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Der Umgang mit psychisch kranken Rechtsbrechern im Spannungsfeld mit der UN-Behindertenrechtskonvention / eingereicht von Tanja Barth

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Academic year: 2021

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at Eingereicht von Tanja Barth k1255787 Angefertigt am Institut für Strafrechtswissenschaften Beurteiler / Beurteilerin Univ. Prof. Dr. Alois Birklbauer

Mitbetreuung MMg.a Dr.in Kathrin

Schmidthuber

März 2017

Der Umgang mit

psychisch kranken

Rechtsbrechern im

Spannungsfeld mit der

UN-Behindertenrechts-konvention

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

(2)

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Linz, 23.03.2017

Tanja Barth

SPRACHLICHE GLEICHBEHANDLUNG

Soweit in dieser Arbeit auf natürliche Personen bezogene Bezeichnungen nur in männlicher Form angeführt sind, beziehen sie sich auf Frauen und Männer in gleicher Weise.

(3)

Inhaltsverzeichnis

I. Abkürzungsverzeichnis ... 5

II. Einleitung ... 7

III.

Zweispurigkeit des österreichischen Strafrechts - Strafe und vorbeugende

Maßnahme ... 8

A. Allgemeines ... 8 B. Strafe... 8 1. § 11 StGB ... 8 C. Vorbeugende Maßnahme ... 8 1. Fehlender Schuldvorwurf ... 9 2. Zurechnungsunfähigkeit ... 9 a) Geisteskrankheit ... 9 b) Geistige Behinderung ... 10 c) Tiefgreifende Bewusstseinsstörung ... 10

d) Gleichwertige schwere seelische Störung ... 10

3. Vorbeugende Maßnahme mit und ohne Freiheitsentzug ... 11

IV.

Überblick über die Unterbringung in einer Anstalt in Österreich ... 11

A. Begriffsbestimmung ... 11

B. Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 StGB) ... 12

1. Anstalt für zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 1 StGB) . 12 2. Anstalt für zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 2 StGB) ... 13

C. Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher (§ 22 StGB) ... 13

D. Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter (§ 23 StGB) ... 14

V.

Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung ... 15

A. Das Übereinkommen und sein Fakultativprotokoll ... 15

1. Mitglieder... 15

B. Umsetzung der Konvention in und daraus erwachsende Verpflichtungen für Österreich ... 16

C. Menschen mit Behinderung ... 17

1. Begriffsbestimmung „Behinderung“ ... 17

2. Rechte von Menschen mit Behinderung ... 20

D. Aufbau und Systematik der UNBRK ... 21

1. Gliederung ... 21

VI.

Artikel 14 UN-Behindertenrechtskonvention ... 22

A. Freiheit und Sicherheit der Person ... 22

1. Umsetzung auf grundrechtlicher Ebene ... 22

2. Maßgebender Konnex zwischen psychischer Erkrankung und Gefährlichkeit bei einer Unterbringung ... 22

3. Artikel 14 und seine Entsprechung in Österreich ... 23

B. Konflikt der österreichischen Gesetzgebung mit der UNBRK ... 24

1. Erforderlicher Konnex zwischen psychischer Krankheit und Gefährlichkeit ... 25

a) Exkurs: deutsche Rechtslage ... 26

(4)

C. Concluding Observations ... 27

1. Bericht des Monitoringausschusses ... 27

2. Englische Originalfassung ... 27

3. Stellungnahme vom Ausschuss September 2014 ... 28

VII. Lösungsansätze ... 29

A. Studie des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte ... 29

B. Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug ... 30

1. Forschungsinhalt ... 30

2. Forschungsergebnisse ... 31

C. Verbesserung von Verfahrensgrundsätzen ... 33

1. Dissenting Opinion zu Kuttner gegen Österreich als Richtlinie für verbesserte Verfahrensgrundsätze ... 33

2. Weiterführende Überlegungen ... 34

VIII. Zusammenfassung ... 35

(5)

I. Abkürzungsverzeichnis

Abs Absatz Art Artikel BBG Bundesbehindertengesetz BEinstG Behinderteneinstellungsgesetz BGBl Bundesgesetzblatt BMJ Bundesministerium für Justiz bzgl bezüglich bzw beziehungsweise ca circa

CRPD Committee on the Rights of Persons with Disabilities

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention,

BGBl 1958/210 idgF

f/ff folgend/fort folgende

gem gemäß

Hrsg Herausgeber

idgF in der geltenden Fassung

idR in der Regel

ieS im engeren Sinn

iSd im Sinne des/r

iVm in Verbindung mit

JA Justizanstalt

lit litera

mE meines Erachtens

MVG Maßnahmenvollzugsgesetz

Nr Nummer

OGH Oberster Gerichtshof

Oö Oberösterreich

Rsp Rechtsprechung

Rz Randziffer

SbgK Salzburger Kommentar zum StBG

StGB Strafgesetzbuch, BGBl 1974/60 idgF

StPO Strafprozessordnung, BGBl 1975/631 idgF StRÄG

Strafrechtsänderungsgesetz

StVG Strafvollzugsgesetz, BGBl 1969/144 idgF

(6)

UNBRK UN-Behindertenrechtskonvention

usw und so weiter

vgl vergleiche

WK-StGB Wiener Kommentar zum StGB

WVK Wiener Übereinkommen über das Recht der

Verträge, BGBl 1980/40 idgF

Z Ziffer

(7)

II. Einleitung

Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen psychisch kranke Rechtsbrecher und deren Vereinbarkeit mit der UN- Behindertenrechtskonvention.

Die Behandlung psychischer kranker Rechtsbrecher in Folge der Begehung strafbarer Handlungen unterscheidet sich grundlegend von der Sanktionierung aufgrund einer strafbaren Handlung, die auf Grund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird. In Österreich ist das Prinzip der Zweispurigkeit des Strafrechts vorherrschend, nach welchem einerseits Strafen und andererseits vorbeugende Maßnahmen verhängt werden. Eine Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das von einem Strafgericht wegen einer strafbaren Handlung in Abhängigkeit von der Schuld verhängt wird. Die vorbeugende Maßnahme enthält keinen Tadel, da sie eben nicht an die Schuld des Täters anknüpft, sondern sie weist einen Übelscharakter auf, der an die besondere Gefährlichkeit des Täters gebunden ist. Im Strafgesetzbuch gibt es nur zwei Arten von Strafen, nämlich die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe.1

Neben die Strafe tritt die schuldunabhängige vorbeugende Maßnahme, die neben einer Gefährlichkeitsprognose auch eine entsprechende Anlasstat voraussetzt. Die im StGB unter § 21 normierte vorbeugende Maßnahme mit Freiheitsentzug bei psychisch kranken Rechtsbrechern ist jene Maßnahme, die im Zuge dieser Diplomarbeit primär von Bedeutung ist und erläutert wird.2

Nach § 21 StGB ist es zulässig einem Menschen, der eine Tat unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, begangen hat, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.3 Nach der UN-Behindertenrechtskonvention soll

Menschen mit Behinderung die Freiheit keinesfalls rechtswidrig oder willkürlich entzogen werden. Jeder Freiheitsentzug muss auf dem Gesetz beruhen und darf auf keinen Fall nur durch das Vorliegen einer Behinderung gerechtfertigt werden. 4

An diesem Punkt stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit es im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention zulässig ist, Menschen mit Behinderung die Freiheit zu entziehen oder ob die derzeit in Österreich geltenden Bestimmungen, nicht einen Verstoß gegen die Konvention darstellen?

1

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II7

19.

2

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

61.

3

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

61.

(8)

Ziel dieser Diplomarbeit wird es unter anderem sein zu klären, ob es für diese Frage eine zufriedenstellende Lösung oder zumindest Reformvorschläge gibt, welche auf das österreichische Rechtssystem anwendbar sind. Untersucht wird auch, ob Österreich den aus der Konvention erwachsenden Verpflichtungen ordnungsgemäß entspricht, oder ob eine mangelhafte Umsetzung vorliegt.

