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AKT: LA GLOIRE QUI CHANTE

Im Dokument POLITIK UND WIRTSCHAFT IM KRIEG (Seite 63-66)

3. 1940: VERDREHUNGEN UND VERWIRRUNGEN

1. AKT: LA GLOIRE QUI CHANTE

Am 23. Januar 1940 starb in seinem 28. Amtsjahr Guiseppe Motta, katholisch-konservativer Bundesrat und seit 1920, in seiner Funktion als Chef des Politi-schen Departements, der Repräsentant und Sprecher der schweizeriPoliti-schen Aus-senpolitik. Er hatte sich, wie Mauro Cerutti schreibt, «fast um jeden Preis für die Wahrung der guten Beziehungen mit Italien und dem Deutschen Reich» einge-setzt.135 Der Tod Mottas war Auftakt zu einer permanenten Krise des Bundesra-tes, von dem bis Ende des Jahres noch drei weitere Mitglieder demissionierten.

Einer von ihnen, der BGB-Vertreter Rudolf Minger, hatte zur Zeit von Mottas Tod seinen Wohnsitz schon aus der Bundesstadt ins heimatliche Schüpfen ver-legt.

Anstelle von Motta wurde am 22. Februar 1940 der katholisch-konservative Tessiner Enrico Celio gewählte. Es war eine Verlegenheitslösung, mit der in erster Linie der nationale Zusammenhalt gestützt werden sollte. Celio erhielt das Post- und Eisenbahndepartement. Die Nachfolge Mottas, die auswärtige Politik, übernahm ein Mann, dessen Charakter und Fähigkeiten nicht unbestritten waren:

Marcel Pilet-Golaz, ein freisinniger Waadtländer mit einem nicht zweifelsfreien Demokratieverständnis. Der im Bundeshaus ein- und ausgehende Journalist Hermann Böschenstein sprach beispielsweise von dessen «Neigungen, sich in Kommissionen mit durchaus entbehrlichen gewagten Prognosen über den Aus-gang des Krieges und sogar im Gespräch mit ausländischen diplomatischen Ver-tretern als besonders gut informiert aufzuspielen und sich auf Heimatbesuch weilenden schweizerischen Missionschefs gegenüber als Besserwisser zu brü-sten».136 Der Botschafter in Bukarest, René de Weck, zeichnete in seinem Tage-buch ein ähnliches Bild und warnte, auf die kommenden schweren Zeiten an-spielend, dass es nicht mehr genüge, «de marier les flots de son éloquence aux fonflons et aux pétards d’une fête de tir».137 Auch jüngste Darstellungen lassen deutlich erkennen, dass Pilet-Golaz’ menschliche und aussenpolitische Fähig-

keiten nicht über alle Zweifel erhaben waren.138 Der Sohn Pilets, Jacques, hat zum Charakterbild seines Vaters einen interessanten Katalog oft widersprüchli-cher Eigenschaften geliefert: «Une nature plutôt inquiète toujours vêtu avec élégance [...], un radical de droite, nettement antisocialiste [...], foncièrement an-ticommuniste (il ne pouvait oublier la grève générale de 1918) [...], un homme de ‚law and order’ [...], un pur intellectuel, quelque peu élitaire [.. .]».139 Da uns Pilet als Chef der Aussenpolitik bis Ende 1944 des öftern beschäftigen wird, gibt es noch genügend Gelegenheit, auf diese zwiespältige Persönlichkeit einzuge-hen.

Doch wenden wir uns vorerst den konkreten Amtshandlungen Pilets zu. Im Win-ter 1939/40 hatte er sich darangemacht, die BerichWin-terstattung des Radios zu re-organisieren. Am 8. Februar 1940, nach dem Tode Mottas, betraute er den Ge-schichtsprofessor an der ETH, Jean Rudolf von Salis, mit einer wöchentlichen Weltchronik, die sich zu einer auch im Ausland stark beachteten Sendung ent-wickelte. Die erste Chronik wurde am 30. April 1940 ausgestrahlt. Eine ähnliche Sendung in französischer Sprache, Situation internationale betitelt, betreute der Chefredaktor des Journal de Genève, René Payot, ein konservativer Mann mit grossen Sympathien für Mussolini, Salazar und Pétain. Von Salis’ Sendung wurde, bezeichnend für dieses Jahr 1940, ausgerechnet in der kritischsten Zeit, am 28. Mai 1940, für über fünf Monate unterbunden. Der Historiker bekam üb-rigens die offenbar nicht selten anzutreffende Arroganz der Abteilung Presse und Funkspruch zu spüren. Eine Vorladung beschreibt er mit folgenden Worten:

«Der Vorsitzende, ein Bundesrichter und Oberst namens Hasler [Chef der Ab-teilung Presse und Funkspruch], in Stiefeln und Waffenrock, brüllte mich wie ein Unteroffizier auf dem Kasernenhof an.»140

Im Bundeshaus war es schon Mitte Februar zu einer Konfrontation in Sachen Pressezensur zwischen liberalen Parlamentariern und dem autoritären Oberst Hasler gekommen. Die Steuerung der Medien kam erneut am 19. März an einer Bundesratssitzung, in Anwesenheit des Generals, zur Sprache. Der Bundesrat äusserte den Wunsch, dass in die Abteilung Presse und Funkspruch der Armee vermehrt zivile Vertreter zugezogen würden. Pilet-Golaz verlangte zudem, dass für die Propaganda im In- und Ausland allein das Departement des Innern, und nicht die Armee, zuständig sein soll.141 Hier zeichnete sich deutlich ein die gan-zen Kriegsjahre überdauernder Konflikt ab. Nicht nur der General, sondern auch gewichtige Stimmen in der Öffentlichkeit plädierten für ein scharfes Durchgrei-fen. Die Schweizerische Handelszeitung etwa schrieb just in diesen Tagen, die

Presse müsse «wegen einer Anzahl undisziplinierter Skribenten als die grösste Landesverräterin bezeichnet werden» und man werde daher «im Pressewesen scharf Ordnung schaffen müssen».142 Alle diese Vorstösse, Massnahmen und Debatten zeigen, wie zwischen Armee und Bundesrat um die Kontrolle der öf-fentlichen Meinung gerungen wurde.

