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rönland – ein riesiger Block von Inlandeis beherrscht die größte Insel der Erde. Die Küsten prägen schroffe Gebirge und Fjor- de. Der Osten ist noch wilder als der Westen. Das liegt am Polar- strom, der von Norden Kälte und riesige Packeismassen an die Ost- küste bringt. Das machte sie lange Zeit unzugänglich. Erst 1884 war es Gustav Holm mit seiner Expedition gelungen, in der Region des heuti- gen Tasiilaq festzumachen. Dort entdeckte er die damals einzige Siedlung an der Ostküste mit 413 Bewohnern, die völlig isoliert, in steinzeitlichen Verhältnissen lebten.Die Dänen gründeten dort 1894 eine Handels- und Missionsstation, aus der später die Stadt Tasiilaq her- vorging. Sie ist eine von zwei Städ- ten an der 2 600 Kilometer langen Ostküste, wo zurzeit etwa 3 500 Menschen leben. In Tasiilaq gibt es heute so ziemlich alles, was man in der westlichen Welt als lebensnot- wendig erachtet: ein Krankenhaus, eine Schule, Kindergärten, ein Sport - zentrum, eine Kirche, ein Postamt, ein Museum, ein Internetcafé und Supermärkte. Die Dänen investie- ren viel in den Ort, und das Sozial- und Schulsystem sind exzellent.
Was rar geworden ist, ist Arbeit und damit Selbstbestätigung. Die Folge ist der drohende Verfall einer einzigartigen Kultur, Identitätsver- lust, Alkoholmissbrauch, Depres- sionen und eine hohe Suizidrate vor allem unter Jugendlichen.
Auch wegen solcher Probleme gibt es das Rote Haus in Tasiilaq.
Das kleine, gemütliche Hotel hat gewissermaßen eine eigene Seele, und die heißt Robert Peroni. Der Südtiroler war früher Extremsport- ler. Seine spektakulärste Expediti- on, die Erstdurchquerung des grön- ländischen Inlandeises an seiner breitesten Stelle, ist im Roman
„Der weiße Horizont“ eindrucks- voll beschrieben. Peroni zog es im- mer wieder ins Eis nach Grönland, bis er schließlich blieb.
Vor 20 Jahren hat er das Rote Haus eröffnet. Ein Hauptanliegen ist es, erwerbslosen Jugendlichen Arbeit und damit Selbstbestätigung zu verschaffen. Von hier aus organi- siert Peroni Touren und Besuche bei Familien.
In seiner ehemaligen Heimat Südtirol hat er alles aufgegeben,
den Luxus und das bequeme Leben.
Warum? Peroni will den ostgrön- ländischen Iivi helfen, mit den Ein- flüssen der europäischen Zivilisati- on zurechtzukommen und dabei ih- re Traditionen zu bewahren. Er will ihnen zeigen, dass sie eine Zukunft haben, wenn sie Selbstvertrauen entwickeln und sich dem Neuen ge- genüber öffnen. Als Hauptchance für die Region sieht der Südtiroler die Schaffung eines umweltverträg- lichen, mit der Kultur der Iivi har- monierenden Tourismus. Auf jedes Doppelzimmer im Roten Haus ent- fallen pro Woche im Durchschnitt fünf Bootsfahrten. Das ist Arbeit für die Einheimischen.
In Europa gelten Idealisten wie Peroni häufig als Spinner, in Tasii- laq genießt er höchste Anerken- nung. Da inzwischen viel mehr Iivi bei ihm arbeiten wollen, als er be- schäftigen kann, will er das Rote Haus erweitern. Die Pläne für den Ausbau des Gästehauses liegen schon vor. Doch es fehlen noch die Mittel. Die Investitionskosten auf die Besucher umzulegen, wäre ein Leichtes. Doch das widerspricht Peronis Philosophie. Er will, dass sich jeder, der davon träumt, nach Grönland zu reisen, diesen Wunsch auch erfüllen kann. Deshalb sucht er für das Rote Haus Kleininvesto- ren. Spenden? Einmalige Zuwen- dungen zur Errichtung des Anbaus wären eine gute Sache, bemerkt Pe- roni. Dauerhafte Spenden lehnt er ab: „Wir müssen arbeiten und den Umgang mit Finanzen lernen.“
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Dr. Helga Schubert
GRÖNLAND
Das Rote Haus in Tasiilaq
Tasiilaq? Der Ort liegt am Ende der Welt. Und doch gibt es dort ein Hotel, das Rote Haus, das eigentlich eine Begegnungsstätte zwischen den Kulturen ist.
Kalt und wild ist die Ostküste Grönlands.
Heute leben circa 3 500 Menschen im einst schwer zugäng- lichen Tasiilaq.
Foto: Fotolia/Arid Ocean
Foto: dpa
Deutsches Ärzteblatt