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ie Luftqualität gewinnt in zuneh- mendem Maß an Bedeutung, wenn es darum geht, sich für eine bestimmte Wohn-, Arbeits- oder Frei- zeitgestaltung zu entscheiden oder die- se zu beurteilen. Die mit den Luftschad- stoffbelastungen verbundenen gesund- heitlichen Beeinträchtigungen haben, wie das Beispiel Ozon zeigt, zu einem Umdenken in vielen Bevölkerungs- schichten geführt.Dem steigenden Informationsbe- dürfnis sind die Behörden je- doch oft nicht gewachsen. Eine Veröffentlichung der Messdaten ist darüber hinaus oftmals Län- dersache und wird auf den Inter- net-Seiten und in den Printme- dien sehr unterschiedlich ge- staltet.Abgesehen von man- gelnder Aktualität, ist das bereitgestellte Datenma- terial für einen „Nicht- fachmann“ oft kaum zu verstehen und länderüber- greifend nur schwer ver- gleichbar.
Begriffe wie Stickstoff- oxid, Schwefeldioxid, PM10 (Feinstaub), Kohlenmon- oxid oder Benzol sowie unterschiedliche Messeinhei- ten, die von Halbstunden-Wer- ten über Ein-Stunden-, Acht-Stun- den- und 24-Stunden-Werte bis hin zu gleitenden Mittelwerten reichen, erschweren eine gezielte Suche nach Informationen. Eine gesund- heitsorientierte Interpretation der Messwerte bleibt den wenigen „Grenz- wertkundigen“ vorbehalten.
Die im Rahmen der Ozonmeldun- gen auftretende Verunsicherung, Hilflosigkeit und sogar Panik sind ein- deutige Anzeichen für ein zunehmen- des Informationsdefizit in der Öffent-
lichkeit. Die Konzentration der Be- richterstattung auf Ozon erlaubt es zu- mindest den Medien, das Thema „Ge- sundheit und Luftbelastung“ auf einige Sommertage zu beschränken. Der
ganzjährige Luftschadstoffmix aus kan- zerogenen Kohlenwasserstoffen, toxi- schen Feinstäuben, ätzenden Stickstoff- dioxid- und Schwefelverbindungen bleibt unerwähnt. Zu schwierig schei- nen die komplexen Zusam- menhänge und Wirkungen der Luftchemie, nicht spekta- kulär genug und darüber hin- aus politisch brisant.
Das Gesundheitsrisiko durch Verunreinigungen in der Außen- luft wird darüber hinaus wissen- schaftlich sehr unterschiedlich beurteilt. Individuelle Emp- findlichkeiten, Vorerkran- kungen und Wechselwirkun- gen mit weiteren Umweltbela- stungen erschweren eine me- dizinische Bewertung der Luftschadstoffe und eine eindeutige Zuordnung der Krankheitssymptome. Epi- demiologischen Studien zu-
folge ist das Gefährdungspotenzial für Kinder aufgrund ihres erhöh- ten Atemvolumens und ihres schwächeren Immunsystems am höchsten einzustufen.
Der Stellenwert, der dem Thema
„Luftbelastung“ zukommt, ergibt sich jedoch nicht nur aus der Größe des indi- viduellen Risikos, sondern aus der Be- troffenheit aller Menschen, jeden Tag.
Jeder atmet täglich, je nach körperli- cher Belastung, zwischen 20 und 50 Ku- bikmeter Luft ein. Eine Bewertung und gegebenenfalls eine Verminde- rung des täglichen Risikos ist für den Einzelnen, ohne die entsprechende T H E M E N D E R Z E I T
Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002 AA2911
Umwelt
„Luft-Vorhersage“ ist möglich
Das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit über gesundheitliche Folgen von Luftschadstoffen wächst. Seit 2001 gibt es Prognosen über die Luftqualität analog zur Wettervorhersage.
