungsmusters im übrigen Gehirn gesucht wird. Die Ergebnisse dieser Konnektivitätsanalysen sollen in den folgenden Abschnitten jeweils berücksichtigt werden.

Augenscheinlich auffällig ist bei den vorliegenden Ergebnissen zur Oxytocinwirkung zunächst der große hemisphärenübergreifende Cluster im Gyrus cinguli medialis (BA 24). Bei der nativen mütterlichen Bildbetrachtung ist diese Region durchaus bekannt und vorbeschrieben (Bartels und Zeki 2004; Strathearn, Li et al. 2008). Allerdings könnten kleine methodische Unterschiede zu der Durchführung bei vorliegender Studie das Auftreten unter Nativbedingungen erklären. Die Arbeitsgruppe um Bartels und Zeki wählte ein Blockdesign zum Nachweis der Emotionen. Das bedeutet in dem Fall, dass die Probandinnen jeweils 15 Sekunden auf die gebotenen Stimuli schauten. Für den Fall, dass das Cingulum Ort der Bildwahrnehmung nachgeschalteten emotionalen Verarbeitung des Stimulus ist, verwundern signifikante Erregungen in dieser Region bei einem Block-Design nicht. Durch ein Event-related-Design der Arbeitsgruppe um

10 Untersuchung des Gehirns in Ruhe.

Strathearn und Li, in der die Stimuli unter nativen Bedingungen für etwa zwei Sekun-den präsentiert wurSekun-den, kam es durch Betrachtung des eigenen Säuglings neben Akti-vierungen im Gyrus cinguli medialis auch zu Erregungen im posterioren und anterioren Cingulum, wie es auch in vorliegender Studie durch den Einfluss von Oxytocin zu verzeichnen war. Dies könnte am ehesten darauf zurückzuführen sein, dass die Proban-dinnen junge Mütter waren, die eine Fotografie ihres erstgeborenen Säuglings im Alter von etwa sieben Monaten während der MRT-Untersuchung sahen. Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen stillte ihren Säugling noch, wodurch von zusätzlich erhöhten Oxyto-cinkonzentration ausgegangen werden kann. Diese methodischen Unterschiede sind besonders im Hinblick auf die noch weitgehend unbekannte zerebrale Wirkung endoge-nen Oxytocins interessant. Im Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse liegt die Vermu-tung nahe, dass sie bei Müttern von Säuglingen eine größere Rolle spielt als bei Vätern von Kindern im Kindergartenalter.

In der Konnektivitätsanalyse von Yu et al. zeigte sich für den medialen Gyrus cinguli eine negative Korrelation mit bestimmten dorsolateralen Regionen, die in der vorlie-genden Studie keine nachweisbare Rolle spielen. Die positive Korrelation des medialen Cingulums mit dem sensomotorischen Netzwerk wird von den Autoren als Region für die Verarbeitung und Weiterleitung von Schmerz- und Bewegungsreizen interpretiert (Yu, Zhou et al. 2011). Letztlich ist diese Erklärung für die neuronale Aktivität im Setting vorliegender Studie jedoch insuffizient, da die Stimuli (ausgesucht fröhlich schauende Kinder) in keiner Weise Schmerzreize darstellen. Lediglich die Aufforde-rung, jegliche Bewegungen während der laufenden Untersuchung zur Vermeidung von Artefakten zu unterdrücken, beinhaltet Anforderungen an das Kontrollsystem für Be-wegung und somatosensorische Reize. Bei den Probanden einer anderen Studie zeigte sich bei der Verarbeitung negativer visueller Reize erhöhte Aktivität im medialen Gyrus cinguli. Die Autoren schlossen aus ihren Ergebnissen, dass die Erregung aus der Bewe-gungsunterdrückung bei der Wahrnehmung der negativen Reize resultierte (Pereira, de Oliveira et al. 2010). Insgesamt sollte der mediale Anteil des Cingulums zunächst als Region betrachtet werden, die von Oxytocin moduliert wird und bei der Wahrnehmung von allen Kindergesichtern ohne Unterschiede durch den Bekanntheitsgrad (s. Kapitel 3.2.4) zum Kind erhöht aktiviert ist.