III. Zweispurigkeit des österreichischen Strafrechts - Strafe und

vorbeugende Maßnahme

A. Allgemeines

In Österreich ist das System der Zweispurigkeit des Strafrechts vorherrschend. Neben der Strafe, welche schuldhaftes Verhalten des Täters voraussetzt, gibt es noch die vorbeugende Maßnahme, die bei Tätern, denen kein Schuldvorwurf gemacht werden kann, greift.5

B. Strafe

Die Strafbarkeit und das Maß der Strafe werden durch den Schuldvorwurf bestimmt. Einen Schuldvorwurf kann es überhaupt erst geben, wenn ein Mensch die Freiheit zur selbständigen und richtigen Entscheidung hat. Strafrechtlich schuldhaft handelt ein Mensch nur, wenn er sich trotz seiner Fähigkeiten, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, dafür entschieden hat, gegen ein Strafgesetz zu verstoßen.6

1. § 11 StGB

Der Begriff der Schuld wird in § 11 StGB im Rahmen der Zurechnungsfähigkeit aufgegriffen. Aus § 11 ergibt sich, dass nur schuldhaft handelt, wer im Zeitpunkt der Tat das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln fähig ist. Nur wer diese Elemente erfüllt, handelt schuldhaft und ist zu bestrafen.7

Was aber, wenn die Schuldfähigkeit trotz rechtswidrigen Handelns nicht vorliegt? Das Schuldstrafrecht versagt in diesen Fällen bei Tätern, denen kein Schuldvorwurf gemacht werden kann und stellt neben die Strafe die vorbeugende Maßnahme.

C. Vorbeugende Maßnahme

Das durch Zweispurigkeit geprägte Strafrecht setzt neben die Strafe, welche immer schuldhaftes Verhalten des Täters voraussetzt, die vorbeugende Maßnahme, die den wesentlichen

5

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

61.

6

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

12.

(9)

Tadelscharakter der Strafe durch das Kriterium der Gefährlichkeit kompensiert.8 Natürlich reicht

für eine vorbeugende Maßnahme das Merkmal der Gefährlichkeit nicht aus, sondern es muss - wie bei der Strafe - eine Anlasstat vorliegen. Den Schuldvorwurf ersetzt aber die Gefährlichkeitsprognose.9

1. Fehlender Schuldvorwurf

§ 11 StGB und § 4 JGG normieren ausdrücklich jene Fälle, in denen eine Schuldfähigkeit mangels Einsichts- und Steuerungsfähigkeit entfällt.10 Wer wegen einer (1) Geisteskrankheit,

einer (2) geistigen Behinderung, einer (3) tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer (4) gleichwertigen seelischen Störung nicht fähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen und auch nicht nach dieser Einsicht handeln kann, der handelt nicht schuldhaft.11 Solche Personen, die die Fähigkeit eines Menschen, für die Willensbildung verantwortlich zu sein, nicht haben, sind zurechnungsunfähig und daher keiner Strafe iSd § 4 StGB zugänglich.12

2. Zurechnungsunfähigkeit

Die Zurechnungsunfähigkeit kann nach § 11 StGB auf vier gleichbedeutende Gruppen aufgeteilt werden, wobei die letzte Gruppe eine Art Generalklausel darstellt.13

a) Geisteskrankheit

Unter dem Begriff der Geisteskrankheit versteht man pathologische Veränderungen geistig- seelischer Funktionen im menschlichen Gehirn.14 Man kann sie in (a) exogene und (b)

endogene Psychosen unterteilen.15

¢ Exogene Psychosen

Sie sind die sogenannten „echten“ Geisteskrankheiten im psychiatrischen Sinn, welche auf einem körperlichen Krankheitsprozess beruhen. Zu ihnen zählt man beispielsweise traumatische Psychosen, Infektionspsychosen, Vergiftungen und Demenz.16

¢ Endogene Psychosen

Unter endogenen Psychosen werden sog postulierte Krankheiten verstanden, also jene Störungen, bei denen eine somatische Ursache nicht mit letzter Gewissheit nachgewiesen werden kann, aber mit großer Wahrscheinlichkeit vermutet wird. Darunter fallen beispielsweise

8 Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7 61; Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 1. 9

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

61; Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 1.

10

Kienapfel/Höpfel/Kert, Allgemeiner Teil15

Z 16 Rn 5; Fabrizy, StGB12

§ 11 Rz 1a.

11

Kienapfel/Höpfel/Kert, Allgemeiner Teil15

Z 16 Rn 6. 12 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 2. 13 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 3; Fabrizy, StGB12 § 11 Rz 5. 14 Triffterer in SbgK § 11 Rz 18. 15 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 4. 16 Triffterer in SbgK § 11 Rz 18.

(10)

die Schizophrenie oder manisch-depressives Irrsein.17

Die Geisteskrankheit muss also einen gewissen Schweregrad aufweisen und geeignet sein, die Persönlichkeit in ihrem Kern zu beeinträchtigen und die Fähigkeit zu sinnvollem Handeln in einem gewissen Ausmaß wesentlich herabzusetzen.18

b) Geistige Behinderung

Unter einer geistigen Behinderung wird die Erscheinung einer geistig-seelischen Störung verstanden, bei der ein Intelligenzdefekt eine tragende Rolle spielt. Es wird eine Gliederung in schwere, mittelgradige und leichte Intelligenzminderung vorgenommen, wobei jede dieser drei Stufen für einen Ausschluss der Zurechnungsfähigkeit genügen kann. Die am wenigsten schwerwiegende Stufe überschreitet schlichte Dummheit und muss mit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Kombinations- und Urteilsvermögens verknüpft sein.19

c) Tiefgreifende Bewusstseinsstörung

Unter einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung versteht man eine vorübergehende Trübung oder eine sonstige Beeinträchtigung des Bewusstseins, deren Intensität eine zeitweise Funktionsunfähigkeit des seelischen Gefüges des Betroffenen bewirkt.20

Zu beachten ist, dass eine Bewusstseinsstörung nicht der Bewusstlosigkeit entspricht. Eine solche würde bereits zum Ausschluss der Handlungsfähigkeit führen.21

Ob die Bewusstseinsstörung krankhafter oder nicht krankhafter Natur ist, ist nicht beachtlich. Ausschlaggebend ist ausschließlich, dass die Bewusstseinsstörung tiefgreifend ist.22 Von einer

tiefgreifenden Bewusstseinsstörung spricht man, wenn der Täter nur zu einer zerstreuten und bruchstückhaften Wahrnehmung der ihn umgebenden Wirklichkeit fähig ist.23

Eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung kann etwa durch erhebliche Trunkenheit (nach ständiger Rsp erst ab einem Promillegehalt von 3 Promille), Drogeneinwirkung, Medikamentenmissbrauch, Hypnose oder hochgradige Schock- oder Angstzustände initiiert werden.24

d) Gleichwertige schwere seelische Störung

Für jene Fälle, die keine Geisteskrankheit, geistige Behinderung oder tiefgreifende

17

Triffterer in SbgK § 11 Rz 19; Kienapfel/Höpfel/Kert, Allgemeiner Teil15

Z 16 Rn 8. 18 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 5. 19 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 5; Triffterer in SbgK § 11 Rz 24. 20 Fabrizy, StGB12 § 11 Rz 5; Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 6. 21 Triffterer in SbgK § 11 Rz 29. 22 Höpfel in WK2 StGB § 11 Rz 6. 23 Triffterer in SbgK § 11 Rz 30.

