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Abzählprinzipien endlicher Mengen

Nicht alles, was man zählen kann, zählt auch und nicht alles, was zählt, kann man zählen.

(Albert Einstein) Wenn man eine endliche Menge betrachtet, so kann man deren Elemente zählen. Wie das im Unendlichen aussieht, betrachten wir in den Abschnitten 5.6 und 5.7. Abzählen ist eine grundlegende Technik in der Mathematik, welche beispielsweise in der Kombinatorik und in der Wahrscheinlichkeitsrechnung von großer Bedeutung ist.

Definition 2.16. Sei M eine endliche Menge. Wir schreiben |M| für die Anzahl Elemente von M. Man nennt |M| auch die Mächtigkeit von M.

In diesem Abschnitt betrachten wir einige Grundprinzipien des Abzählens (siehe dazu auch [Grieser, Kap. 5]).

Definition 2.17. Zwei Mengen M, N heißen disjunkt, falls MN = ∅. Falls M und N disjunkt sind, so nennt man die Vereinigung MN eine disjunkte Vereinigung und man schreibt auchM∪N˙ :=MN.

1. Summenregel: Falls zwei endliche Mengen M und N disjunkt sind, so gilt

|M∪N|=|M|+|N|.

Dies lässt sich auch einfach verallgemeinern: Falls M1, . . . , Mn endliche Mengen sind, die paarweise disjunkt sind, d.h. MiMj = ∅ für alle i 6= j in {1, . . . , n}, so gilt für M =M1. . .Mn

|M|=|M1|+. . .+|Mn|.

2. Produktregel:Für zwei endliche Mengen M und N gilt

|M ×N|=|M| · |N|.

Auch dieses Prinzip lässt sich verallgemeinern: Für endliche Mengen M1, . . . , Mn gilt

|M1×. . .×Mn|=|M1| ·. . .· |Mn|.

Dabei ist leicht einzusehen, dass sich die Produktregel aus der Summenregel ergibt: Da M endlich ist, ist M von der Form M = {x1, . . . , xm}. Wenn wir für jedes i ∈ {1, . . . , m} die

Die folgende Darstellung illustriert den Beweis für M ={1,2,3,4,5} und N ={1,2,3}.

m N2

Die Produktregel ist auch relevant für die Schulmathematik:

Beispiel 2.18 (Schulbuchaufgabe). In einem Restaurant gibt es 3 verschiedene Vorspei-sen, 8 Hauptgänge und 4 Nachspeisen. Wie viele verschiedene Menüs kann man in diesem Restaurant zusammenstellen? Insgesamt sind es

In der Kombinatorik wird oft eine verallgemeinerte Version der Produktregel betrachtet:

Verallgemeinerte Produktregel

Falls in einem Entscheidungsprozess n Entscheidungen getroffen werden, und man bei der i-ten Entscheidungen ki Möglichkeiten hat, so gibt es insgesamt

k1 ·. . .·kn Möglichkeiten.

Wieso verallgemeinert diese Regel die Produktregel? Um die Kardinalität von M ×N zu be-stimmen, hat man |M| Möglichkeiten für die erste Koordinate, und |N| Möglichkeiten für die zweite Koordinate, also insgesamt |M· |N| Möglichkeiten für ein Element von M ×N.

Die Verallgemeinerte Produktregel lässt sich ebenfalls aus der Summenregel herleiten. Auf einen formalen Beweis wird an dieser Stelle verzichtet.

Beispiel 2.19. Wie viele Zahlenpaare der Form (a, b) mit a, b∈ {1, . . . ,100} gibt es mit (1) a6=b

(2) a < b?

Wir müssen zwei Entscheidungen treffen, um a auszuwählen und um b auszuwählen.

Möglichkeiten für a Möglichkeiten für b

Doppeltes Abzählen

Manchmal kann man eine MengeM auf zwei Arten abzählen. Dabei erhält man zwei Formeln, deren Gleichheit dadurch bewiesen ist, dass sie beide gleich |M| sind.

