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Grenzgängerin. Grusswort der Theologischen Fakultät von Vizedekan David Plüss zum Anlass des zehnjährigen Bestehens der Dozentur für Diakoniewissenschaft an der Theologischen Fakultät Bern

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Jahrbuch Diakonie Schweiz 4 (2020/2021) – ISSN 2504-3994 Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internatio-

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Grenzgängerin

Grusswort der Theologischen Fakultät von Vizedekan David Plüss zum Anlass des zehnjährigen Bestehens der Dozentur für Diakoniewissenschaft an der Theologischen Fakultät Bern

David Plüss

Zum runden Geburtstag der Diakoniewissenschaft an der Berner Theolo- gischen Fakultät gratuliere ich herzlich, auch im Namen der Fakultätslei- tung und der Dekanin Angela Berlis. Ich grüsse Sie auch als Mitglied der Begleitkommission, der ich just seit zehn Jahren angehöre, gewissermas- sen als Fakultäts-Götti. Aus der Taufe gehoben haben die Dozentur für Diakoniewissenschaft jedoch andere: Die beiden emeritierten Kollegen Wolfgang Lienemann (Ethik) und Christoph Müller (Homiletik und The- orie der religiösen Kommunikation) sind hier seitens der Fakultät zu nen- nen.

Zehn Jahre ist ein schönes Alter. Das Kind ist längst aus den Windeln.

Es steht und geht und hat seinen Willen und ist schon erstaunlich gross gewachsen! Die Pubertät steht – ach! – vor der Tür. Andererseits ist es eine sehr kurze Zeit. Altes und Neues Testament wurden an der Berner Fakultät gelehrt, seit es sie gibt. Ebenso die Kirchengeschichte, die Dog- matik und die Praktische Theologie. Die Diakoniewissenschaft ist in Bern erst vor wenigen Jahren in den alten Baum der Theologie eingepfropft worden, aber seither gedeiht sie und trägt Früchte. Eine erstaunlich reiche Ernte kann immer wieder eingefahren werden – in Forschung und Lehre und Dienstleistung. Die Früchte sind farbenfroh und schön anzusehen.

Es finden sich einige wenige Exoten darunter, aber vor allem Einheimi- sches: «Resonanz in Diakonie und Klang: ein Blockseminar in Hannover und im toggenburgischen Wildhaus, zusammen mit dem Musiker und

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20 Komponisten Peter Roth» – ist eher ein Exot, aber ein durchaus attrakti- ver. Daneben finden sich Kurse über «Diakonie im Kontext religiöser In- differenz» sowie solche über Migration, Sucht und pflegende Angehörige.

Es sind allesamt Themen am Puls der Zeit. Hinzu kommt eine Vielzahl von Vorträgen und Publikationen. Zuletzt das Kompendium Diakoniewissen- schaft in der Kohlhammer-Reihe Kompendien Praktische Theologie.1 Kurzum: Die Früchte, die am kräftigen Ast der Diakoniewissenschaft hän- gen, sind zahlreich und vielfältig. Und vor allem: Sie haben Seltenheits- wert. Denn man findet sie in der Schweiz an keinem anderen Fakultäts- baum. Und selbst in Deutschland sind es wenige Fakultäten, die sich die Diakoniewissenschaft leisten.

Und doch bleibt es dabei: Die Diakoniewissenschaft ist eine junge Dis- ziplin an unserer Fakultät und eine Grenzwissenschaft im besten Sinne.

Sie ist eine Grenzgängerin. Oder mit dem schottischen Sozialanthropolo- gen und Ritualtheoretiker Viktor Witter Turner gesprochen: Sie ist ein Schwellenwesen, steht auf der Schwelle und macht die Schwelle passierbar.2 Die Schwelle oder das Liminale ist bei Turner ein Bereich betwixt and between, ein Zwischenraum, der als solcher prekär ist, aber auch ein grosses Potential enthält. Präparierte Schwellen und Passagen sind notwendig, da- mit Veränderung, damit Neues möglich wird und dysfunktional gewor- dene Verhältnisse in Bewegung geraten. Die Diakoniewissenschaft ist ein Schwellenwesen in mindestens vier Hinsichten:

(1) Sie steht oder bewegt sich zwischen Praxis und Theorie. Darin ist sie eng verwandt sowohl mit der Praktische Theologie als auch mit der Ethik.

Für die Theologie als eine – um mit Friedrich Schleiermacher zu sprechen

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1 Christoph Sigrist, Diakoniewissenschaft (Kompendien Praktische Theologie Band 3), Stuttgart 2020.

