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AKT: EIN EIDGENÖSSISCHER LANDAMMANN?

Im Dokument POLITIK UND WIRTSCHAFT IM KRIEG (Seite 78-83)

3. 1940: VERDREHUNGEN UND VERWIRRUNGEN

4. AKT: EIN EIDGENÖSSISCHER LANDAMMANN?

suchten, mit der man das Verhältnis zu Deutschland am besten normalisieren könnte. Offenbar hatte auch alt Bundesrat Musy ähnliches im Sinn, als er am 29.

Juli bei der deutschen Botschaft bat, in Berlin von Himmler und Schacht, dem Chef der SS und dem Präsidenten der Reichsbank, empfangen zu werden. Musy erhielt am 17. August grünes Licht; Anfang September begegnete er in Berlin den neuen Herrschern Europas.188

In der Westschweiz begann man sich nun zusehends für Vichy-Frankreich zu interessieren. Im Journal de Genève begrüsste Guy de Pourtalès das neue Re-gime, während der Korrespondent in Vichy, Pierre Bernus, die untergegangene Regierung Blum beschuldigte, den Juden zuviel Einfluss eingeräumt zu ha-ben.189 Durch die positive Würdigung von Pétain in diesem reputierten Blatt ent-stand der Eindruck, die Zeit der parlamentarischen Demokratie sei, auch für die Schweiz, abgelaufen.

Vorbild. In einem unveröffentlichten Manifest vom 3. Juli 1940 wird betont, man wolle im Neuen Europa mitarbeiten, ohne aber die schweizerische Souve-ränität aufzugeben. Kritik galt hingegen der Demokratie westlicher Prägung, der man ein ständestaatliches, föderalistisches Regime entgegenstellte. Konkret for-derte der Gotthard-Bund die «Heranziehung neuer Kräfte in den Bundesrat, in die entscheidenden Bundesämter und die heute so wichtigen ausländischen Ver-tretungen» sowie die «vollständige geistige Umstellung im politischen Den-ken».191 Denis de Rougemont, der sich in diesen Tagen eng an Gonzague de Reynold anlehnte, redigierte einen Aufruf an das Schweizer Volk, der Ende Juli in der Presse veröffentlicht wurde. Dort heisst es u.a.: «Der Augenblick, das Neue zu verwirklichen, ist gekommen. Tausende sind bereit. Ihr Zusammen-schluss allein verbürgt das Gelingen der Neuordnung.» Im Programm von 1941, der «Eidgenössischen Ordnung», findet sich zudem ein Passus, in dem «die falsch verstandene Gleichberechtigung der Geschlechter» kritisiert wird.192 Die erste Nummer einer Schriftenreihe des Bundes präsentierte unter dem Titel «La Suisse de toujours et les événements d’aujourd’hui» eine Rede von Gonzague de Reynold, in der zur bekannten Neugestaltung der Schweiz aufgerufen wurde.

Ausserdem spendete ein junger Offizier des Nachrichtendienstes, Alfred Ernst, dem Gotthard-Bund 50’000 Franken. Es fällt auf, dass dieser Bund – im Gegen-satz zu seiner späteren Selbstdarstellung – deutlich von autoritärem Gedanken-gut und der Idee der Neuen Ordnung beherrscht war, zugleich aber dazu aufrief, den Widerstandsgeist zu stärken. Das Konzept des Föderalismus, ein zentraler Programmpunkt, lehnte sich an das antidemokratische Staatsmodell de Rey-nolds an.

In der Waadt hielt in den Mai- und Junitagen ein ähnlich gesinnter Kreis, die Ligue Vaudoise, ebenfalls nach neuen politischen Ufern Ausschau. Einer ihrer Chefs, Alphonse Morel, verfolgte mit Bewunderung die Erfolge der deutschen Armeen und sah in der Niederlage Frankreichs das Ende der ungeliebten Epo-che, die 1789 mit der Französischen Revolution begonnen hatte. Für eine Er-neuerung der Schweiz sah die Ligue die Umwandlung des Bundesrates in ein Dreiergremium mit einem Landammann an der Spitze vor. Philipp Etter schien auch ihnen ein geeigneter Kandidat. Die Ligue stand in Kontakt mit Robert Ei-bel, der am 2. Juli mit Marcel Regamey und Alphonse Morel sowie zwei Ver-tretern der Jung-Konservativen zusammentraf. Es zeigte sich aber, dass äusser der Idee einer autoritären Staatsführung die gemeinsame politische Basis weit-gehend fehlte. Andere Beteiligte, wie etwa Andreas von Sprecher, äusserten sich

