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Der Beurteilungszeitpunkt der Kündigung nach dem KSchG

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BAS 7

De r B eur te ilungs ze itpun kt der K ündigu ng n ac h dem K Sc hG Ma rti n Gwos e

Beiträge zum deutschen und europäischen Arbeits- und Sozialrecht herausgegeben von Kerstin Tillmanns Band 7

Der Beurteilungszeitpunkt

der Kündigung nach dem KSchG Martin Gwose

37,90 €

ISBN 978-3-96163-191-9 www.readbox.net/unipress

(2)

Martin Gwose

Der Beurteilungszeitpunkt der Kündigung

nach dem KSchG

(3)

Beiträge zum deutschen und

europäischen Arbeits- und Sozialrecht

herausgegeben von Kerstin Tillmanns

Band 7

(4)

Der Beurteilungszeitpunkt der Kündigung nach dem KSchG

Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät

der FernUniversität in Hagen

Martin Gwose von

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen im Sommersemester 2020 als Dissertation angenommen.

Erstgutachterin: Prof. Dr. Kerstin Tillmanns Zweitgutachter: Prof. Dr. Ulrich Wackerbarth Disputation: 28. Mai 2020

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der FernUniversität in Hagen.

1. Auflage 2020 ISSN 2364-4427 ISBN 978-3-96163-191-9 readbox unipress

in der readbox publishing GmbH Rheinische Str. 171

44147 Dortmund

http://www.readbox.net/unipress

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Juristi- schen Fakultät der Fernuniversität Hagen als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung sind Rechtsprechung und Literatur noch bis Ende Mai 2020 berücksichtigt.

Herzlich danken möchte ich zunächst meiner Doktormutter, Frau Prof.

Dr. Kerstin Tillmanns, die durch ihre hervorragende fachliche und persön- liche Betreuung wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Herrn Prof. Dr. Ulrich Wackerbarth danke ich für die Erstellung des Zweitgutach- tens und seinen hilfreichen Hinweisen.

Mein besonders herzlicher Dank gilt selbstverständlich meinen Eltern, die mich stets und in jeglicher Hinsicht liebevoll unterstützt und uneinge- schränkt gefördert haben. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Frau Sarah, die mein größter Rückhalt ist. Ich danke ihr von ganzem Herzen für ihre gren- zenlose Geduld, Unterstützung und Liebe.

(7)
(8)

VII

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 1 Erster Teil: Der Wiedereinstellungsanspruch bei

nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrunds ... 5 I. Die betriebsbedingte Kündigung nach

§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ...6 1. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung...6 2. Zeitpunkt des Vorliegens der dringenden betrieblichen Gründe .7 3. Prognose bei der betriebsbedingten Kündigung ...9 4. Der Wiedereinstellungsanspruch bei der betriebsbedingten

Kündigung ... 13 II. Die personenbedingte Kündigung nach

§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ... 14 1. Gründe in der Person des Arbeitnehmers ... 14 2. Zeitpunkt des Vorliegens des personenbedingten Grunds

sowie der negativen Gesundheitsprognose ... 16 3. Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände ... 17 4. Berücksichtigung nachträglicher Entwicklung der Krankheit

lediglich als Bestätigung der Prognose ... 19 a) Berücksichtigung einer steigenden wie auch einer fallenden

Tendenz des Krankheitsverlaufs ... 20 b) Ist die Berücksichtigung einer späteren Prognose mit dem

Beurteilungszeitpunkt bei Zugang der Kündigung

vereinbar? ... 20 c) Zwischenergebnis ... 24 5. Der Wiedereinstellungsanspruch bei der personenbedingten

Kündigung ... 25 III. Die verhaltensbedingte Kündigung nach

§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ... 28 1. Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers ... 28 2. Zeitpunkt des Vorliegens des verhaltensbedingten Grunds

sowie der negativen Prognose ... 30 3. Der Wiedereinstellungsanspruch bei der verhaltensbedingten

Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ... 31

(9)

VIII

IV. Ergebnis zum ersten Teil ... 33

Zweiter Teil: Die dogmatischen und rechtsmethodischen Grundlagen des Wiedereinstellungsanspruchs ... 35

I. Voraussetzungen einer ergänzenden Rechtsfortbildung ... 39

II. Grammatikalische Auslegung des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ... 44

1. Doppelte Negativformulierung in § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG ... 44

2. Der natürliche Sprachgebrauch ... 45

3. Ergebnis zu II. ... 47

III. Systematische Auslegung ... 47

1. Die Bedeutung der §§ 4, 7, 9 KSchG für die Auslegung des § 1 KSchG ... 48

a) Klagefrist aus § 4 S. 1 KSchG ... 48

b) Möglichkeit die Wirksamkeit der Kündigung vor Klageerhebung zu überprüfen ... 49

c) Begründungspflicht der Kündigung ... 52

d) Materiell-rechtliche Auskunftsansprüche gegen den Arbeitgeber ... 53

(1) Analogie zu § 626 Abs. 2 S. 3 BGB ... 54

(2) Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben ... 55

(3) Ergebnis zu d) ... 56

e) Ist die Tatsache, dass es sich bei der Kündigungsschutzklage um eine Feststellungsklage handelt, für den Beurteilungszeitpunkt relevant? ... 56

f) Fiktion des § 7 KSchG ... 59

g) § 9 KSchG ... 62

h) Ergebnis zu 1. ... 67

2. Die Kündigung als Gestaltungsrecht ... 68

a) Die Begründung des Begriffs des Gestaltungsrechts nach Seckel ... 68

b) Kritik an der Kategoriebildung und ihrer Bedeutung ... 70

c) Einbruch in fremde Rechtssphäre ... 72

(1) Keine Durchbrechung des Mitwirkungsprinzips ... 73

(2) Gestaltungsrecht ist keine Selbsthilfe ... 75

(3) Ergebnis zu c) ... 77

d) Keine unmittelbare Gestaltungswirkung ... 78

(1) Ansicht der Rechtsprechung und Stellungnahme ... 79

(2) Ansicht von Teilen der Literatur und Stellungnahme ... 79

(3) Ergebnis zu d) ... 83

(10)

IX e) Zur Konsumtion des Kündigungsgrunds ... 83

(1) Konsumtion des Kündigungsgrunds durch Erklärung der Kündigung ... 84 (2) Konsumtion durch Rechtskraft des Urteils ... 86 (3) Keine Pflicht sich auf alle vorliegenden

Kündigungsgründe zu berufen ... 89 (4) Zusammenhang zwischen Unwiderruflichkeit und

Konsumtion ... 92 (5) Ergebnis zu e) ... 94 f) Ergebnis zu 2. ... 94 3. Relevanz des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB für den Zeitpunkt der

Beurteilung des Kündigungsgrunds ... 95 a) Tatbestand des Rechtsgeschäfts ... 96 b) Zur Gleichwertigkeit aller Elemente des Rechtsgeschäfts ... 97 c) Differenzierung zwischen Tatbestandserfordernissen

und Wirksamkeitsvoraussetzungen ... 99 d) Der Kündigungsgrund als Wirksamkeitsvoraussetzung des

Rechtsgeschäfts ... 100 e) Kündigung nach dem KSchG als sukzessiv entstehendes

Rechtsgeschäft ... 101 (1) Kategorien der fehlerhaften Rechtsgeschäfte ... 101 (2) Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ... 102 (3) Fehlender Kündigungsgrund als nicht nachholbarer

Nichtigkeitsgrund ... 104 (4) Zur schwebenden Unwirksamkeit und schwebenden

Wirksamkeit ... 105 (5) Beginn der Klagefrist aus § 4 S. 1 KSchG beim

schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft ... 109 (6) Beginn der Kündigungsfrist aus § 622 BGB auch ohne

Vorliegen eines Kündigungsgrunds ... 111 (7) Ergebnis zu e) ... 112 f) Ergebnis zu 3. ... 113 4. Relevanz weiterer Normen des BGB für den Zeitpunkt der

Beurteilung des Kündigungsgrunds ... 113 a) Kündigung als aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft ... 113 b) Anwendbarkeit der zu §§ 158 ff. BGB entwickelten