2 Victor W. Turner, Liminalität und Communitas, in: Andréa Belliger / David J. Krieger (Hg.), Ritualtheorien, Opladen / Wiesbaden 1998, 251–262.

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– «positive Wissenschaft»3 sind diese Schwellenfächer unabdingbar. Der Charme der Berner Diakoniewissenschaft besteht darin, dass sowohl Christoph Sigrist als auch Simon Hofstetter – anders als das hauptamtliche Fakultätspersonal – ihr Standbein in der Praxis haben und das Spielbein in der Wissenschaft. Ohne präzise Kenntnis und fortwährende Sondierung der gesellschaftlichen und kirchlichen Praxis droht die Theologie, den Bo- den zu verlieren und sich im Elfenbeinturm einzuschliessen.

(2) Damit verbindet sich eine zweite Grenzgängerei: Die zwischen Uni- versität und zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit. Die Themen der Diakoniewis- senschaft sind selten genuin religiöse oder innerkirchliche, sondern akute gesellschaftliche Notstände: Die Pflege betagter Angehöriger, der Umgang mit der beschämenden Geschichte der Verdingkinder, die Wahrnehmung und Thematisierung der Notlagen von armutsbetroffenen, kranken und randständigen Menschen. Während die Diakonie seit 2000 Jahren die

«Kirche für andere»4 ist, Kirche für marginalisierte Menschen, ist die Dia- koniewissenschaft der Aussenposten der Theologie in gesellschaftlichen Not- und Grenzlagen.

(3) Die Diakoniewissenschaft ist zudem Grenzgängerin zwischen den the- ologischen Disziplinen Ethik und Praktische Theologie. Dies wird an unserer Fa- kultät dadurch deutlich, dass sie in der Ethik angesiedelt ist, aber sich me- thodisch und thematisch oft im Feld der Praktischen Theologie tummelt.

(4) Und sie bewegt sich schliesslich auf der Schwelle zwischen den Berufs- feldern der Pfarrer*in und der Sozialdiakon*in. Diese Schwelle ist in der Praxis besonders heikel. Grenzstreitigkeiten zwischen den Berufsgruppen führen

__

3 Vgl. dazu Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (Leipzig 1910), Darmstadt 1993, § 1.

4 Geprägt hat diese Formel Dietrich Bonheoffer in: ders., Widerstand und Ergebung.

Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft (Dietrich Bonhoeffer Werke Bd. 8), hg. v.

Eberhard Bethge / Ernst Feil / Christian Gremmels, Gütersloh 2017, 560f.: «Die Kir- che ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist».

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22 dazu, dass diakoniewissenschaftliche Studien und Stellungnahmen auf- merksam bis misstrauisch zur Kenntnis genommen werden oder Kontro- versen befeuern.

Die Liminalität, die Schwellenhaftigkeit und Grenzgängerei verleihen der Diakoniewissenschaft eine erhebliche Bedeutung für die akademische Theologie, aber auch für die Universität und deren Öffentlichkeitsauftrag sowie für die Kirche als einer «öffentlichen Kirche» oder als Volkskirche.5 Die Bedeutung führt indes nicht dazu, dass der Ast der Diakoniewis- senschaft in den Himmel wächst, weder in den letzten zehn Jahren noch in Zukunft. Und vielleicht gelingt ihr die Grenzgängerei auch besser, wenn sie ein flinkes Wiesel bleibt und nicht zur Elefantengrösse heranwächst.

Jedenfalls wünsche ich ihr Vitalität, Beweglichkeit und einen wachen Blick für virulente Themen und akute Problemlagen, die wahrgenommen, re- flektiert und einer humanen Lösung zugeführt werden sollen.

In diesem Sinne wünsche ich von Herzen: Alles Gute und viele weitere, fruchtbare Jahre am Baum unserer Fakultät!

Autor:

David Plüss, Prof. Dr. theol., Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchen- theorie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern

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5 Vgl. dazu Thomas Schlag, Öffentliche Kirche. Grunddimensionen einer praktisch-the- ologischen Kirchentheorie, Zürich 2012; David Plüss / Matthias D. Wüthrich / Matthias Zeindler, Perspektiven einer Ekklesiologie der Volkskirche, in: dies. (Hg.), Ekklesiologie der Volkskirche. Theologische Zugänge in reformierter Perspektive, Zü- rich 2016, 396–438.

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