DEUTSCHES ARZTEBLATT
AKTUELLE POLITIK
Strategien für Pflegesatzrunde 1991/92
Auf harte Auseinandersetzungen bei der anstehenden Pflegesatz- und Budgetrunde 1991/1992 müssen sich die Krankenhäuser in den alten und neuen Bundesländern gefaßt machen. Eine Entspannung oder gar eine Trend-Umkehr beim Wachstum der Krankenhausausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungsträger wird es auch im kommenden
Jahr
mit Sicherheit nicht geben. Darauf deuten die frühzeitig vor der Eröffnung der ersten Pflege- satz-/Budgetverhandlungen 1991/92 ausgegebenen Strategien der Kranken- kassen und der Krankenhäuser hin. Es ist fast zu einem Ritual geworden, daß die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ihre Landesverbände und die Ver- handlungsführer auf regionaler Ebene mit Materialien, Empfehlungen, Hin- weisen und Strategien munitionieren. So auch in diesemJahr.
E
s verwundert nicht, daß sich die im krankenhauspolitisch flauen Sommer präsentierten Verhandlungs-Strategien der Kas- senspitzenverbände und der Kran- kenhausgesellschaft zum Teil polari- sieren, zum Teil ergänzen, die Es- sentials - je nach 1 nteressen Iage - aber auch kompromißlos verfochten werden.Krankenkassen und Kranken- hausträger rechnen im Jahr 1992 wie bereits ab dem Jahr 1990 mit einem beschleunigten Kostenwachstum im stationären Sektor. Diese Entwick- lung ist in erster Linie "fremdbe- stimmt", das heißt, sie resultiert aus tarifvertragliehen Verbesserungen, aus der neuesten Rechtsprechung, aus der verstärkten Nachfrage nach stationären Krankenhausleistungen und aus der gestiegenen Einwei- sungshäufigkeit.
Auf den ersten Blick weichen die Empfehlungen und Hinweise der Spitzenverhände der gesetzlichen Krankenversicherung und der Deut- schen Krankenhausgesellschaft nur geringfügig voneinander ab - soweit sie die linearen Tarifsteigerungen und die zwischen den Kontrahenten un- strittigen Komplexe betreffen. Die GKV-Spitzenverbände rechnen nach einer kurzen Zeit moderater Steige- rungsraten in den Jahren 1987 und 1988 mit wieder exorbitant wachsen- den Ausgaben für clie Krankenh:ms- pflege. Eine Auswertung der Bud- getabschlüsse für 1991 zeigt Kosten- schübe von rund acht Prozent. Darin sind die Korrekturen aufgrund des Tarifabschlusses für den öffentlichen
.Alle Jahre wieder:
Dienst (von Mitte 1990) noch nicht enthalten. Nach dieser Korrektur wird die Steigerungsrate voraussicht- lich bei über zehn Prozent liegen.
Die Personalkosten sind im Kran- kenhaus der dominierende Kosten- block, der zu zwei Dritteln die Di- mension der Betriebskosten be- stimmt. Nach Angaben der Kranken- hausträger lagen die GKV-Ausgaben in 1990 mit o,9 Prozent über dem Gruncllohnsummenanstieg (
+
5,1 Prozent). Der Zuwachs der Kran- kenhausausgaben je Mitglied (ohne Rentner) lag in 1990 hei 5,8 Prozent, und einschließlich der Rentner be- trug das Ausgabenwachstum je Mit- gliecl 8,5 Prozent. Diese Sachlage hat wiederum die Krankenhausträger veranlaßt, ihr Augenmerk noch stär- ker als hisher schon auf die Personal- kostensteigerungen zu richten. Ge- nerell empfehlen die GKV-Verbän- de (für die alten Bundesländer), nur die unabweisbaren Kostensteigerun-gen und Ausgaben anzuerkennen.
Sowohl im Personal- als auch im Sachkostenbereich sollte strengste Disziplin gehalten werden.
~ Unter Berücksichtigung der Tarifsituation und der jetzt bereits erkennbaren Veränderungen bei den Personalnebenkosten empfehlen die Krankenkassen eine lineare Tarif- steigerung von vier Prozent. Soweit die Kalkulation der Personalkosten für 1992 das Budget (Personalko- stenblock) 1991 zugrunde legt, soll- ten gegebenenfalls die sich aus der Umsetzung des Tarifabschlusses 1991 noch ergebenden finanziellen Auswirkungen berücksichtigt wer- den.