Der anteriore Anteil des Gyrus cinguli wurde auch bei anderen Untersuchungen, in denen Fotos betrachtet werden sollten, signifikant erhöht aktiviert. Bei dem Vergleich der neuronalen Verarbeitung von Fotos der eigenen Person, der Eltern, der Partner, von berühmten Persönlichkeiten und unbekannten Personen zeigten sich Aktivierungen im medialen und anterioren Anteilen (BA 32/24) des Gyrus cinguli für alle persönlich bekannten Personen, nicht aber für die unbekannten oder berühmten Persönlichkeiten (Taylor, Arsalidou et al. 2009). Die Autoren führen das auf gesteigert ablaufende kogni-tive und emotionale Prozesse bei der Betrachtung von Fotos der Versuchsperson per-sönlich bekannter Menschen zurück. Auch die Gehirnaktivitäten im Bereich der BA 24 (anteriores Cingulum) wurden von Yu et al. mit anderen Regionen korreliert. Unter anderem wurde gleichzeitige Aktivierungen im neuronalen Salienznetzwerk gefunden, sowie positive Korrelation mit Erregungen im Bereich der Basalganglien und des Tha-lamus (Yu, Zhou et al. 2011). Signifikant erhöhte Aktivität dieser Region bei salienten visuellen und akustischen Reizen zeigten sich auch in einer anderen Studie mittels fMRT und EEG. Hier wurden verschiedene Töne (1000 Hz oder 2000 Hz) oder blaue und grüne Ringe auf schwarzen Hintergrund präsentiert. Die Reize waren innerhalb einer Präsentation zu 80 Prozent identisch. Die Probandinnen und Probanden sollten beim Erscheinen des jeweils anderen Reizes (20 Prozent aller Stimuli) ihre Detektion durch einen Knopfdruck bestätigen (Crottaz-Herbette und Menon 2006). Die Region des anterioren Gyrus cinguli scheint also eine Rolle im neuronalen Netzwerk der Auf-merksamkeitsverarbeitung zu haben. Negativ korrelierte die Gehirnaktivität in dieser Region umfassend mit den spezifischen Regionen des visuellen Netzwerks (Gyrus occipitalis, fusiformis, lingualis), sowie dem medialen präfrontalen und orbitofrontalen Kortex (Yu, Zhou et al. 2011). Unter zusätzlicher kritischer Betrachtung der Ergebnisse vorliegender Arbeit, scheint Oxytocin also Gehirnareale zu aktivieren, die dem neurona-len Salienznetzwerk angehören und gleichzeitig die Aktivität im Netzwerk der visuelneurona-len Verarbeitung reduzieren.

Die Unterregion des vorderen Gyrus cinguli, das subgenuale anteriore Cingulum, ist eine Region, die in der funktionellen und morphologischen Forschung zu affektiven Störungen wie Depression eine Rolle spielt. Dabei wurden bei Patienten mit depressiver und bipolarer affektiver Störung durch funktionelle Bildgebung verminderte

Gehirnak-tivität in diesem Areal gefunden. Außerdem konnte post mortem eine Volumenredukti-on der entsprechenden grauen Substanz nachgewiesen werden (Drevets, Price et al.

1997; Drevets, Savitz et al. 2008). In den Konnektivitätsanalysen des Gyrus cinguli zeigte sich für das subgenuale anteriore Cingulum eine positive Korrelation mit dem medialen präfrontalen Kortex, orbitofrontalen Kortex und den Temporalpolen, sowie negative Korrelation mit dem sensomotorischem Netzwerk. Die Autoren vermuten, dass die Aktivierung im subgenualen anterioren Cingulum durch eingehende Informationen aus dem medialen präfrontalen und dem orbitofrontalen Kortex entsteht (Yu, Zhou et al.

2011). Die Richtigkeit dieser Beobachtung angenommen, lässt eine weitere Interpretati-on der vorliegenden Ergebnisse zu. Diese zeigen, dass unter Placebobedingung für die Wahrnehmung des eigenen Kindes (OC) die benannten Areale im frontalen Kortex angeregt werden (s. Kapitel 4.2.1.2). Nach Oxytocingabe zeigen sich Aktivitäten in der im neuronalen Prozess nachgeschalteten Region. Mittels exogenen Oxytocin könnte die zerebrale Verarbeitung bindungsemotional relevanter Stimuli also schneller in überge-ordneten Regionen erfolgen.

Das Areal im Gyrus cinguli posterior ist bisher als spezifisches neuronales Korrelat bei funktionellen Untersuchungen zu selbstreflektiven Gedanken und Entscheidungen über Aussagen zur eigenen Person in Erscheinung getreten (Johnson, Baxter et al. 2002).

Grundsätzlich spielt der hintere Anteil des Cingulum aber bei verschiedenen kognitiven Funktionen eine Rolle (Vogt, Vogt et al. 2006). In der Arbeit von Yu et al. korrelieren Aktivierungen im hinteren Teil des cingulären Kortex positiv mit Erregungen in ande-ren Bereichen des Cingulums, aber auch im Temporal- und Frontallappen. Das gesamte Korrelationsmuster wird auch hier als Hinweis für die Bedeutung des posterioren Cin-gulum in der neuronalen Verarbeitung von Selbstreflektion gewertet. Bedeutsam für vorliegende Studie ist aber auch die beschriebene negative Korrelation mit dem visuel-len Netzwerk ähnlich wie beim anterioren und mediavisuel-len Teil des Cingulums (Yu, Zhou et al. 2011). Die Reduktion der Aktivität des neuronalen Netzwerks der visuellen Ver-arbeitung scheint also durch die Oxytocingabe beeinflusst zu werden, worauf in folgen-dem Abschnitt noch genauer eingegangen wird.