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Schon als Vierjähriger habe ich mich für Ruderinnen und ihre Besonderheiten interes-siert.

Unsere Hubberton-Street in West-Glasgow war ein langegezogenes L. Ich lebte mehr auf der Gartenseite. Vier Häuser weiter wohnte mein Freund Stephan und zwei Häuser weiter war das Büro der Wohnungsgesellschaft, netterweise im Erdgeschoss.

Auf dem von mir erklettertem Fenstersims bei weit geöffneten Fenstern sah ich drei Frauen an ihren Schreibmaschinen: rechts vorne die vielleicht ältere von ihnen, Julia, ihr schräg gegenüber die braunhaarige Milli und hinten an der Fensterseite zur Straße saß die rothaarige und mager aussehende Wilma.

Ich futterte aus ihren Blechschachteln Sandwiches, Apfelstücke und Weintrauben und sie erklärten mir viele Male die sechs Fotos an der Wand hinter Julia: Die zeigten ihre Erfolge als Ruderinnen, im Vierer und im Achter mit Steuerfrau. Die Steuerfrau war die kleine Wilma.

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Sechsundzwanzig Jahre später stand ich mit achtzehn Frauen und drei Männern auf ihrem Anlegesteg. Wir warteten auf die Ankunft unseres wieder einmal erfolgreichen

„Achters mit Steuerfrau“, der von einer Vorentscheidung zurückerwartet wurde.

Sie kamen aus Oslo mit dem Flieger und der Bahn, aber die letzten zwanzig Meilen woll-ten sie rudern.

Die Leute neben mir schienen Angehörige und Freundinnen zu sein; sie hatten Blumen und Taschen mit Tee und duftendem Gebäck bei sich; ich hielt meine neun blassrosa Rosen aus dem Tesco hinter meinem Rücken.

Eine Reporterin der Tageszeitung brachte ihre Kamera in Stellung. Sie war sehr aufge-regt und änderte mehrfach den Stützpunkt. Ich kannte inzwischen die Fotos der Rude-rinnen und einige Hintergrund-Stories über ihre Freunde und Hobbys.

Ich kannte aber auch die Geschichten aller Steuerfrauen der letzten zwölf Jahre. Das gehörte zu meiner Vorbereitung.

Wir kreischten zu ihrer Begrüßung, als wir sie in der Flussbiegung sahen – und noch lauter, als sie anlegten.

Sie stiegen aus, ließen sich umarmen, und als ein Regenschauer niederging, hoben sie ihr Boot hoch und trugen es über ihren Köpfen ins Bootshaus.

Ich hatte meine Begrüßung verpasst, lief ihnen aber nach, bis sie ihr Boot eingestellt hatten und begann dann, meine Rosen zu verteilen. Bei den ersten beiden Sportsfrauen hatte ich Glück, die anderen murrten und hatten Wichtigeres zu tun.

Die verschwitzte Martha rief den anderen zu: „Wartet doch mal, ihr kriegt noch was!“

Ich hatte mir ausgedacht, jeder ein oder zwei Küsschen auf die Wangen aufzudrücken;

das gelang mir nicht.

Cassy und Jolly brauchten ihre Hände für Aufräumarbeiten; sie nahmen die Rosenstiele quer in den Mund, und Conny, die quirlige Steuerfrau, rief laut: „Der Rosenkavalier könnte doch auf unsere Party kommen.“

Genau darauf hatte ich gehofft. Wir sprachen noch über das Wann und Wo.

„Danke, Conny, ich freue mich wahnsinnig auf heute Abend.“

Bis Neun war es elend lang für mich, aber klar, die Frauen wollten sich für die Party herrichten. Das lange Warten hat gelohnt. Sie waren sehr nett zu mir. So nett, dass ich wagte zu verraten, wie ich sie eigentlich begrüßen wollte.

