Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2627. Juni 2003 AA1769
S E I T E E I N S
Gesundheitsreform
Luftbuchungen D
ie Finanzierungsrechnung zumGesundheitssystemmodernisie- rungsgesetz (GMG) ist intransparent, zum Teil höchst spekulativ, was die erhofften sinkenden Krankenkas- senbeiträge ab 2004 betrifft und da- mit die Aussichten auf stabile oder sogar sinkende Lohnnebenkosten.
Von der urprünglichen maxima- len Finanzierungs- und Entlastungs- rechnung ist die Bundesregierung inzwischen teilweise abgerückt – vor allem deshalb, weil die im Gesetz- entwurf kalkulierten zusätzlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer möglicherweise überhaupt nicht er- zielt werden. 4,5 Milliarden Euro wären nötig, um versicherungsfrem- de Leistungen wie das Mutter- schaftsgeld künftig komplett über Steuern zu finanzieren. Da zusätzli-
che Einnahmen aus der Tabaksteuer im allgemeinen Steueraufkommen untergehen, nicht zweckbestimmt für das Mutterschaftsgeld reserviert werden dürfen und eine zweckge- bundene Refinanzierung der GKV unterbleiben muss, besteht hier ein großes Finanzierungsrisiko.
Bei einer 20-prozentigen Anhe- bung der Tabaksteuer erhöht sich das Steueraufkommen nicht im glei- chen Maße. Erfahrungsgemäß geht beim Tabakkonsum der Verbrauch lediglich um vier bis sechs Prozent zurück. Für den Fall, dass Hans Ei- chels Haushalt mit dem Zusatzobo- lus aus Tabaksteuern nicht gesund geraucht werden kann, hat Ulla Schmidt bereits einen Stufenplan für eine schrittweise Umfinanzierung der versicherungsfremden Leistun-
gen erwogen. Um die Finanzlöcher der GKV (630 Millionen Euro im er- sten Quartal) zu stopfen und den GKV-Beitragssatz um 1,5 Prozent- punkte zu drücken, wären 13 bis 14 Milliarden Euro erforderlich. Nun werden weniger als 9,5 Milliarden Euro wegen der Aufteilung der Ta- baksteuer auf drei Schritte erwartet.
Eine reine Luftbuchung in der Fi- nanzierungsrechnung sind indes die erhofften „Effizienzgewinne“, die das GMG-Paket mit drei Milliarden Euro veranschlagt. Struktur- und Ef- fizienzgewinne waren schon jeher bei gesundheits- und sozialpoliti- schen Reformprojekten Nebelker- zen. Sie wurden oft gezündet, haben aber noch nie auch nur im Gering- sten zur Sanierung der Finanzen bei- getragen. Dr. rer. pol. Harald Clade
Pharmalobby
Puppe in der Puppe A
ufmerksame Leser meinungsbil-dender Tageszeitungen stolpern neuerdings über kleine Anzeigen, die mitten im Text platziert und mit Schlagzeilen wie „Staatsmedizin macht krank“ geziert sind. Als Ab- sender zeichnet www.dialog-statt- huerden.de. Dahinter verbirgt sich eine Initiative von 15 Arzneimittel- herstellern, die gegen die so genann- te Vierte Hürde zu Felde ziehen. Ge- meint ist damit die von der Bundes- regierung geplante Prüfung von Arzneimitteln unter Kosten-Nut- zen-Gesichtspunkten. Nur bei einer günstigen Kosten-Nutzen-Relation sollen die Produkte zulasten der Krankenkassen verordnet werden dürfen.
Vor allem forschende Arzneimit- telhersteller stoßen sich an der Vier- ten Hürde. Dadurch werde die Inno-
vation behindert. Deutschland sei im Bereich innovativer Arzneimittel ohnehin schon Entwicklungsland, äußerte jetzt sogar ein Sprecher der Stolperanzeigen-Initiative. Hierzu- lande gebe es einen Regulierungs- dschungel, dem Patienten nütze der letztlich nicht, wohl aber einigen Ex- perten, die Neueinführungen skep- tisch gegenüberstünden. Und ausge- rechnet die könnten demnächst in dem von Ministerin Schmidt vorge- sehenen Arzneiinstitut die Vierte Hürde errichten.
Da mag was dran sein. Interessant an dem Vorgang ist aber auch, dass nicht der Verband Forschender Arz- neimittelhersteller in Berlin mit sol- chen Argumenten vor die Presse trat, dessen Job wäre nämlich solche Lobbyarbeit, sondern eine Gruppe von 15 Herstellern, die ihre Firmen-
zentralen in den USA haben. Sie verträten die größten und innova- tivsten Hersteller, in der deutschen Pharmaindustrie fände nennens- werte Forschung kaum noch statt, hieß es in Berlin ein wenig von oben herab.
Entpuppt sich hier eine neue Gruppierung der Unzufriedenen innerhalb des Verbandes Forschen- der Arzneimittelhersteller (VFA)?
Überraschend wäre das nicht, gibt es doch ein Vorbild: Der VFA selbst ging aus einer Gruppe unzufriedener (deutscher) „Großer“ hervor, die mit dem Bundesverband der Phar- mazeutischen Industrie (BPI) nicht einverstanden waren und sich mit ei- nem eigenen Verband verselbststän- digten. Die Gruppe der 15 „Ameri- kaner“ wäre demnach schon die dritte Puppe. Norbert Jachertz