Beispiel 2.20. Wir betrachten folgendes Problem: Bei einer Party mit m Gästen schüttelt jeder jedem die Hand. Wie oft werden die Hände geschüttelt?

1. Abzählung: Wir zählen für jede Person, mit wie vielen Personen sie die Hände schütteln muss. Dabei ist zu beachten, dass niemand doppelt die Hände schüttelt.

1. Person Personen 2. Person Personen 3. Person Personen

...

m. Person Personen Insgesamt werden also gemäß der Summenregel

mal die Hände geschüttelt.

2. Abzählung: An jedem Handschlag sind 2 vonmPersonen beteiligt. Wir haben also folgende Möglichkeiten:

1. Person Möglichkeiten 2. Person Möglichkeiten

Da beide Abzählungen dieselbe Mengea abzählen, folgt

Wenn wir m−1 durch n ersetzen, so erhalten wir die sogenannteGauß-Summe

anämlich die Menge aller Handschläge

Wie aus Beispielen 2.19 und 2.20 ersichtlich wird, gibt die Zahl n(n−1)

2

die Anzahl Möglichkeiten an, zwei aus n Elementen auszuwählen, oder in anderen Worten die Anzahl 2-elementiger Teilmengen einer n-elementigen Menge.

3 Die natürlichen Zahlen

Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.a

(Leopold Kronecker)

aHelmut Hasse hat daher in seinem Buch Vorlesungen über Zahlentheorieim Autorenverzeichnis unter L den lieben Gott auf-geführt!

Die Menge der natürlichen Zahlen ist die Menge definiert durch N = {0,1,2,3, . . .}. Manche Mathematiker betrachten die Zahl 0 nicht als natürliche Zahl und benutzen die Notationen N={1,2,3, . . .} und N0 ={0,1,2,3, . . .}.

Die natürlichen Zahlen lassen sich durch die sogenanntenPeano-Axiomeaxiomatisieren:

Peano-Axiome

(1) 0 ist eine natürliche Zahl.

(2) Jede natürliche Zahln hat einen Nachfolger n+ 1, der ebenfalls eine natürliche Zahl ist.

(3) Nachfolger natürlicher Zahlen sind ungleich 0, d.h. für jede natürliche Zahlngiltn+16= 0.

(4) Jede natürliche Zahl ist Nachfolger höchstens einer anderen natürlichen Zahl, d.h. falls n+ 1 =m+ 1, so folgt n=m.

(5) FallsX eine Menge natürlicher Zahlen ist mit den Eigenschaften

• 0∈X und

• für jedes nX gilt auch n+ 1 ∈X, so folgt X =N.

Peano-Axiom (5) wird auch als Induktionsaxiom bezeichnet. Auf ihm basiert eine wichtige Beweismethode, das sogenannte Prinzip der vollständigen Induktion (siehe Abschnitt 3.3).

Bemerkung 3.1. Peano-Axiom (5) wird üblicherweise wie folgt verwendet: Falls B(n) eine Behauptung über natürliche Zahlen n∈N ist, so kann man die Menge

X :={n ∈N|B(n)}

betrachten. Um zu zeigen, dass B(n) für allen ∈N gilt, so reicht es zu zeigen:

B(0) ist wahr, d.h. 0X, und

• Falls B(n) wahr ist, so ist auch B(n+ 1) wahr für ein beliebiges n ∈ N, d.h. nXn+ 1 ∈X.

Aus Peano-Axiom (5), folgt dann, dass X = N, und damit gilt B(n) für jedes n ∈ N. Diese Beweismethode wird alsvollständige Induktionbezeichnet und wird im Abschnitt 3.3 behandelt.

Axiome sind Grundannahmen, die oft aus bereits vorhandenen Vorstellungen über den zu defi-nierenden Begriff resultieren, von deren Gültigkeit man ausgeht und die nicht bewiesen werden.

Insbesondere sollen Axiome widerspruchsfrei sein und sich nicht gegenseitig implizieren.