(11)

Bewusstseinsstörung darstellen, gibt es den Auffangtatbestand der gleichwertigen seelischen Störung.25 Eine solche kann sich bei höchstgradigen Affekten, schweren Triebstörungen,

besonders schweren Neurosen und Psychopathien ergeben.26

3. Vorbeugende Maßnahme mit und ohne Freiheitsentzug

Im österreichischen Strafgesetzbuch wird zwischen vorbeugenden Maßnahmen mit Freiheitsentzug und vorbeugenden Maßnahmen ohne Freiheitsentzug differenziert:

¢ Vorbeugende Maßnahme mit Freiheitsentzug

¿ die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB ¿ die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher nach § 22

StGB

¿ die Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter nach § 23 StGB

¢ Vorbeugende Maßnahme ohne Freiheitsentzug ¿ die Einziehung nach § 26 StGB

¿ das Tätigkeitsverbot nach § 220 b StGB27

Im Zuge dieser Diplomarbeit ist nur die nähere Erörterung von vorbeugenden Maßnahmen mit Freiheitsentzug von Bedeutung.

IV. Überblick über die Unterbringung in einer Anstalt in Österreich

A. Begriffsbestimmung

Die vorbeugende Maßnahme ist auf Rechtsbrecher beschränkt, bei denen eine schwere psychische Abartigkeit zum Vorschein kommt. Sie richtet sich auf der einen Seite gegen die Gefährlichkeit des geistig abnormen Täters und hat auf der anderen Seite auch die Resozialisierung des Täters als Ziel vor Augen.28

Wird eine geistige Abnormität nach § 21 StGB oder eine Entwöhnungsbedürftigkeit nach § 22 StGB festgestellt und liegen die anderen Voraussetzungen vor, so sind diese Rechtsbrecher in eigenen Anstalten nach §§ 158 ff StVG unterzubringen.29

25

Triffterer in SbgK § 11 Rz 35.

26

Kienapfel/Höpfel/Kert, Allgemeiner Teil15

Z 16 Rn 12.

27

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

61; Fabrizy, StGB12

§ 21 Rz 1.

28

Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 1.

(12)

B. Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 StGB)

Bei der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB wird unterschieden, ob die geistige Abnormität so stark ist, dass eine Zurechnungsunfähigkeit nach § 21 Abs 1 StGB angenommen wird, oder ob diese nicht so stark ausgeprägt ist, dass der Täter nicht zurechnungsunfähig ist, sondern zumindest beschränkte Zurechnungsfähigkeit nach § 21 Abs 2 StGB vorliegt.30

Zu beachten ist, dass nach § 25 Abs 1 StGB die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher auf unbestimmte Zeit verhängt wird, jedoch jährlich die Voraussetzungen für eine weiter andauernde Anhaltung geprüft werden müssen. Es ist also theoretisch eine lebenslange Anhaltung möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Entlassung nie erfüllt werden.31

1. Anstalt für zurechnungsunfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 1 StGB)

§ 21 StGB setzt die Verwirklichung eines Tatgeschehens voraus, damit es überhaupt einen Anlass für die Einleitung und die Führung des Verfahrens gibt.32 Diese Anlasstat ergibt sich aus

der Begehung einer Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht und noch nicht verjährt ist.33 Zudem darf es sich um keine reine Vermögenstat im Sinne des § 21 Abs 3

StGB handeln, außer es wurde Gewalt gegen eine Person angewandt oder die Tat unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) begangen.34

Zum Vorliegen einer Anlasstat muss noch der Umstand hinzutreten, dass die Tat unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes nach § 11 StGB begangen worden sein muss. Dieser Zustand muss auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades gründen.35 Die Tat und der Ausschluss des Einsichts- und Steuervermögens muss

durch den auf Abartigkeit beruhenden Zustand zumindest mitbewirkt worden sein. Diese zusätzliche Voraussetzung bildet das Abgrenzungskriterium zu § 21 Abs 2 StGB, nach welchem sich der Täter in einem eben nicht die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befindet.36

Die Gefährlichkeitsprognose stellt bei den freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen ein zentrales Element dar. Es muss die Befürchtung bestehen, dass der Täter ohne die Einweisung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen unter dem Einfluss der geistigen oder

30

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

62.

31

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

62.

32

Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 7.

33

Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 5; Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

62.

34

Manquet (2015) 139.

35

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

62; Ratz in WK2

StGB § 21 Rz 12.

(13)

seelischen Abnormität begehen werde.37 Im Zuge einer Gesamtwürdigung müssen die Elemente

der Gefährlichkeitsprognose ausreichend berücksichtigt werden, um eine Abwägung des mit der vorbeugenden Maßnahme verbundenen Freiheitsentzuges gegen das Ausmaß der zu befürchtenden Gefährlichkeit zu ermöglichen.38

2. Anstalt für zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 2 StGB)

In eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB ist einzuweisen, wer, ohne zurechnungsunfähig zu sein, unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.39 Die Anforderung an die Anlasstat und die Gefährlichkeitsprognose

sind mit jenen des § 21 Abs 1 StGB ident.40 Wie bereits erwähnt, ist das wesentliche Abgrenzungsmerkmal die hier nicht vorliegende Zurechnungsunfähigkeit. Dennoch muss die geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades soweit ausgeprägt sein, dass sie die Willensbildung wesentlich beeinflussen kann.41 § 21 Abs 2 StGB ordnet die Unterbringung

zusätzlich zum Ausspruch über die Strafe an. Die Unterbringung wird vikariierend verhängt, was bedeutet, dass sich die Dauer der zu verbüßenden Strafe im Ausmaß des Vollzugs der vorbeugenden Maßnahme verringert.42 Die vorbeugende Maßnahme ist nach § 24 Abs 1 StGB

vor der Strafe zu vollziehen.

§ 21 Abs 1 und § 21 Abs 2 StGB verbindet mehr als sie unterscheidet. Ausschlaggebendes Abgrenzungsmerkmal ist, dass die betroffene Person im Falle des § 21 Abs 1 StGB die Tat unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes nach § 11 StGB begangen hat.43

C. Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige

Rechtsbrecher (§ 22 StGB)

Auch die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher ist an gewisse, mit § 21 StGB vergleichbare, Voraussetzungen gebunden. Die Anlasstat besteht hier aber in der Tatbegehung in einem Zustand der vollen Berauschung (§ 287 StGB) oder einer im Rausch oder sonst im Zusammenhang mit der Gewöhnung des Täters, welcher dem Missbrauch von berauschenden (Sucht-)Mitteln ergeben ist, begangenen Straftat.44 Die

Unterbringung ist also nicht nur alleine vom Schutzbedürfnis getragen, sondern auch von den

37

Ratz in WK2

StGB § 21 Rz 23; Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

63.

38

Ratz in WK2

StGB § 21 Rz 24; Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

63.

39

Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 65.

40

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

63.

41

Nimmervoll in SbgK § 21 Rz 66.

42

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

62.

43

Manquet (2015) 140.

(14)

Behandlungsaussichten. Das bedeutet, dass eine von vornherein feststehende Aussichtslosigkeit der Behandlung der Anordnung einer Maßnahme entgegensteht.45

Auch die Gefährlichkeitsprognose kann an den Maßstab in § 21 StGB angelehnt werden: es muss befürchtet werden, dass der Täter ohne die Unterbringung im Zusammenhang mit der Gewöhnung an berauschende Mittel oder Suchtmittel eine Straftat mit schweren oder nicht bloß leichten Folgen begehen werde.46

Die Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher ist vor dem Vollzug einer allfälligen Strafe durchzuführen und auf eine solche anzurechnen.47

D. Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter (§ 23 StGB)

Diese kaum mehr praxisrelevante vorbeugende Maßnahme entspricht der in anderen Rechtsordnungen zulässigen „Sicherheitsverwahrung“. Sie ist an gewisse Voraussetzungen geknüpft, wie etwa, dass der Täter nach Vollendung des 24. Lebensjahres zu einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sein muss und bereits zweimal ausschließlich oder überwiegend wegen vorsätzlicher Straftaten gegen Leib oder Leben, die Freiheit, gegen fremdes Vermögen unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, gegen eine Person, gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, nach § 28a SMG oder wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher gemeingefährlicher strafbarer Handlungen verurteilt worden sein.48

Keine nähere Behandlung dieser Maßnahme erfolgt an dieser Stelle mangels Relevanz für die Erörterung des Themas dieser Arbeit.

