Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 40⏐⏐6. Oktober 2006 A2651
G E L D A N L A G E
W
enn sich Vorstände üppige Gehaltsverbesserungen ge- nehmigen lassen, während die Zahl der Mitarbeiter drastisch reduziert wird oder bei der Belegschaft Lohn- zugeständnisse erzwungen werden, so erschreckt das heute bestenfalls eine Zeitungsausgabe lang und dann ist wieder Business as usual angesagt.Dennoch: Gier bleibt Gier, Unmo- ral bleibt Unmoral, wird von uns aber lediglich in den Auswüchsen noch staunend wahrgenommen (Mannes- mann-Prozess). Dass aktuell für den Siemens-Vorstand eine Gehaltsanhe- bung von gut 30 Prozent durchgezo- gen wurde, ist schon fast normal, Verrohung der Sitten halt.
Alan Mulally schlägt sie alle. Der Mann, ehemals Boeing-Manager, hat mit Ford einen neuen Arbeitgeber gefunden. Nun wissen wir ja, dass es der US-Automobilbranche ziemlich dreckig geht, Lohnzugeständnisse,
siehe oben, also völlig normal sind und Ford ohnehin 40 Prozent der Stellen streichen will. Das hat den guten Alan aber nicht davon abgehal- ten, als neuer Ford-Boss eine „An- trittsprämie“ von 7,5 Millionen Dol- lar zu fordern.
Das Schlimme ist nur, er bekommt das Geld auch, und mal eben noch zu- sätzlich elf Millionen Dollar als Aus- gleich für „entgangene Bonus-Pro- gramme“ bei Boeing – etwa für nicht verflogene Flugmeilen? Das an sich völlig selbstverständliche Prinzip von
„erst leisten, dann zahlen“ ist komplett auf den Kopf gestellt. Unfassbar.
Kann uns doch egal sein, wenn sich die Großen die Taschen vollma- chen? Na ja, so ganz stimmt das nicht.
Abgesehen davon, dass die Stimmung in so einem Laden von derlei Ab- zockereien durchaus beeinflusst wer- den kann, will heißen, darunter die ei- gene Arbeitsmoral sehr wohl zu lei-
den imstande ist, so werden die Ak- tionäre durch üppige Vorstandsge- hälter und überdimensionierte Auf- sichtsratsvergütungen schlicht weni- ger an Dividenden erhalten.
Keine Bange, diese abgeschmack- te Dreistigkeit hat sich längst in die Fläche verästelt. Wenn Fonds ihre Bestände möglichst schnell umschla- gen, um Gebühren zu schneiden, und Zertifikate so intransparent struktu- riert sind, dass selbst Fachleute nicht mehr durchblicken, wenn Anlagebe- rater ihre Kunden in Steuersparmo- delle hineinjagen, die später kra- chend in sich zusammenfallen, alles egal. Es sind ja genug Provisionen geflossen und genügend Finanzie- rungen dazu verkauft worden.
Die Gier hat viele Formen. Das Ergebnis ist allerdings immer ähn- lich. Der Kunde ist der Dumme. Und zwar nicht nur am Ende, sondern von
Anfang an. I
geprüft 2006
BÖRSEBIUS