Grundsätze auf die Kündigung ... 115 c) Schlussfolgerungen aus § 138 BGB für den maßgeblichen

Beurteilungszeitpunkt ... 118 d) Schlussfolgerung aus § 134 BGB für den maßgeblichen

Beurteilungszeitpunkt ... 122

(11)

X

e) Schlussfolgerung aus § 185 BGB für den maßgeblichen

Beurteilungszeitpunkt ... 123

f) Schlussfolgerungen aus §§ 111, 174, 180 BGB für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ... 126

g) Schlussfolgerungen aus den §§ 141 Abs. 2, 159 BGB für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ... 130

h) Schlussfolgerungen aus dem Mietrecht für den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ... 133

i) Ergebnis zu 4. ... 135

5. Zur Bedingungsfeindlichkeit des Gestaltungsrechts ... 136

a) Bedingungsfeindlichkeit nach den §§ 388 S. 2, 1947, 2180 Abs. 2 S. 2 BGB ... 137

b) Allgemeine Überlegungen zur allgemeinen Bedingungsfeindlichkeit der Gestaltungsrechte ... 138

(1) Die Rechtsbedingung ... 140

(2) Grad der hinzunehmenden Ungewissheit ... 142

(3) Die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ... 143

(4) Auch die materielle Gerechtigkeit ist zu beachten ... 144

(5) Praktische Konkordanz ... 146

(6) Interessenabwägung ... 149

(a) Interesse des Arbeitnehmers ... 150

(aa) Drohendes Doppelarbeitsverhältnis ... 150

(bb) Sichere Rechtslage zur Stellensuche ... 151

(cc) Berücksichtigung einer späteren negativen Prognose ... 152

(b) Interesse des Arbeitgebers ... 153

(c) Ergebnis zu (6) ... 155

(7) Ergebnis zu b) ... 156

6. Zur Bedeutung des § 102 Abs. 1 BetrVG und des § 3 KSchG für den Beurteilungszeitpunkt der Kündigung ... 157

a) Das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG ... 158

b) Inhalt der Anhörung ... 160

c) Vortrag neuer Tatsachen ... 162

d) Nachschieben von Kündigungsgründen ... 163

e) Schlussfolgerungen für den Beurteilungszeitpunkt der Kündigung ... 165

f) Bedeutung des § 3 KSchG für den Beurteilungszeitpunkt der Kündigung... 166

7. Ergebnis zu III. ... 167

IV. Genetische Auslegung ... 170

(12)

XI

V. Teleologische Auslegung ... 171

1. Bedeutung des Prognoseprinzips für den Beurteilungs- zeitpunkt der Kündigung ... 173

2. Anwendung des Prognoseprinzips im KSchG ... 174

a) Ableitung des Prognoseprinzips aus der Zukunfts- bezogenheit der Kündigungsgründe ... 174

b) Ableitung des Prognoseprinzips aus dem Zweck der Kündigung ... 176

c) Erfordernis der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit als Argument für das Prognoseprinzip ... 177

d) Ableitung des Prognoseprinzips aus dem fehlenden Sanktionscharakters der Kündigung ... 179

(1) Sanktionscharakter der verhaltensbedingten Kündigung ... 179

(2) Verschuldensprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung ... 181

e) Prognoseprinzip kollidiert mit Zumutbarkeitsprinzip ... 184

f) Ergebnis zu 2. ... 186

3. Vereinbarkeit der in § 1 KSchG getroffenen Wertungen mit dem Prognoseprinzip ... 187

a) Das Rechtsprinzip ... 187

(1) Die Rechtsidee ... 188

(2) Sinnbezug zur Rechtsidee und zum positiven Recht... 189

(3) Besonderer Geltungsgrund erforderlich ... 191

(4) Abstimmung mit dem positiven Recht ... 193

(5) Abgrenzung zur Norm ... 193

(6) Verhältnis der Rechtsprinzipien zueinander ... 194

(7) Kritikpunkte am Rechtsprinzip ... 196

b) Das Prognoseprinzip als Rechtsprinzip ... 197

(1) Prognoseprinzip als rechtstechnisches Prinzip ... 197

(2) Ergebnis zu b) ... 200

c) Widerspruch des Prognoseprinzips zum Zweck des § 1 KSchG ... 200

(1) Vereinbarkeit des Wahrscheinlichkeitsgrads von Prognosen mit dem effektiven Bestandsschutz... 200

(2) Argumente aus § 286 ZPO und § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG ... 202

(3) Wahrscheinlichkeitsgrade bei der Prognose in der Rechtsprechung ... 204

(13)

XII

(4) Der Wahrscheinlichkeitsgrad der Prognose im

öffentlichen Recht ... 205

(5) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei § 1 KSchG ... 206

(6) Ermittlung des Wahrscheinlichkeitsgrads bezüglich des Kündigungsgrunds ... 207

(7) Kann der Arbeitgeber auf den Ausspruch einer weiteren Kündigung verwiesen werden? ... 210

(8) Ergebnis zu c) ... 213

d) Ergebnis zu 3. ... 214

4. Zulässigkeit einer ex post-Betrachtung ... 214

a) Prognosespielraum ... 216

b) Gefahrenabwehrrecht ... 217

(1) Grundlagen ... 217

(2) Übertragung der Erkenntnisse auf das KSchG... 219

(3) Ermittlungspflicht des Arbeitgebers vor Ausspruch der Kündigung ... 221

(4) Ergebnis zu b) ... 222

c) Zulässigkeit einer ex post-Betrachtung ... 223

(1) Zulässigkeit einer ex post-Betrachtung im Gefahrenabwehrrecht und im Strafrecht ... 223

(2) Zulässigkeit einer ex post-Betrachtung im Zivilrecht ... 227

(3) Ergebnis zu c) ... 229

d) Ergebnis zu 4. ... 229

5. Praktikabilität ... 230

6. Ergebnis zu V. ... 231

VI. Ergebnis zum zweiten Teil ... 233

Dritter Teil: Zusammenfassung ... 235

Literaturverzeichnis ... 243

(14)

1

Einleitung

Das Kündigungsschutzgesetz ist am 14.8.1951 in Kraft getreten und dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor sozial ungerechtfertigten Kündi- gungen.1 Dabei soll nach dem Willen des Gesetzgebers eine arbeitgeber- seitige Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt sein, wenn sie nicht durch personen- oder verhaltensbedingte Gründe oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt ist.2 Das Kündigungsschutz- gesetz ist ein einseitig zwingendes Recht, das die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers einschränkt.3 In Abgrenzung zur außerordentlichen Kündi- gung, die in § 626 BGB geregelt ist, gilt § 1 KSchG für die ordentliche Kündigung.4 Nur bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung hat der Ar- beitgeber die Kündigungsfristen aus § 622 BGB einzuhalten.5 Die Recht- sprechung6 wie auch die überwiegende Ansicht in der Literatur7 beurteilen

1 BT-Drs. I/2090 S. 11.

2 BT-Drs. I/2090 S. 11.

3 APS/Preis Grundlagen B Rn. 16; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 31; MünchKomm/Hergen- röder, Bd. 5, Einl. KSchG Rn. 1 u. 3; LKB/Krause Einleitung Rn. 94.

4 LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 161, 165; Wank in FS v. Hoyningen-Huene, S. 561, 563.

5 APS/Preis Grundlagen D Rn. 35.

6 BAG, Urt. v. 29. 3. 1960 – 3 AZR 568/58, AP Nr. 7 zu § 7 KSchG Juris-Rn. 17; BAG, Urt. v. 30.1.1963 – 2 AZR 143/62, BAGE 14, 65, 70; BAG, Urt. v. 12.3.1968 – 1 AZR 413/67, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Krankheit Juris-Rn. 13; BAG, Urt. v. 8.8.1968 – 2 AZR 348/67, AP Nr. 57 zu § 626 BGB Juris-Rn. 22; BAG, Urt. v. 15.7.1971 – 2 AZR 232/70, BAGE 23, 371 Juris-Rn. 21; BAG, Urt. v. 10.3.1982 – 4 AZR 158/79, BAGE 38, 106 Juris-Rn. 29; BAG, Urt. v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, BAGE 40, 361 Juris-Rn. 20;

BAG, Urt. v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, BAGE 42, 151 Juris-Rn. 57; BAG, Urt. v.