Die im Zuge dieser Diplomarbeit essentielle Maßnahme nach § 21 StGB gegen psychisch kranke Rechtsbrecher, ist also an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, da mit ihr ein Freiheitsentzug einhergeht. An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob ein solcher Freiheitsentzug an psychisch kranken Rechtsbrechern nur nach der österreichischen Gesetzgebung rechtmäßig ist, oder ob dieser im Lichte internationaler – gegebenenfalls für Österreich einzuhaltender – Normen, konkret der UN-Behindertenrechtskonvention zulässig ist.

45

Ratz in WK2

StGB § 22 Rz 1.

46

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

63; Ratz in WK2

StGB § 22 Rz 15.

47

Jesionek/Birklbauer, Strafrecht Allgemeiner Teil II 7

63.

(15)

V. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung

A. Das Übereinkommen und sein Fakultativprotokoll

Am 13. Dezember 2006 wurden von der 61. Generalversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ (Convention on the Rights of Persons with Disabilities - CRPD) und „das Fakultativprotokoll“ (Optional Protocol to the Convention on the Rights of Persons with Disabilities) beschlossen.49

1. Mitglieder

Die Konvention wurde bislang von 172 Mitgliedern unterzeichnet („Signatories“); 160 haben sie unterzeichnet und ratifziert („parties“).50 Österreich zählte zu den ersten Staaten, die die

Konvention am 30. März 2007 in New York unterzeichneten.51

Im Jahr 2008 wurde die UN Behindertenrechtskonvention in Österreich ratifiziert (BGBl. III Nr. 155/2008) und ist nun seit 26. Oktober 2008 nach Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG in Kraft. Von Österreich wurden keinerlei Vorbehalte eingelegt oder Erklärungen abgegeben.52

Das Übereinkommen liegt nach Art 42 UNBRK für alle Staaten und Organisationen der regionalen Integration ab dem 30. März 2007 am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Unterzeichnung auf. Gemäß Art 44 UNBRK bezeichnet der Ausdruck „Organisation der regionalen Integration“ eine von souveränen Staaten einer bestimmten Region gebildete Organisation, die ihre Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für von diesem Übereinkommen erfasste Angelegenheiten übertragen haben.53 Die Europäische Union, welche ebenfalls am 30. März

2007 die Konvention unterzeichnete, ist in jedem Fall unter diese Begriffsbestimmung subsumierbar. Dem Erfordernis der förmlichen Bestätigung durch die unterzeichnenden Organisationen der regionalen Integration kam die EU am 23. Dezember 2010, nach Genehmigung durch den Rat gemäß § 217 Abs 6 AEUV, nach.54

49 https://www.behindertenrechtskonvention.info (abgefragt am 04.02.2017); Eccher (2014) Rz 1.

50 https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&chapter=4&clang=_en, (abgefragt am 09.01.2017). 51

https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf (abgefragt am 04.02.2017).

52

Bundesgesetz vom 23.Oktober 2008 über das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie das Fakultativprotokoll zum

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl 2008/155;

https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&chapter=4&clang=_en (abgerufen am 09.01.2017); Manquet (2015) 149.

53

BGBl 2008/155.

(16)

B. Umsetzung der Konvention in und daraus erwachsende Verpflichtungen

für Österreich

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein internationaler Vertrag, welcher das erste universelle Rechtsinstrument darstellt, das bestehende Menschenrechte unter dem Aspekt der Lebenssituation behinderter Menschen konkretisiert.55 Das Übereinkommen ist ein

völkerrechtlicher Vertrag iSd Art 2 Abs 1 lit a WVK, der die Republik Österreich auf völkerrechtlicher Ebene als Vertragspartei gegenüber den anderen Vertragsparteien verpflichtet und eine Rechtsquelle des Völkerrechts darstellt.56

Die UNBRK stellt aus innerstaatlicher Sicht einen Staatsvertrag, welcher vom Nationalrat genehmigt nach Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG wurde, dar. Auf dieser Ebene werden die Rechtswirkungen des Übereinkommens durch einen mit dem Genehmigungsbeschluss verbundenen Erfüllungsvorbehalt modifiziert.57

Auf unionsrechtlicher Ebene ist das Übereinkommen eine internationale Übereinkunft nach Art 216 AEUV, deren Abschluss vom Rat nach Art 217 Abs 6 AEUV genehmigt wurde. Von der Union geschlossene Übereinkünfte binden als Unionsrecht sowohl Organe als auch Mitgliedstaaten der Union. Dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ gemäß Art 26 WVK folgend, hat sich Österreich also völkerrechtlich gegenüber den anderen Vertragsparteien dazu verpflichtet, das Übereinkommen und das Fakultativprotokoll zu beachten.58

Die UNBRK würdigt die Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens und verpflichtet die Beitragsstaaten dazu, Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten.59 Das innerstaatliche Inkrafttreten der Konvention führt zur völkerrechtlichen Verpflichtung Österreichs, die in der UNBRK festgelegten Standards in der österreichischen Gesetzgebung und Vollziehung zu berücksichtigen.60 Der Gesetzgeber ist im Zuge der Erfüllung des gegenständlichen Staatsvertrages tätig geworden und hat staatliche Einrichtungen mit Aufgaben im Zusammenhang mit dem Übereinkommen betraut. Diese Einrichtungen sind von Gesetzes wegen verpflichtet im Rahmen ihres Aufgabenbereiches das Übereinkommen anzuwenden und den daraus für Österreich entstehenden Verpflichtungen Rechnung zu tragen.61

55

https://www.behindertenrechtskonvention.info (abgefragt am 04.02.2017).

56 Eccher (2014) Rz 24; Statut des Internationalen Gerichtshofes, BGBl 120/1956; Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl 40/1980. 57 Eccher (2014) Rz 24.

58 Eccher (2014) Rz 27. 59

https://www.behindertenrechtskonvention.info (abgefragt am 04.02.2017).

60

Monitoringausschuss, Was ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung, http://monitoringausschuss.at/ueber-uns/un-konvention/ (abgerufen am 22.12.2016); Sozialministerium, Die UN-Behindertenrechtskonvention,

https://www.sozialministerium.at/site/Arbeit_Behinderung/Menschen_mit_Behinderung/EU_International/UN_Behindertenrechtskonvention/ (abgefragt am 22.12.2016);

https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf.

(17)

Als Anlaufstelle des Bundes dient in Österreich das Sozialministerium, welches auch für die Koordinierung im Zusammenhang mit der UNBRK zuständig ist. Für die Länder sind in Entsprechung des Art 33 UNBRK eigene Anlaufstellen einzurichten. Art 33 UNBRK normiert, dass bei innerstaatlicher Durchführung und Überwachung der Konvention (a) staatliche Anlaufstellen für Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Durchführung der UN-Behindertenrechtskonvention errichtet, (b) staatliche Koordinierungsmechanismen, zur Durchführung entsprechender Maßnahmen in verschiedenen Ebenen und (c) ein unabhängiger Mechanismus zur Förderung, zum Schutz und zur Überwachung der Durchführung der Konvention (Monitoring) geschaffen werden müssen.62

In einer Novelle des Bundesbehindertengesetzes wurde zur Umsetzung der Verpflichtungen Österreichs im Bereich der Bundeskompetenz ein nationalstaatlicher Überwachungsmechanismus geschaffen.63

Gemäß § 8 Abs 2 Z 4 BBG ist beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein Bundesbehindertenbeirat zu errichten, dem die Überwachung der Einhaltung der UN-Konvention durch einen unabhängigen und weisungsfreien Monitoringausschuss nach § 13 BBG obliegt. Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz bestellt die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Monitoringausschusses. Zum Ausschuss gehören: (1) vier Vertreter der organisierten Menschen mit Behinderung, (2) ein Vertreter einer anerkannten im Bereich der Menschenrechte tätigen gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation, (3) ein Vertreter einer anerkannten im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätigen gemeinnützigen Nichtregierungsorganisation und (4) ein Experte aus dem Bereich der wissenschaftlichen Lehre.64

Durch § 8 Abs 2 Z 4 BBG ist dem Monitoringausschuss also die „Überwachung der Einhaltung“ des Übereinkommens durch oben genannte Instrumente übertragen.65

C. Menschen mit Behinderung

1. Begriffsbestimmung „Behinderung“

In § 1 Abs 2 BBG und § 3 BEinstG wird unter Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder

62 Sozialministerium, Die UN-Behindertenrechtskonvention,

https://www.sozialministerium.at/site/Arbeit_Behinderung/Menschen_mit_Behinderung/EU_International/UN_Behindertenrechtskonvention/ (abgefragt am 22.12.2016). 63 https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf (abgefragt am 04.02.2017). 64

Bundesgesetz vom 17.Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz- BBG), BGBl 283/1990; Eccher (2014) Rz 70.