über die Möglichkeiten solcher Staatsstreichpläne eher skeptisch, plädierten je-doch für eine Annäherung an die Neue Ordnung Hitlers. Marcel Regamey ver-suchte mit Hilfe des Nachrichtenchefs Oberst Masson auch die Armeespitze für das Projekt einzuspannen. «Il vous incombe en revanche», schrieb Regamey am 10. Juli an Masson, «de gagner à nos vues vos collègues de l’Etat-major de l’ar-mée, le Général lui-même et quelques officiers supérieurs jouissant d’une cer-taine influence. Je me permets d’émettre le désir très vif que vous voyiez le plus souvent possible mon associé le colonel Perrier.»193 Der erwähnte Vertrauens-mann der Ligue, Oberst Victor Perrier, war von Frühjahr 1940 bis Mitte 1942 Chef der Abteilung Presse und Funkspruch. Dieser Institution sollte im geplanten autoritären System, in dem keine politischen Parteien mehr zugelassen wären, eine besonders gewichtige Rolle zukommen. Schliesslich sei noch der Kuriosität wegen erwähnt, dass die Chefs der Ligue am 20. Juni Oberst Perrier die Idee übermittelten, die Schweiz solle, von der Niederlage Frankreichs profitierend, Massnahmen zur Besetzung Nordsavoyens treffen.

Bundesrat Etter, der Kronprinz der extremen Rechten für die Rolle eines Land-ammanns, trug sich in diesen Tagen ebenfalls mit Erneuerungsplänen. Er ent-wickelte in einem Brief an Gonzague de Reynold vom 15. Juli Ideen zu einer Verfassungsrevision, in deren Zentrum die Schaffung einer starken Zentralregie-rung stand; das Parlament hätte sich auf die Kontrolle der RegieZentralregie-rung und auf das Budgetrecht zu beschränken.194

Unter den Frontisten, die sich Ende Juni ebenfalls zu regen begannen, trat die Gruppe um Dr. Max Leo Keller, Ernst Hofmann und den Schriftsteller Jakob Schaffner besonders hervor. Sie gründete die Nationale Bewegung der Schweiz, die im Herbst etwa 2’000 Mitglieder umfasste. In der welschen Schweiz nannte sich die Formation, die aus der Fusion des Mouvement helvétique und des Mou-vement populaire suisse entstand, MouMou-vement national suisse (MNS). Die Ligue Vaudoise versuchte, diese Konkurrenz mit Angeboten zur Zusammenarbeit zu neutralisieren. August Lindt meinte in seinen Erinnerungen, junge waadtländi-sche Offiziere seien dem MNS beigetreten in der Meinung, es handle sich um eine ähnliche Sammlungsbewegung, wie sie sich in Frankreich um Marschall Pétain zu organisieren begann.195

Auch die alte Garde der deutschfreundlichen Rechten, die sich schon 1921 im Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz gesammelt hatte, wurde aktiv.

Andreas von Sprecher, Sohn des Generalstabschefs des Ersten Weltkriegs und führendes Mitglied des Volksbundes, hatte bereits im Januar 1940 den Bundesrat

ersucht, endlich der Präsenz des Völkerbundes in der Schweiz ein Ende zu be-reiten. Ende Juli arbeitete er eine weitere Eingabe aus, die im Führungskreis des Volksbundes diskutiert wurde. Vorgesehen war u.a. die Disziplinierung der Presse und eine Umwandlung des politischen Systems. Dazu der Entwurf von Sprecher: «Die in der Schweiz nicht bodenständigen parlamentarisch-bürokrati-schen Einrichtungen sind zu beseitigen, um dem überlieferten föderativen Auf-bau, der für unser vielgestaltiges Volkstum lebensnotwendig ist, Platz zu ma-chen. Zu diesem Zwecke und um den gegenwärtigen Partei- und Interessenver-tretungen im eidgenössischen Parlament ein Ende zu bereiten, ist eine Gesamt-revision der Bundesverfassung durchzuführen.»196

Am 25. Juli diskutierten die Volksbündler dieses Projekt und weitere Massnah-men wie die Zensur und die Ersetzung leitender politischer Persönlichkeiten.

Zwei Tage später ersuchten sie den Bundesrat telegraphisch um eine Audienz, die ihnen am 1. August von Pilet-Golaz gewährt wurde. Die beim Bundesrat aufkreuzende Delegation setzte sich zusammen aus Hektor Ammann, Andreas von Sprecher, Caspar Jenny, Mitglied des Vororts und Präsident der Mittel-presse, Samual Haas, Herausgeber der MittelMittel-presse, und Heinrich Frick, Gym-nasialprofessor. Sie breitete ihren Katalog von Forderungen aus und verlangte zusätzlich die Elimination von drei Chefredaktoren bürgerlicher Zeitungen. In höheren politischen Kreisen stiess diese Idee durchaus auf Interesse. Bundesrat Etter dachte daran, eine Körperschaft zu schaffen, die das Recht hätte, uner-wünschte Journalisten zu beseitigen. Es dürfte in diesem Zusammenhang nicht ganz uninteressant sein, dass der Presseattaché der deutschen Gesandtschaft, Georg Trump, drei Wochen zuvor versucht hatte, durch eine persönliche Vor-sprache beim Verleger der freisinnigen Berner Zeitung Der Bund dasselbe Ziel zu erreichen. Aus Berlin, wo am 3. Juli die Ausweisung des NZZ-Korrespon-denten Reto Caratsch bekanntgegeben wurde, kamen vom Schweizer Botschaf-ter Frölicher ähnliche Vorschläge. Georg Kreis hat festgehalten, dass in diesen Tagen verschiedenste Kreise der helvetischen Rechten, unterstützt von Vertre-tern des Dritten Reiches, bei diesen Versuchen einer «Pressebereinigung» am gleichen Strick zogen.197