Jana sagte: „Weißt du was? Ich hatte schwer damit gerechnet. Mich haben nur Frauen geküsst. Ich habe einen ganz trockenen Mund…“

Ich hatte dann einiges nachzuholen – über den Abend verteilt und in immer neuen Va-riationen. Leute, das wäre es wert gewesen, auf die Queen zu singen.

Ich habe mit allen getanzt; das wurde stellenweise gefährlich, denn die Sportlerinnen liebten nicht nur romantische Spielchen; sie nannten hemmungslos ihre Wünsche. Ich schwamm in seligen Wassern.

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Als ich Conny wiedertraf, erzählte ich ihr, dass ich für alle Steuerfrauen geschwärmt hätte, „aber noch keine fand ich so hinreißend und aufregend wie dich.“

Frauen lassen sich solche Sätze auf der Zunge zergehen. Conny musste sich hochrecken, als sie mich umarmte und küsste.

Mir war sie nicht zu klein. Wir tanzten wunderbar innig zusammen und wurden uns immerhin so vertraut, dass ich sie viel später, nach den Abschiedsküssen der acht und unter den missmutigen Blicken ihres Trainers, heimfahren durfte.

Sie hatte eine hübsche Dachwohnung. „Sorry, ich habe mein Bett nicht gemacht; ging alles so schnell heute Morgen. Dich stört es doch nicht, Mike!“

Wir tanzten und merkten gar nicht, dass unsere Kleidung bald von uns abgefallen war.

Als Connys Herz später auf meinem Herzen lag und wir uns in süßen Variationen die immergrünen Beteuerungen in die Ohren raunten, schrillte ihr Handy.

Sie schob es unter ihr Kopfkissen. „Das kann warten.“

Nach Handy-Art wartete es nicht.

Ich beobachtete Conny genau. War sie blass geworden? Kam da eine erschreckende Nachricht?

Dann sagte sie erfreulich selbstbewusst: „Cassy, du kannst dir ja denken, wer mich heimgebracht hat. Wir verstehen uns herrlich. Seid ihr alle ok? Was, du weißt nicht, wo Jolly ist? Sie wird doch nicht zu viel von dem Eiersalat gegessen haben? Ich habe ihr noch die superleckere warme Quiche empfohlen, aber natürlich nicht, so viel Pink Gin runterzukippen. Müssen wir uns Sorgen machen, Liebes?“

Ich fragte leichthin: „Schlechte Nachrichten, Schatz? Hat jemand einen Party- Kater?“

„Wird halb so wild sein. Die Norweger haben uns drei Tage lang schön eingestimmt.

Hat vielleicht Nachwirkungen. Komm, Mike, zeig mir noch mal die „Ungarische Rut-sche“. Ich bin neugierig auf fremde Liebesarten...“

Wunderbare Harmonie. Nur mir kribbelte es. Es ging auf sechs Uhr zu, als es mich fort-drängte. Ihr ahnt warum, Conny aber nicht:

„Das kannst du mir nicht antun. Bleib wenigstens bis zum Frühstück. Was drängt dich fort, Mike? War ich dir zu wild?“

„Wegen dir möchte ich zwei Jahre am Stück bleiben, Liebling, aber ich muss heute noch weit fahren.“

„Und wann habe ich dich wieder? Du könntest mir Glück bringen. Ja, ich brauche deine Vorbereitung - wie die eben unbedingt für die nächsten Siege.“

„Das müssen wir leider noch etwas verschieben, süßer Schatz – und so lange virtuell kom-munizieren und uns übers Handy anmachen, natürlich auch im Bett, weil wir es ja so lieben.

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Schau, ich habe in Kanada zu tun – das kann vierzehn Tage brauchen oder einen Monat.

Darf ich dich oft anrufen? Und von dir träumen und tagträumen? Denk dir schon mal was Heißes aus – ich bin verrückt danach…“

Ich habe ihr und dem Team tatsächlich Glück gebracht. Sie, also wir, sind Zweiter ge-worden.

Nach Kanada bin ich noch nicht geflogen, ich bin länger weggeblieben.

Sorry, ich brauchte ein anderes Ziel.