(18)

Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen verstanden, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Ein Zeitraum der mehr als 6 Monate übersteigt wird als nicht vorübergehend qualifiziert.66

Die Definition von Behinderung im BBG und BEinstG ist in weiten Teilen deckungsgleich bzw vergleichbar mit der Begriffsbestimmung der Behinderung in Art 1 S 2 UNBRK. Die Konvention enthält keine abschließende Definition von Behinderung, sie zählt zu den Menschen mit Behinderung aber insbesondere jene Menschen, die langfristige, körperliche, seelische, geistige Beeinträchtigungen oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Diese Begriffsbestimmung hat keinen abschließenden, sondern einen sich weiterentwickelnden Charakter. Der Präambularsatz spricht zudem von einer „Vielfalt der Menschen mit Behinderung“, was den nicht restriktiven Charakter der Bestimmung verdeutlicht.67

Aus Art 1 S 2 UNBRK ergeben sich folgende Elemente:68

¢ körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung

Aus dieser Gruppierung wird wieder der weite Ansatz des Übereinkommens sichtbar, da kaum eine Beeinträchtigung vorstellbar ist, die sich nicht in eine dieser vier Kategorien einteilen lässt.69

¢ Langfristigkeit

Im Übereinkommen wurde auf die Festlegung einer konkreten Mindestfrist verzichtet, vielmehr ist es von Bedeutung, dass die Behinderung von langer Dauer ist.70 Die Abgrenzung zu einer Krankheit soll nicht an eine Mindestzahl geknüpft sein, sondern vielmehr soll im Rahmen einer Prognose bei der Einzelfallbetrachtung darauf abgestellt werden, dass ein regelmäßiger Zustand besteht, der sich mit aller Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit nicht wieder in einen medizinisch-biologischen Zustand wandelt, der dem eines durchschnittlichen Altersgenossen entspricht.71 66 BGBl 283/1990. 67 Eccher (2014) Rz 310. 68

Eccher (2014) Rz 312; Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 210.

69

Eccher (2014) Rz 313.

70

Eccher (2014) Rz 316.

(19)

¢ Hinderung an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren

Das Übereinkommen geht von einem eher sozial-integrativen Ansatz zu Lasten des traditionell medizinisch-defektzentrierten Verständnisses von Behinderung aus, was vielfach als Paradigmenwechsel verstanden wird. Das Zurückbleiben der Fähigkeiten eines Menschen gegenüber einem anderen Menschen rückt bei der sozial-integrativen Auffassung immer mehr in den Hintergrund, währen die Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten eines Individuums und den Funktionen, die ihm in der Gesellschaft abverlangt werden mehr zum Mittelpunkt der Begriffsbestimmung von Behinderung wird. Behinderung wird als Ergebnis einer Interaktion von Individuen mit den Reaktionen der Um- und Mitwelt darauf verstanden.72

¢ negative Elemente

Obwohl teilweise die Auffassung vertreten wird, dass Personen mit bloß geringfügigen Beeinträchtigungen nicht in den Anwendungsbereich fallen sollen, lässt sich aus dem System des Übereinkommens und auch aus Art 1 S 2 UNBRK keine sogenannte „de minimis Grenze“ entnehmen. Ausgenommen sind nur jene Beeinträchtigungen die keine Behinderung iSd Übereinkommens darstellen. Liegt aber eine Behinderung vor, egal wie geringfügig sie ist, so ist eine Subsumtion unter den Behindertenbegriff der UNBRK gegeben.73

Es treten auch immer wieder Unklarheiten darüber auf, ob Krankheit einen Gegenbegriff zur Behinderung darstellt, also das Vorhandensein einer Krankheit das Vorliegen einer Behinderung ausschließt. Aus der Rsp des EuGH lässt sich allerdings ableiten, dass das Vorliegen einer Krankheit das Vorliegen einer Behinderung keineswegs ausschließt, sondern die Kriterien der Behinderung nach Art 1 S 2 der UNBRK zu prüfen sind.74

Nach der Definition des Art 1 S 2 der UNBRK fallen die meisten, wenn auch nicht alle geistig abnormen Rechtsbrecher im Sinne des § 21 StGB in den Anwendungsbereich des Übereinkommens. Bedeutet das aber nun in Hinblick auf Art 14 Abs 1 lit b UNBRK, dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall einen Freiheitsentzug rechtfertigt, dass also jeder Maßnahmenvollzug an Menschen mit Behinderung einen Verstoß gegen das Übereinkommen darstellt?75 Diese Frage wird in Kapitel V noch einmal aufgeworfen und auch abschließend erläutert.

72

Eccher (2014) Rz 319; Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 211.

73

Eccher (2014) Rz 331.

74

Eccher (2014) Rz 332 ff.

(20)

2. Rechte von Menschen mit Behinderung

Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern ist ein tragendes Element des österreichischen Bundesstaates. Das Behindertenrecht gehört zu den so genannten Querschnittsmaterien, was dazu führt, dass aufgrund der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung zahlreiche Bundes- und Landesgesetze Rechtsnormen beinhalten, die für Menschen mit Behinderung von Bedeutung sind. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzung in den einzelnen Gesetzen, gibt es keine einheitliche Definition von Behinderung.76

Ausgehend von der Maxime, dass eine Behinderung jeden Lebensbereich betreffen kann, wird in Österreich die Behindertenpolitik als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. Besonders deutlich heben sich Teilhabe, Zugänglichkeit, Selbstbestimmung, Dezentralisierung und Prävention als Grundsätze hervor. Themen wie Gleichstellung, Inklusion und Zugänglichkeit des öffentlichen Lebens führten zu einem Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik und der Ergänzung eines speziellen Diskriminierungsschutzes für Menschen mit Behinderung in einem zentralen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grund- und Freiheitsrecht: Art 7 B-VG. Zentraler Bestandteil von Art 7 B-VG ist nun, dass kein Mensch wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf und eine Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens gewährleistet werden muss.77

2005 wurde ein Behindertengleichstellungspaket beschlossen, welches aufgeteilt auf drei Gesetze einen Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderung normiert. Es gilt, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten. Das BGStG enthält ein Diskriminierungsverbot für den Bereich des täglichen Lebens. Im BEinstG wird ein Diskriminierungsverbot für den Bereich der Arbeitswelt geregelt. Das BBG enthält die Einrichtung eines Behindertenanwalts, der der Unterstützung von Personen dient, die sich diskriminiert fühlen.78

76 https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf, Seite 4. 77 https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf, Seite 2. 78 https://www.sozialministerium.at/cms/site/attachments/7/3/8/CH3434/CMS1470156784356/un_behindertenrechtskonvention_staatenbericht_1_oesterre ich.pdf, Seite 3.