In eben diesen Tagen hatte Bundesrat Etter von Oberstdivisionär Eugen Bircher einen Brief erhalten, in dem u.a. zu lesen ist: «Weder die Erneuerungsbewegun-gen der ehemaliErneuerungsbewegun-gen Nat. Front, noch des Herrn Consac [sic!] de Reynold, Elefant Duttweiler wird uns dies bringen, nur eine sofortige Totalrevision der Bundes-verfassung [...].» Diese Totalrevision, die ein berufsständisches Parlament und

eine autoritäre Staatsführung errichten sollte, stellte Bircher in einer am 1. Au-gust veröffentlichten Broschüre vor. «Bircher befand sich», meint sein Bio-graph, «mit solchen Vorstellungen in der Nähe einer konservativen Revolu-tion».198 Die Ligue Vaudoise, die sich Ende Juli mit der faschistischen Union Nationale von Genf verbündet hatte, lancierte Anfang August eine ähnliche Ziele verfolgende Kampagne in der Westschweiz.

Und immer noch lagen die Pläne vor, Etter zum Landammann und Chef einer autoritären Eidgenossenschaft zu erküren. Am 20. Juli versuchte Gonzague de Reynold anlässlich der Jahresversammlung des Schweizerischen Studentenver-eins in Fribourg diesem Plan zu einem raschen Durchbruch zu verhelfen. Die Einladung de Reynolds war nicht eine Idee der Studenten, sondern der Freibur-ger Regierungsräte Joseph Piller und Maxime Quartenoud, die auch zum Kreise der katholischen Erneuerer zählten. In Anwesenheit der Bundesräte Celio und Etter rief nun de Reynold die Anwesenden auf, sich an die Neue Ordnung anzu-passen und die Regierungsgewalt zu verstärken. Die Rede fand grosse Verbrei-tung und wurde, wie schon erwähnt, in der Schriftenreihe des Gotthard-Bundes publiziert. Ende August meinte Etter dann in einem Brief an Gonzague de Reynold, es sei nun an der Zeit, «dass der Bundesrat selbst die Führung einer nationalen Erneuerung» an die Hand nehme.199

Beenden wir den Überblick über die Ereignisse dieser heissen Sommermonate mit einem letzten Hinweis auf eine Zusammenkunft, bei der ebenfalls viel von der Zukunft der Schweiz die Rede war. Am 29. August versammelten sich im Hause von Dr. Franz Meyer in Zürich etwa fünfzig Herren, darunter Bundesrat Wetter, Oberstkorpskommandant Ulrich Wille, der Industrielle Dr. Fritz Bon so-wie Hektor Ammann und Heinrich Frick vom Volksbund für die Unabhängig-keit der Schweiz. Bon vertrat in einem Vortrag die Ansicht, die Gelegenheit sei jetzt günstig, um die Beziehungen zu Deutschland zu verbessern, was den anwe-senden Vertretern der Wirtschaft wohl durchaus recht war. Wetter konnte, eben-falls an diesem Abend, dazu gewonnen werden, für die Nationale Bewegung der Schweiz einen Empfang durch den Bundesrat zu organisieren. Und die Volks-bündler kamen zur Überzeugung, dass ihre in Diskussion stehenden Forderun-gen für eine Neue Politik nun möglichst rasch mit einer Eingabe an den Bundes-rat gelangen sollten.

Eine ganz andersgeartete, aber ebenfalls auf die Bundespolitik des Sommers 1940 reagierende Bewegung war die sogenannte Offiziersverschwörung. Der

Hauptmann des Nachrichtendienstes Alfred Ernst, sowohl von der Haltung des Bundesrates wie von jener des Generals enttäuscht, organisierte eine geheime Vereinigung mit dem Ziel, unter allen Umständen den bewaffneten Widerstand durchzusetzen. Ein erstes Treffen, getarnt als Rapport des Nachrichtendienstes, fand am 21. Juli in Luzern statt. Am 3. August schon flog die ganze Geschichte auf, da ein Teilnehmer der Luzerner Versammlung seine Vorgesetzten orientiert hatte. Die Hauptverantwortlichen wurden, nach Absprache mit dem General, zu Arreststrafen zwischen 3 und 15 Tagen verurteilt.200 Die Offiziersverschwörung hatte in der damaligen Innenpolitik kaum eine konkrete Bedeutung, sie zeigt aber, wie weit die Erregung und das Misstrauen in verschiedenen Kreisen schon gediehen war. August Lindt, einer der Organisatoren der Verschwörung, schrieb später: «Wir beide [Lindt und Ernst] hatten kein Vertrauen mehr in die Standfe-stigkeit des Bundesrates und rechneten mit der schrittweisen, kampflosen Kapi-tulation der Schweiz.»201

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