23.6.1983 – 2 AZR 15/82, BAGE 43, 129 Juris-Rn. 26; BAG, Urt. v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, BAGE 53, 267 Juris-Rn. 22; BAG, Urt. v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, BAGE 54, 215 Juris-Rn. 48; BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 23; BAG, Urt. v. 21.4.2005 – 2 AZR 241/04, BAGE 114, 258 Juris-Rn. 15;

BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, BAGE 133, 249 Juris-Rn. 2; BAG, Urt. v.

20.10.2015 – 9 AZR 743/14 Juris-Rn. 31.

7 APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 70; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 91; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 248; LSSW/Schlünder § 1 KSchG Rn. 95; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 81; SPV/Preis Rn. 891; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 226; Boewer, NZA 1999, 1121, 1123; Bram/Rühl, NZA 1990, 753; Gamillscheg, Die Beendigung des Arbeitsverhält- nisses, S. 128; Gentges, Prognoseprobleme im Kündigungsschutzrecht, S. 94, 98; Honstet- ter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, S. 47; Kaiser, ZfA

(15)

2

die Wirksamkeit der Kündigung nach den Verhältnissen, die zum Zeit- punkt des Zugangs der Kündigung beim Kündigungsempfänger vorliegen.

Die Kündigung bleibt somit nach herrschender Ansicht wirksam, wenn der Kündigungsgrund bei Zugang der Kündigungserklärung vorlag, selbst wenn er vor Ablauf der Kündigungsfrist entfallen ist.

Mit Urteil vom 27.2.19978 entschied das BAG jedoch, dass dem gekün- digten Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch zustehe, wenn bei einer betriebsbedingten Kündigung der Kündigungsgrund vor Ablauf der Kündigungsfrist wegfalle. Diese Entscheidung begründete das BAG unter anderem damit, dass der Wiedereinstellungsanspruch ein notwendiges Korrektiv dafür darstelle, dass aus Gründen der Rechtssicherheit, Verläss- lichkeit und Klarheit bei der Prüfung des Kündigungsgrunds auf den Zeit- punkt des Kündigungsausspruchs abgestellt werde und schon eine Kündi- gung aufgrund einer Prognoseentscheidung zulässig sei, obwohl der Ver- lust des Arbeitsplatzes, vor dem der Arbeitnehmer durch § 1 KSchG ge- schützt werde, erst mit der Entlassung, also dem Ablauf der Kündigungs- frist, eintrete.9 Die Problematik des Wegfalls des Kündigungsgrunds vor Fristablauf ist im Anschluss an die Entscheidung des BAG vom 27.2.1997

2000, 205, 217; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz- recht, S. 23; Pflüger, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers im kündigungs- rechtlichen Bestandsschutz, S. 69; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeits- verhältnissen, S. 339; Raab, RdA 2000, 147, 149; Schmidt, Der Wiedereinstellungsan- spruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 99; vom Stein, Fehleinschätzungen bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen, S. 86; Strathmann, Der Wiedereinstellungs- anspruch eines wirksam gekündigten Arbeitnehmers, S. 22; Voigt, DB 1996, 526; Walker, NZA 2009, 921, 922; Wank, Anm. zu BAG, Urt. v. 15.3.1984 – 2 AZR 24/83, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl unter B. IV. 4.; Westera, Der Wiedereinstellungsan- spruch nach wirksamer Kündigung, S. 26; a. A. Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385, 393;

Hwang, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitgebers, S. 87, 129; Otto, Anm. zu BAG, Urt. v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, EzA Nr. 18 zu § 1 KSchG Krankheit unter 1. c; Henkel, ZGR 1984, 233, 237; Frey, ArbuR 1955, 140, 142.

8 BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 27.

9 BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 27.

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3 auch in der Literatur aufgearbeitet worden. Seit 1997 sind zu dieser The- matik 14 Monografien veröffentlicht worden.10 Dabei wird die dogmati- sche Grundlage, ob es eines solchen Wiedereinstellungsanspruchs bedarf, kaum in den Blick genommen. Eine Schließung der im KSchG angenom- menen Gesetzeslücke ohne Zuhilfenahme des Wiedereinstellungsan- spruchs hat sich bisher nicht durchgesetzt. Die vorliegende Arbeit unter- sucht daher, ob eine Auslegung des § 1 KSchG vorgenommen werden kann, die einen Wiedereinstellungsanspruch obsolet werden lässt. Dies kann dadurch erreicht werden, dass der Beurteilungszeitpunkt der Kündi- gung nicht mehr der des Zugangs der Kündigung ist, sondern der Zeit- punkt des Ablaufs der Kündigungsfrist. Umstände, die sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugunsten oder zulasten einer Partei ändern, hätten Einfluss auf die Wirksamkeit der Kündigung. Auf einen späteren Zeit- punkt als den des Ablaufs der Kündigungsfrist kann nicht abgestellt wer- den, da die Rechtsfolge der Kündigung, d.h. die Beendigung des Arbeits- verhältnisses, mit Ablauf der Kündigungsfrist eintritt. Bei Eintritt der Rechtsfolge müssen alle Voraussetzungen des Tatbestandes vorliegen11 und somit auch der Kündigungsgrund.12 Der Wiedereinstellunganspruch

10 Bülow, Funktion des Wiedereinstellungsanspruchs im Kündigungsschutzrecht, 2004; Elz, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrun- des, 2002; Germakowski, Der allgemeine Wiedereinstellungsanspruch, 2004; Kwon, Der Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Beendigung des Arbeitsverhältnis- ses, 2006; Kontusch, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers, 2004; Krüll, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers, 2003; Lisec, Der Wiedereinstellungsan- spruch des Arbeitnehmers nach betriebsbedingter Kündigung und Betriebsübergang, 2000; Nädler, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, 2003; Pflüger, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers im kündigungsrechtlichen Bestandsschutz, 2004; Schmidt, Der Wiedereinstellungsan- spruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, 2003; Steinacker, Der Wiedereinstel- lungsanspruch des Arbeitnehmers, 2012; Steineke, Der individualrechtliche Wiedereinstel- lungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung, 2003; Strathmann, Der Wiedereinstellungsanspruch eines wirksam gekündigten Arbeitnehmers, 2001; Westera, Der Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung, 2001.

11 von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 2, 1. Hälfte, S. 18.

12Die Rechtsfolge, d.h. die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, tritt mit Ablauf der maß- geblichen Kündigungsfrist ein. Dies ist grundsätzlich die gesetzliche Frist aus § 622 BGB. § 622 BGB ist tarifdispositiv, sodass im Einzelfall tarifvertragliche Kündigungs- fristen maßgeblich sein können. Alternativ ist auf die arbeitsvertragliche Kündigungsfrist abzustellen, wenn diese für den Arbeitnehmer günstiger als die gesetzlichen oder tarif- vertraglichen Kündigungsfristen ist.

(17)

4

wird nur gewährt, wenn der Kündigungsgrund bis zum Ablauf der Kündi- gungsfrist wegfällt.13 Bei einem noch späteren Wegfall des Kündigungs- grunds kommt kein Wiedereinstellunganspruch in Betracht. Es ist daher auch ausreichend, den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der Kündi- gung auf den Ablauf der Kündigungsfrist zu setzen, um den Wiederein- stellungsanspruch obsolet werden zu lassen.

Sollte es im Wege der Auslegung gelingen, den maßgeblichen Beurtei- lungszeitpunkt des Kündigungsgrunds im Zeitpunkt des Ablaufs der Kün- digungsfrist zu sehen, können diese Erkenntnisse ferner dazu beitragen, das Gestaltungsrecht und dessen Abgrenzung zu anderen Rechten besser zu verstehen.