Aus den Peano-Axiomen kann man die meisten wichtigen Resultate über die natürlichen Zahlen beweisen, so beispielsweise das Distributivgesetz n(m+k) =nm+nk oder die Existenz einer eindeutigen Primfaktorzerlegung.6

6Der österreichische Mathematiker Kurt Gödel hat 1931 bewiesen, dass es auch Eigenschaften der natürlichen Zahlen gibt, die nicht aus den Peano-Axiomen folgen, und dass dieses Problem durch Hinzufügen zusätzlicher Axiome nicht gelöst wird.

3.1 Rekursion

Um Rekursion zu verstehen, muss man Rekursion verstehen.

(Ursprung unbekannt) Eine rekursive Zahlenfolge a0, a1, a2, . . . ist eine Zahlenfolge, bei der ein Folgenglied aus den vorangehenden Folgengliedern berechnet wird. Die Idee einerRekursion ist es ein Problem der Größe n+ 1 auf ein Problem der Größen zu reduzieren. Damit die Rekursion auch tatsächlich endet, benötigt man also einen Anfangswert, z.B. fürn = 0 oder n= 1.

Beispiel 3.2. Auf wie viele Arten kann man n Kugeln anordnen?

Um dieses Problem zu lösen, nummerieren wir die Kugeln mit Zahlen 1, . . . , n. Sei an die Anzahl Anordnungen vonn Kugeln.

n Anordnungen an

0 1 2 3 4

Wie kann man a3 aus a2 berechnen? Ganz einfach, für jede der beiden Anordnungen von 1 und 2 kann man die 3 auf drei Arten einordnen:

12

123 132 312

21

213 231 321

Um a4 explizit zu berechnen, wenden wir also die Rekursionsvorschrift an:

Dazu benötigen wir einen Anfangswert, beispielsweise a0 oder a1. Wenn wir mit a0 = 1 anfangen, so erhalten wir

Die Rekursion aus Beispiel 3.2 lässt sich also wie folgt darstellen:

Diese Rekursion ist von großer Bedeutung in der Mathematik und hat einen eigenen Namen:

Definition 3.3. Für n∈N definiert man rekursiv 0! = 1

(n+ 1)! = (n+ 1)·n!

gesprochen “n Fakultät”. Man kann n! etwas informeller auchexplizit darstellen als n! = 1·2·. . .·n.

Wenn man ein Zahlenfolge an für jedes n ∈N rekursiv definieren möchte, genügt es (1) einen Anfangswert a0 zu definieren; und

(2) falls an schon definiert ist, an+1 zu definieren (Rekursionsvorschrift).

Eine solche Definition wird als rekursiv bezeichnet. Unter Voraussetzungen (1) und (2) kann man an für jedes n∈N bestimmen:

• Nach Voraussetzung ist a0 bekannt.

• Aus a0 kann man a1 berechnen.

• Aus a1 kann man a2 berechnen.

• Aus a2 kann man a3 berechnen.

...

Damit kann manan für jedesn∈Nberechnen. Statt mit 0 kann man auch mit einer beliebigen anderen natürlichen Zahl anfangen.

Rekursion außerhalb der Mathematik

Rekursion ist auch außerhalb der Mathematik von großer Bedeutung. So stellt die Rekursion eines der Kernkonzepte der Programmierung in der Informatik dar. Aber auch in der Kunst und Grammatik sieht man oft Rekursion. Beispielsweise hat der holländische Künstler M.C.

Escher oft paradoxe Bilder basierend auf einer Rekursion ohne Anfangswert gezeichnet. Zwei prominente Beispiele ist unten dargestellt.

M.C. Escher,Zeichnende Hände. M.C. Escher,Bildgalerie

Beispiel 3.4. Wie viele Teilmengen besitzt eine Menge mit 100 Elementen? Dies scheint nicht einfach auszurechnen zu sein...

Manchmal wird ein Problem einfacher, wenn man es verallgemeinert. Die allgemeine Frage lautet also: Wie viele Teilmengen besitzt einen-elementige Menge, beispielsweise{1,2, . . . , n}?

Wir setzen

bn:=|P({1,2, . . . , n})|.

