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Kapitel 1 Sachnormen - Kollisionsnormen

C. Abgrenzung von Sachnormen und Kollisionsnormen

I. Kein Tertium neben Sachnormen und Kollisionsnormen I. Kein Tertium neben Sachnormen und KollisionsnormenI. Kein Tertium neben Sachnormen und Kollisionsnormen I. Kein Tertium neben Sachnormen und Kollisionsnormen

Resultat der Feststellung des Kollisionsnormcharakters der "règles d'application immé-diate" ist ein auf Sach- und Kollisionsnormen beschränktes duales Rechtssystem.33 Kriterien der Abgrenzung müssen tauglich sein, eine Sachnorm mit eingebautem kolli-sionsrechtlichem Teil von einer reinen Sachnorm zu unterscheiden.

27 Die Feststellung des örtlichen Anwendungsbereichs eines Rechtssatzes ist oft schwierig. Für "règles d'application immédiate" wird die Ermittelbarkeit dieses örtlichen Anwendungsbereichs vorausgesetzt.

28 Bär, Kartellrecht, S. 205.

29 In diesem Sinne auch Schwander, "Lois d‘application immédiate", S. 291 ff..

30 Kropholler, IPR, S. 108 f.; Neuhaus, IPR, S. 105 ff.; von Hoffmann, IPR, S. 170; Junker, IPR, S. 106.

31 Nur positives Recht ist auslegungsfähig. Möglich ist die Zugehörigkeit zum Gesetzesrecht, Gewohn-heitsrecht oder anerkannten Richterrecht (Schwander, "Lois d’application immédiate", S. 293).

32 Schwander, "Lois d’application immédiate", S. 294 f.: "Einen Rechtssatz als loi d’application immédiate anwenden, heißt, ihm denjenigen örtlichen Anwendungsbereich zuzuerkennen, welcher ihm, und nur ihm, nach den als maßgeblich erkannten Anknüpfungskriterien zusteht... . In bezug auf den örtlichen Anwen-dungsbereich der Rechtssätze wurden verallgemeinernde Hilfsnormen gebildet, nämlich ein- und zweisei-tige Kollisionsregeln, welche helfen sollen, möglichst generell, d. h. bezüglich einer größtmöglichen Anzahl von Rechtssätzen und Sachverhalten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen der örtliche Anwen-dungsbereich des einen oder anderen (in- oder ausländischen) Rechtssatzes geschützt werden solle.

In diesem Sinne ist die Anknüpfung mittels Kollisionsregeln zweifellos genereller, die Anwendung der loi d’application immédiate aufgrund ihres ihr eigenen örtlichen Anwendungsbereiches spezieller."

33 Neuhaus, Grundbegriffe, S. 104; Kropholler, IPR, S. 108; von Hoffmann, IPR, S. 170; Junker, IPR, S. 106; Kegel/Schurig, IPR, S. 309 f..

II. Abgrenzung: reine Sachnorm II. Abgrenzung: reine Sachnorm II. Abgrenzung: reine Sachnorm

II. Abgrenzung: reine Sachnorm ---- "règle d'application i "règle d'application i "règle d'application i "règle d'application immmmédiate"mmédiate"médiate"médiate"

Bei Herleitung von "règles d'application immédiate" aus dem Regelungszweck einer ganzen Gruppe von Rechtssätzen wird materiellem Recht mit "rein privatrechtlichem"

Inhalt und Zweck kein kollisionsrechtlicher Gehalt entnommen. Demgegenüber hätte materielles Recht, welches vordringlich öffentlichrechtlichen Interessen oder Staatsin-teressen - "politischen" InStaatsin-teressen - diene, als Recht von streng positiver, zwingender Natur, einen kollisionsrechtlichen Gehalt in Form einer versteckten Kollisionsnorm.34 Eine Unterscheidung von materiellem Recht mit und ohne kollisionsrechtlichen Gehalt gemäß dem generellen Regelungszweck einer ganzen Rechtssatzgruppe kann den Kollisionsnormcharakter einer einzelnen Rechtsnorm nicht belegen. "Règles d'applica-tion immédiate" als eine nach überindividuellen Kriterien ermittelbare Kategorie von