Zunächst ist die grundsätzliche Frage zu klären, wie die Lücke im KSchG, die durch den Wiedereinstellungsanspruch geschlossen wird, ent- standen ist. Hierzu wird ausschließlich die arbeitgeberseitige Kündigung untersucht. Anschließend wird versucht, unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik, dem Willen des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck des § 1 KSchG eine Schließung der Lücke vorzunehmen.

13BAG, Urt. v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/86, BAGE 96, 194 Juris-Rn. 10; BAG, Urt. v.

28.6.2000 – 7 AZR 904/98, BAGE 95, 171 Juris-Rn. 28; BAG, Urt. v. 20.10.2015 – 9 AZR 743/14, BAGE 153, 62 Juris-Rn. 18; Boewer, NZA 1999, 1121, 1128; 4; Elz, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes S. 112; Hergenröder, Anm. zu BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, EzA Nr. 3 zu § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch unter II. 3. b); Preis, Anm. zu LAG Köln, Urt. v.

10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch unter II.

4. c.; vom Stein, RdA 1991, 85, 90. Einschränkend der 8. Senat, der ausnahmsweise einen Widereinstellungsanspruch gewähren will, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist eintritt, BAG Urt. v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06 Juris-Rn. 24.

(18)

5

Erster Teil: Der Wiedereinstellungsanspruch bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrunds

Gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG kann die arbeitgeberseitige Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus personen-, verhaltens- oder betriebsbeding- ten Gründen sozial gerechtfertigt sein. Ist die Kündigung nicht sozial ge- rechtfertigt, ist sie unwirksam. Nur eine ordentliche Kündigung, der ein Kündigungsgrund zugrunde liegt, kann somit im Anwendungsbereich des KSchG das Arbeitsverhältnis beenden.

Wenn der Beurteilungszeitpunkt der Kündigung derjenige des Zugangs ist, dann bleibt eine Kündigung wirksam, wenn der bei Zugang vorliegende Kündigungsgrund noch vor Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Der Ar- beitnehmer verliert damit zwar den Kündigungsschutzprozess. Jedoch ist er weiter zu beschäftigten, wenn er den Wiedereinstellungsanspruch gel- tend macht. Dabei sieht das Gesetz keinen Wiedereinstellungsanspruch für den Arbeitnehmer vor. Ein Wiedereinstellunganspruch ist überhaupt nicht gesetzlich geregelt. Es handelt sich somit bei dem Wiedereinstellungan- spruch um einen Anspruch, der von der Rechtsprechung entwickelt wor- den ist.1 Im Folgenden ist die dogmatische Legitimation des Wiederein- stellungsanspruchs zu untersuchen. Es stellt sich auch die Frage, ob der Wiedereinstellungsanspruch nur bei der betriebsbedingten Kündigung in Betracht kommt oder auch bei der personenbedingten und verhaltensbe- dingten Kündigung. Dies ist im Folgenden zu untersuchen.

1 Zur Entwicklung des Wiedereinstellungsanspruchs in der Rechtsprechung vgl. Annuß, Betriebsbedingte Kündigung und arbeitsvertragliche Bindung, S. 361 ff; Bülow, Funktion des Wiedereinstellungsanspruchs im Kündigungsschutzrecht, S. 6 ff.; Elz, Der Wieder- einstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, S. 1 ff.;

Preis, Anm. zu LAG Köln, Urt. v. 10.1.1989 – 4/2 Sa 860/88, LAGE Nr. 1 zu § 611 BGB Einstellungsanspruch unter I; Steineke, Der individualrechtliche Wiedereinstel- lungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung, S. 9 ff; Strathmann, Der Wiedereinstellungsanspruch eines wirksam gekündigten Arbeitnehmers, S. 23 ff; Westera, Der Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung, S. 31 ff.

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I. Die betriebsbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG

Die soziale Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung wird nach den im Folgenden dargestellten Grundsätzen geprüft.

1. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung

Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen Umständen (z.B. Rationalisie- rungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder aus außerbetrieblichen Gründen (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrück- gang) ergeben, die zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen.2 Die organisatorischen Maßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, sind dabei vom Arbeitsgericht nicht auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen.3 Jedoch kann der Arbeitgeber sich nicht im Kündigungs- schutzprozess pauschal auf einen Umsatzrückgang, Gewinnverlust oder einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen und ähnliche schlagwortar- tige Umschreibungen beschränken. Er muss seine tatsächlichen Angaben so substantiiert darlegen, dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Die beschränkte Überprüfung der Unternehmerentscheidung ändert nichts an der Darle- gungslast des Arbeitgebers, substantiiert zu schildern, dass die Durchfüh- rung des unternehmerischen Organisationsaktes zu einem Wegfall der bis- herigen Beschäftigungsmöglichkeit führt.4 Auch darf die Planung des Ar- beitgebers nicht dahingehen, den weggefallenen Arbeitsplatz alsbald wie- der zu besetzen. Der Wegfall des Arbeitsplatzes muss somit von gewisser

2 BAG, Urt. v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, BAGE 31, 157 Juris-Rn. 13; BAG, Urt. v. 22.

2.1980 – 7 AZR 295/78, BAGE 33, 1 Juris-Rn. 21; BAG, Urt. v. 18.1.1990 – 2 AZR 183/89, BAGE 64, 24 Juris-Rn. 25; APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 464, 465; Gentges, Progno- seprobleme im Kündigungsschutzrecht, S. 101; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 692.

3 BAG, Urt. v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, BAGE 31, 157 Juris-Rn. 17; BAG, Urt. v.

30.4.1987 – 2 AZR 184/86, BAGE 55, 262 Juris-Rn. 21; BAG, Urt. v. 21.9.2000 – 2 AZR 440/99, BAGE 95, 350 Juris-Rn. 22; APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 455, 463; KR/Rachor

§ 1 KSchG Rn. 559; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 701.

4 BAG, Urt. v. 7.12.1978 – 2 AZR 155/77, BAGE 31, 157 Juris-Rn. 19; BAG, Urt. v.

18.1.1990 – 2 AZR 183/89, BAGE 64, 24 Juris-Rn. 25; BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, BAGE 92, 71 Juris-Rn. 13; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 564; LSSW/Schlünder § 1 KSchG Rn. 330; SPV/Preis Rn. 920; Wank, RdA 1993, 79, 84.

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7 Dauer sein, da ansonsten das betriebliche Erfordernis nicht dringend im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG wäre.5

Schließlich ist noch zu prüfen, ob der Arbeitnehmer nicht an einem an- deren Arbeitsplatz im Unternehmen unter geänderten Arbeitsbedingungen oder nach einer Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme weiterbe- schäftigt werden kann.6 Neben den dringenden betrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers ausreichend berücksichtigen ge- mäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG. Die damit beschriebene Sozialauswahl stellt sicher, dass bei weggefallenem Arbeitsbedarf die sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer verbleiben.7

2. Zeitpunkt des Vorliegens der dringenden betrieblichen Gründe

Um die Lücke im Gesetz zu eruieren, die durch den Wiedereinstellungs- anspruch geschlossen wird, sind die Zeitpunkte relevant, zu denen die dringenden betrieblichen Erfordernisse aus § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG vorlie- gen müssen. Für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündi- gung stellt das BAG und die herrschende Literatur auf den Zeitpunkt ihres Zugangs ab.8 Daher komme es auch auf die zum Zeitpunkt des Kündi- gungszugangs bestehenden betrieblichen Verhältnisse an.9 Allerdings brauche der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt die Betriebsstilllegung noch

5 BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 141/99, BAGE 92, 71 Juris-Rn. 21; BAG, Urt. v.

9.11.2006 – 2 AZR 509/05, BAGE 120, 115 Juris-Rn. 39; Gentges, Prognoseprobleme im Kündigungsschutzrecht, S. 104.

6 BAG, Urt. v. 13.9.1973 – 2 AZR 601/72, BAGE 25, 278 Juris-Rn. 40; BAG, Urt. v.

27.9.1984 – 2 AZR 62/83, BAGE 47, 26 Juris-Rn. 20; BAG, Urt. v. 27.11.1991 – 2 AZR 255/91, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Konzern Juris-Rn. 25; APS/Kiel § 1 KSchG Rn.

558; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 583; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 741.