Bei einer Abweichung des tat- sächlichen Tarifabschlusses von bis zu ± 1,5 Prozent soll ein Ausgleich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 der Bundes- pflegesatzverordnung (BPflV) im Jahr 1993 vorgenommen werden.
Liegt die Differenz zum prognosti- zierten Wert über 1,5 Prozent, sollte die Korrektur der Vereinbarungen zeitnah im laufenden Pflegesatzzeit-
raum angestrebt werden.
~ Die Deutsche Krankenhaus- gesellschaft rechnet mit Erhöhungen der Vergütungen, Löhne unter ande- rem im öffentlichen Dienst (nur alte Länder) für 1992 um 4,25 Prozent.
Dabei wird allerdings betont, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Insti- tute von einer fünf- bis sechsprozen- tigen Erhöhung der Löhne und Ver- gütungen für 1992 ausgehen.
Auch die Krankenhausgesell- schaft empfiehlt, bei tarifvertragli- ehen und sonstigen Steigerungen der Personalkosten im Jahr 1992 einen
"zeitnahen" Ausgleich vorzunehmen und diesen bereits in der Pflegesatz- vereinbarung festzuschreiben. Eine exakte Abrechnung sollte über das Budget des folgenden Pflegezeitrau- mes erfolgen (gemäß § 4 Abs. 2 BPflV).
Leimnebenkosten
Relativ unstrittig sind die Bud-
getempfehlungen für die Kalkulation
der Personalnebenkosten. Hier müs- sen die für den Pflegesatzzeitraum relevanten Daten der (zum Jahres- beginn 1992 dynamisierten) Bei- Dt. Är7tebl. 88, Heft 36, 5. September 1991 (19) A-2867
tragsbemessungsgrenzen sowie die gesetzlich und die durch die Selbst- verwaltung festgelegten Beitragssät- ze in den Sozialversicherungszwei- gen berücksichtigt werden. Für die DKG ist es selbstverständlich, daß die Personalmehrkosten, die auf ei- ner Änderung von Rechtsvorschrif- ten beruhen, ohne Abstriche aner- kannt werden. Insbesondere müssen die Kosten, die mit der Gewährung des Mutterschutzes und des auf zwei Jahre verlängerten Erziehungsurlau- bes (ab 1. Januar 1992) berücksich- tigt werden. Unter die gesetzlichen Personalzusatzkosten fallen bei- spielsweise Arbeitgeberzuschuß zum Mutterschaftsgeld und Zuwendun- gen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Urlaub für Schonfristen, Ausgleichs- tage).
Krankenkassen und DKG rech- nen damit, daß sich die Beitragsbe- messungsgrenze in der Rentenversi- cherung in den alten Bundesländern per 1. Januar 1992 auf 6800 DM er- höht; in der Krankenversicherung auf 5100 DM monatlich; die Bezugs- größe nach § 18 Sozialgesetzbuch IV auf 3500 DM.
Offen ist noch die Auswirkung der Vereinbarung der Tarifparteien, wonach angemessene Sonderrege- lungen vereinbart werden können, wenn das Erreichen der Arbeitsstelle für den Arbeitnehmer mit außerge- wöhnlichem Zeitaufwand verbunden ist. Da nähere Erläuterungen zu die- ser Regel noch fehlen, sollten die Kostenträger in dieser Frage äußerst zurückhaltend sein. Die Kranken- kassenverbände lehnen es strikt ab, den Forderungen nachzukommen, außertarifliche Zuzahlungen für Be- schäftigte in Ballungsräumen oder ähnliche Leistungen anzuerkennen.
Die Zahlung außertariflicher Zula- gen und deren Finanzierung über die Pflegesätze oder über anderweitige Modelle durch die Krankenkassen seien nicht rechtskonform. In der Sa- che werde zudem keine Problemlö- sung, sondern nur eine Problemver- lagerung erreicht.
Besonderen Wert legen die Krankenhausträger auf die Feststel- lung, daß Kosten für Fort- und Wei- terbildungsmaßnahmen des Pflege- personals budgetrelevant sind. Da- her empfiehlt die DKG, daß im Bud-
get ein bestimmter Prozentsatz der Personalkosten für Fort- und Wei- terbildungsmaßnahmen berücksich- tigt wird. Gerade im Zuge einer Qualitätsverbesserung und einer Image-Anhebung der Pflegeberufe sei dies unverzichtbar.