Begonnen hatte das Jahr 1940, mit dem Bundesratsbeschluss zur Einführung ei-ner Kriegsgewinnsteuer und, am 19. Januar, der Botschaft des Bundesrates zum Finanzprogramm, sehr konstruktiv. Es waren Signale politischer und wirtschaft-licher Stabilität. Doch auf der andern Seite, in rechten und rechtsradikalen Krei-sen, organisierte sich eine grundsätzliche Opposition. Dazu gehörte etwa das auf Einladung von Theophil Spoerri am 10./11. Februar abgehaltene Treffen in Genf. Neben Spoerri, Professor für Philologie an der Universität Zürich, waren unter anderen Julien Lescaze und René Leyvraz, zwei bekannte, den Fronten nahestehende Vertreter des Korporatismus, Charles-Frédéric Ducommun, Se-kretär des Gewerkschaftsbundes, Christian Gasser vom Bund der Subventions-losen sowie Philippe Mottu, ein Anhänger der Oxford-Gruppe (eine christlich-konservative internationale Erneuerungsbewegung) anwesend. Und am 23.

April meldete sich der Instruktionsoffizier Walter Allgöwer bei Gasser und er-klärte, er sei über die politische Lage verzweifelt. Beide suchten in Walenstadt Oberst Gustav Däniker auf. In solchen, dem aktuellen politischen System kri-tisch gegenüberstehenden Kreisen verdichtete sich in diesen Tagen jenes Netz, das zum Gotthard-Bund führen und gleichzeitig verschiedene andere Gruppie-rungen, so auch den Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz und die Ligue Vaudoise, zu einer konspirativen Fronde verbinden sollte.143

Die Aktivitäten dieser Leute griffen auch über die Landesgrenzen hinaus.

Oberstdivisionär Bircher, der zahlreiche Kontakte zu deutschen Militärs pflegte – so auch zum Militärattaché in Bern, Iwan von Ilsemann –, ging Ende März an einen Chirurgenkongress nach Berlin. In diesem Zusammenhang hatte ihn Guisan beauftragt, beim Oberbefehlshaber des deutschen Heeres vorzusprechen und diesem zu versichern, dass die Schweizer Armee absolut neutral bleiben werde. Der General spielte da ein nicht ungefährliches Doppelspiel, wenn man bedenkt, dass er gleichzeitig ein Kooperationsabkommen mit Frankreich schloss. Nach einer weiteren Reihe illustrer Besuche bot sich Bircher sogar die Gelegenheit, die in Polen stationierten deutschen Truppen zu besuchen. Die Ab-teilung Presse und Funkspruch versuchte später vergeblich, die Bekanntgabe

dieser Reise zu unterbinden.144 Nach seiner Rückkehr erstattete Bircher am 5.

April sowohl General Guisan wie Pilet-Golaz Bericht. Divisionär Bircher und seine Offiziere liessen sich Anfang Mai durch einen deutschen Major der Abtei-lung «Fremde Heere West» persönlich über den bevorstehenden Angriff auf Frankreich orientieren. Solche Kontakte waren alles andere als harmlos. Dies wird besonders deutlich in Bezug auf den schon erwähnten Kooperationsvertrag General Guisans mit der französischen Armeeführung. Diese letztlich politi-schen Manöver hoher Offiziere untergruben die Glaubwürdigkeit der legitimen Landesregierung, d.h. des Bundesrates. Eine kleinere Affäre ist in diesem ersten Akt noch erwähnenswert. Ende Januar schritt die Bundespolizei zu Verhaftun-gen von Repräsentanten der extremen Rechten. So wurde Oberst Arthur Fonjal-laz, Führer der Fédération Fasciste Suisse, in Schaffhausen verhaftet und später wegen verbotenem Nachrichtendienst zugunsten Deutschlands zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Das hinderte ihn jedoch nicht, weiterhin in der Allgemei-nen Schweizerischen Militärzeitschrift, dem offiziellen Organ des Schweizeri-schen Offiziersvereins, und im Le Mois Suisse Artikel zu publizieren.145 Obwohl man sich noch in der Phase des «Drole-de-guerre» befand, lassen diese Beispiele doch ernstere Probleme im Gefüge des helvetischen Establishments erkennen, von denen weder die Armeeführung noch die helvetische Politik verschont blie-ben.

Inzwischen hatte die zweite Phase des Krieges begonnen, mit dem Überfall auf Dänemark und Norwegen. Für die innere Front erliessen Bundesrat und General am 18. April eine Weisung, die Offizieren und Soldaten den unbedingten Wider-stand gegen Fallschirmspringer, Luftinfanterie und Saboteure befahl und vor Ir-releitung durch feindliche Propaganda warnte. Gleichzeitig kamen die Wirt-schaftsverhandlungen mit England und Frankreich zum Abschluss. Der weitere Kriegsverlauf verhinderte allerdings die konkrete Durchführung des im Vertrag vom 24. April vorgesehenen Handels.

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