7 BAG, Urt. v. 5.12.2002 – 2 AZR 697/01, BAGE 104, 138 Juris-Rn. 37; SPV/Preis Rn.

1022; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 859.

8 Vgl. die Nachweise in der Einleitung Fn. 6 und 7.

9 BAG, Urt. v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, BAGE 53, 267 Juris-Rn. 22; BAG, Urt. v.

19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12 Juris-Rn. 59; BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 23; BAG, Urt. v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, BAGE 87, 115 Juris-Rn. 16; APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 448; LSSW/Schlünder § 1 KSchG Rn. 325;

LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 718.

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nicht durchgeführt zu haben. Vielmehr soll die Kündigung auch auf eine Prognose gestützt werden können, die bei Zugang der Kündigung aufge- stellt werde. Die Prognose, dass der Beschäftigungsbedarf entfalle, sei zu bejahen, wenn zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicher- heit der die Entlassung erforderlich machende betriebliche Grund gegeben sei.10 Mit Zeitpunkt des Kündigungstermins ist der Ablauf der Kündi- gungsfrist gemeint.11 Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so könne sie ausgesprochen wer- den, wenn die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare Formen an- genommen haben.

Solche greifbaren Formen sollen nach der herrschenden Meinung vor- liegen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf Grund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen sei, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins werde mit einiger Sicherheit der Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grunds gegeben sein.12 Das BAG stellte in zwei Entscheidungen klar, dass der Begriff „greifbare Form“ nicht dahingehend zu verstehen sei, dass der

10 BAG, Urt. v. 30.10.1986 – 2 AZR 696/85, BAGE 53, 267 Juris-Rn. 22; BAG, Urt. v.

12.4.2002 – 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Juris-Rn. 20; BAG, Urt. v. 27.11.2003 – 2 AZR 256/01, BAGE 109, 40, Juris-Rn. 20;

APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 471; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 588; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 779; Annuß, Betriebsbedingte Kündigung und arbeitsvertragliche Bindung, S. 360.

11 Wenn der Arbeitgeber mit einer zu kurzen Frist kündigt, ist grundsätzlich davon auszu- gehen, dass er die einzuhaltende gesetzliche, tarifvertragliche oder vereinbarte Kündi- gungsfrist wahren will und somit die rechtlich zulässige Frist eingehalten wird, vgl. BAG, Urt. v. 15.12.2005 – 2 AZR 148/05, BAGE 116, 336 Juris-Rn. 26; BAG, Urt. v. 9.2.2006 – 6 AZR 283/05, BAGE 117, 68 Juris-Rn. 32. Einschränkend der 5. Senat des BAG, Urt. v 1.9.2010 – 5 AZR 700/09, BAGE 135, 255 Juris-Rn. 27, der wegen des Be- stimmtheitsgebots konkrete Anhaltspunkte im Kündigungsschreiben verlangt, dass mit der rechtlich maßgeblichen Frist habe gekündigt werden sollen. Lässt sich nicht durch Auslegung oder Umdeutung entnehmen, dass die rechtlich maßgebliche Kündigungsfrist eingehalten wird, ist die Kündigung gemäß § 134 BGB unwirksam, vgl. Münch- Komm/Hesse, Bd. 5, § 622 Rn. 43. Die Frage nach einem Wiedereinstellungsanspruch stellt sich dann nicht mehr.

12 BAG, Urt. v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- dingte Kündigung Juris-Rn. 27; BAG, Urt. v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, BAGE 109, 40 Juris-Rn. 17; BAG, Urt. v. 23.2.2010 – 2 AZR 268/08, BAGE 133, 240 Juris-Rn. 18;

APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 480; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 564; Germakowski, Der allge- meine Wiedereinstellungsanspruch S. 13; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrecht- lichen Kündigungsschutzrecht, S. 138.

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9 Arbeitgeber mit der Verwirklichung seiner Unternehmerentscheidung be- gonnen haben müsse. So sah das BAG in der Entscheidung vom 19.6.1991 die „greifbare Form“ als gegeben an, obwohl zum Zeitpunkt des Kündi- gungszugangs allein ein Beschluss der Mitgliederversammlung des Arbeit- gebers vorlag, dass der Vorstand die Stilllegung des Betriebs durchführen dürfe.13 In der Entscheidung vom 20.11.201414 begründete der Arbeitge- ber die Kündigung damit, dass der gekündigte Kläger als Hausmeister be- schäftigt war und diese Tätigkeit zukünftig von einem Dienstleister wahr- genommen werde. Dass nach einem solchen Dienstleister erst nach Zu- gang der Kündigung gesucht wurde, war unerheblich, da es das BAG aus- reichen ließ, dass der Arbeitgeber endgültig und ernsthaft beschlossen habe, die fragliche organisatorische Änderung durchzuführen.15

3. Prognose bei der betriebsbedingten Kündigung

Die betriebsbedingte Kündigung ist somit nach der überwiegenden An- sicht aufgrund einer Prognose zulässig. Der Begriff Prognose stammt ur- sprünglich aus dem Griechischen und bedeutet Vorherwissen.16 Eine Prognose wird als eine Aussage angesehen, die – aufbauend auf ausdrück- lichen Bedingungen und möglichst rational – den zukünftigen Eintritt ei- nes Zustandes oder eines Ereignisses angibt.17 Da eine Prognose vor Ein- tritt des Zustandes erstellt werde, schließe sie eine ex post-Betrachtung

13 BAG, Urt. v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- dingte Kündigung Juris-Rn. 17.

14 BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679.

15 BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679 Juris-Rn. 20.

16 Duden, Das große Fremdwörterbuch, S. 1103.

17 Picot, DB 1977, 2149; Tettinger, DVBl. 1982, 421, 423; Honstetter, Die Prognoseentschei- dung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, S. 12; Feuerborn, Sachliche Gründe im Ar- beitsrecht, S. 225. Ähnlich Lorenz, Die Kontrolle von Tatsachenentscheidungen und Prognoseentscheidungen, S. 193, 203: „Prognose ist eine Aussage über den künftigen Eintritt von Tatsachen aufgrund eines Geschehensverlaufs, der bei Verwertung der vor- handenen Informationen unter gewissen Voraussetzungen nach Maßgabe einer zu be- rechnenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.“ Ihm folgend Elz, Der Wiedereinstel- lungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, S. 11. Ähnlich Hoppe in FG BVerwG, S. 295, 308: „Die Prognose ist eine Aussage über die Beschaffen- heit eines in angebbarer Zukunft – kurz-, mittel-, langfristig – zu erwartenden Ereignisses oder Sachverhalts.“

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aus.18 Aus dem tatsächlichen Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Stichhaltigkeit der Prognose zu ziehen, sei jedoch dann keine unzulässige ex post-Betrachtung, wenn damit festgestellt werden soll, ob die Prognosegrundlagen zum maßgeblichen Zeitpunkt vorlagen.19 Letztere Annahme ist zu überprüfen. Dies insbeson- dere dahingehend, ob das BAG noch an dem Beurteilungszeitpunkt bei Zugang der Kündigung festhält oder ob es schon, da es die spätere Ent- wicklung in den Blick nimmt, tatsächlich einen späteren Beurteilungszeit- punkt als maßgeblich ansieht.

Diese Prüfung ergibt folgendes Bild: Da die greifbaren Formen auch der reine Willensentschluss des Arbeitgebers sein können, wird der Wil- lensentschluss das maßgebliche Datum für die Rechtfertigung der Kündi- gung.20 Wenn die bloße Absicht genügt, eine Unternehmerentscheidung umzusetzen, sind die greifbaren Formen ein innerer Tatbestand, dessen Vor- liegen allein durch äußere Umstände einem Dritten erschlossen werden kann.21 Als äußere Umstände, die auf eine ernsthafte Unternehmerent- scheidung schließen lassen, kommt die tatsächliche Umsetzung der Unter- nehmerentscheidung in Betracht. So hält es das BAG folgerichtig für zu- lässig, aus dem tatsächlichen Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Stichhaltigkeit der Prognose zu ziehen.22 Ein anderer Weg, auf eine ernsthafte Absicht zu schließen, ver- bleibt dem BAG nicht. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat der Richter bei der Feststellung rechtserheblicher Tatsachen im Zivilprozess unter Berück- sichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses

18 Nell, Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, S. 223; Honstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, S. 134; Feuerborn, Sachli- che Gründe im Arbeitsrecht, S. 238.