"politischen" Sachnormen mit (versteckt) eingebautem kollisionsrechtlichem Teil sind nicht zu ermitteln.35 Ein bestimmtes rechtspolitisches, über die einfache Regelung der privaten Verhältnisse des Menschen hinausgehendes Interesse des gesetzgebenden Staates, welches ein einzelner Rechtssatz mit einer ganzen Rechtssatzgruppe gemein hat, kann diesen nicht von vornherein als "règle d'application immédiate" ausweisen.

Der "politische" Regelungszweck ist zur Einordnung als Kollisionsnorm ungeeignet.

Bei Herleitung von "règle d'application immédiate" durch teleologische Auslegung des örtlichen Anwendungsbereichs der Sachnorm erfolgt eine Analyse des individuellen Inhalts und Zwecks des einzelnen Rechtssatzes. Der Ausgangspunkt beim räumlichen Anwendungsbereich materiellen Rechts gründet diese Abgrenzung auf eine gewisser-maßen "kollisionsrechtliche Definition der Eingriffsnormen". Abgrenzungserheblich für die Zuweisung zum Kollisionsrecht soll der zwingende internationale Anwendungsbe-reich eines einzelnen Rechtssatzes nach dessen individuellem Regelungsinhalt sein.

34 Grundanliegen auch der traditionellen romanischen Lehre von den "lois d’ordre public" war es, deren Wesen in ihrem übergeordneten, generellen Inhalt und Zweck aufzusuchen. Allgemein anerkannte, klare Kriterien, welche im Apriori die Unterscheidung dieser Rechtssätze von anderen Rechtssätzen ermöglich-te, wurden nie gefunden (Schwander, "Lois d‘application immédiate", S. 154 ff. und S. 273).

35 Der Schutz staatlicher Interessen kann kein hinreichendes Unterscheidungskriterium sein. Die meisten privatrechtlichen Rechtssätze dienen allein schon durch ihren Regelungscharakter staatlichen Interessen.

Die Entscheidungserheblichkeit eines staatlichen Anwendungsinteresses würde das gesamte traditionelle Kollisionsnormsystem entbehrlich machen. Bei entsprechenden staatlichen Schutzinteressen wäre ein-heimisches Recht anzuwenden; fehlten diese, wären ausländische Rechte anwendbar.

Die abstrakt, im Apriori geforderte Anwendung inländischen Rechts aus Gründen der Ethik, Moral und Sittlichkeit hat sich nicht durchsetzen können. Die Wertung als unmoralisch und nicht ethisch ist heute ein Ergebnis der Rechtsanwendung im konkreten Fall. Nicht erwünschte konkrete Rechtsanwendungsergeb-nisse unterfallen heute aber ausschließlich der Funktion des negativen ordre public.

Der öffentlichrechtliche Charakter eines Rechtssatzes kann ebenso kein Unterscheidungskriterium sein, denn unbestreitbar existieren rein privatrechtliche "règles d'application immédiate" und ist nicht jeder öf-fentlichrechtliche Rechtssatz ein solcher mit eigenem örtlichen Anwendungsbereich. Gleiches gilt für politische, sozialpolitische und wirtschaftspolitische Zwecke, welche generell auf eine Kollisionsnorm ver-weisen sollen. Zwar finden sich "règles d'application immédiate" beispielsweise im Arbeitsrecht oder im Mietrecht; die bloße Bezeichnung eines Rechtssatzes als von staats-, sozial- oder wirtschaftspolitischer Bedeutsamkeit kann seine unbedingte internationale Anwendung jedoch nicht begründen.

Hier wird einzig der dem einzelnen Rechtssatz eigene Zweck geprüft. Kollisionsnormen dieser Art sind demnach Sachnormen, deren individueller Zweck ihre inhaltsgleiche ausnahmslose Durchsetzung auf den internationalen Sachverhalt erzwingt.