(21)

D. Aufbau und Systematik der UNBRK

1. Gliederung

Die UNBRK besteht aus insgesamt 50 Artikel, denen eine Präambel vorgestellt ist, welche in einleitenden Worten darstellt, unter Berücksichtigung welcher Punkte die Vertragsstaaten die 50 Artikel vereinbart haben. Die UNBRK ist in einen allgemeinen Teil - Artikel 1 bis 9 - und in einen besonderen Teil - Artikel 10 bis 30 - gegliedert. Der allgemeine Teil erfasst Ziele, Definitionen und Grundsätze der Konvention, währen der besondere Teil die einzelnen aus der Konvention erwachsenden Menschenrechte aufführt.79

Der Zweck der UNBRK wird als erste Bestimmung der Konvention in Artikel 1 angeführt: Primäres Ziel der Konvention ist es, den Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten für Menschen mit Behinderung zu fördern, schützen und gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. 80

Artikel 3 UNBRK legt allgemeine, rechtsverbindliche Grundsätze dar.81

„Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind:

a) die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit; b) die Nichtdiskriminierung;

c) die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft; d) die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die

Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit; e) die Chancengleichheit;

f) die Zugänglichkeit;

g) die Gleichberechtigung von Mann und Frau;

h) die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die

Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.“ 82

Die Erläuterung und Darstellung der restlichen Artikel der UNBRK würde den Rahmen der Diplomarbeit sprengen, weswegen in weiterer Folge ausschließlich auf Art 14 UNBRK eingegangen wird, dessen Relevanz für die Erörterung der Problematik der österreichischen

79

BGBl 155/2008.

80

Bundesgesetz vom 23.10.2008 über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, BGBl 155/2008.

81

Eccher (2014) Rz 94.

82

Bundesgesetz vom 23.10.2008 über die Rechte von Menschen mit Behinderung sowie das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, BGBl 155/2008.

(22)

Umsetzung der Konvention unbestreitbar ist.

VI. Artikel 14 UN-Behindertenrechtskonvention

A. Freiheit und Sicherheit der Person

1. Umsetzung auf grundrechtlicher Ebene

Die EMRK und das PersFrG sind als Grundrechtsquellen heranzuziehen, wenn eine freiheitsbeschränkende Maßnahme an Menschen mit Behinderung zur Anwendung kommt. Ein Freiheitsentzug ist nach Art 5 Abs 1 lit e EMRK nur dann möglich, wenn die Person geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist. Diese Ermächtigung wird durch Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG dahingehend eingeschränkt, dass der Freiheitsentzug nur dann gesetzlich erlaubt ist, wenn es Grund zur Annahme gibt, dass sich die betreffende Person wegen einer psychischen Erkrankung selbst oder andere gefährde.83 In den Grundrechtsquellen

wird bezugnehmend auf die Behinderung zwar nicht wortwörtlich dieselbe Terminologie wie in Art 14 UNBRK verwendet, sondern die Begriffe „geisteskrank“ (Art 5 Abs 1 lit e EMRK) und „psychische Erkrankung“ (Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG). Diese Bezeichnungen sind dennoch sinngemäß unter Art 14 des Übereinkommens subsumierbar.84

2. Maßgebender Konnex zwischen psychischer Erkrankung und Gefährlichkeit bei einer Unterbringung

Nach Art 5 Abs 1 EMRK hat ein jeder Mensch das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Genau aus diesem Grund ist ein Freiheitsentzug nur in besonderen, gesetzlich normierten Fällen zulässig. Einer davon ist das Vorliegen einer Geisteskrankheit nach Art 5 Abs 1 lit e EMRK. Das heute sehr zentrale Element der Selbst- oder Fremdgefährdung lässt sich explizit nicht aus Art 5 EMRK herauslesen, wird vom EGMR aber trotzdem als wesentliche Voraussetzung für einen zulässigen Freiheitsentzug angesehen. Das Erfordernis der konkreten Selbst- oder Fremdgefährdung ist im neueren PersFrG ausdrücklich neben der psychischen Erkrankung geregelt. Ein Freiheitseinzug bei psychischer Erkrankung ist also nur möglich, wenn kumulativ das Element der Gefährlichkeit hinzutritt.85

Der EGMR begründet die These, dass auch bei Art 5 EMRK alleine eine Geisteskrankheit nicht ausreicht um einen Freiheitsentzug rechtfertigen zu können, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei Grundrechtsbeschränkungen bei besonders schutzwürdigen Menschen, wie eben Menschen mit Behinderung, ist der staatliche Ermessensspielraum als

83

Bundesverfassungsgesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Die Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl 59/1964; Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988; Eccher (2014) Rz 262.

84

Eccher (2014) Rz 263.

(23)

sehr eng zu betrachten, weswegen gewichtige Gründe für eine Beschränkung vorliegen müssen. Aus dieser Verhältnismäßigkeit wird also abgeleitet, dass eine Geisteskrankheit alleine niemals Anlass für einen Freiheitsentzug sein kann.86

Der EGMR prüft drei Minimalkriterien bei Art 5 Abs 1 lit e EMRK, wenn es um die Frage geht, ob ein Freiheitsentzug verhältnis- und rechtmäßig ist:87

¢ Eine Geisteskrankheit muss verlässlich festgestellt werden, indem mentale Störungen von einer zuständigen Instanz aufgrund einer objektiv medizinischen Expertise diagnostiziert werden.88

¢ Die verpflichtende Freiheitsbeschränkung muss durch Art und Ausmaß der mentalen Störung gerechtfertigt sein.89

¢ Das Andauern der Störung ist für die Rechtmäßigkeit einer fortgesetzten Freiheitsbeschränkung von wesentlicher Bedeutung.90

Art 5 Abs 2 EMRK und Art 4 Abs 6 PersFrG entsprechend müssen den Betroffenen Freiheitsbeschränkungen und Rechtsmittelmöglichkeiten in verständlicher Sprache nähergebracht werden.91 Ebenfalls wird ein Recht auf ein Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der

Freiheitsentziehung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde prüft, garantiert. Es müssen verfahrensrechtliche Garantien angemessen zu Art und Ausmaß der Freiheitsentziehung stehen, damit niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird.92

Von zentraler Bedeutung ist außerdem, dass ein Konnex zwischen dem angeführten Grund, dem Ort und den Bedingungen einer zulässigen Freiheitsentziehung, bestehen muss. Eine Freiheitsentziehung einer Person wegen psychischer Krankheit ist nur dann zulässig im Sinne des Art 5 Abs 1 lit e EMRK, wenn sie in einem Krankenhaus, einer Klinik oder einer anderen geeigneten Einrichtung erfolgt.93

3. Artikel 14 und seine Entsprechung in Österreich

Art 14 der UNBRK normiert Regelungen über die Freiheit und Sicherheit von Menschen mit Behinderung. Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt mit anderen Menschen das

86

Eccher (2014) Rz 265; EGMR 20.05.2010, Alajos Kiss, 38.832/06, Z 42.

87

Eccher (2014) Rz 266; Manquet (2015) 145.

88

EGMR 24.10.1979, Winterwerp, 6301/73, Z 39; 22.1.2013, Mihailovs, 35.939/10, Z 144 mwN

89

EGMR 24.10.1979, Winterwerp, 6301/73, Z 39; 2.10.2012, Pleso, 41.242/08, Z 66f.

90 EGMR 24.10.1979, Winterwerp, 6301/73, Z 39. 91 Eccher (2014) Rz 269. 92 Eccher (2014) Rz 270; Manquet (2015) 146. 93 Manquet (2015) 145.