19 BAG, Urt. v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12 Juris-Rn. 59; BAG, Urt. v.

27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 23; Germakowski, Der allgemeine Wiedereinstellungsanspruch, S. 13; Honstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitge- bers im Kündigungsrecht, S. 55; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, S. 140.

20 Bitter/Kiel, RdA 1994, 333, 349.

21 Vgl. zur Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO bei einem inneren Tatbestand: BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13, NZA 2015, 679 Juris-Rn. 17.

22 BAG, Urt. v. 27.11.2003 – 2 AZR 48/03, BAGE 109, 40 Juris-Rn. 18; BAG, Urt. v.

16.2.2012, AP Nr. 188 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Juris-Rn. 40. So auch ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 243; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 781; HWK/Quecke

§ 1 KSchG Rn. 289.

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11 einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.23 Eine Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts auf den Ablauf der Kündigungsfrist wäre es demnach, wenn stets aus dem Eintritt des Erfol- ges darauf geschlossen würde, dass eine solche Prognose bei Zugang der Kündigung vorlag. Mit anderen Worten: Es wäre eine Verschiebung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts auf den Ablauf der Kündigungsfrist, wenn stets aus der Tatsache, dass bei Ablauf der Kündigungsfrist der Ar- beitskräftebedarf entfallen ist, bei Zugang der Kündigung eine dahinge- hende Prognose aufzustellen war.

Dass das BAG eine solche rückschauende Schlussfolgerung und somit eine ex post-Betrachtung bei der betriebsbedingten Kündigung vornimmt, kann jedoch nicht festgestellt werden. Zwei Entscheidungen des BAG vom 12.4.2002 und 15.7.2004, die den Verlust eines Auftrags gemein ha- ben, zeigen exemplarisch den Verbleib des BAG bei einer ex ante-Betrach- tung.

In dem der Entscheidung vom 12.4.2002 zugrundeliegenden Sachver- halt verlor die beklagte Arbeitgeberin einen Auftrag, nahm jedoch an der neuen Ausschreibung des verlorenen Kundenunternehmens teil.24 Der kla- genden Arbeitnehmerin, die als Reinigungskraft beim Kundenunterneh- men eingesetzt war, wurde vorsorglich die betriebsbedingte Kündigung während des laufenden Ausschreibungsverfahrens ausgesprochen. Tat- sächlich erhielt noch während der Kündigungsfrist ein Konkurrenzunter- nehmen den Zuschlag, sodass der Beschäftigungsbedarf für die klagende Arbeitnehmerin zum Ablauf der Kündigungsfrist entfallen war. Das BAG gab der Kündigungsschutzklage statt, da zum Zeitpunkt des Kündigungs- zugangs keine sichere Prognose aufzustellen war, dass der Arbeitsplatz der Klägerin entfallen werde.25 Denn solange die Beklagte an der Ausschrei- bung teilnahm und über den Zuschlag nicht entschieden war, gab es keine

23 Zum Wahrscheinlichkeitsgrad APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 449; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 179 ff; Schmidt, Der Wiedereinstellungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsver- hältnisses, S. 112.

24 BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- dingte Kündigung Juris-Rn. 4.

25 BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- dingte Kündigung Juris-Rn. 25.

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greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme, die Klägerin könne zum Kün- digungstermin entbehrt werden. Die Lage war vielmehr offen. Sie war der- jenigen eines Unternehmers vergleichbar, der eine Betriebsstilllegung er- wägt, aber noch nicht beschlossen hat.26

In dem der Entscheidung vom 15.7.2004 zugrundeliegenden Sachver- halt, verlor die beklagte Arbeitgeberin ebenfalls einen Auftrag. Das Kun- denunternehmen verwies auf günstige Konkurrenzangebote, zu deren Konditionen auch die Beklagte ein neues Angebot unterbreiten sollte.27 Die Beklagte hielt die Konkurrenzangebote für wirtschaftlich unvertretbar und gab daher kein neues Angebot für einen Reinigungsauftrag ab, son- dern kündigte den beim Kundenunternehmen eingesetzten Arbeitneh- mern. Auch der dort klagenden Arbeitnehmerin, die als Reinigungskraft beim Kundenunternehmen eingesetzt wurde, wurde betriebsbedingt ge- kündigt. Tatsächlich erhielt die Beklagte drei Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist einen erneuten Auftrag des Kundenunternehmens. Die Klägerin trug vor, dass schon bei Zugang der Kündigung abzusehen war, dass die Konkurrenzfirma den erforderlichen Reinigungsstandard zu dem niedrigeren Preis nicht würde halten können und es deshalb zu einer er- neuten Beauftragung der Beklagten kommen werde. Das BAG wies die Kündigungsschutzklage ab, da zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs die sichere Prognose aufzustellen war, dass der Arbeitsplatz der Klägerin ent- fallen werde. Denn die Beklagte habe sich nicht um einen neuen Auftrag beworben. Über einen Wiedereinstellungsanspruch musste nicht entschie- den werden, da die Klägerin ihn nicht geltend machte.28

Aus den beiden Entscheidungen wird deutlich, dass das BAG nicht aus dem Wegfall des Arbeitsbedarfs zum Kündigungstermin, d.h. Ablauf der Kündigungsfrist, zwingend darauf schließt, dass beim Zugang der Kündi- gung eine solche Prognose aufzustellen war. Das BAG hält daher in der Tat daran fest, dass der Beurteilungszeitpunkt der betriebsbedingten Kün- digung der des Zugangs ist. Der Anwendungsbereich des Wiedereinstel- lungsanspruchs besteht somit in den Fällen, in denen bei Zugang der Kün-

26 BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 256/01, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbe- dingte Kündigung Juris-Rn. 25.

27 BAG, Urt. v. 15.7.2004 – 2 AZR 376/03, BAGE 111, 229 Juris-Rn. 9.

28 BAG, Urt. v. 15.7.2004 – 2 AZR 376/03, BAGE 111, 229 Juris-Rn. 9.

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13 digung die sichere Prognose aufzustellen war, dass der Beschäftigungsbe- darf zum Kündigungstermin entfällt, sich diese Prognose jedoch in einer rückschauenden Betrachtung nicht bewahrheitet.29

4. Der Wiedereinstellungsanspruch bei der betriebsbedingten Kündigung

Erstmals in der Entscheidung vom 27.2.1997 sprach das BAG im Falle einer betriebsbedingten Kündigung, bei der der Kündigungsgrund vor Fristablauf weggefallen war, dem klagenden Arbeitnehmer den Wiederein- stellungsanspruch zu.30 Das BAG begründete die Entscheidung damit, dass ein solcher Wiedereinstellungsanspruch ein notwendiges Korrektiv dafür darstelle, dass die Rechtsprechung allein aus Gründen der Rechtssi- cherheit, Verlässlichkeit und Klarheit bei der Prüfung des Kündigungs- grunds auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abstelle und schon eine Kündigung aufgrund einer Prognoseentscheidung zulässig sei, ob- wohl der Verlust des Arbeitsplatzes, vor dem die Arbeitnehmer durch

§ 1 KSchG geschützt werden solle, erst mit der Entlassung, also dem Ab- lauf der Kündigungsfrist, eintrete.31 Der überwiegende Teil der Literatur folgte dem BAG dahin, für den nachträglichen Wegfall des betriebsbeding- ten Kündigungsgrunds dem Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsan- spruch zuzusprechen und begründete dies ebenfalls damit, dass der Wie- dereinstellungsanspruch ein notwendiges Korrektiv sei, da zum einen eine Prognoseentscheidung des Arbeitgebers ausreichend sei und zum anderen

29 Annuß, Betriebsbedingte Kündigung und arbeitsvertragliche Bindung, S. 378, kritisiert, dass nicht von einem Wegfall des Kündigungsgrunds gesprochen werden könne: „Prä- zise ausgedrückt geht es bei der Problematik des Wiedereinstellungsanspruchs nicht um einen Wegfall des Kündigungsgrundes, sondern um die Frage, inwieweit rechtlich rele- vant ist, dass eine Kündigung wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Änderung der Tatsachenlage nun nicht mehr wirksam ausgesprochen werden könnte.“

30 BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 27.

31 BAG, Urt. v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, BAGE 85, 194 Juris-Rn. 27. Bestätigt in BAG, Urt. v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/86, BAGE 96, 194 Juris-Rn. 11; BAG, Urt. v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BAGE 87, 221 Juris-Rn. 19; BAG, Urt. v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, BAGE 95, 171 Juris-Rn. 23; BAG, Urt. v. 9.11.2006 – 2 AZR 509/05, BAGE 120, 115 Juris-Rn. 72.