Die Ermittlung eines kollisionsrechtlichen Gehalts - einer versteckten Kollisionsnorm - aus dem spezifischen Gehalt der Sachregelung36 ist der Ableitung aus den generellen politischen, öffentlichrechtlichen Zwecken einer Sachregelung vorzuziehen. Die dog-matische und praktische Notwendigkeit, eine Kollisionsnorm durch Auslegung zu ermit-teln, deren Verknüpfungsentscheidung ihren inneren Grund ausschließlich im Inhalt der letztlich anzuknüpfenden Sachregelung hat, bleibt zweifelhaft. Die Ermittlung des räumlichen Anwendungsbereichs einer Sachregel exklusiv durch Auslegung des ihr immanenten Inhalts und Zwecks mündet im Ergebnis in der Suche nach dem räumli-chen Anwendungswillen dieses Rechtssatzes. Diese verbreitete Anknüpfung nach dem Prinzip des Anwendungswillens von Rechtssätzen in Abweichung von der sonst vor-herrschenden Suche nach der engsten Verbindung ist problematisch. Durch exklusiv sachrechtliche, dem Gesetzesinhalt entspringende Kriterien wird eine nicht ausdrück-lich formulierte Kollisionsnorm als vorhanden ermittelt. Zu unterscheiden sind überdies

"Eingriffsnormen", deren Anwendungsbereich vom Gesetz gemäß deren Anwen-dungswillen zu bestimmen ist, von "reinen" Privatrechtsnormen, deren Anwendungsbe-reich gemäß der engsten Verbindung zu bestimmen ist. Schwierigkeiten der Abgren-zung räumen selbst die Befürworter einer solchen, auf die Einzelregelung bezogenen Herleitung von Kollisionsnormen ein. Die auf den Regelungszweck eines Rechtssatzes ausgerichtete Kategorisierung mit Fokus auf den Anwendungsbereich der Norm wie-derholt letztlich nur die kollisionsrechtliche Fragestellung. Auch macht die Anknüpfung gemäß dem Anwendungswillen von Rechtssätzen eine Klärung des Verhältnisses sol-cher Kollisionsnormen zu den autonom entwickelten klassischen Kollisionsnormen ge-mäß dem Prinzip der engsten Verbindung nötig. Die teilweise propagierte absolut vor-rangige Anwendung von "règles d'application immédiate" oder "Eingriffsnormen" blieb nicht unwidersprochen und wird weiterer Untersuchungsgegenstand sein.37

36 Eine zwingende internationale Anwendung der Sachnorm ist auszuschließen, wenn der individuelle Zweck einer Regelung "mit anderen Mitteln oder auch dann erreicht werden kann, wenn die Bestimmung nicht in jedem Fall, da eine Beziehung zum Inland besteht, angewendet wird" (Schwander, "Lois d’application immédiate", S. 291).

37 Die erwähnte Ansicht, eine (Sonder)Anknüpfung nach dem Anwendungswillen materiellen Rechts sei bezüglich der als "Eingriffsnormen" bezeichneten Anknüpfungsmaterie entbehrlich, bleibt zu überprüfen;

vgl. im folgenden Teil 1 Kapitel 2 und 3. Die Bedeutung sachrechtlicher Interessen (Interessen, die auf das materielle Ergebnis eines Rechtssatzes, den Inhalt eines Rechts gerichtet sind) im Unterschied zu kollisi-onsrechtlichen Interessen (Interessen, die auf die Anwendung eines Rechts gerichtet sind) für die Anknüp-fungsentscheidung ist in diesem Zusammenhang klärungsbedürftig. Bei den als "règles d'application im-médiate" oder "Eingriffsnormen" bezeichneten Anknüpfungsmaterien bleibt die Sonderanknüpfung nach dem Prinzip des Anwendungswillens materiellen Rechts vorherrschend (Neuhaus, Grundbegriffe, S. 29 ff.).