Wir betrachten das Problem für kleine n∈N:

n P({1, . . . , n}) an dies leicht einzusehen: Für jedes X ∈ P({1,2}) erhalten wir in P({1,2,3}) zusätzlich zu X auchX∪ {3}, d.h. b3 = 2b2.

Dies lässt sich auch anschaulich anhand einesEntscheidungsbaumsdarstellen, hier am Beispiel n= 3:

Somit gilt

Was haben wir also gemacht? Wir haben die n-te Potenz von 2 rekursiv definiert. Dies kann man ganz allgemein für beliebige Zahlen machen:

Beispiel 3.5. Man kann Potenzen einer Zahlq ∈Rrekursiv definieren:

q0 = 1 qn+1 =qn·q.

Beispiel 3.5 zeigt, dass man die Potenzierung rekursiv aus der Multiplikation definieren kann.

Ähnlich kann man die Multiplikation rekursiv mit Hilfe der Addition definieren. Eine wichtige Anwendung von Rekursion ist die Definition des Summen- und Produktzeichens.

Definition 3.6. Sei a0, a1, a2, . . . eine Zahlenfolge. Wir definierenendliche Summen durch

0

Beispiel 3.7. Die Summe der ersten 100 Zahlen kann dargestellt werden als

Die Summe der ersten 50 Quadratzahlen ist

Die Fakultät n! = 1·2·. . .·n einer natürlichen Zahln lässt sich auch mit Hilfe des Produkt-zeichens definieren als

Alle bisherigen Beispiele gehören zum einfachsten Fall von Rekursion, nämlich dereingliedrigen Rekursion. Dabei verwendet man einen Anfangswerta0 odera1 und verwendet zur Berechnung von an+1 nur ein Vorgängerglied, nämlich an. Es gibt aber auch kompliziertere Formen von Rekursion:

Beispiel 3.8. Leonardo von Pisa (auch Fibonacci genannt) stellte im Jahr 1202 folgendes Wachstumsproblem für Kaninchen. Wir starten mit einem Paar neugeborener Kaninchen und man nimmt Folgendes an:

1. Nach einem Monat werden Kaninchen geschlechtsreif.

2. Jeden Monat gebärt ein geschlechtsreifes Kaninchenpaar ein Kaninchenpaar.

Wie viele Kaninchenpaare gibt es nach zehn Jahren? Statt dies explizit auszurechnen, ist es sinnvoller, das Problem allgemein zu lösen, d.h. zu berechnen wie viele Kaninchenpaare es nach n Monaten gibt? Da die Kaninchen immer paarweise auftreten, ist es sinnvoller die Anzahl Kaninchenpaare nach n Monaten zu berechnen.a

Sei Fn die Anzahl Kaninchenpaare nach n Monaten. Um eine allgemeine Formel zu finden, setzen wir zunächst n= 0,1,2,3 und 4 ein:

Angenommen, es ist bekannt, wie viele Kaninchenpaare es nach n Monaten gibt. Wie viele Kaninchenpaare gibt es nachn+ 1 Monaten?

Es gilt also

Die Folge (Fn) wird als Fibonacci-Folge bezeichnet.

Um F4 zu bestimmen, rechnet man also

Damit diese Berechnung ausgeführt werden kann, müssen wir alsozwei Anfangswerte bestim-men. In diesem Fall wählen wir F0 =F1 = 1. Dann kann man Fn für alle n∈N berechnen.

aBei diesem Gedankenexperiment nehmen wir an, dass die Kaninchen währendnMonaten nicht sterben.

Allgemein kann man an für jedes n∈N rekursiv definieren, indem man (1) Anfangswerte a0, . . . , ak−1 definiert, und

(2) angibt, wie man an+1 aus an, an−1, . . . , an−k+1 definiert.

Im Fall der Fibonacci-Folge gilt k = 2. Allgemein gilt: Man brauchtk Anfangswerte, wenn die k vorangehenden Folgenglieder in der Rekursionsvorschrift vorkommen. Statt bei 0 kann man auch bei 1 anfangen, wie im Beispiel der Fibonacci-Folge.