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ür die Kunstsammlung NRW in der Maler-Stadt Düsseldorf war es die erste Retrospektive eines Künst- lers, der bis zum Ende seines Lebens in der DDR gelebt und gearbeitet hat. Gerhard Ströch, geboren 1926 und an den Folgen eines Autounfalls 1989 gestorben, hat sogar sei- nen Namen der thüringischen Heimatstadt anverwandelt.Nur ein „o“ hat er hinzugefügt und sich Altenbourg genannt.
Das Haus, in dem heute noch seine Schwester lebt, hat er bis in die letzte Türklinke zu ei- nem Gesamtkunstwerk reifen lassen, zu einem Refugium ge- gen die Bedrängnisse der Zeit. Über die Jahre hinweg kommen das Haus und der Ort in vielen seiner Bilder vor.
Lange Zeit war Altenbourg ein Geheimtipp, nie ein
„Staatskünstler“. Findige Ga- leristen und Sammler aus Ost- und Westdeutschland fanden jedoch immer den Weg zu ihm.
In der Galerie Kühl in Dres- den, in der Galerie oben in Chemnitz oder in der Leip- ziger Galerie am Sachsen-
platz wusste man um seinen künstlerischen und auch den Marktwert. Der Sammellei- denschaft des Leipziger Gale- risten-Ehepaares Schulz etwa verdankt das Lindenau-Muse- um in Altenburg, das 1957 sei- ne erste Werkschau überhaupt einrichtete, einen Zuwachs
von 200 Blättern des Meisters.
Auch der jetzige Galerist am Leipziger Sachsenplatz ist Al- tenbourgs Werk verbunden und hat eine kleine, aber feine Verkaufsausstellung mit auch seltenen Arbeiten sozusagen an den Rand der großen Re- trospektive platziert, die ab 7. Juli in München Furore ma- chen dürfte. Dass deren erste Station Düsseldorf war, hat aber durchaus seine „deutsch- deutsche“ Richtigkeit. Für die zunehmend auch „offizielle“
Anerkennung des Künstlers waren in den 70er- und 80er- Jahren nicht nur die der Eng- stirnigkeit von Kulturfunk- tionären abgetrotzten größe- ren Freiräume der bildenden Kunst in der späten DDR ver- antwortlich, sondern auch der wache Blick und das künstleri- sche Gespür westdeutscher Kunstfreunde.
Vor allem der Galerist Die- ter Brusberg unternahm erst von Hannover, dann von Ber- lin aus seine Exkursionen in die Fremde des eigenen Lan- des – er entdeckte und förder- te Altenbourg. 1986/87 wurde die aus Anlass von Alten- bourgs 60. Geburtstag vom Museum der bildenden Kün- ste in Leipzig und vom Kup- ferstichkabinett der Staatli- chen Kunstsammlung Dres- den mit 350 Werken bestückte Ausstellung auch zu einer Art
„öffentlicher“ Anerkennung.
Ein Jahr vor seinem Unfalltod schließlich wanderte eine Ausstellung mit 180 Origina- len auch durch die damalige Bundesrepublik – die Kunst- hallen in Bremen und Tübin- gen, das Sprengelmuseum in Hannover und die Akademie der Künste in Berlin waren die Stationen. Zumindest in
Deutschland hat sich Alten- bourgs Werk in den letzten zwei Jahrzehnten durchge- setzt, in den Sammlungen, in zum Teil exzellenten Publika- tionen, auf dem Kunstmarkt und in Ausstellungen wie der gerade laufenden, die unter dem Titel „Im Fluss der Zeit – Retrospektive“ etwa 120 er- lesen zusammengestellte Ar- beiten aus allen Schaffens-
perioden zusammenführt. Zu den Prunkstücken der Schau gehören nicht nur die großen bis zu drei Meter hohen Wer- ke aus den 50er-Jahren.Alten- bourgs skurrile Porträts zwi- schen Selbsterforschung und Groteske, die Landschaften zwischen Heimatverbunden- heit und Aufbruch aus dem
„Ich Gestein“, der witzig pointierende Strich und seine subtile Flächigkeit – all das kann man bestaunen.Verblüf- fend ist die anspielende Ein- gebundenheit in die Kunst der westlichen Welt, die freilich immer wie neu erfunden wirkt. Dr. Joachim Lange V A R I A
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A1688 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 234. Juni 2004
Gerhard Altenbourg
Im Fluss der Zeit
In der zurzeit laufenden Retrospektive wurden etwa 120 Arbeiten aus allen Schaffensperioden zusammengetragen.
In Düsseldorf war die Ausstellung bis Anfang März zu sehen, vom 2. April bis 6. Juni im Kupferstichkabinett in Dresden, dritte Station ist die Staatliche Graphi- sche Sammlung München vom 7. Juli bis 5. September. Der Katalog ist während der Ausstellung zum Preis von 28 Euro erhältlich und mit seinen Textbeiträgen eine ideale Ergänzung zu dem 1996 in der Reihe Brusberg Bücher im Insel Verlag erschienenen Prachtband: Gerhard Altenbourg „Der Gärtner“. Informationen:
www.kunstsammlung.de )
Feuilleton
Gerhard Altenbourg: „Spiel auf zweierlei Ebenen“, 1956, Aqua- rell, Chinesische Tusche, blaue Tinte, Kreide auf rosa Ingres-Pa- pier, 48,5 x 61,5 cm
Gerhard Altenbourg: „Unverwe- het“, 1972, Graphit, Chinesische Tusche, Bleistift, Tempera, Aqua- rell, Pastell, Kreide auf glattem Schoellers Parole Bütten, 102,5 x 73 cm
Gerhard Altenbourg: Wickelgeist vor dem Meer, 1965, Aquarell, Chinesische Tusche, Kreide auf Velin Bütten
Fotos:Katalog