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der Beurteilungszeitpunkt der des Kündigungszugangs sei.32 Mit dieser Be- gründung ist noch keine dogmatische Legitimation für die Anerkennung des Wiedereinstellungsanspruchs gefunden. Es wird jedoch deutlich, dass die von der herrschenden Meinung erachtete Gesetzeslücke, die durch den Wiedereinstellungsanspruch geschlossen wird, dadurch entstanden ist, dass das Prognoseprinzip im KSchG auch insoweit gelten soll, dass der Zugangszeitpunkt der Kündigung als der maßgebliche Beurteilungszeit- punkt angesehen wird.

II. Die personenbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG

Die soziale Rechtfertigung der personenbedingten Kündigung wird wie folgt geprüft:

1. Gründe in der Person des Arbeitnehmers

Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeit- nehmer aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten oder Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist, seine vertraglichen Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.33 Neben der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit können als Fallgruppen beispielhaft die Freiheitsstrafe, Führerscheinentzug, Kir- chenaustritt, Einberufung ausländischer Mitarbeiter zur Wehrpflicht, Si-

32 APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 74; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 84;

LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 228; Bülow, Funktion des Wiedereinstellungsanspruchs im Kündigungsschutzrecht, S. 137; Elz, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitneh- mers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, S. 96; Germakowski, Der allgemeine Wieder- einstellungsanspruch, S. 76; Nädler, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers nach Wegfall des Kündigungsgrundes, S. 131; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeits- rechtlichen Kündigungsschutzrecht, S. 151, 152; Pflüger, Der Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers im kündigungsrechtlichen Bestandsschutz, S. 115; Schmidt, Der Wie- dereinstellungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 125; vom Stein, RdA 1991, 85, 88; Westera, Der Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer Kündigung, S. 32.

33 BAG, Urt. v. 13.3.1987 – 7 AZR 724/85, BAGE 54, 248 Juris-Rn. 28; BAG, Urt. v.

20.5.1988 – 2 AZR 682/87, BAGE 59, 32 Juris-Rn. 52; BAG, Urt. v. 18.1.2007 – 2 AZR 731/05, BAGE 121, 32 Juris-Rn. 15; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 99; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 280; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 145; Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 28; Wank, RdA 1993, 79, 87.

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15 cherheitsbedenken, Gewissensentscheidung oder Trunk- und Drogen- sucht genannt werden.34 Weitere Voraussetzung ist, dass eine Prognose ergibt, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig die Vertragspflichten nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen kann.35 Aufgrund des Verhältnismäßig- keitsprinzips darf es kein gleich geeignetes milderes Mittel, insbesondere keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz geben.36 Schließlich müssen unter Abwägung der Interessen auf Seiten des Arbeitnehmers und des Arbeitsgebers diejenigen des Arbeitgebers über- wiegen.37

Die krankheitsbedingte Kündigung ist der Hauptanwendungsfall der personenbedingten Kündigung.38 Im Rahmen der Kündigung bei Krank- heit unterscheidet die Rechtsprechung vier Fallgruppen. Dies sind die Kündigung wegen langanhaltender Krankheit39, die Kündigung wegen häufigen Kurzerkrankungen40, die Kündigung wegen krankheitsbedingter Leistungsminderung41 und die Kündigung wegen dauernder Arbeitsunfä- higkeit.42

34 LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 288 ff.; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn.

145 ff.; Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 28.

35 BAG, Urt. v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 28; BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krank- heit Juris-Rn. 20; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 267; Bitter/Kiel, RdA 1995, 26, 30; Gamill- scheg, Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 97; Preis, DB 1988, 1444; Wank, RdA 1993, 79, 87.

36 LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 277; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 106.

37 BAG, Urt. v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 40; BAG, Urt. v. 20.1.2000 – 2 AZR 378/99, BAGE 93, 255 Juris-Rn. 23.

38 KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 337; D/D/Z/Deinert § 1 KSchG Rn. 95; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 332.

39 BAG, Urt. v. 25.11.1982 – 2 AZR 140/81, BAGE 40, 361 Juris-Rn. 21; BAG, Urt. v.

21.5.1992 – 2 AZR 399/91, AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris-Rn. 28; BAG, Urt. v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, BAGE 91, 271 Juris-Rn. 32.

40 BAG, Urt. v. 23.6.1983 – 2 AZR 15/82, BAGE 43, 129 Juris-Rn. 27; BAG, Urt. v.

16.2.1989 – 2 AZR 299/88, BAGE 61, 131 Juris-Rn. 29; BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, BAGE 150, 117 Juris-Rn. 15.

41 BAG, Urt. v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 78; BAG, Urt. v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, BAGE 109, 87 Juris-Rn. 100.

42 BAG, Urt. v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, BAGE 91, 271 Juris-Rn. 32, 35; BAG, Urt. v.

12.4.2002 – 2 AZR 148/01, BAGE 101, 39 Juris-Rn. 41.

(29)

16

2. Zeitpunkt des Vorliegens des personenbedingten Grunds sowie der negativen Gesundheitsprognose

Für die weitere Untersuchung ist hier von Interesse, zu welchem Zeit- punkt die negative Prognose in dem Hauptanwendungsfall der krankheits- bedingten Kündigung aufgestellt werden kann und welche Tatsachen dem zugrunde liegen müssen.

Eine negative Prognose im Falle der krankheitsbedingten Kündigung wird angenommen, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung auf- grund objektiver Tatsachen damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seinem Arbeitsplatz krankheitsbedingt fernbleiben wird.43 Diese objektiven Gründe können sich aus den bisherigen krankheitsbe- dingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers ergeben, soweit diese nicht ausge- heilt sind oder auf einer einmaligen Tatsache beruhen wie z.B. auf einen Arbeitsunfall.44 Oftmals sind die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Ar- beitnehmers die einzige Erkenntnisquelle des Arbeitgebers.45 Auch wenn ein schematischer Maßstab für die Erstellung der Prognose nicht aufge- stellt werden kann, da immer eine Einzelfallbetrachtung maßgeblich bleibt,46 kann der Rechtsprechung entnommen werden, dass eine ausrei- chende Indizwirkung für die Annahme von häufigen Kurzerkrankungen vorliege, wenn hinreichend prognosefähige Fehlzeiträume gegeben seien,

43 BAG, Urt. v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, BAGE 91, 271 Juris-Rn. 33; APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 139; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 191; LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 347.

44 BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, BAGE 150, 117 Juris-Rn. 19; APS/Vossen

§ 1 KSchG Rn. 139; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 352; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5,

§ 1 KSchG Rn. 191.

45 MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 191; Ascheid, Beweislastfragen im Kün- digungsschutzprozeß S. 85; Bülow, Funktion des Wiedereinstellungsanspruchs im Kün- digungsschutzrecht, S. 233; Honstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, S. 24. ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 121 weist darauf hin, dass dem Arbeitgeber auch kein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer über dessen Ge- sundheitszustand zusteht.

46 APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 140; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 354; MünchKomm/Hergen- röder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 193; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsver- hältnissen, S. 435.

