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Walknochen in Kirchen

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Academic year: 2022

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6.5.7 Walknochen in Kirchen

Was ist von der Mitteilung einer historischenAbhandlung aus denzwanzigerJahrendes 19. Jh.zu halten,dieberichtet, dass in der Arnstadter Liebfrauenkirche eine riesige angekettete Rippe hänge, welche „der Fabel“ nach der Knochen von einem Riesen sei, die aber tatsächlichvon einem Walfisch stamme?

Das Aufhängengroßer Knochenin Eingangsbereichenoder an Fassaden von Kirchen ist häufigbelegt, aber nur selten klar zuzuordnen.

Die Vorstellung vonurzeitlichen Riesen, deren Knochen bzw.

Gräber gelegentlich wiedergefunden wurden, gab es bereits in derheidnischenAntike, aber auch im Christentum blieb sie lebendig. Der Kirchenvater Augustinusdachte,dass dieseRie­

sen vor der Sintflutgelebt hätten. In Englandwurden im 12.

und13.Jh. große KnochenRiesen zugeschrieben,von denen man behauptete, sie hätten die Insel bewohnt,bevor der an­ tike trojanischeHeld Brutus sie überwältigte undanschlie­

ßend ersterKönig des nach ihm benannten „Britannien“ wurde. Somit avancierten dieseKnochenzu Beweisstücken der eigenen heroischenVergangenheit. Es lag nahe, sie für je­ dermann dauerhaftsichtbar in Kirchen auszustellen,wastat­

sächlich in einigen Fällen ausanderenRegionen abdem14- und15.Jh.belegt ist.

Die Knochen,welchefürdieGebeinevonRiesengehaltenwur­

den,wareninder RegelFundeaus der Erde (also oft Fossilien, etwa von Mammuts).Etwas ganz anderes stelltendie Stran­ dungen großer Meerestiere dar -diese konfrontiertenMen­

schen, die nichtmit demWalfang vertraut waren,mitTieren, diesie für Seeungeheuer hielten. Ab dem 15. Jh. finden sich Belege dafür, dass ihrebesonders großen Knochen - Rippen.

Wirbel, Schulterblätter - alsEinzelstücke in Kirchen, aber auch in Rathäusernoder Gasthäusern, aufgehängtwurden. Ab dem 16. Jh., also zurZeitihrer zunehmendennaturwissenschaft­

lichen Erfassung, wurden sie immer häufigervonInschriften begleitet,welche die Vielfaltder Schöpfung loben. So etwain derWittenberger Schlosskirche,wo dernoch heute erhalte­

ne Knochen(vgl. Abb. 6.5.7) bereits vor 1538 und eine verlore­ ne Inschrift ab 1717 dokumentiert sind.Andere Knochen sind in den Domen von Magdeburg und Halberstadt seit1739be' legt. Zu diesem Zeitpunkt wird bereits mitDistanzvon Inter­ pretationen dieser Objekteals Knochen vonRiesen oder gar alsÜberrestausgerechnet jenes alttestamentarischenWalfi' schesberichtet, der Jonas verschlang(Jona 2,1-2).Häufig- so auch im Falleunseres Arnstädter Autors - stellt sich die Frage, inwiefern die referiertenLegenden tatsächlichdenur­

sprünglichenVorstellungen beim Aufhängen dieser Knochen entsprechen,oder ob es sich nichtvielmehr umspätere Deu­

tungsversuchehandelt, die vor allem vorgebracht wurden, um einer von wissenschaftlicherAufgeklärtheit zeugenden Interpretation die nötige Dramaturgiezu verleihen.DasAuf hängen großerKnochen in Kirchen ist jedenfalls vorallem

314 | FRÖMMIGKEIT: HÖRBAR, SICHTBAR, FASSBAR

Originalveröffentlichung in: Kühne, Hartmut ; Bünz, Enno ; Müller, Thomas T. (Hrsgg.): Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland. Katalog zur Ausstellung „Umsonst ist der Tod“; [Mühlhäuser Museen, Museum am Lindenbühl, 28. September 2013 bis 13.

April 2014...], Petersberg 2013, S. 314-315

(2)

Sammlungen Lutherstadt Wittenberg 6.5.7 Wal­

knochen aus der Wittenberger Aller­

heiligen-Kirche, jetzt Städtische

durch Überlieferungenaus dem18. und 19. Jh. bekannt, wo­

bei die ursprünglicheAnbringungwahrscheinlich zumeist auf dieFrühe Neuzeit zurückgeht, entsprechend der Etablierung dieser Praxis seitdem späten Mittelalter.

Lit.: Buchwald 1928-1932, Teil 5 (1931), S. 60; Cordez 2010, S. 197-214 und 243-251:

Faber 1730, S. 230-232; Haber 1739, S. 18; Hellbach 1828, S. 26.

Philippe Cordez

FRÖMMIGKEIT: HÖRBAR, SICHTBAR, FASSBAR | 315

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