Die Krankenhausgesellschaft weist den Vorwurf zurück, die Klini- ken seien „Kostentreiber Nummer 1 im Gesundheitswesen", und lehnt ei- ne strikte Anbindung der Ausgaben- entwicklung für Krankenhausbe- handlung an die Grundlohnsummen- entwicklung als „nicht sachgerecht"
ab. Nicht hausgemachte, sondern fremdbestimmte und ferngesteuerte Ursachen und Quellen des Kosten- booms seien dafür verantwortlich, daß die Steigerungsmargen stets über der Grundlohnsummenent- wicklung lägen. Der Medizinbetrieb und gar die von der Altenlast massiv beeinflußte Krankenhausmedizin seien nicht mit sachfremden Parame- tern wie etwa der Inflationsrate oder der Grundlohnsumme zu disziplinie- ren.
Sorgfältig bemühen sich GKV- Verbände und Krankenhausgesell- schaft, die Auswirkungen der aktua- lisierten Personalbemessung im Be- reich der Krankenhaus-Psychiatrie aufgrund der Psychiatrie-Personal- verordnung (vom 18. Dezember
1990) in der Kalkulation zu erfassen.
Während die DKG den Personal- mehrbedarf aufgrund der Anwen- dung des von ihr entwickelten lei- stungsbezogenen Konzeptes berechnet, lehnen die Krankenkassen jede Vor- wegnahme von globalen Mehrforde- rungen bei der Personalbemessung ab.
Die Krankenkassen plädieren dafür, bei einem Personalbedarfs- Ermittlungsverfahren auf der Basis von Pflegekategorien auch ausrei- chende Uberprüfungsmöglichkeiten zu schaffen. Für die Kassen sei es nicht hinnehmbar, auf der Grundla- ge von nicht rechtskräftigen Grob- entwürfen für eine neue Personal- verordnung (Anhaltszahlen) jetzt schon Zugeständnisse beim Perso- nalbedarf zu machen.
Die Krankenhausgesellschaft hingegen beruft sich auf Empfehlun- gen von Bundesgesundheitsministe- rin Gerda Hasselfeldt, wonach die
Auswirkungen einer künftigen Pfle- gepersonalverordnung bereits in der Pflegesatzrunde für das Jahr 1992 berücksichtigt werden könnten.
Sachkosten:
+ fünf Prozent
Bei den Empfehlungen zu den Sachkosten liegen Krankenkassen und DKG fast beieinander. Die Krankenkassen empfehlen, bis zu fünf Prozent bei den Sachkostenstei- gerungen zu akzeptieren. Die DKG rechnet mit einer Inflationsrate von 4 bis 4,25 Prozent. Hinzu kämen al- lerdings Strukturveränderungen so- wie die von den Krankenhausträgern kaum beeinflußbare Mengenent- wicklung, für die keine exakten Vor- gaben gemacht werden. Allerdings wird mit Steuererhöhungen im Mi- neralölbereich in zweistelliger Pro- zenthöhe gerechnet. Außerdem müßten die tatsächlichen Einzelfak- toren berücksichtigt werden, insbe- sondere Kostensteigerungen infolge veränderter Abgaben und Steuern, Kosten für umweltentlastende Maß- nahmen, weiterhin behördliche Auf- lagen, die Preisentwicklung im Phar- mabereich, für Blutkonserven, Blut- plasma, Heil- und Hilfsmittel und im Bereich der Implantate, der Fremd- leistungen und der Instandhaltungs- kosten vor allem im Bereich des Ap- parate- und Großgeräteparks (alles Sonderentwicklungsbereiche mit ho- her Personalkostenlast).
Die Krankenkassen sehen gera- de im Bereich der Sachkosten noch Einspar- und Rationalisierungsmög- lichkeiten, so bei einer Zentralisie- rung und Gründung von überbe- trieblichen Zentrallabors durch mehrere Krankenhäuser, und im Energiekostenbereich. Die Kranken- kassen haben ihre Annahme, daß hier noch eine Menge zu sparen ist, durch Gutachten untermauert. — Die Krankenhausträger allerdings zahlen hier mit gleicher Münze zurück: Ge- rade die Krankenkassen hätten sich bislang gesperrt, die Öffnungsklausel des § 18 b Krankenhausfinanzie- rungsgesetz (KHG) zu nutzen, um außerhalb des Budgets Verträge zwecks Rationalisierung abzuschlie- ßen . . . Dr. Harald Clade A-2868 (20) Dt. Ärztebl. 88, Heft 36, 5. September 1991