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17 die sich etwa aus den letzten drei Jahren ergeben können.47 Eine langan- haltende Krankheit soll nach dem BAG dagegen schon bei einer acht Mo- nate andauernden Erkrankung vorliegen.48

Der nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG darlegungs- und beweisbelastete Ar- beitgeber könne daher im Kündigungsschutzprozess die ihm bekannten krankheitsbedingten Fehlzeiten vortragen und behaupten, aus ihnen sei die Besorgnis weiterer Störungen in der Zukunft herzuleiten.49 Daraufhin müsse der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung im Kündigungszeitpunkt zu rechnen sei. Dieser prozessualen Mitwirkungspflicht genüge er bei unzureichender ärztlicher Aufklärung oder Kenntnis von seinem Gesundheitszustand schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreite und die ihn behandeln- den Ärzte von der Schweigepflicht entbinde, soweit aus seinem Vortrag entnommen werden kann, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber positiv beurteilt.50

3. Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände Die Annahme, es könne aus den bisherigen Fehlzeiten darauf geschlos- sen werden, dass auch zukünftige Fehlzeiten im gleichen Umfang zu er- warten seien, ist der Kritik ausgesetzt gewesen, da dies als eine unsichere

47 BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 24; BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, BAGE 150, 117 Juris-Rn. 5, 19. Die Literatur entnimmt den Entscheidungen der Obergerichte, dass zumindest ein Betrach- tungszeitraum von zwei Jahren erforderlich sei und nur dann auf einen kürzeren Zeit- raum abgestellt werden könne, wenn die Erkrankung schon vor Begründung des Ar- beitsverhältnisses vorlag. So: KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 354; LSSW/Schlünder § 1 KSchG Rn. 246; MünchKomm/Hergenröder, Bd. 5, § 1 KSchG Rn. 193.

48 BAG, Urt. v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, BAGE 91, 271 Juris-Rn. 32.

49 BAG, Urt. v. 12.4.2002 – 2 AZR 148/01, BAGE 101, 39 Juris-Rn. 43; Ascheid, Beweis- lastfragen im Kündigungsschutzprozeß, S. 93.

50 BAG, Urt. v. 6.9.1989 – 2 AZR 19/89, AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 29; BAG, Urt. v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krank- heit Juris-Rn. 28; BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, BAGE 150, 117 Juris-Rn.

9; APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 211; KR/Rachor § 1 KSchG Rn. 357; Boewer, NZA 1988, 678, 686; Honstetter, Die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers im Kündigungsrecht, S. 28; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rn. 275. Gegen eine Einschränkung der Darle- gungslast des Arbeitnehmers bei fehlenden medizinischen Kenntnissen LKB/Krause § 1 KSchG Rn. 365; Nicolai Anm. zu BAG, Urt. v. 17.6.1999 – 2 AZR 639/98, SAE 2000, 98, 99; Tschöpe, DB 1987, 1042, 1043.

(31)

18

Prognosegrundlage angesehen wurde.51 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass Krankheitsverläufe sich schwer prognostizieren lassen. Auf zukünf- tige krankheitsbedingte Fehlzeit des Arbeitnehmers lässt sich allenfalls mittelbar schließen und zwar durch die vorangegangenen Fehlzeiten und ärztlichen Feststellungen.52 So war es auch die Unsicherheit der krank- heitsbedingten Prognosen, die den Zweiten Senat des BAG am 11.3.1983 bewogen haben, zur Bestätigung oder Korrektur dieser Prognosen auf die spätere, tatsächliche Entwicklung einer Krankheit abzustellen.53 Der Zweite Senat führte weiter aus, dass es sachlich unvertretbar und für die Parteien nicht einsehbar sei, wenn sie aufgrund einer ärztlichen Prognose den Prozess verlören, die im Widerspruch zur tatsächlichen späteren ge- sundheitlichen Entwicklung des Arbeitnehmers stünde.54

Der Siebte Senat kritisierte in seinem Urteil vom 15.8.1984 die Recht- sprechung des Zweiten Senats dahingehend, dass dann der Arbeitgeber bei Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung deren Rechtmäßigkeit kaum noch einigermaßen zuverlässig beurteilen könne und der Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses nicht nur für den Arbeitgeber, sondern wegen der möglichen Berücksichtigung einer späteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auch für den Arbeitnehmer immer weniger vorhersehbar werden würde.55 In der nächsten Entscheidung vom 9.4.1987 stellte der Zweite Senat unter Bezugnahme auf die Kritik des Siebten Senats klar, dass die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungs- ausspruch nur insoweit berücksichtigt werden könne, als sie der Bestäti- gung oder der Korrektur der Prognose diene, d.h., wenn sich durch die

51 Herschel, Anm. zu BAG, Urt. v. 12.10.1976 – 7 Sa 48/76, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit. Weller, Arbeitsrecht der Gegenwart, 1983, 77, 80 verneint eine Indizwirkung bei einer Langzeiterkrankung. Voigt, DB 1996, 526, 527 spricht sich für eine ex post Kontrolle der Prognose aus, welche im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden sollte.

52 APS/Vossen § 1 KSchG Rn. 140; Nicklaus, Das Prognoseprinzip im arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzrecht, S. 56. Zur allgemeinen Kritik an der Vagheit der Entschei- dungskriterien Kasper, NJW 1994, 2979, 2981 m. w. N.

53 BAG, Urt. v. 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris-Rn. 34.

54 BAG, Urt. v. 10.11.1983 – 2 AZR 291/82, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris-Rn. 34.

55 BAG, Urt. v. 15.8.1984 – 7 AZR 536/82, AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 36.

(32)

19 spätere Entwicklung die Fehlerhaftigkeit oder die Richtigkeit der Prognose zeige. Das sei nur dann der Fall, wenn kein neuer Kausalverlauf nach dem Kündigungszeitpunkt in Gang gesetzt werde.56 Der Zweite Senat führte in mehreren Urteilen aus, unter welchen Voraussetzungen ein neuer Kausal- verlauf anzunehmen sei. So soll ein neuer Kausalverlauf vorliegen, wenn der Arbeitnehmer sich nach Kündigungszugang zu einer zuvor verweiger- ten Operation entscheide,57 seine Lebensführung auf Anraten des Arztes ändere58 oder einen Arztwechsel vornehme, der zu einer neuen Therapie führe59. Der Zweite Senat stellte auch klar, dass es unerheblich sei, ob der Arbeitnehmer Einfluss auf den neuen Kausalverlauf nehmen könne. Somit seien auch außerhalb seines Einflussbereichs liegende Umstände, wie die Entwicklung oder das Bekanntwerden einer neuen Heilmethode oder die Anwendung eines schon bekannten, aber vom behandelnden Arzt bisher nicht erwogenen Heilmittels, ein neuer Kausalverlauf, wenn sie erst nach Zugang der Kündigung angewendet werden.60

4. Berücksichtigung nachträglicher Entwicklung der Krankheit lediglich als Bestätigung der Prognose

Nochmals nahm der Zweite Senat in der Entscheidung vom 29.4.1999 auf das Urteil vom 10.11.1983 Bezug und stellte in Abkehr von seiner bis- herigen Rechtsprechung fest, dass die spätere tatsächliche Entwicklung ei- ner Krankheit bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nicht zur Bestätigung oder Korrektur der Prognose ver- wertet werden könne. Falls sich die ursprünglich angestellte Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch erweise, sei an ei- nen Wiedereinstellungsanspruch zu denken.61

56 BAG, Urt. v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 34.

57 BAG, Urt. v. 9.4.1987 – 2 AZR 210/86, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 34.

58 BAG, Urt. v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 53.

59 BAG, Urt. v. 27.11.1991 – 2 AZR 309/91, n. v. Juris-Rn. 50.

60 BAG, Urt. v. 5.7.1990 – 2 AZR 154/90, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Juris- Rn. 46.

61 BAG, Urt. v. 29.4.1999 – 2 AZR 431/98, BAGE 91, 271 Juris-Rn. 38. Eine Aufgabe dieses Differenzierungskriteriums des neuen Kausalverlaufs war damit jedoch nicht verbun- den, da der Zweite Senat im Urteil vom 17.6.1999 (2 AZR 639/98, BAGE 92, 96 Juris-

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