(24)

Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit genießen (Art 14 Abs 1 lit a UNBRK). Ihnen darf die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen werden, sondern jede Freiheitsentziehung muss im Einklang mit dem Gesetz erfolgen. Das Vorliegen einer Behinderung darf in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigen (Art 14 Abs 1 lit b UNBRK). Wird Menschen mit Behinderung die Freiheit entzogen, so haben sie gleichberechtigten Anspruch auf die in den internationalen Menschenrechtsnormen vorgesehenen Garantien (Art 14 Abs 2 UNBRK).94

Wenn also bereits aus Art 5 EMRK und Art 2 PersFrG deutlich hervorgeht, dass eine Geisteskrankheit bzw psychische Erkrankung alleine einen Freiheitsentzug nicht rechtfertigen kann, ist ebenso deutlich aus Art 14 Abs 1 lit b UNBRK zu entnehmen, dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. Da, wie bereits weiter oben festgestellt, die Terminologie der Geisteskrankheit, psychischen Erkrankung und Behinderung in der Bedeutung gleichzusetzen sind, stehen Art 5 Abs 1 lit e EMRK und Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG im Einklang mit dem in Art 14 Abs 1 lit b UNBRK verkörperten Grundsatz, dass eine Freiheitsbeschränkung alleine aus dem Vorliegen einer Behinderung nicht möglich ist.95

B. Konflikt der österreichischen Gesetzgebung mit der UNBRK

Der unabhängige und weisungsfreie Monitoringausschuss nach § 8 Abs 2 Z 4 BBG hat in seinem ersten Bericht aus dem Jahr 2013 in Wahrnehmung seiner Aufgabe, die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention zu überwachen, festgestellt, dass die österreichische Gesetzgebung in Konflikt mit Art 14 UNBRK steht, da es zulässig ist, einer Person auf Grundlage einer tatsächlichen oder wahrgenommenen Behinderung die Freiheit zu entziehen.96

Gemäß Art 14 UNBRK müssen die Vertragsstaaten gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird und das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. § 21 StGB erlaubt es aber, dass auch Personen, welche unter einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades leiden, nach entsprechender Anlasstat und bei Vorliegen einer prognostizierten Gefährlichkeit im Rahmen einer freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahme untergebracht werden können. Fraglich ist, ob solche Personen unter den Schutzbereich von Art 14 UNBRK fallen.97

Die UNBRK ist bei der Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Regelungen über die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung in Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung heranzuziehen. 94 BGBl 155/2008. 95 Eccher (2014) Rz 271. 96

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 209.

(25)

Zu beachten ist aber, dass die UNBRK nur ein völkerrechtlicher Vertrag ist, der nicht wie weiter oben genannte Verfassungsgesetze (Art 5 EMRK, Art 2 PersFrG) in Verfassungsrang steht. Die in der UNBRK angeführten Grundsätze sind nicht unmittelbar in die österreichische Gesetzgebung zu übernehmen, sondern dienen vielmehr als Leitlinien für den Gesetzgeber. Kontrollinstrumente wie der Monitoringausschuss können zwar Druck auf eine Umsetzung ausüben, da es aber zu keiner direkten Anwendbarkeit der Konvention kommt, ist die Bedeutung dieser jedenfalls schwächer als Vorschriften, die in Österreich unmittelbare Anwendbarkeit finden, wie etwa Verfassungsgesetze. In diesem Zusammenhang wird oft vom Begriff „Soft Law“ gesprochen, worunter Normen verstanden werden, welche rechtlich zwar nicht gelten und daher nicht unmittelbar mit staatlich organisiertem Zwang exekutiert werden können, die aber doch in irgendeinem Sinne wirken und zu Sanktionen führen.98

1. Erforderlicher Konnex zwischen psychischer Krankheit und Gefährlichkeit

Art 14 Abs 1 lit b der Konvention entsprechend lässt das österreichische Rechtssystem keinen Freiheitsentzug nur aufgrund des Vorliegens einer Behinderung zu. Art 2 Abs 1 Z 5 PersFrG fordert ausdrücklich, Art 5 EMRK indirekt aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass zur psychischen Erkrankung und einer Anlasstat noch das ausschlaggebende Element der Selbst- oder Fremdgefährdung hinzutreten muss, um einen Freiheitsentzug zu rechtfertigen. Auf den ersten Blick scheint also eine Vereinbarkeit der Konvention und der österreichischen Gesetzgebung vorzuliegen.99

Im September 2014 stellte der Ausschuss der Vereinten Nationen - CRPD - allerdings fest, dass Art 14 UNBRK keine Ausnahmen bezüglich der Festnahme von Personen mit Behinderung zulasse, auch nicht, wenn andere Gründe als die Behinderung für einen solchen Freiheitsentzug in Betracht kämen, wie etwa eine Selbst- oder Fremdgefährdung. Diese Feststellung würde für Österreich bedeuten, dass die zwangsweise Anhaltung von Menschen mit Behinderung generell nicht zulässig ist, auch wenn eine Gefahr für die Gesundheit der Person selbst oder einer dritten Person besteht und bereits eine entsprechende Anlasstat gesetzt wurde.100

§ 21 StGB, welcher eine Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zulässt, wäre folglich nicht mit Art 14 UNBRK vereinbar. Logische Konsequenz aus dieser These ist, dass zurechnungsunfähige Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB nicht mehr in solche Anstalten eingewiesen werden dürfen und bei zurechnungsfähigen Rechtsbrechern nach § 21 Abs 2 StGB die Maßnahme mit der Strafzeit zu enden hat. Dies würde dazu führen, dass es für die Gesellschaft keine Möglichkeiten und Instrumente mehr gäbe, um sich vor der Gefährlichkeit von psychisch kranken Rechtsbrechern zu schützen, wenn sich diese nicht freiwillig den

98

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 211.

99

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 212.

(26)

erforderlichen Maßnahmen unterziehen würden. Im Umkehrschluss dazu wären aber auch psychisch kranke Rechtsbrecher auf sich allein gestellt und sich selbst überlassen.101

a) Exkurs: deutsche Rechtslage

Das deutsche Rechtssystem hat in § 63 dStGB einen Tatbestand geschaffen, der mit unserem § 21 StGB vergleichbar ist. So heißt es in § 63 dStGB, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 dStGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 dStGB) begangen hat, so wird vom Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.102

Nach § 20 dStGB handelt nicht schuldhaft, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.103

Diese neue Fassung von § 63 dStGB ist mit 01.08.2016 in Kraft getreten und wurde um den Wortlaut „Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder

erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“104 ergänzt.

Der in Deutschland in § 63 dStGB geregelte Tatbestand, nach welchem Personen in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen werden dürfen, wenn eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen wurde und vom Täter in Folge einer Gesamtwürdigung zu erwarten ist, dass erhebliche rechtswidrige Taten angerichtet werden und der Täter deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, wurde nicht als mit Art 14 UNBRK unvereinbar qualifiziert. Die Unterbringung nach § 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) setzt voraus, dass entweder eine erhebliche Selbstgefährdung besteht oder die Unterbringung aus medizinischen Gründen notwendig ist und die betreute Person dies nicht erkennen kann. Die Rechtslage in Deutschland entspricht also den Vorgaben der Konvention.105

Vor dem Hintergrund, dass die mit der österreichischen Rechtslage vergleichbaren §§ 63 dStGB

101

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 213.

102

Deutsches Strafgesetzbuch § 63 dStGB, https://dejure.org/gesetze/StGB/63.html (abgefragt am 14.01.2017).

103

Deutsches Strafgesetzbuch § 20 dStGB, https://dejure.org/gesetze/StGB/20.html, (abgefragt am 14.01.2017).

104

Änderung von § 63 vom 01.08.2016, https://www.buzer.de/gesetz/6165/al56064-0.htm, (abgefragt am 14.01.2017).