Die Deutschlandkarte zeigt die Luftqualität am 29. August auf der Basis der tatsächlich gemessenen Konzentrationen für Schwefel- dioxid, Stickstoffdioxid, Feinstaub, Kohlen- monoxid und Ozon. Die Tagesmittelwerte werden zu den jeweiligen Grenzwerten in Bezug gesetzt und die Ergebniszahlen ad- diert. Die Summenzahl wird einer Klassifi- zierung zugeordnet. Quelle: GEORISK
Luftqualität:
Donnerstag, 29. 8. 2002
Luftbelastungsindex
keine Angaben schwach
belastet mäßig belastet deutlich
belastet erheblich belastet
verständliche, übersichtliche und zeit- nahe Information zur Luftqualität, je- doch nicht möglich.
Erstmalig gibt es seit dem vergange- nen Jahr für Deutschland und Europa Luftbelastungsprognosen die – neben dem Einzelstoff Ozon – die Luftqualität insgesamt für denselben und den folgen- den Tag vorhersagen. Ähnlich dem Wet- terbericht informieren täglich aktuali- sierte Übersichtskarten über die zu er-
wartenden Belastungen in den verschie- denen Regionen. Allergiker und Asth- matiker sowie Therapeuten und Ärzte können seitdem neben den Pollenvor- hersagen hilfreiche Zusatzinformationen zu weiteren Luftverunreinigungen abru- fen. Krankheitssymptome können räum- lich und zeitlich zugeordnet und Vor- sorgemaßnahmen angepasst werden.
Entwickelt wurde das Vorhersagesy- stem im Rahmen des Forschungsprojek-
tes EURAD, das vom Rheinischen Insti- tut für Umweltforschung an der Univer- sität zu Köln unter Leitung von Dr. Her- mann Jakobs durchgeführt wird. „Ei- gentlich ist dieses Vorhersagesystem ein Abfallprodukt des Forschungsprojekts, das sich mit Schwerpunktthemen wie Stratosphären/Troposphären-Austausch, Chemie und Dynamik von Aerosolen beschäftigt“, sagt Jakobs. Die Datenfülle und die technischen Voraussetzungen veranlassten den Geophysiker, das In- formationsloch „Luftqualität“ anzuge- hen. Berechnungsgrundlage sind vorlie- gende Emissionskataster für Deutsch- land und Europa, die mithilfe chemi- scher Ausbreitungsmodelle in Immissi- onswerte umgerechnet werden. Für die Luftbelastungsprognose ausschlagge- bend sind jedoch die meteorologischen Daten und Berechnungsmodelle der Wettervorhersage. In diesem Fall wird die tägliche gobale Vorhersage des Na- tional Center for Environmental Protec- tion genutzt. In Abhängigkeit von den aktuellen meteorologischen Randdaten werden chemische Umwandlungspro- zesse und Ausbreitungen der einzel- nen Luftschadstoffe in den bodenna- hen Luftschichten als Prognose be- rechnet. Jakobs gibt die Eintrittswahr- scheinlichkeit seiner Prognosen mit +/– 20 Prozent an. Sein Service ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie bei ei- nem millionenschweren Forschungs- projekt ein interessanter Nutzen für die breite Öffentlichkeit entstehen kann.
Prognosekarten und weitergehende In- formationen sind unter www.eurad.uni- koeln.de abrufbar.
Die Europäische Union fordert eine transparente Umweltinformation für die breite Öffentlichkeit. Die Berech- nungsmodelle sind vorhanden, die Technik ist kein Problem. Der erste Schritt ist getan. Inwieweit das nach Schätzungen der Weltgesundheitsorga- nisation täglich zunehmende Gesund- heitsrisiko von der Öffentlichkeit ak- zeptiert wird, hängt jedoch wesentlich von der Aufklärungsarbeit der Exper- ten, der Industrie, der Behörden, der Medien und der Politiker ab.
Georgia Kiegelmann Georisk GmbH
Schloss Türnich, 50169 Kerpen E-Mail: GEORISK@t-online.de Internet: www.air-infoline.de T H E M E N D E R Z E I T
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A2912 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 441. November 2002
Die Europakarte zeigt die Luftqualitätsvorher- sage für den 29. August.
Aufgrund des 125-Kilo- meter-Rasters können lokale Einzelereignisse in der Europakarte nicht dargestellt werden.
Quelle: EURAD
Um Informationen über die Luftqualität schnell und leicht verständlich auf den Punkt zu bringen, entwickelte GEORISK eine Visualisierunsvariante, die mithilfe einer Comicfigur die Situation beschreibt.