(27)

und 1906 BGB nicht als mit der Konvention unvereinbar angesehen werden, kann auch § 21 StGB grundsätzlich als mit Art 14 UNBRK im Einklang stehend betrachtet werden.106

2. Diskriminerungsaspekt bei Freiheitsentzug wegen psychischer Krankheit

Eine Anhaltung aufgrund einer psychischen Störung allein ist auch vor dem Hintergrund des Schutzes von Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung, kritisch zu betrachten. In Art 1 S 1 UNBRK ist das Diskriminierungsverbot positiv formuliert. Der volle und gleichberechtigte Genuss aller Menschenrechte, die Grundfreiheiten von Menschen mit Behinderungen und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde soll als Zweck des Übereinkommens gefördert, geschützt und gewährleistet werden.107 Wäre jeglicher Freiheitsentzug von Menschen mit

Behinderungen, auch wenn sie im Zusammenhang mit einem Gefährlichkeitselement stehen, als für unzulässig zu erachten, so könnte dies insofern zu einer Diskriminierung führen, als eine gleichsame „Begünstigung“ psychischer Kranker bei entsprechenden Straftaten beseitigt werden würde. Das zweispurige Sanktionensystem kann zu einer Bevorzugung des Rechtsbrechers bei Zurechnungsunfähigkeit führen, weil die psychische Störung eine erheblich kürzere Freiheitsentziehung zur Folge haben kann, als dies bei Zurechnungsfähigkeit der Fall wäre. Interpretiert man Art 14 UNBRK also dahingehend, dass eine Anhaltung auch in Kombination mit anderen Elementen nicht möglich sein soll, zielt dies auf eine Abschaffung des Maßnahmenrechts ab und nicht auf ein Hintanhalten der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. 108

C. Concluding Observations

1. Bericht des Monitoringausschusses

Österreich wurde in Folge der ersten Evaluierung durch den nach Art 34 UNBRK eingerichteten Monitoringausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen am 11. September 2013 mit folgenden Concluding Observations bedacht:109

2. Englische Originalfassung

„29. The Committee is deeply concerned that Austrian law allows for a person to be confined against his or her will in a psychiatric institution if he or she has a psychosocial disability and is considered to be a danger to himself or herself or to others. The Committee is of the opinion that the legislation is in conflict with article 14 of the Convention because it allows a person to be deprived of liberty on the basis of actual or perceived disability.

30. The Committee urges the State party to take all necessary legislative, administrative and

106

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 213.

107

BGBl 155/2008; Birklbauer, UN-Behindertenrechtskonvention 213.

108

Birklbauer, Forensische Psychiatrie und Psychotherapie

(28)

judicial measures to ensure that no one is detained against their will in any kind of mental health

facility.“110

3. Stellungnahme vom Ausschuss September 2014

Der Ausschuss fasste seine „Judikatur“ in einer Stellungnahme vom September 2014 in wie folgt zusammen:

„1. Absolutes Verbot der Anhaltung auf der Grundlage einer Behinderung: Es gibt immer noch eine Praxis, aufgrund welcher Mitgliedstaaten Freiheitsentziehungen aufgrund tatsächlicher oder angenommener Behinderung zulassen. In dieser Hinsicht hat der Ausschuss festgelegt, dass Art 14 keinerlei Ausnahmen zulässt, aufgrund derer Personen aufgrund tatsächlicher oder angenommener Behinderung angehalten werden dürfen. Dessen ungeachtet sieht die Rechtsordnung einiger Mitgliedstaaten, darunter Gesetze betreffend die psychische Gesundheit, Sachverhalte vor, bei deren Vorliegen Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen Behinderung angehalten werden dürfen, vorausgesetzt, dass es andere Gründe für die Anhaltung gibt, darunter, dass sie für sich oder andere eine Gefahr darstellen. Eine derartige Praxis ist unvereinbar mit Art 14 im Sinne der Auslegung durch den Ausschuss. 2. Gesetze betreffend die psychische Gesundheit, die die Anhaltung von Personen auf der Grundlage angeblicher Gefahr für sich oder anderer Personen zulassen. Im Zuge der Evaluierung sämtlicher Staatenberichte hat der Ausschuss festgelegt, dass es Art 14 widerspricht, Personen mit Behinderung aufgrund der Annahme einer Gefahr dieser Person für sich oder andere anzuhalten. Die unfreiwillige Anhaltung von Personen mit Behinderungen auf der Grundlage der Annahme von Risiken oder Gefährlichkeit verknüpft mit Zuschreibungen von Behinderung steht im Widerspruch zum Recht auf Freiheit. Beispielsweise ist es unzulässig,

jemanden anzuhalten, nur, weil er mit paranoider Schizophrenie diagnostiziert worden ist.“111

Insgesamt muss also davon ausgegangen werden, dass der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seine Linie dahin fokussiert, dass zwangsweise Anhaltungen von Menschen, die auf einer Behinderung beruhen, generell unzulässig sind und zwar auch dann, wenn für die Anhaltung die Annahme einer Gefahr für die Gesundheit der Person selbst oder einer dritten Person erforderlich ist.112

110

Manquet, (2015). Überlegungen zu einer zeitgemäßen Neugestaltung der „geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades“ als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme. In: BMJ (Hrsg.), StGB 2015 und Maßnahmenvollzug. RichterInnenwoche 2014 in Saalfelden am Steinernen Meer 19.- 23. Mai 2014 (S. 139-158). Wien: Neuer Wissenschaftlicher Verlag; 151.

111

Manquet, (2015). Überlegungen zu einer zeitgemäßen Neugestaltung der „geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades“ als

Zulässigkeitsvoraussetzung für eine mit Freiheitsentziehung verbundene vorbeugende Maßnahme. In: BMJ (Hrsg.), StGB 2015 und Maßnahmenvollzug. RichterInnenwoche 2014 in Saalfelden am Steinernen Meer 19.- 23. Mai 2014 (S. 139-158). Wien: Neuer Wissenschaftlicher Verlag; 152.

(29)

VII. Lösungsansätze

A. Studie des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für

Menschenrechte

Einen möglichen Schritt in die richtige Richtung zeigte bereits eine Studie des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte zur „Vergrößerung des Bewusstseins und des Verständnisses betreffend das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ im Jahr 2009.113

In dieser Studie wird angeführt, dass das Übereinkommen den Freiheitsentzug gestützt auf die Existenz irgendeiner Behinderung als diskriminierend verbiete. In Art 14 Abs 1 lit b UNBRK sei unmissverständlich festgelegt, dass „das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall einen Freiheitsentzug rechtfertige.“ Während der Ausarbeitung der Konvention seien Vorschläge, das Verbot auf Fälle zu beschränken, in denen die Anhaltung „ausschließlich (solely)“ mit dem Vorliegen einer Behinderung begründet würden, abgelehnt worden. Der Freiheitsentzug in Kombination von geistiger oder intellektueller Behinderung und anderen Elementen wie Gefährlichkeit, Pflege oder Behandlung ist somit als unrechtmäßige Anhaltung zu qualifizieren. Schlussfolgernd müssten Gesetze, die eine Anhaltung von Menschen mit Behinderung in Einrichtungen ohne deren freie und informative Zustimmung zulassen, aufgehoben werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber nicht, dass Menschen mit Behinderung gar nicht rechtmäßig zum Zwecke der Pflege oder Behandlung festgehalten werden dürfen. Es müsste eine Umformulierung der Rechtsgründe für den Freiheitsentzug geben, in dem diese Gründe von der Behinderung entkoppelt und neutral formuliert werden, so dass sie auf alle Personen in gleicher Weise angewendet werden können. Funktionieren könnte dies dahingehend, dass nicht auf die Diagnose, sondern auf den Handlungsstil abgestellt wird. Es könnte Menschen geben, die auch ohne psychische Störung einen vergleichbaren Handlungsstil aufweisen wie Menschen mit einer psychischen Störung und aus diesem Grund auch als gleich gefährlich einzustufen sind.114

Es soll noch darauf hingewiesen werden, dass das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte im Bereich des Strafrechts eine Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderung und eine damit einhergehende Beseitigung eines Straflosigkeitsgrundes auf der Grundlage der Verneinung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen des Vorliegens einer geistigen oder intellektuellen Behinderung, fordert. Ersatzweise sollten behinderungsneutrale Konzepte betreffend die subjektive Tatseite zur Anwendung kommen, welche auf die Situation des individuellen Verdächtigen Bedacht nehmen könnten.115

113 Manquet (2015) 153. 114 Manquet (2015) 154. 115 Manquet (2015) 155.

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